30. April 2018

Zeitmarke: Vor 50 Jahren: "Open the pod doors, Hal!"

Vor fünfzig Jahren, vor einem vollen halben Jahrhundert, im April 1968, als das Kulminationsjahr der Sixties gerade seinen Anlauf zur politischen, jugendrebellischen und militärischen Entgrenzung (im Einsatz des amerikanischen Militärs in Vietnam, jedenfalls im medialen Echo in allen Ländern des Westens; daß diese verstärkten Einsätze auf den blutigen und für Südvietnam desaströsen Verlauf der vom Vietcong am 30. Januar gestarteten Tet-Offensive war, ging auch damals in unseren Medien ziemlich unter) - genauer: am 3. April 1968 lief in den Kinos der Vereinigten Staaten ein Science Fiction-Film an, der sofort und bis heute unangetastet nicht nur ein Klassiker des Genres ist, sondern sein absoluter Höhepunkt, vorher und seither nie wieder erreicht, eine Sternstunde des Kinos, eine optische Offenbarung: Stanley Kubricks "2001 - A Space Odyssey". Ein Film, der unseren Eindruck von dem, was "die Zukunft" in der visuellen Imagination ausmachte, ein für allemal verändert und geprägt hat - auch wenn dieser Film, aufgrund seiner Einzigartigkeit, seinem Verstoß gegen alle Konventionen des Genres - der Science Fiction wie dem erzählenden Spannungskinos - selbst keine Nachfolger gefunden hat, nicht stilprägend wurde und ein Solitär blieb wie die drei außerirdischen Monolithen, deren Erscheinen die Handlung strukturiert.

Man kann davon ausgehen, daß jeder, der für den spröden Zauber des Films empfänglich ist, seine Bilder, seine Szenen, den Ablauf der Handlung unauslöschlich im Gedächtnis gespeichert hat; von daher könnte es hinreichen, als Hommage einfach eine dieser Szenen noch einmal Revue passieren zu lassen, kommentarlos: jener Schnitt, als der nach dem ersten Mord, dem Sündenfall in der afrikanischen Savanne, als erstes Werkzeug - als Mordwerkzeug! - triumphierend in die Luft geworfene Ast sich in ein Raumschiff verwandelt und zu den Klängen des Opus 314 von Johann Strauss (Sohn), gespielt von den Berliner Philharmoniker unter dr Leitung von Herbert von Karajan, sich vor dem Zuschauer die Zukunft des Jahres 2001 in der Erdumlaufbahn auftut.


29. April 2018

Eine unehrliche Frage und eine noch unehrlichere Anzeige

Eines der normalerweise schönsten Instrumente, um eine deutsche Regierung zu ärgern, ist die Methode der "kleinen Anfrage". Kleine Anfragen können von jeder Fraktion gestellt werden, dienen zwar (hoffentlich) meist der Informationsgewinnung, sind aber auch ein adäquates Mittel um ein bischen gegen die Regierung zu stänkern.
Da die Rolle des Oberstänkerers derzeit der AfD nahezu natürlich zufällt, ist es auch kein Zufall das sie in der ja noch nicht allzu langen Legislaturperiode schon bald die 200 voll haben wird. Die meisten Anfragen gehen genau so sang und klanglos unter wie der Name schon vermuten lässt, aber einzelne bieten dann doch ein mehr oder minder großes Erregungspotential.
So fragte die AfD in einer Anfrage vom 22.03. diesen Jahres eine Reihe von Fragen zum Thema der Entwicklung der Zahlen von Schwerbehinderungen, insbesondere im Hinblick auf Verwandtenehen und wieviele dieser Verwandtenehen einen Migrationshintergrund haben. Die Bundesregierung beantwortete dann am 10.04. auch die meisten Fragen, gab aber auch an, dass Behinderungen aus Verwandtenehen nicht erfasst würden, entsprechend auch nicht der Migrationshintergrund solcher Ehen. Beantworten konnte man nur wieviele Menschen ohne deutschen Pass in Deutschland eine Behinderung aufweisen.

27. April 2018

Bärenhöhlengleichnis: Gehört der Mundgeruch zu Griechenland?

Er gehört zu mir, wie mein Name an der Tür / Und ich weiß, er bleibt hier (...) 

Steht es in den Sternen (uuhhuuhhhhuuuuuu) / Was die Zukunft bringt (uuhuhuu) / Oder muß ich lernen / Dass alles zerrinnt?

Marianne Rosenberg, 1975 (Hervorhebung Petz)

Je länger die Diskussion um den Satz "Der Islam gehört..." bzw. "...gehört nicht zu Deutschland" andauert, um so abstruser wird sie. Der sonst so häufig zitierte Aphorismus "Manche Aussagen sind so falsch, dass nicht mal das Gegenteil wahr ist" scheint hier in Vergessenheit geraten zu sein. Selbst diejenigen, die den Satz als sinnlos betrachten (vgl. "Die Zukunft singt gefrorene Integrale"), wollen das zum Teil nur für den Wahrheitswert einräumen, der ihrer eigenen Haltung zum Islam bzw. den Muslimen (zu dieser Unterscheidung später mehr) entspricht. Das wäre auch wirklich viel verlangt - wem der Untergang dräut, der hat keine Zeit mehr für Sprachphilosophie. 

Ich schon. Und deshalb mal eine kleine Textkritik.

23. April 2018

Antisemitismus. Nein! Doch! Oh!

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Ja, in der letzten Woche kam er mal wieder ganz überraschend vorbei: Antisemitismus vulgaris. In Gestalt eines Auftritts in Berlin, wo ein syrischer Flüchtling (neudeutsch "Geflüchteter") meinte einem Mitbürger, den er fälschlicherweise aufgrund seiner Kippa für einen Juden hielt, seinen Gürtel und dessen Eigenschaften als Nahkampfwaffe zu demonstrieren. Um erst gar kein Mißverständis entstehen zu lassen aus welchem Grund es zu dieser Demonstration kam, rief er während seiner Vorführung auch permanent das Wort Yahudi, was wohl auf arabisch Jude bedeutet und auf Berliner Straßen inzwischen recht häufig als Beleidigung verwendet wird.

19. April 2018

Die Quote und die FDP

­Die Quote ist heute ein gesellschaftlich weithin akzeptiertes Instrument, um definierten Gruppen Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe im weitesten Sinne zu gewähren. Als Begründung für das Instrument der Quote dient gerne, dass die jeweilige Gruppe ohne die Quote benachteiligt würde. Die Benachteiligung wird dabei an der Asymmetrie im Hinblick auf die Teilhabe der jeweiligen Gruppe im Vergleich zu ihrem Reziprok festgemacht.

Ob diese Begründung stimmt, soll nicht das Thema dieses Beitrags sein. Einen Einwand zu ihr möchte ich jedoch formulieren: Asymmetrie entsteht nicht notwendig durch äußeren Druck, sondern auch durch freie Entscheidung. Das erscheint mir zumindest kein unerheblicher Einwand zu sein, in einer Gesellschaft mit liberal verfassten Rechtsstaat, inklusive dezidiertem Minderheitenschutz.

Ich möchte hier zunächst meine grundsätzlichen Einwände gegen das Instrument der Quote aus einer liberalen Warte heraus formulieren:

18. April 2018

TESS

In Anknüpfung an das Experiment, das vor zwei Monaten (zwei Monate! es kommt dem Protokollanten wesentlich kürzer vor) auf diesem Netztagebuch unternommen wurde - nämlich die Videoeinbindung des Erststarts der bislang größten von einer Privatfirma produzierten Rakete, der Falcon Heavy, sei auch für diese Nacht eine Live-Übertragung versucht. Diesmal geht es um den Start von TESS, dem "Transiting Exoplanet Survey Satellite", der in dieser Nacht, um 0 Uhr 51 (MESZ) an der Spitze einer Falcon 9 von der Startrampe 40 in Cape Canaveral in die Umlaufbahn geschossen werden soll, nachdem der ursprünglich für vorgestern terminierte Countdown zwei Stunden vor dem Zeitpunkt "0" zum Zweck weiterer Sicherheitsüberprüfungen abgebrochen worden war. Wie am Montag beträgt das Startfenster diesmal 30 Sekunden. 48 Minuten nach dem Abheben soll der Satellit in seine ausgesprochen elliptische Umlaufbahn einschwenken. Die Startstufe soll nach dem "Rücksturz zur Erde", also nach gut 8 Minuten, auf der vor der Küste Floridas im Atlantis stationierten Roboterplattform Of Course I Still Love You aufsetzen. Aufmerksame Beobachter werden sich erinnern, daß zwei der vier Propellergondeln der schwimmenden Landungsplattform beim Erststart der Falcon Heavy im Februar beschädigt worden waren, als der mittlere der drei Erststufenbooster, der Center Core, beim (fast) ungebremsten Aufschlag auf die Meeresoberfläche (nur zwei der neun vorgesehenen Merlin-Triebwerke hatten gezündet) gut in 100m Entfernung explodierte. Sie sind währenddessen durch zwei der im Pazifik vor dem Startplatz der AFB (Air Force Base) Vandenberg Dienst tuenden Just Read the Instructions ersetzt worden. (Darin  liegt auch der Grund, warum bei den seit erfolgten Falcon 9-Starts keine weichen Landungen mehr erfolgten.) (Seit Februar 2018 befindet sich ein drittes Roboterschiff im Bau, das als weitere Landeplattform bei zukünftigen Starts der Falcon Heavy zum Einsatz kommen soll, unter den Namen A Shortfall of Gravitas. Wie die leicht exzentrischen Namen der Schwesterschiffe handelt es sich dabei um einem Raumschiffnamen aus Iain M. Banks SF-Roman The Player von Games (dt. unter dem Titel Das Spiel Azad erschienen) von 1988; dem zweiten des "Culture"-Zyklus).



(Wie üblich bei den Übertragungen der Starts von SpaceX ist zu erwarten, daß die Übertragung erst gut zehn Minuten vor dem Ende des Countdowns "live geschaltet" wird - bis dahin bitte ich jeden, der sich zu diesem Zweck hierhin verirren sollte, um Geduld. Nach Abschluß des Starts - und hier klopft der Prokollant hart auf Holz - wird der oben eingebundene Videofeed durch eine Aufzeichnung des Starts ersetzt werden. Nachtrag: 09:40: das obige Video ist jetzt eine neun-minütige Aufzeichnung des des Starts,)

Die letzte Statusmeldung auf der Nachrichtenseite spaceflight.now lautet momentan:

Updated: 04/18/2018 21:51 Stephen Clark
T-minus 3 hours and counting. NASA and SpaceX launch team members are gathering in preparation for final countdown activities, which will include fueling of the Falcon 9 rocket with kerosene and liquid oxygen propellants.
The launch team will oversee loading of high-pressure helium into the rocket, then give the "go" to pump RP-1 kerosene into the Falcon 9 at 5:41 p.m. EDT (2141 GMT). Super-cold liquid oxygen will begin flowing into the two-stage rocket at 6:16 p.m. EDT (2216 GMT).
Zusätzlich zum oben eingebundenen Videostream von SpaceX kann der Start über den Übertragungskanal der amerikanischen Weltraumbehörde NASA verfolgt werden oder über die Netzseite von SpaceX.

17. April 2018

Ausgerechnet Westernhagen

­Normalerweise sollte das Thema keine zwei Artikel in einer Woche wert sein. Aber die deutsche, kulturelle, sich selbst empfindende Intelligenz, ist wie die Justiz, ihre Mühlen mahlen langsam und sie muss erst einmal so richtig wachwerden.

Diese Woche aktuelles Thema: Echo zurückgeben. So haben inzwischen einige Künstler verschiedener Coleur angekündigt ihre jeweiligen Echos nun zurückgeben zu wollen. Nun, das ist sicher ihr gutes Recht. Wobei ich gerne zugebe, dass mich das als Einzeltat wesentlich mehr überzeugt als das genau dann anzukündigen, wenn es diverse andere auch tun. Es gehört nicht viel Mut dazu etwas aus einer Gruppe heraus zu tun, aber sei es drum.
Traurig dagegen ist eher wer und mit welchen Methoden nun plötzlich seiner Empörung Ausdruck verleiht.

15. April 2018

Kontrapunkt: Ein Echo vom Echo

Auch dieses Jahr nutzt die Musikbranche mal wieder die Gelegenheit und feiert sich selber, das Ergebnis nennt sich Echo und wiederholt sich jedes Jahr aufs neue. Und weil das an und für sich ziemlich langweilig ist, hat man dieses Jahr dann einen großen Eklat gefunden, was sicher sowohl für die Veranstalter als auch für die Musiker nicht unbedingt das schlechteste ist.
Und der Eklat ist: Antisemitismus. Den man bei zwei der diesjährigen Favoriten in ihrem Bereich gefunden hat. Und das deutsche Feuilleton hat mal wieder ihre Sau gefunden, um sie erfolgreich durchs Dorf zu treiben. Und es ist ein reichlich dankbares Schweinchen, denn es wird ja niemand so richtig wagen Antisemitismus zu verteidigen, bzw. jeder kann sich mal so richtig profilieren ein Verteidiger "der Juden" zu sein (zumindest so lange diese im dritten Reich ermordet wurden, doch dazu später).

11. April 2018

Weg mit dem Dino

Nein, hier soll es nicht um Fußball gehen. Sondern um das aktuelle BVerfG-Urteil zur Grundsteuer. Nicht überraschend hat das Gericht festgestellt, daß die nach uralten Kriterien berechnete Steuereintreibung grundgesetzwidrig war.

Der Grund: Weil eine Überprüfung und Neubewertung aller Grundstücke in Deutschland zu kompliziert und aufwendig ist, haben die Finanzbehörden auf die eigentliche alle sechs Jahre fällige Aktualisierung einfach verzichtet. Und im Jahre 2018 immer noch die Grundstücks- und Gebäudewerte sowie die Einwohnerzahlen der Gemeinden aus dem Jahre 1933 (Osten) bzw. 1954 (Westen) für die Berechnung benutzt.

Seit Verkündung des Urteils überschlagen sich nun Politiker aller Parteien mit Vorschlägen, wie man das nun künftig regeln solle. Und dabei werden dann Verfahren vorgeschlagen, die noch komplizierter und aufwendiger sind als das bisherige. Bisher scheint kein Vorschlag aufgetaucht zu sein, der wirklich praktikabel und gerichtsfest sein würde.
Dann sollte man doch lieber mal die logische Alternative wählen: Die Grundsteuer einfach abzuschaffen.

8. April 2018

Levin Schücking, "Swift in Moor-Park" (1840)

Der Sonntag den Künsten!

Und zwar sei der heutige Termin zur Abwechslung einer kleinen literarischen Ausgrabung gewidmet: nicht einer vergessenen Trouvaille (dazu reicht die Qualität des Textes nicht hin), sondern höchstens einer verschollenen Kuriosität, oder, in der Schreibweise jeder Zeit "Curiostität." Zudem ist es als Fortsetzung der kleinen Reihe von Ehrbezeigungen an den größten Satiriker Irlands - und einen der bedeutendsten der gesamten englischen Literaturgeschichte überhaupt - zu sehen: an Jonathan Swift, dessen Geburtstag sich im vergangenen November zum 350. Mal jährte. Diesmal jedoch nicht mit einer neuen Übersetzung eines seiner Gedichte, sondern mit einem erzählenden Text, der sich einem wichtigen und prägenden Abschnitt seiner Biographie widmet, wenn auch in stark romantisierender und frei fabulierender (und auch, wo er sich an die historischen Tatsachen hält, nicht immer faktengetreuer) Weise: einem von zwei "Fragmenten eines Romans" (so der Untertitel), den Levin Schücking, zu Beginn seiner Laufbahn als Schriftsteller, 1840 in der damals verbreitesten und auflagenstärksten (ein Wort, bei dem man sich die ""-Gänsefüßchen hinzudenken sollte; sh. dazu die kurzen Anmerkungen zum Schluß) Literaturzeitschriften, dem in der Cotta'schen Buchhandlung in Stuttgart und Tübingen verlegten "Morgenblatt für gebildete Leser" publiziert hat. "Swift in Moor-Park" erschien dort in Fortsetzungen zwischen Freitag, dem 6. Juni und Freitag, dem 19. Juni 1840. Der Text ist in keiner der Novellensammlungen Schückings aufgenommen und auch sonst seit seinem Erscheinen vor fast 180 Jahren niemals nachgedruckt worden. Die Orthographie entspricht der Vorlage - mit der Ausnahme von Umlauten am Wortanfang von Substantiven, an denen die typographische Convention der in Frakturschrift gesetzten Vorlage eine Aenderung in eine Doppelletter bewirkt hat, die im Fall von Kleinbuchstaben im Original nicht erfolgte. Als Textgrundlage diente das Digitalisat der Bayerischen Staatsbibliothek.

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(Erste Seite der Ausgabe des Morgenblatts vom 22. April 1842 mit der ersten Folge der "Judenbuche".)



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"Swift in Moor-Park. Fragmente eines Romans"

          I.
Moor-Park liegt in der Grafschaft Surrey, unweit der Stadt Farnham. Im Jahre 1688 war dieser durch seine geschmackvollen Parkanlagen berühmte Landsitz das Eigenthum und die Residenz des Ritters William Temple, eines Mannes, den damals England den Weisesten seiner Staatsmänner und Schriftsteller nannte. Er hatte den beiden Stuarts der Restauration als Rath und Gesandter gedient, und trotz seines Mangels an Bereitwilligkeit, den Launen dieser unklugen Regenten seine Überzeugungen und Ansichten über ihre politischen Maßregeln zu opfern, ihnen eine Achtung abgerungen, die kaum die Werkzeuge ihres Despotismus, die Männer der berüchtigten Cabal, besaßen. Aber der Hof war durch diese und das Beispiel von oben während der Regierung Karls II. und Jakobs II in eine Verderbtheit gerathen, und hatte sich zu Schritten verleiten lassen. welche den, alle Zweizüngigkeit hassenden Diplomaten mehr als einmal veranlaßten, sich vor allen Staatsangelegenheiten auf seine Güter zu flüchten, um friedlich seine Gärten zu bauen und die Erfahrungen seines Lebens in Denkschriften der Nachwelt aufzuzeichnen.

Sir William Temple hatte viel erfahren; er hatte die stürmische Periode der englischen Revolution erlebt, er hatte Cromwell und Monk, die Stuarts und endlich Wilhelm von Oranien über sein Vaterland herrschen, es unter dem Beile der Fanatismus und der empörenden Mißhandlungen leichtsinniger Willkür bluten sehen. Er war der Zeitgenosse Richelieus und Ludwigs XIV., hatte die Stürme des dreißigjährigen Kriegs und den Glanz der Sonne von Versailles erlebt, selbst den Frieden von Aachen vermittelt und auf dem Kongreß von Nymwegen England als Mediateur vertreten; er war ein Freund des Großpensionärs Johann de Witt und des Prinzen von Oranien geworden, und hatte für des lezteren Vermählung mit der englischen Maria gewirkt; kurz, das ganze siebzehnte Jahrhundert mit der Menge seiner glänzenden und nichtigen, großen und blutigen Erscheinungen war an dem diplomatischen Auge des alten Sir William Temple vorübergezogen. Er hatte einer jeden dieser Erscheinungen ihren Tribut an dem Schatz seiner Erfahrungen abgefordert, und in solchem Besitz konnte er mit Recht sagen, zum Reichtum fehle ihm nichts als Geld, konnte er zufrieden und ohne weiteren Ehrgeiz alle Aufforderungen von sich weisen, die ihn aus der Ruhe seiner Zurückgezogenheit ziehen wollten, um ihn als Minister auf die Stufen eines Thrones zu stellen, den ein wankelmüthiger Herrscher wie Jakob II. in bedenklichem Schwanken zu halten sich angelegen seyn ließ. Auf einem flachen Haupte sitze ein Hut fest, sagte Sir William, auch wenn es ein schwerer goldener sey. Als durch die Revolution von 1688 Wilhelm von Oranien auf den englischen Thron gelangte, war er vom Alter zu gebeugt und an seine Muße zu gewohnt, um dem ehrenvollen Ruf an den Hof dieses Fürsten nachkommen zu mögen.

7. April 2018

Prankenhieb: Post-Fakten

Gewisse Phänomene scheinen unerklärlich. Ich frage mich zum Beispiel, wieso Unternehmen in Deutschland ungefähr 560 Mio pro Jahr in spätpubertierende Jugendliche mit Youtube- oder Instagram-Account reinbuttern, die keinen ganzen Satz sagen können. Oder warum ausgerechnet andere hipseinwollende Spätpubertierende die Bartmode der frühen Taliban kopieren. Ich finde keine Antwort, die sowohl erklärend als auch ontologisch sparsam ist. Entweder ist es halt diesmal doch ein saugutes Gemisch an Chemtrail-Substanzen, das Zuckerberg und Coudenhove-Kalergi da zusammengerührt haben, oder ich muss voll Erstaunen mit den Schultern zucken. 

Manch andere Zeitgenossen verzweifeln geradezu ob der Frage, wie ein Volk, dessen großartige, ein Jahrtausend (minus zwölf) alte, unvergleichliche Kulturleistungen sie sich gegen die archaischen Invasoren zu verteidigen entschlossen haben, zu 87% ihre Stimme an Parteien geben konnte, die den sicheren Volkstod heraufbeschwören. Und mit dieser Frage kann man unterschiedlich umgehen: 

Man kann - wie Klonovsky - sich zynisch abwenden und allfällig geschändete Volksgenossinnen mit kaum verhohlener Häme im Rahmen seiner Möglichkeiten "auf die Konsequenzen ihres sog. Wahlverhaltens hinweisen".

Andere geben sich auch damit nicht zufrieden, dass manchmal auch ist, was nicht sein darf, und es müssen finstere Mächte herbeigerufen werden. 

5. April 2018

Cui Bono oder die Frage nach dem Neuling

­Die Vorgeschichte muss man kaum groß erklären: Es gab einen Anschlag in Großbritannien der dem ehemaligen Agenten Sergej Skripal galt und mit einem vergleichsweise seltenen Nervengift, das unter dem Namen Nowitschok bekannt ist, ausgeführt wurde. Skripal liegt noch immer im Krankenhaus und wenn man sich den Wirkmechanismus von Nervengiften ansieht, wird er, selbst wenn er den Anschlag übersteht, schwer davon gezeichnet bleiben. Nowitschok ist ein Nervengift, das gezielt als chemische Waffe entwickelt wurde, ist selbst unter C-Waffen vergleichsweise hochgiftig und wurde wohl in Russland entwickelt. Das sind noch die vergleichsweise(!) unbestrittenen Fakten.
Aufgrund der unterstellten Motivlage und dem verwendeten Gift, wurde Russland durch Großbritannien für den Anschlag verantwortlich gemacht, das widerum dies bestreitet, es gab wechselseitige Ausweisungen, die inzwischen die halbe westliche Welt betreffen. Auch das ist noch vergleichsweise unumstritten.

2. April 2018

Eine Klarstellung

Aus aktuellem Anlass und bezugnehmend auf einen Artikel in einem anderen Blog diesen Landes, möchte ich für mich, und vielleicht auch stellvertretend für den einen oder anderen Blogger-Kollegen, ein paar Dinge unbedingt klarstellen: 
Der Stern, das in Deutschland bekannte Wochenmagazin, legendär nicht erst seit Veröffentlichung der Hitler-Tagebücher, veröffentlicht grundsätzlich nie irgendwelche, sogenannten Fake-News. Der Stern ist und war immer eine Hochburg des Journalismus: Die erschienenen Artikel wurden und werden seit jeher intensiv geprüft und sind nach allen journalistischen Standards über jeden Zweifel erhaben, ein Born der Qualität in jedweder Beziehung. 

1. April 2018

Tiangong-1. Das Ende des Himmelspalastes

Heute Nacht soll also - zwischen 22 Uhr abends und 5 Uhr am Morgen des Ostermontags - die erste chinesische Raumstation, der "Himmelspalast 1", 天宫一号, mit seinem "Rücksturz zur Erde", nach sechs Jahren und 184 Tagen und 37397 Erdumkreisungen, seine Reise beenden. Oder, um die etwas ungenauere Zeitmarge der chinesischen Raumfahrtbehörde 中国载人航天工程办公室/CSMEO, aus ihrer Meldung von heute morgen (oder sollte man, angesichts der Tatsache, daß die Beijinger Zeit der unseren während der Sommerzeit um sechs Stunden vorauseilt, sagen: von gestern?) zu zitieren:

中国天宫一号空间站回归地球的时间越来越逼近,中国载人航天工程办公室4月1号表示,天宫一号将于2日进入大气层,解体烧毁。但是否如中国官媒形容说,天宫一号等航天器回归时,会化成一身绚烂流星雨,划过美丽星空也是未知数。
中国载人航天工程办公室4月1日在官网表示,当日8时,天宫一号运行在平均高度约167.6公里的轨道上(近地点高度约161.0公里、远地点高度约174.3公里、倾角约42.70度)。预计北京时间2018年4月2日再入大气层。
但到目前为止,对于天宫一号碎片坠落的准确时间和地点都还是迷。