5. April 2018

Cui Bono oder die Frage nach dem Neuling

­Die Vorgeschichte muss man kaum groß erklären: Es gab einen Anschlag in Großbritannien der dem ehemaligen Agenten Sergej Skripal galt und mit einem vergleichsweise seltenen Nervengift, das unter dem Namen Nowitschok bekannt ist, ausgeführt wurde. Skripal liegt noch immer im Krankenhaus und wenn man sich den Wirkmechanismus von Nervengiften ansieht, wird er, selbst wenn er den Anschlag übersteht, schwer davon gezeichnet bleiben. Nowitschok ist ein Nervengift, das gezielt als chemische Waffe entwickelt wurde, ist selbst unter C-Waffen vergleichsweise hochgiftig und wurde wohl in Russland entwickelt. Das sind noch die vergleichsweise(!) unbestrittenen Fakten.
Aufgrund der unterstellten Motivlage und dem verwendeten Gift, wurde Russland durch Großbritannien für den Anschlag verantwortlich gemacht, das widerum dies bestreitet, es gab wechselseitige Ausweisungen, die inzwischen die halbe westliche Welt betreffen. Auch das ist noch vergleichsweise unumstritten.


Schwierig wird es erst bei der Frage: Wer was es denn nun wirklich? Wer hat ein Motiv, wer hat eine Gelegenheit, wer wäre dazu in der Lage welche anderen Indizien liegen vor? Die Frage wer die Gelegenheit hatte, ist dabei noch am vergleichsweise leichtesten zu beantworten: Jedes Land, dass die technologische Kapazität dazu hat das Gift geheim herzustellen. Dabei muss man schon berücksichtigen, dass das Zeug nicht gerade in einer Hinterhofwerkstatt zusammengerührt werden kann, daher kann man auch mit einigem Recht davon ausgehen, dass es sich um einen staatlichen Anschlag handelt und nicht um Privatpersonen. Dennoch muss man davon ausgehen, da muss man den Russen durchaus Recht geben, dass eine ganze Reihe von Ländern dazu in der Lage wäre: Russland, die USA, Großbritannien, aber auch Deutschland, Frankreich und vielleicht sogar der eine oder andere osteuropäische Staat. Theoretisch sogar der derzeitig erklärteste Feind der Russen: Die Ukraine.
Ebenso kann man davon ausgehen, dass, wer immer sich die Mühe gemacht hat das Zeug zu verwenden, gezielt den Verdacht auf Russland lenken wollte. Ganz simpel: Wäre es nur um die Person gegangen, hätte es eine Kugel in den Hinterkopf auch getan. Keine Spuren, kein nichts. Wer immer sich die Mühe gemacht hat einen äußerst schwierig herzustellenden, zu transportierenden und anzuwendenden Stoff zu verwenden, wollte damit eindeutig den politischen Zwist auslösen, bzw. wollte zumindest eine deutliche Öffentlichkeit für den Anschlag.

Womit wir dann auch schon beim Motiv angekommen sind. Erstaunlicherweise (oder auch gerade nicht) ist es gerade das Motiv, dass es den meisten Kommentarschreibern dieser Tage in Deutschland unheimlich angetan hat: "Cui bono" liest man derzeit unter nahezu jedem Artikel, und grundsätztlich(!) mit der Implikation, dass Russland gar kein Motiv habe, dagegen aber viele andere böse Dunkelmänner, respektive Frauen (*hust* Trump *Hust* May *Hust*). Das funktioniert allerdings dann und nur dann, wenn der betreffende Rezipient nicht allzu tief dafür nachdenkt. Gehen wir es mal durch:
Von all den Unterstellten ("Zwinker, zwinker") ist Donald Trump noch der lächerlichste. Trump sucht sicher keinen Konflikt mit Russland und ist auch nicht daran interessiert einen Konflikt zwischen Russland und der westliche Welt zu starten, bzw. zu verstärken. Er sucht im Moment alles was er kann gegen China zu alliieren, er kann es überhaupt nicht brauchen, dass China und Russland wieder einen antiwestlichen Block bilden. Es ist erstaunlich genug, dass die USA überhaupt eine Partei ergriffen haben und das dürfte eher darauf zurückzuführen sein, dass es sich Trump angesichts der nicht mehr so fernen Midterms nicht leisten kann als Putin-Freund dazustehen, als den die Demokraten ihn seit Jahren versuchen zu zeichnen. Trump wäre einfach absurd.
Großbritannien hätte sicher eher ein Motiv, insbesondere weil Theresa May mit dem Rücken zur Wand steht. Der Brexit läuft nicht wie geplant oder erträumt, die Junckers, Broks und Schulzes (wenn auch nicht mehr in direkter Person) haben sich durchgesetzt und treiben den Schaden für den Brexit in gewaltige Höhen. Davon abzulenken wäre sicher sehr wünschenswert, und bei einem Konflikt mit Russland wird selbst den eher dümmeren Eurokraten irgendwann ein Licht aufgehen, dass man die Briten zwar triezen kann, wenn die sich nicht so richtig wehren können, dass Frankreich alleine aber Europa auch nicht verteidigen kann. Insofern sicher ein starkes Motiv, ebenso eine einfache Gelegenheit und ein deutlich geringeres Risiko erwischt zu werden. Nur: Traut man das Theresa May wirklich zu? Welche Folgen hätte das für Sie und ihre Partei wenn auch nur die Spur eines Verdachtes auftauchen würde, dass britische Agenten versucht hätten auf eigenem Boden einen eigenen Agenten umzubringen, um einen internationalen Konflikt zu erzeugen? England würde in eine Krise fallen gegen die der Brexit als laues Lüftlein durch die Welt schwebte. Es ist sicher im Bereich des Möglichen, aber es erscheint doch ein bischen hoch gegriffen.
Ebenso gern genommen ("zwinker, zwinker") sind die Osteuropäer, besonders die Ukraine. Schließlich sind die Konflikte in den letzten Jahren nicht gerade kleiner geworden. Die Ukraine ohnehin, aber auch viele andere osteuropäische Staaten fühlen sich von Russland direkt bedroht. Und genau hier liegt der Logikfehler: Solche Ländern sollen noch blöd genug sein den Konflikt zu suchen? Was hätte die Ukraine (mal stellverterend für die anderen) zu gewinnen? Die Krim ist verloren, Donezk genauso. Eine weitere Eskalation kann allenfalls noch zu einem Krieg führen, zu gewinnen hat die Ukraine nichts, aber jede Menge zu verlieren.
Bleibt am Ende der letzte Kandidat, der ja, zumindest den deutschen Kommentarspalten folgend, ja nun gerade kein Motiv haben soll: Russland selber. Die dabei gerne wiederholten Fragen sind: Warum so kompliziert? Warum es so machen, dass der Verdacht auf einen selber fällt? Und warum so unprofessionell (der Mann lebt ja noch)? Der Schuh wird allerdings umgekehrt draus: Warum sollte es unbedingt im Interesse Russlands sein nicht in Verdacht zu geraten? Russland hat durchaus ein vitales Interesse an einem Konflikt mit dem Westen. Denn nichts schart so gut die Bürger eines Landes hinter ihre Führung wie ein Konflikt. Die entstehende Wagenburgmentalität, "Wir gegen den bösen Westen", entspricht durchaus der gängigen Storyline der letzten Jahre. Zwei weitere Bonis kommen gleich kostenfrei mit: Man demonstriert durchaus nach außen, was feindliche Agenten, und seien sie noch so lange aus dem Geschäft raus, am Ende zu erwarten haben. Das war auch durchaus das Motiv eines extrem ähnlichen Mordes vor 12 Jahren, als der ehemalige russische Agent Litwinenko vom FSB mit Polonium langsam zu Tode gebracht wurde. Und zum anderen kann man die ohnehin seit Jahren verwendete Spaltungsstrategie, die Russland gegen Europa fährt, auch mal wieder zur Anwendung bringen. Denn natürlich gibt es wieder Länder die aus dem Block ausscheren und lieber "Brücken bauen" und "das Gespräch nicht abreissen lassen" wollen. Was an und für sich nichts schlechtes ist, auch wenn das Motiv eher darin besteht "Geld zu verdienen" und es gerne nutzen zu wollen, wenn sich der potentielle Kunde gerade mit anderen Lieferanten verkracht (Italien ist ja auch gerade dabei sich seine "Gesprächsbereitschaft" der vergangenen Jahre mit dem Iran vergolden zu lassen). Unabhängig von der Bewertung dieses Verhaltens dient das ganze natürlich wunderbar dazu den Westen zu spalten. Und das ist ein Bonus den Moskau nur allzu gerne mitnimmt. Simpel gesagt: Russsland hat durchaus ein ganz gewaltiges Motiv.

Das alles sind natürlich keine Beweise und nicht viel mehr wert als das üblichen Rauschen im Blätterwald. Prinzipiell wäre es natürlich möglich, dass die Briten den Mordversuch selber begangen haben, ja, es wäre sogar denkbar, dass es gar keinen Mordversuch gegeben hat und das ganze ein Schmierentheater ist (was nebebei sogar wahrscheinlicher wäre als ein Mordversuch am eigenen Mann). Aber es bleibt immer noch die Frage: Wem traut man es zu? Wer hat nicht nur die Gelegenheit, sondern auch den Willen? Und hier kommt eben hinzu, dass der Vorfall nicht ohne Präzedenz ist. Vor 12 Jahren wurde schon einmal ein englischer Agent vom russischen Geheimdienst ermordet und das danach aufgeführte Theater war dem heutigen sehr ähnlich. Mit dem Unterschied das bei der damaligen Tat die Beweisführung deutlich erdrückender war. Aber auch damals spielte Moskau genau das selbe Spiel. Der Täter von 2006 sitzt heute in der Duma und wurde erst 2015 mit einem Verdienstorden ausgezeichnet.

Ich gehe bei den Kommentatoren des deutschen Blätterwaldes in einem mit: Es ist für Theresa May derzeit ein sehr willkommener Konflikt, der die Möglichkeit schafft von eigenem Versagen abzulenken. Ebenso war aber auch 9/11 für einige amerikanische Politiker ein sehr willkommenes Verbrechen, um eigene Vorstellungen vom Staate durchzusetzen. Was aber nichts daran ändert, dass nicht George Bush den Flieger ins World Trade Center lenkte sondern ein Monster mit dem Namen Mohammed Atta.

Llarian

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