22. Juli 2018

Die ZEIT und das Erbe der Sarrazin-Debatte

Es ist schwierig, nicht allzu lange zurückliegende Ereignisse in ihrer historischen Bedeutung korrekt zu erfassen. Unter diesem Vorbehalt scheint dem Urheber dieser Zeilen eine Einschätzung der Debatte um Thilo Sarrazins Werk "Deutschland schafft sich ab" als Kulminations- und Wendepunkt bestimmter Entwicklungen in der Kulturgeschichte der Bundesrepublik gleichwohl gerechtfertigt zu sein.

Vieles, was die damalige Kontroverse mit sich brachte, war zwar nicht neu, trat bei jener Gelegenheit allerdings in einer derart gehäuften und plakativen Form auf, dass es zu einer Mobilisierung von Menschen führte, die den betreffenden Tendenzen zuvor keine nähere Beachtung geschenkt hatten: So erinnerte das Einschreiten der Kanzlerin und anderer Exponenten der Staatsgewalt in einer rein gesellschaftlichen, mangels Rückendeckung durch eine im Parlament vertretene Partei eben noch nicht politischen Debatte an die Moralaposteleien der Leinwand-Saubererhalter früherer Dekaden. Neu war dagegen der Schulterschluss zwischen dem Gros der Medien und der Mehrzahl der hohen Staatsfunktionäre. Angela Merkel mag durch diese Solidarisierung für ihre von der Presse frenetisch beklatschten, da dem in den einschlägigen Kreisen dominierenden Weltbild entsprechenden Kursänderungen der Jahre ab 2011 ermutigt worden sein.

20. Juli 2018

Hilfe, wir werden normal!

Wenn man als Konsument der deutschen Medien mit informationell belanglosen Zitaten aus Angela Merkels Sommerpressekonferenz behelligt wird, könnte man denken, dass in dieser heißen Jahreszeit alles so ist wie in den letzten Jahren. Doch weit gefehlt: Die zum "Asylstreit" skandalisierte Auseinandersetzung um Kurskorrekturen in der Migrationspolitik liegt gerade einmal wenige Wochen zurück. Und über die Nachwehen dieser Konfrontation wird noch immer gesprochen, auch in Zettels Raum.

19. Juli 2018

Der AfD in die Hände gespielt? Nein, den Grünen in die Hände gespielt!

Die Interpretation im Großteil der traditionellen Medien, unter den Merkelanhängern in der CDU und natürlich links der Mitte ist eindeutig. Horst Seehofer hat mit dem Asylstreit lediglich "Agendasetting für die AfD betrieben" (Zitat Michael Spreng im FOCUS-Interview), d.h. in der Terminologie der progressiven Linken "der AfD eine Platform geliefert" und ihre Positionen damit satisfaktionsfähig und relevant gemacht. In dieser Darstellung klingt natürlich eindeutig die inhaltlich-politische Wertung heraus, Seehofers Position sei falsch, die hofierte Meinung nicht nur eine schlechte Wahlkampfstrategie, die nach hinten losgegangen ist, sondern auch inhaltlich "deplorable".

Der inhaltlichen Wertung aber enthalte ich mich hier. Ob man die einwanderungsskeptische Haltung teilt, es für eine von Seehofer aufgeblasene Pseudokrise hält, Merkels Kurs für richtig oder eine Katastrophe oder irgend etwas dazwischen hält, ändert nichts an einem simplen Fakt: Angesichts der Umfrageergebnisse nicht nur bezüglich der voraussichtlichen Wahlentscheidung in der anstehenden bayrischen Landtagswahl, sondern auch bezüglich der inhaltlichen Positionierung der Wähler, ihrer Meinung von Seehofer und Söder, und  insbesondere ihrer Sympathie oder ihrem Missfallen hinsichtlich des Asylkurses der CSU ist die nächstliegendste Schlussfolgerung bei objektiver Betrachtung, die außerhalb der Filterblase in Zettels kleinem Zimmer blickt, klar: Dieser Kurs ist vom Wahlvolk im großen und ganzen nicht goutiert wurden.

Ob, wie impliziert, tatsächlich weitere Stimmen von der CSU zur AfD abgewandert sind, wage ich zwar zu bezweifeln. Wer Seehofers Kurs für richtig hielt, wandert deswegen nicht zur AfD ab oder aber ist es schon lange vorher und nicht erst nach Seehofers Aktion. Wer ihn für nicht ausreichend hielt ist vermutlich schon längst zur AfD abgewandert und falls nicht, wäre derjenige es ohne Seehofers Aktion erst recht. Ein konkreter Wähler, der eine Bewegung nach Rechts durch Abwandern zur AfD bestraft, aber ein verharren an Merkels Seite mit Loyalität zur CSU goutierte, der wäre ein bizarres Wesen. Das mag man in Kreisen glauben, in dem man an Wähler als einfach gestrickte Wesen glaubt, der durch "deplatforming", Informations-"gatekeeper" und "Meinungsmacher" auf simpelste Weise gelenkt werden könnte und müsste: Hört der Wähler von etablierten Institutionen was rechtes, so werde er rechter, hört er etwas progressives, so werde er progressiver. Durch einen nach rechts gelehnten Seehofer werde daher so mancher Wähler plötzlich rechtsnational und wechsele zur AfD.

Die Wählerstimmen für die AfD sind aber nicht signifikant gestiegen.

Dies steht natürlich auch im Widerspruch zu der These, Wähler würden das "Umkippen" oder  eine mangelnde Durchsetzungsfähigkeit von Seehofer mit einer Abwanderung zur AfD strafen.

Realistisch und nahe liegend ist dagegen folgende Interpretation: Wähler in der Mitte waren von Seehofers Auftritt in vielen Fällen inhaltlich und in den übrigen Fällen zumindest von der Form her abgestoßen.

Kurz: Zettels kleines Zimmer ist nicht für die Haltung, Wahrnehmung und Stimmung im Land repräsentativ.



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Techniknörgler

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16. Juli 2018

Warum Angelique Kerber das Wimbledon-Finale gewann

"Wer redet jetzt noch von Fußball?", fragte Barbara Rittner in ihrer Funktion als Expertin bei der ZDF-Übertragung des Damen-Finales des Tennisturniers in Wimbledon, während Angelique Kerber ihren gerade errungenen Sieg auf dem heiligen Rasen der Arena des Londoner Stadtteils bejubelte. Wir reden in diesem Beitrag jedenfalls nicht in erster Linie von Fußball, sondern wollen die Gründe analysieren, weshalb die 30-jährige Norddeutsche die Hahnenkamm-Abfahrt unter den Filzkugelschlagbewerben letztlich doch so souverän gewann.

11. Juli 2018

Ein schales Gefühl

­Nun ist es also da, das große Urteil im nicht weniger großen NSU Prozess. Mehr als fünf Jahre hat der Prozess gedauert, mehr als 400 Sitzungstage wurden aufgewandt und so knappe 30 Millionen Euro an Kosten verursacht. Und am Ende standen eine Reihe von Urteilen, die so wie es sich derzeit darstellt, auch durchaus nach einer Woche hätten fallen können. Was am Ende bleibt ist ein sehr schales Gefühl und nicht unbedingt eine Sternstunde der Rechtsstaates.

9. Juli 2018

Das Ende der Spezialdemokratie. Ein Gedankensplitter.

Fast 46% der Zweitstimmen (und sogar noch ein bischen mehr bei den Erststimmen) entfielen im besten Jahr der deutschen Sozialdemokratie(1972) auf die SPD unter ihrem damaligen Anführer Willy Brandt (der dadurch als Kanzler bestätigt wurde und mit der FDP eine absolute Mehrheit in die neue Regierung führen konnte). Gerhard Schröder schaffte es im Jahr 1998 zwar nur noch 41% von der SPD zu überzeugen, in absoluten Zahlen legte er jedoch gegen Brandt sogar noch zu (da sich durch die Wiedervereingung die Wählerbasis deutlich vergrößerte).

5. Juli 2018

Beschlagene Kristallkugel



(Bildquelle: Pixabay)

Die Schusterkugel ist beschlagen; der Ausblick in die Zukunft völlig ungewiss.

Der Protokollant kann sich nicht erinnern, zu irgendeinem Zeitpunkt der letzten nun dreieinhalb Jahrzehnte, die er sich als eigenständig urteilendes, sich die Weltläufe einen eigenen Reim machendes Zoon politikon einschätzt - für ihn stellten der Falklandkrieg und sein Eintreten dafür inmitten einer geschlossenen Front von kategorischen Ablehnern so etwas die die Äquatortaufe in politicis dar - jemals so ratlos auf die Folgen konkreter politischer Ereignisse geblickt zu haben wie nach dem Abschluß der hektisch inszenierten "Koalitionskrise" der letzten 19 Tage, den Folgen von Frau Merkels und Herrn Seehofer angeblich zerrüttetem Vertrauenverhältnis, dem kurz bevorstehenden Zerbrechen der jahrzehntealten Parteibruderschaft von christdemokratischer und christsozialer Union, von Frau Merkels atemlos aufgesetztem und präsentiertem "Asyldeal" - der sich umgehend als ein Klingklang aus leeren Worten und dem vagen Versprechen entpuppte, vielleicht demnächst mit dem Ziel vagester Vorstellungen einmal tatsächlich zu verhandeln. Ein "Deal," der umgehend von fünf der angeblich 14 beteiligten Staaten dementiert wurde. "Auf lange und mittlere" Sicht war es in den vergangenen Jahrzehnten stets unsicher, welche Folgen sich aus politischen Ereignissen ergeben würden: das Schicksal der DDR und des Kasernensozialismus des Ostblocks konnte über den größten Zeitraum der 1980er Jahre niemand erahnen - aber die unmittelbaren Folgen, für die nächsten Jahre, nachdem sich im Sommer 1989 die Risse in der Ost-West-Mauer zeigten und beständig verbreiterten: das ist eine andere Sache. Irgendwann wurde es, schon im Oktober '89, deutlich, daß der Fall der Mauer nur eine Frage der Zeit war, und daß diesem Ereignis die Wiedervereinigung beides Teile Deutschlands so unausweichlich folgen würde, wie es die Ahnung historischer Dynamiken zuläßt. Auch, daß der einzig relevante Antagonismus, die Schicksalsfrage des gesamten einunzwanzigsten Jahrhunderts, der Konflikt zwischen der freien Welt des Westens und dem unreformierbaren, expansionistischem Islam sein würde, war spätestens am 11. September 2001 jedem halbwegs aufmerksamen Beobachter eisern klar.

1. Juli 2018

Auf, auf, liebe Bettvorleger

­Da ist es nun, das berühmte "Verhandlungsergebnis" von Angela Merkel, und es ist am Ende verheerender als man hätte befürchten können. Nicht nur hat sie keinerlei Unterstützung für die Begrenzung der Zuwanderung in Europa selber erfahren, sie hat noch jede Menge Zusagen an andere gemacht, was Deutschland in Zukunft noch so alles übernehmen werde.