31. Oktober 2007

Was wird am 31. Oktober gefeiert? Halloween?

Vor mir liegt das Fernsehprogramm. Gehen die Sender auf den heutigen besonderen Tag ein?

Aber gewiß. Die ARD bringt zur Prime Time ein "Mysterydrama" und später noch "Tanz der Vampire". Pro 7 bietet uns Dracula, "The Blair Witch Project" und noch einen Vampirfilm; Das Vierte hat "Haunted - Haus der Geister" im Programm. In Super RTL können wir uns an "Halloweenton - meine Oma ist 'ne Hexe" erfreuen, in Tele5 an "Halloween III". Und für die Intellektuellen unter uns bietet 3Sat "Es lebe der Zentralfriedhof"; eine Sendung über das Tierleben auf Friedhöfen.

Es ist ja Halloween. Ein Fest, das mir bis vor zehn, zwanzig Jahren nur aus dem anglo- amerikanischen Kulturkreis geläufig gewesen war. Inzwischen ist es, das TV-Programm belegt es, auch bei uns heimisch geworden. Oder sagen wir, es ist zurückgekehrt. Denn es gibt gute Gründe für die Vermutung, daß hinter Halloween das alte keltische Fest Samhain steckt, das den Ahnen gewidmet gewesen war.



Und sonst? Sonst noch was am 31. Oktober? Wenn man dem TV-Programm trauen kann - nein.

Oder vielmehr fast nein. Denn es gibt einen, einen einzigen deutschen Sender, der in seinem Programm auf den heutigen Reformationstag eingeht: Den MDR, also den Regionalsender, in dessen Bereich die Orte liegen, an denen Luther lebte und wirkte. Von 18.20 bis zum Sandmann um 18.50 gab es Berichte über Luther und den Anschlag der Thesen an die Schloßkirche zu Wittenberg. Und heute Abend um 23.30 bringt der Sender den Film "Martin Luther".

Ich habe hier vor einem Jahr einen Beitrag zum Reformationstag geschrieben mit dem Titel "Mein Luther". Es ging darin um meine eigenen, sehr subjektiven Erfahrungen mit der Gestalt Luther, mit dem Lutheranertum.

Sie waren überwiegend nicht erfreulich, diese Erfahrungen. Ich kann nicht sagen, daß ich der Theologie Luthers freundlich oder auch nur verständnisvoll gegenüberstehen würde.

Aber Luther hat nun einmal die deutsche Religiosität, die deutsche Geschichte geprägt wie nur wenige der großen Gestalten in unserer Vergangenheit. Das Lutheranertum, der Protestantismus überhaupt haben unsere Kultur bestimmt, unsere deutsche Identität.

Das einfach zu ignorieren, während einem albernen Mummenschanz mit Kürbisköppen zahlreiche Sendungen gewidmet werden, ist wahrscheinlich bezeichnend für unsere TV-Kultur. Es ist gleichwohl eine Armseligkeit.

Es ist ein Zeichen kultureller Selbstvergessenheit. Der Beleg für ein Vakuum dort, wo bei Franzosen, bei Amerikanern, bei Briten, bei fast allen Kulturvölkern die eigene kulturelle, die eigene nationale Identität sich befindet.

Was bieten wir, die wir noch nicht einmal mehr den Reformationstag bundesweit zur Kenntnis nehmen, eigentlich den Einwanderern an, die sich assimilieren wollen?

Assimilieren an was?

Dank an C. für den Hinweis auf Samhain. Für Kommentare und Diskussionen zu diesem Beitrag ist in "Zettels kleinem Zimmer" ein Thread eingerichtet. Wie man sich dort registriert, ist hier zu lesen. Registrierte Teilnehmer können Beiträge schreiben, die sofort automatisch freigeschaltet werden.

Zettels Meckerecke: Sandra, Nina, Außerirdische - sind sie noch bei Trost?

"Dies ist eine Unterhaltungssendung", sagte Sandra Maischberger, als Joachim Bublath allmählich ungeduldig wurde in einer Sendung, deren Thema lautete: "Ufos, Engel, Außerirdische - sind wir nicht allein?" Unterhaltungswert dürfte sie freilich nur für Zuschauer gehabt haben, deren Geschmack und deren Auffassungsvermögen auf der Ebene der "Oliver- Geissen- Show" oder von "Uups! Die Pannenshow" liegen.

Die hätten es vermutlich gern gesehen, wenn Nina Hagen dem Joachim Bublath auch noch keifend ins Gesicht gesprungen wäre. Aber auch so kamen sie auf ihre Kosten. Es wurde gequasselt, es wurde geraunt, es wurde gekreischt, es wurde so saudumm dahergeredet, daß man sich, wie Bublath treffend sagte, vorkam wie in einem Kuriositäten- Kabinett.



Sandra Maischberger ist eine kluge, einfühlsame Moderatorin, die es versteht, eine Diskussion zu lenken, ohne sich selbst in den Vordergrund zu spielen.

Nur braucht sie dazu ein Thema, nur braucht sie dazu Gäste, die sich für diesen Stil eignen. Was ihre Redaktion, was sie selbst veranlaßt hat, dieses ausgelutschte, zum dummen Gequatsche geradezu einladende Thema zu wählen und dann noch dazu so halbseidene Gestalten einzuladen wie Nina Hagen, den "Ufo-Forscher" Johannes von Buttlar und die "spirituelle Beraterin" Sabrina Fox (Spezialgebiet: Engel) - das wird vermutlich ihr Geheimnis bleiben.

Sollte es vielleicht auch. Denn eine Antwort (Brauchte man dringend Quote? Wollte da jemand im Hintergrund Sandra Maischberger ins Messer laufen lassen?) könnte peinlich sein.

Da half es auch nichts, daß man offenbar eine Art Balance versuchte, indem man auch noch Walter von Lucadou eingeladen hatte, den Leiter einer "Parapsychologischen Beratungsstelle" und Herausgeber der "Zeitschrift für Parapsychologie und Grenzgebiete der Psychologie", und eben Joachim Bublath.

Lucadou, der ja nicht gerade selten im TV auftritt, sollte den Maischberger- Redakteuren eigentlich als jemand bekannt sein, der sich als wissenschaftliches Gegengewicht gegen Dummschleimer und Eso- Schnepfen ungefähr so eignet wie Oskar Lafontaine als Gegengewicht zu Gregor Gysi.

Dieser Mann versteht es meisterhaft, mit nicht enden wollenden Sätzen nichts zu sagen. In einem monoton- getragenen Alemannisch, wie es vermutlich Freiburger Väter verwenden, wenn ihre Gören nicht einschlafen wollen. An dem Versuch, ihn zu irgendeiner eindeutigen Aussage zu bringen, dürften selbst Experten für Foltertechniken scheitern.

Sandra Maischberger jedenfalls scheiterte daran mit ihrer Methode der sanften Nachfrage.



Joachim Bublath, auch er ja eher den leisen Tönen zugeneigt, bemühte sich zu Anfang als einziger, ein wenig Vernunft in die Diskussion zu bringen.

Aber schon bei dem Versuch, zu erklären, warum aus wissenschaftlicher Sicht ein Besuch Außerirdischer extrem unwahrscheinlich ist (nämlich wegen der riesigen Entfernungen zwischen den Sternen unserer Galaxie, erst recht der Entfernung zwischen Galaxien; sodann wegen der geringen Wahrscheinlichkeit, daß hochentwickelte Kulturen gerade im selben Zeitfenster, verschoben um die Zeit einer Reise, existieren wie wir) - schon bei diesem Versuch gelang es Bublath nicht, auch nur bis zu seinem Argument zu kommen.

Man fiel ihm ins Wort, Hagen beschimpfte ihn und benahm sich, als hätte ihre Therapeutin sie per Hypnose ins Alter von neun Jahren zurückbefördert. Eine zweiundfünfzigjährige Frau mit den Allüren, mit der Albernheit und der Ungezogenheit einer Vorpubertären.

Kurz, es war grauslich. Bublath hielt lange durch, ging dann aber doch. Er hätte gleich gehen sollen.



Eine einmalige Panne, eine einmalige Intrige gegen Maischberger? Wohl nicht. Derartiges erlebt man, wenn auch weniger spektakulär, ja ständig im deutschen TV.

Wer fragwürdige, wissenschaftlich nicht begründbare Thesen vertritt, der ist allemal willkommen. Wissenschaftler, die dagegenhalten, werden allenfalls als jemand akzeptiert, der eben eine "andere Auffassung" hat.

Der "Schulmediziner", der erklärt, warum Homöopathie auf dem Placebo- Effekt basiert, der Physiker, der keinen Anhaltspunkt für Strahlenschäden durch Handys sieht - sie sind geduldet, damit die Diskussion nicht langweilig wird. Fast nie machen die Moderatoren, machen die Autoren von sogenannten Dokumentar- Sendungen deutlich, daß Wissenschaftler eben in der Regel Recht haben, und daß Phantasten ohne wissenschaftlichen Hintergrund fast immer im Unrecht sind.

Liegt's nur daran, daß Gestalten wie Nina Hagen oder diese Sabrina Fox, die Begegnungen mit Engeln hat, einen höheren Show- Wert haben als nüchterne Wissenschaftler und Wissenschafts- Journalisten?

Ich weiß nicht recht. Ich habe einen anderen Verdacht: Die RedakteurInnen, auch die im öffentlich- rechtlichen TV, haben in der Regel keine naturwissenschaftliche Ausbildung. Sie haben selbst nicht gelernt, klar zu erkennen, was plausibel und was unplausibel ist, wenn es um naturwissenschaftliche Fakten und Theorien geht.

Sie denken "kritisch", wenn es es gilt, politische oder weltanschauliche Aussagen zu "hinterfragen". Wenn es dagegen um die Beurteilung von Behauptungen im Bereich der Naturwissenschaften geht, wirken sie oft, als fehle es ihnen an den einfachsten wissenschaftstheoretischen und methodischen Kenntnissen.



Noch eine Bemerkung: Die einzige Rechtfertigung für einen öffentlich- rechtlichen Rundfunk ist, daß es dort seriöser zugeht als bei den Privaten. Sendungen wie diese unsägliche gestrige Maischberger- Show zeigen immer häufiger, daß davon keine Rede mehr sein kann.

Dank an Martin Riexinger für den Hinweis darauf, daß ein Badener kein Schwabe ist. Für Kommentare und Diskussionen zu diesem Beitrag ist in "Zettels kleinem Zimmer" ein Thread eingerichtet. Wie man sich dort registriert, ist hier zu lesen. Registrierte Teilnehmer können Beiträge schreiben, die sofort automatisch freigeschaltet werden.

30. Oktober 2007

Ketzereien zum Irak (22): Weniger gefallene US-Soldaten, weniger zivile Opfer

Es zeichnet sich mehr und mehr ab, daß Präsident Bushs Entschluß, durch die Aufstockung der US- Truppen im Irak, durch den surge eine Wende herbeizuführen, zu einem Erfolg werden wird.

Heute meldet Associated Press aus Bagdad, daß im Oktober die Zahl der im Irak ums Leben gekommenen US-Soldaten wahrscheinlich die geringste seit zwei Jahren sein wird.

Bis Dienstag waren es 34. Davon fielen zwei Drittel im Kampf, ein Drittel starb aus anderen Ursachen. Weniger Tote (20) hatte die US-Armee zuletzt im Februar 2004 zu beklagen gehabt.

Im September hatte die Zahl der im Irak ums Leben gekommenen US-Soldaten noch bei 65 gelegen, im August bei 84.

Major Winfield Danielson, Pressesprecher der US-Armee, nannte vor allem vier Ursachen, die vermutlich diesen Rückgang bewirkt hätten:
  • Durch die US-Offensive seien den Aufständischen ihre Rückzugsgebiete (safe heavens) genommen worden

  • Die US-Truppen arbeiteten enger mit der Bevökerung zusammen, aus der sie dadurch mehr Hinweise auf Straßenbomben und andere Gefahren erhielten.

  • Weiterhin habe der Schiitenführer Muktada al-Sadr einen Waffenstillstand ausgerufen.

  • Und schließlich würden immer mehr Sicherheits- Operationen auf die irakische Armee übertragen.
  • Die Zahl der zivilen Todesopfer zeigt ebenfalls eine stark sinkende Tendenz. Im August waren es noch 1956 gewesen, im September 1023 und jetzt im Oktober weniger als 900.

    Diese Zahlen bestätigen, wie weit weg von der Wahrheit die Kandidatin Hillary Clinton war, als sie ähnliche Angaben des Generals Petraeus heftig attackierte und gar eine Zunahme der Opferzahlen behauptete.



    Soweit die guten Nachrichten aus dem Irak. Die AP-Meldung enthält auch Negatives. Beispielsweise begingen im vergangenen Jahr 99 US-Soldaten Selbstmord, fast die Hälfte davon waren unter 25 Jahre alt.

    Aber diese negativen Nachrichten werden Sie ja in den deutschen Medien ausführlich lesen und hören können.

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    Zettels Meckerecke: "Deutschland ist das islamischste Land, was ich kenne"

    "Deutschland ist das islamischste Land, was ich kenne. (...) Hier kann ich meine Religion besser ausleben als in der Türkei, im Iran oder in Saudi-Arabien".

    Worte eines islamischen Gemeindevorstehers, dokumentiert in "Planet Wissen"; Thema heute: "Integration - vom Neben- zum Miteinander".

    Eine ausgezeichnete, zugleich gründlich und interessant gemachte Sendereihe, dieses "Planet Wissen", eine Gemeinschaftsproduktion von SWR und WDR unter Beteiligung von Bayern Alpha.

    Auch diese Sendung war wieder alles andere als pc Propaganda. Der Experte im Studio, der Historiker Klaus J. Bade, beschönigte nichts; auch die beiden Moderatoren waren, wie immer, präzise und objektiv bei ihren Fragen. Die Einspieler waren informativ.



    Und in einem dieser Einspieler fiel die eingangs zitierte Bemerkung.

    Es ging um die Klassenfahrt einer Hauptschul- Abschlußklasse, an der teilzunehmen, wie das so üblich ist, moslemische Väter ihren Töchtern verboten hatten.

    Was machten nun die Lehrerin, der Lehrer? Sie veranstalteten als erstes einen Elternabend, zu dem noch nicht mal eine Handvoll Eltern kamen.

    Also ging die Lehrerin - zweite Raketenstufe - von Familie zu Familie und versuchte zu überzeugen.

    Ohne Erfolg, jedenfalls soweit das berichtet wurde. Gewiß, sie versicherte, die Lehrerin, sie werde auf die Tugend der Mädchen aufpassen wie ein Zerberus. Der Lehrer werde nächtlings bei den Jungs sein und dafür sorgen, daß niemand an der Tugend der Mädchen zu rütteln versuche.

    Es half nichts.

    Dann zündete man die dritte Raketenstufe. Die Schulleiterin suchte den Imam und den Gemeindevorsteher auf. Sie suchte sie auf in der Hoffnung, sie würden zustimmen und damit die Eltern beeinflussen.

    Da nun freilich war sie schon ein wenig naiv, die Schulleiterin.

    Denn dem Imam, dem Gemeindevorsteher ging es keineswegs nur um die Tugend der Mädchen. Ihnen ging es ums Essen.

    "Ein Problem, das man natürlich ansprechen muß, ist das Problem der Ernährung", sagte der Imam.

    Eilfertig versicherte die Schulleiterin, daß selbstverständlich kein Schweinefleisch auf dem Speiseplan stehen werde.

    Kein Schweinefleisch? Das schien dem Imam, dem Gemeindevorsteher selbstverständlich zu sein. "Aber das ist noch nicht alles", sagte der Imam. Und der Gemeindevorsteher fuhr fort: "Wir wollen nach islamischem Ritus geschächtetes Fleisch haben. Ob es nun Schweinefleisch ist oder Rindfleisch - was nicht geschächtet ist, ist in der gleichen Kategorie für uns".

    Tja, da guckte die Schulleiterin doch ziemlich belämmert. Und an dieser Stelle sagte der Gemeindevorsteher - vielleicht wollte er sie ja trösten, die Schulleiterin -, daß Deutschland das islamischste Land sei, das er kenne.

    Immerhin doch etwas. Auch wenn es mit der Bereitstellung geschächteten Fleischs auf Klassenfahrten leider noch zu hapern scheint.

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    Zitat des Tages: Was ist demokratischer Sozialismus?

    "Demokratischer Sozialismus" ist eine Art vegetarischer Schlachthof.

    Guido Westerwelle in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.

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    Marginalie: Hillary Clinton - die Traumkandidatin der Republikaner?

    Das innenpolitische Thema Nummer eins in den USA ist schon jetzt die Präsidentschaftswahl; obwohl es bis dahin noch ein Jahr ist.

    Aber die Wahl des Präsidenten ist in den USA eben ein langer, langer Hürdenlauf. Wir sind jetzt in der ersten Phase, in der die meisten, vielleicht schon alle Kandidaten ihre Kandidatur erklärt haben und nun durchs Land und die TV-Shows tingeln, um Geld zu sammeln, um sich bekannt zu machen, um Anhänger zu gewinnen und einen Apparat aufzubauen.

    Die zweite Phase beginnt mit den ersten Primaries und Caucuses; der erste Caucus ist traditionell der in Iowa, diesmal am 3. Januar 2008. Auf dieses Datum arbeiten jetzt die Kandidaten hin.



    Begleitet natürlich von den Journalisten. Ein Kolumnist, den ich besonders schätze, Jonah Goldberg, hat dazu in der Los Angeles Times vom 23. Oktober interessante Überlegungen angestellt.

    Sein Ausgangspunkt ist, daß die Amerikaner einen Wechsel wollen. Also wählen sie Hillary Clinton? Keineswegs, argumentiert Goldberg.

    Sie wollen, schreibt er, "an end to the acrimony and bitterness in Washington - and a candidate they like"; ein Ende der Schärfe und Verbitterung in Washington - und einen Kandidaten, den sie mögen. Hillary Clinton aber würde sie an die Affären der Clinton-Zeit erinnern, und sie repräsentiere den gegenwärtigen, demokratisch dominierten Kongreß, der noch unbeliebter sei als Präsident Bush. Eine Kandidatin der Vergangenheit, nicht des Wechsels.

    Die Situation, sagt Goldberg und zitiert dazu eine Bemerkung des Republikaners Newt Gingrich, sei ähnlich wie in Frankreich bei der Wahl Sarkozys: Ein unbeliebter Präsident, von dem sich der Kandidat aus dessen Partei aber erfolgreich distanzierte; eine linke Gegenkandidatin, der man keine Erneuerung zutraute.

    Zum ersten Mal seit den Zwanziger Jahren wird die im Weißen Haus regierende Partei keinen vom Präsidenten vorgeschlagenen Kandidaten präsentieren. Der republikanische Kandidat hat es also leicht, nicht mit Bush identifiziert zu werden. Hillary Clinton aber werde mit der Präsidentschaft ihres Mannes identifiziert.

    Kurzum, meint Goldberg zur Kandidatin Clinton, "If Democrats could get out of their bubble, it might dawn on them that virtually all of their other candidates are better positioned to run as champions of change." Wenn die Demokraten aus ihrer Luftblase herauskönnten, dann würde es ihnen dämmern, daß praktisch jeder ihrer anderen Kandidaten in einer besseren Position ist, als Held des Wechsels anzutreten.

    Und Hillary Clinton - sie wäre "the GOP's dream", der Traum der Republikanischen Partei.

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    29. Oktober 2007

    Randbemerkung: Schröders doppelte Schuld

    Auf dem Hamburger Parteitag der SPD sprach Gerhard Schröder, sieben Jahre lang Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Daß er unmittelbar nach Ende seiner Kanzlerschaft in den Dienst des Staatskonzerns einer auswärtigen Macht getreten war, eines Staats, den als halbdemokratisch zu bezeichnen ein Euphemismus ist, störte die SPD- Delegierten augenscheinlich nicht. Schröder wurde mit sehr freundlichem Beifall bedacht.

    Man kann nur inständig hoffen, daß dieser Auftritt nicht das Vorspiel zu einem politischen Comeback Schröders ist. Aber nicht von dieser Gefahr soll hier die Rede sein, sondern von Schröders Vergangenheit. Genauer: Von der doppelten Schuld, die er gegenüber seiner Partei und die er gegenüber der deutschen Demokratie auf sich geladen hat.



    Daß in den fortgeschrittenen Industriestaaten neoliberale Reformen unumgänglich sind, war offensichtlich, seit Länder wie Neuseeland, Finnland und Holland vorgemacht hatten, welche positiven Folgen solche Reformen der sozialen Sicherungssysteme, des Arbeitsmarkts, der Besteuerung der Unternehmen haben.

    In den meisten Ländern, die diese Reformen inzwischen teils hinter sich haben, teils jetzt in Angriff nehmen, ging und geht ihnen eine lange, oft schwierige Diskussion voraus. In England fand diese Debatte vor allem in der Labour Party statt. Tony Blair gelang es, diese Partei in drei Jahren innerparteilicher Diskussion auf den Weg zu New Labour zu bringen, wofür ihn die Engländer 1997 mit einem Erdrutsch- Sieg belohnten. In der Französischen Sozialistischen Partei ist diese Diskussion jetzt, nach der Wahlniederlage von Ségolène Royal, in vollem Gang.



    Und in Deutschland? Hier hatte Gerhard Schröder 1998 einen Wahlkampf unter dem Slogan "Neue Mitte" geführt und einen leibhaftigen neoliberalen Unternehmer, Jost Stollmann, als seinen Kandidaten für das Amt des Wirtschaftsministers präsentiert; sozusagen zum Unterpfand dafür, daß es ihm Ernst sei mit Reformen.

    Als er die Wahl knapp gewonnen hatte, hat Schröder diesen Jost Stollmann davongejagt wie einen räudigen Hund. Sein Wirtschaftsminister wurde der blasse Werner Müller, aber die Wirtschaftspolitik bestimmte der mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattete Finanzminister Oskar Lafontaine, heute dicker Freund der französischen und cubanischen Kommunisten. Statt der "Neuen Mitte" war es die alte Linke, die unter Schröder an die Schalthebel der Macht kam.

    Aber nicht dieser erste Verrat an den Wählern macht Schröders Schuld aus.

    Fünf Jahre lang wurde diese linke Nicht- Reformpolitik betrieben, bis Schröder das Wasser bis zum Hals stand. Von der Konjunktur- Lokomotive der EU war Deutschland zu einem von deren wirtschaftlichen Schlußlichtern geworden. Die Staatsfinanzen liefen aus dem Ruder, die Arbeitslosigkeit stieg - kurz, es war alles da, was sich immer einstellt, wenn Sozialisten regieren und mit ihren sozialistischen Vorstellungen Ernst machen.

    Schröder hat das erkannt. Wie hat er reagiert? Hat er, wie Tony Blair, wie jetzt die französischen Sozialisten, eine Diskussion über die Politik der SPD angestoßen? Hat er diese Diskussion in der Öffentlichkeit geführt, hat er sie in seiner Partei geführt? Hat er versucht, die Deutschen, die Mitglieder seiner Partei von der Notwendigkeit von durchgreifenden Reformen à la New Labour zu überzeugen?

    Nein, er hat geputscht. Anders kann man die Art, wie die "Agenda 2010" ohne vorausgehende Diskussion präsentiert wurde, nicht bezeichnen.

    Schröder konnte diese Reformen durchsetzen, weil den Einsichtigen in seiner Koalition klargeworden war, daß nur so die Herrschaft der Rotgrünen vielleicht gerettet werden konnte. Und nicht, weil er die Deutschen, weil er insbesondere die Sozialdemokraten von ihrer Notwendigkeit überzeugt gehabt hätte. Er hatte das ja noch nicht einmal versucht, als er diese Reformen auf den Tisch knallte.



    Von der Mehrheit der Deutschen, von der großen Mehrheit der Sozialdemokraten sind diese ihnen vom "Basta"- Kanzler okytroyierten Reformen nie akzeptiert worden. Verständlicherweise, denn sie hatten ja selbst keinen Anteil daran gehabt, diese Reformen zu beschließen. Sie beugten sich grummelnd, aber sie waren innerlich in Opposition.

    Für die politische Stimmung in Deutschland bedeutete das, daß ausgerechnet unter einer sozialdemokratisch geführten Regierung der Eindruck vieler Bürger, daß "die da oben doch machen, was sie wollen", sich erheblich verstärkte.

    Das führte dazu, daß die Kommunisten ihre Partei in den Westen ausdehnen konnten, und daß sie jetzt in einer Position sind, die sie beim nächsten Regierungswechsel zurück an die Macht bringen wird. Das hat Gerhard Schröder zu verantworten, und es ist der eine Teil seiner Schuld.

    Der andere Teil wurde am Wochenende auf dem Parteitag der SPD sichtbar. Die SPD schüttelte sich sozusagen, und weg war die Agenda 2010. Am Ende des Parteitags traten Delegierte vor die Kamera, die sagten, jetzt endlich mache es wieder Freude, Sozialdemokrat zu sein. Jetzt sei das wieder die Partei, in die man einmal eingetreten war.



    Mit anderen Worten, indem er sie per ordre du mufti den Deutschen, indem er sie seiner Partei ohne Diskussion aufgezwungen hat, hat Gerhard Schröder diese Reformen gründlich diskreditiert. Die Deutschen wollen in ihrer Mehrheit weg davon. Die SPD will sie in ihrer sehr großen Mehrheit so schnell wie möglich in den Orkus befördern.

    Es ist absurd, denn jeder, der nicht mit Blindheit geschlagen ist, kann ja sehen, wie erfolgreich diese Reformen waren, wie bitter nötig sie gewesen waren.

    Aber das nutzt jetzt nichts mehr. Schröder, dieser opportunistische, dieser durch und durch unehrliche Mann, hat die doppelte Schuld auf sich geladen, den Deutschen die notwendigen Reformen vermiest und seine Partei ideologisch zurück in die siebziger Jahre getrieben zu haben.

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    Zitat des (gestrigen) Tages

    "Am Ende des Parteitags die 'Internationale'"

    Der ARD-Reporter Wolfgang Wanner im gestrigen "Bericht aus Berlin" über den SPD-Parteitag. Im Hintergrund hörte und sah man, wie die Delegierten "Wann wir schreiten Seit' an Seit'" sangen.

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    28. Oktober 2007

    Zettels Meckerecke: Was die Rauchverbote in Gaststätten anrichten

    Seit diesem Jahr gelten in Deutschland Rauchverbote in Gaststätten. Rauchverbote, kein Rauchverbot. Denn die Lage in den einzelnen Bundesländern ist im Augenblick noch unterschiedlich. Nicht nur, was Gaststätten angeht; auch anderswo - in öffentlichen Gebäuden und Schulen, in Gefängnissen und Kliniken, in Museen, in Kinos und auf Flughäfen, in Sporthallen und Hallenbädern - ist ja das Rauchen mitunter verboten oder soll es verboten werden; nur hat sich da eben jedes Bundesland sein eigenes Verbotsmuster ausgedacht.

    Wie die Tabelle im einschlägigen Artikel in der "Wikipedia" zeigt, ist Hamburg das in dieser Hinsicht am wenigsten liberale Bundesland. Am liberalsten sind die Neuen Länder (mit Ausnahme von Mecklenburg- Vorpommern), Berlin und das Saarland. Hamburg ist so gründlich im Verbieten, daß sogar in Lebensmittel- Läden das Rauchen verboten ist. (Warum nicht auch in Schuhläden? Brauchen Schuhkäufer und -verkäufer weniger Schutz vor Rauchern als die Käufer und Verkäufer von Margarine und Corn Flakes?).

    Was das Rauchen in Gaststätten angeht, gibt es aber sozusagen eine Gleichheit der Lebensverhältnisse von Flensburg bis Berchtesgaden, von Aachen bis Görlitz. In einigen Bundesländern gilt bereits ein Rauchverbot in Gaststätten. Die anderen planen es für das kommende Jahr, mit der rühmlichen Ausnahme von Sachsen-Anhalt.



    Wenn man wissen will, wie sich das fast bundesweite Rauchverbot auswirken wird, kann man sich also ansehen, wie es sich in den Ländern auswirkt, die es schon haben. Das sind das Musterländle Baden- Württemberg, das einstige Rote Musterländle Hessen sowie Niedersachsen und Hamburg.

    In Niedersachsen und Baden-Württemberg führt, so berichtet der Gastro- Blog "Gastgewerbe Gedankensplitter", das auf Gastronomie spezalisierte Institut "CHD Expert" gerade eine Umfrage unter Gastronomen durch; die Ergebnisse liegen aber noch nicht vor.

    Was wir schon wissen, das ist die Beurteilung der Gastronomen, bevor das Verbot in Kraft trat. Das hat CHD Expert im Mai untersucht. Danach erwarteten gut die Hälfte der befragten Gastronomen Umsatz- Einbußen; besonders die Betreiber von Bars, Lounges und Bistros, weniger die von Cafés. Aber auch unter den Cafébesitzern erwartete noch ein Drittel Umsatzeinbußen und den Verlust von Arbeitsplätzen.



    Wie inzwischen die Stimmung unter den schon betroffenen Gastronomen ist, geht aus zwei aktuellen Meldungen hervor, eine aus Baden-Württemberg und eine aus Hessen.

    Gestern berichtete die Fuldaer Zeitung unter der Überschrift "Zwölf Fuldaer Kneipen missachten Rauchverbot" über eine Aktion von Gastronomen, die fast schon den Charakter zivilen Ungehorsams hat:
    In einigen Kneipen in der Fuldaer Altstadt wird das Rauchverbot seit gestern Abend offiziell ignoriert. "Wir fordern unsere Gäste nicht zum Rauchen auf, aber wir schicken Raucher nicht mehr vor die Tür", sagt Uwe Zierfuß, Pächter des "Krokodils" und Gründer der Initiative "Pro Raucherkneipen Fulda". Seiner Initiative angeschlossen habe sich ein Dutzend Kneipen (...) Wegen stark sinkender Gästezahlen und Umsätze seien die Gastronomen gezwungen, gegen das in Hessen seit Anfang Oktober geltende Rauchverbot zu verstoßen, so Zierfuß.
    Und heute ist in der Internet- Ausgabe der "Heilbronner Stimme" zu lesen, Überschrift "Wirte trotzen dem Rauchverbot":
    Die Räucherstäbchen auf dem rotbraunen Holztresen sind nicht die Einzigen, die im Hartman’s am Montagabend qualmen. Silberne Aschenbecher stehen bereit, einige Gäste ziehen kräftig an ihrem Glimmstängel. Über zwei Monate hat Betreiberin Jasmin Stein das Rauchverbot im Inneren befolgt. Von 40 bis 50 Prozent Umsatzrückgang berichtet sie, von vielen rauchenden Stammgästen, die gar nicht mehr kamen oder nach der Sperrstunde für die Freisitze sofort nach Hause gingen. „Drastisch“ nennt sie die Umsatzeinbußen.
    Auch in anderen Heilbronner Kneipen, so erfährt man weiter aus dem Artikel, wird das Rauchverbot zunehmend unterlaufen.



    Ja, wie auch anders? Bisher trafen sich in solchen Kneipen Menschen, die entweder selbst rauchten oder die - wie ich zum Beispiel, seit mehr als dreißig Jahren Nichtraucher - nichts dagegen haben, mal ein bißchen Tabakrauch zu schnuppern.

    Niemand wurde ja gezwungen, in ein solches Restaurant oder eine solche Eckkneipe zu gehen. Jetzt nimmt sich - vorerst in einigen Bundesländern - der Staat das Recht heraus, den Gästen das Nichtrauchen zu oktroyieren, ob sie wollen oder nicht. Es sei denn, die baulichen Verhältnisse und die flüssigen Mittel des Wirts erlauben es, ein abschlossenes Raucherzimmer zu bauen.

    Mit anderen Worten, was der Staat sich da leistet, ist eine Schikane. Und gegen Schikanen gehen Menschen, wenn sie können, in den Widerstand. Die Gäste, weil sie in ihrer Stammkneipe nicht auf das Rauchen verzichten wollen. Die Gastronomen, weil sie nicht die Zahl der Hartz- IV- Empfänger vermehren wollen.

    Nein, ich befürworte das nicht. Ich bin der Überzeugung, daß Gesetze eingehalten werden müssen, ob man sie nun für sinnvoll oder für unsinnig hält. Nur - wenn die Betroffenen so offensichtlich gegen eine gesetzliche Regelung Front machen, dann sollte sich der Gesetzgeber vielleicht Gedanken über die Weisheit der betreffenden Regelung machen.

    Das wird er aber nicht, der Gesetzgeber. So, wie heute die Öffentliche Meinung in Deutschland beschaffen ist, würde man wahrscheinlich eher den bewaffneten Straßenraub legalisieren können, als das Rauchverbot in Gaststätten wieder aufzuheben.

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    27. Oktober 2007

    Zettels Meckerecke: Die Partei des Demokratischen Sozialismus findet wieder zu sich selbst

    Die SPD, die laut Entwurf des "Hamburger Programms" in der "stolze[n] Tradition des demokratischen Sozialismus" steht, hat heute zu sich selbst zurückgefunden.

    Sie hatte sich unter der Knute des "Basta"- Kanzlers geduckt und zähneknirschend Reformen "mitgetragen", die sie innerlich zutiefst ablehnte. Anschließend mußte sie sich der Koalitionsdisziplin beugen und erneut ihr Wesen verleugnen. Sie lag am Boden wie ein gut erzogener Hund, der "abgelegt" ist und der auf das kleinste Zeichen seines Herrchens oder Frauchens wartet, daß er aufspringen und losjagen darf.

    Dieses Zeichen hat Kurt Beck mit seinem Vorstoß gegen eine Bestimmung der Agenda 2010 gegeben. Die SPD sprang nicht nur auf und jagte los, sondern sie tanzt seither wie toll herum, endlich aus der unnatürlichen Position befreit, in die sie erst Schröder und dann der Koalitionsvertrag gezwungen hatte.

    Das ist jetzt vorbei. Becks Vorstoß war - um die Metapher zu wechseln - wie ein Leck in einem Staudamm, das sich schnell weitet und diesen schließlich zum Einsturz bringt. Wie Christoph Keese in Welt-Online schreibt:
    Die Verlängerung des Arbeitslosengelds I ist keine "Weiterentwicklung" der Agenda 2010, sondern ein Schlag mit dem Vorhammer dagegen. Die Agenda wird zertrümmert. Ist der erste Schlag einmal getan, werden weitere folgen. Rente mit 67, Verlängerung der Probezeiten, Umlegen von Lohnnebenkosten auf die Arbeitnehmer – lang ist die Liste der "Zumutungen", die Beck den Leuten ersparen will. (...) Der Parteitag debattierte über die Agenda- Zertrümmerung nicht einmal mehr, er stimmte ihr ohne Aussprache mit tosendem Beifall zu.



    Wer Parteitage der SPD in den siebziger bis neunziger Jahren erlebt hat, der hatte heute ein Déja-Vu- Erlebnis. Damals gab es ein sicheres Mittel für jeden Redner, den Beifall der Delegierten einzuheimsen: Er brauchte nur an die traditionellen Werte der Sozialdemokratie zu appellieren; er brauchte nur von sozialer Ungerechtigkeit, von Solidarität, von der Notwendigkeit staatlicher Fürsorge zu sprechen, er mußte nur vor den Gefahren eines "ungezügelten Kapitalismus" warnen, um den Beifall auf seiner Seite zu haben. Oskar Lafontaine hat das auf dem Mannheimer Parteitag 1995 so meisterhaft zelebriert, daß anschließend der unglückliche Rudolf Scharping stracks gestürzt und Oskar auf den Schild gehoben wurde.

    So war es auch heute in Hamburg. Jede etatistische Äußerung wurde bejubelt; ob jemand sich gegen jede Privatisierung der Bahn aussprach, ob es um die kommununalen Versorgungsbetriebe ging oder um den gesetzlichen Mindestlohn. Man beschloß nicht nur - selbstverständlich - die von Beck gewünschte Änderung beim Arbeitslosengelt I; das verstand sich. Sondern es wurde auch gleich die Einführung von Tempo 130 beschlossen, das Kindergeld bis zum 27. Lebensjahr. Es wurde - Friede den Hütten, Krieg den Palästen! - beschlossen, Steuervergünstigungen für Dienstwagen abzuschaffen. Der Einrichtung eines US- Raketenschilds in Europa wurde eine "Absage erteilt".

    Mit diesem Parteitag hat die SPD sich innerlich von der Großen Koalition verabschiedet und Kurs auf die Volksfront genommen. Die Mehrheit dieser von der SPD-Basis gewählten Delegierten wird kein Problem damit haben, zusammen mit den Kommunisten zu regieren. Daß diese SPD, wie sie sich heute im Hamburger CCH darstellte, sich andererseits zu einer Koalition mit der FDP durchringen könnte, ist schwer vorstellbar.



    Ein Linksruck der SPD? Nein. Frank Steinmeier und selbst Peer Steinbrück, die beiden "Stones", bekamen jeder mehr Delegierten- Stimmen als die Linke Andrea Nahles. Die Weiterbeteiligung der Bundeswehr an der "Operation Enduring Freedom" in Afghanistan wurde mit großer Mehrheit beschlossen, wenn auch mit der Ermahnung, doch bitte keine Zivilisten zu behelligen. Franz Müntefering, nicht gerade ein Linker, wurde geradezu frenetisch gefeiert.

    Sie ist nicht nach links gerückt. Sie hat sich nur wieder zur Kenntlichkeit verändert, die Partei des Demokratischen Sozialismus.

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    Zitat des Tages: Ablaufplan

    "Nach unserem Ablaufplan ist es jetzt elf Uhr fünfzehn".

    Der amtierende Tagungspräsident des SPD-Parteitags, Olaf Scholz, heute um 13.58 Uhr.

    Kommentar: Der SPD fehlt einer, der "Basta" sagt.

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    Marginalie: Putins Spiel - wie macht er's (2)?

    Seit Anfang Februar verfolge ich mit einer gewissen Beharrlichkeit, wie Wladimir Putin es anstellen wird, weiter russischer Staatspräsident zu bleiben.

    Damals herrschte noch weithin die Meinung, Putin werde, ähnlich seinem Männerfreund Schröder, nach den Präsidentschaftswahlen im März 2008 die Macht abgeben.

    Mir kam das immer äußerst unwahrscheinlich vor. Ein Zar tritt nicht freiwillig ab; kein Kreml- Herrscher vor Gorbatschow hat das getan. Warum sollte Putin es tun, dieser Machtmensch, der sich als der legitime Nachfolger der Zaren ebenso wie von Lenin und Stalin fühlt? Nur, weil eine Verfassung das vorsieht, die in diesem Punkt auch noch der US-Verfassung nachgebildet ist? Doch nicht im Ernst.



    Also habe ich seit diesem ersten Beitrag gesammelt, was ich an Indizien dafür finden konnte, daß Putin beabsichtigt, weiter an der Macht zu bleiben. Da war der Vorschlag des Oppositionsführers in der Duma, Mironow, die Amtszeit Putins zu verlängern. Da war die Anmerkung des Putin-Vertrauten Luschkow, Bürgermeister von Moskau, über die Regelung, daß der Präsident nur einmal wiedergewählt werden darf: "Warum sollten wir diese zweifelhafte amerikanische Demokratie zum Vorbild nehmen ... ?"

    Da waren die Krisen, die Putin offenbar planmäßig schürte - seine Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz, in der erstmals das Thema der geplanten US-Raketenabwehr in Polen und Tschechien thematisiert wurde, die von Moskau angeheizte Krise in Estland, die Drohung Putins, wieder Atomraketen auf Ziele in Westeuropa zu programmieren, das Schüren von Konflikten mit Großbritannien, Georgien, Weißrußland; Rußlands ostentative Aufrüstungspolitik

    Und da war schließlich Putins Coup, seinen bisherigen Getreuen Iwanow aus dem Weg zu räumen, indem er streuen ließ, dieser werde neuer Ministerpräsident, was er dann bekanntlich nicht wurde.

    Seither scheint mir die Frage nur noch zu sein: "Wie macht er's?"



    Als Putin mitteilte, daß er beabsichtige, sich in die Duma wählen zu lassen, um dann Ministerpräsident zu werden, wurde weithin spekuliert, er wolle es irgendwie hinbekommen, die Macht vom Staatspräsidenten auf den Ministerpräsidenten zu verlagern.

    Ich habe das von Anfang an für unwahrscheinlich gehalten.

    Wenn Putin aus Gründen der Optik die kleine Verfassungsänderung nicht will, die ihm weitere Amtszeiten ermöglichen würde - wie soll er dann die ganze Verfassung so umkrempeln wollen, daß die Machtzentrale vom Staatspräsidenten zum Ministerpräsidenten wandert?

    Und muß er nicht damit rechnen, daß ein neuer Staatspräsident sich das nicht gefallen lassen würde, sondern daß er den Machtkampf suchen würde?

    Und wenn das die Taktik Putins wäre - warum posaunt er, der Meister des Überrumpelns, das jetzt schon hinaus?



    Nein, ich halte es für viel wahrscheinlicher, daß Putin einen Weg finden wird, auch nach dem März 2008 wieder Staatspräsident zu sein.

    Wie wird er's machen?

    Wenn er nach den Duma-Wahlen im Dezember Mitglied der Duma und dann Ministerpräsident wird, muß er natürlich als Staatspräsident zurücktreten. Das Amt könnte dann bis zu der Wahl im März 2008 interimistisch verwaltet werden; etwa vom jetzigen Ministerpräsidenten Viktor Subkow.

    Es dürfte - soweit ich das verstehe - eine Frage der Auslegung der Verfassung sein, ob Putin danach 2008 als Kandidat antreten kann. Er wäre jedenfalls dann ja nicht sein eigener Nachfolger.

    Zwei andere Möglichkeiten diskutierte in der Donnerstags- Ausgabe der New York Times Leon Aron, Direktor der Rußland- Forschung am American Enterprise Institute.

    Aron verweist darauf, daß Putin erst dieses Jahr die Macht des Ministerpräsidenten gegenüber der des Staatspräsidenten entscheidend eingeschränkt hat, und zwar dadurch, daß dem Staatspräsident die Aufsicht über die staatlichen Energie- Unternehmen zugeordnet wurde. Kein sehr kluger Schachzug, wenn sein Plan sein sollte, als Ministerpräsident weiterzuregieren.

    Also, wie wird er's machen? Aron diskutiert zwei Möglichkeiten: Erstens könnte Subkow im März gewählt werden, aber sehr bald aus Altersgründen zurücktreten. Dann könnte Putin zur Wahl antreten. Zweitens könnte Putin mit Hinweis auf eine bevorstehende Aggression gegen Rußland den Notstand ausrufen und damit die Wahl des Staatspräsidenten suspendieren. Geeignete Krisenherde könnten, schreibt Aron, Estland, Georgien oder Südossetien sein.



    Mir scheint es wahrscheinlicher, daß Putin zwischen den Duma- Wahlen im Dezember und den Präsidentschaftswahlen im März ein Gastspiel als Ministerpräsident gibt und dann wieder zur Wahl zum Staatspräsidenten antritt.

    Wenn das russische Verfassungsgericht mitspielt. Wenn es das nicht tun sollte - das allerdings wäre dann die Meldung des Jahres 2008.

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    25. Oktober 2007

    Ist der Islam eigentlich wichtig; ist es der terroristische, der totalitäre Islamismus?

    Der Islam interessiert mich nicht. Ich werde nicht Arabisch lernen, um den Koran lesen zu können, um die Auseinandersetzungen zwischen den Spielarten des Islam verstehen zu konnen. Wenn ich mich einmal mit Religionen beschäftigen sollte, dann mit dem Judentum und mit dem Buddhismus - zwei Religionen philosophischen Zuschnitts.

    Was mir der Islam, diese Verkündigungsreligion, überhaupt nicht zu sein scheint. Er scheint mir im wesentlichen in Vorschriften zu bestehen, die einzuhalten die Gläubigen verpflichtet sind, und ein paar schlichten Glaubenssätzen, die sie vermutlich just wegen ihrer Schlichtheit inbrünstig glauben. Die Gelehrten des Koran befassen sich, so scheint mir, hauptsächlich damit, zu entscheiden, was erlaubt und was verboten ist.

    Naja, vielleicht irre ich mich da. Ich verstehe halt nichts vom Islam.

    Ja, aber muß man sich denn nicht mit dem Islam befassen, weil er politisch so bedeutsam ist? Weil Moslems nach Europa einwandern, in solchen Scharen, daß manche gar eine "Islamisierung" Europas fürchten? Weil es einen kriminellen Islamismus gibt, der mit seinen Verbrechen weltweit die Völker zu terrorisieren trachtet?

    Weil ein islamisches Land, Pakistan, schon die Atombombe hat und ein zweites, der Iran, dabei ist, sie zu bauen? Weil im Irak eine Schlacht zwischen demokratischem Fortschritt und der Rückständigkeit einander und den Westen bekriegender Frommer geschlagen wird?



    Gewiß, das sind gegenwärtige Probleme, es sind aktuelle Krisenherde.

    Aktuell freilich auch in dem Sinn, daß diese Themen erst seit ein, zwei Jahrzehnten so viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Verwandten vor vielleicht fünfzehn Jahren, der einen rechtskonservativen Informationsdienst, die "Vertraulichen Mitteilungen", bezog. Dort hatte er viel von der Gefahr des Islamismus gelesen und versuchte mir das nahezubringen. Ich hielt das für abwegig; so wie wohl fast alle, die sich damals für Politik interessierten. Propaganda von rechtsaußen, so sah man das seinerzeit.

    Nun, heute ist diese Präokkupation mit dem Islam längst kein "rechtes Thema" mehr. Gewiß nicht ohne Grund; sicherlich aufgrund der Ereignisse, die seither stattgefunden haben. Nicht zuletzt dadurch, daß die Bedrohung Israels, die lange Zeit von säkularen nationalistischen, oft auch sozialistischen arabischen Organisationen ausging, immer mehr zu einer Bedrohung durch islamistische Gruppen geworden ist.

    Aber sind das sozusagen säkulare Ereignisse? Ereignisse, die unsere Epoche prägen? Hat sich an der Bedrohung Israels etwas fundamental geändert dadurch, daß nicht mehr die PLO und die PFLP es von der Landkarte tilgen wollen, sondern die Hamas und die Hisbollah? Wird für spätere Geschichtsschreiber einmal der Islamismus im Mittelpunkt dessen stehen, was sie über die ersten Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts schreiben?



    Ich bezweifle das. In der kleinen Serie über die Misere Arabiens habe ich argumentiert, daß der Islamismus wesentlich eine Folge der Rückständigkeit des arabischen Kulturkreises ist; und ich habe auf einen der Faktoren aufmerksam gemacht, die meines Erachtens dafür kritisch sind: Arabien wurde nicht von einer westlichen Macht kolonisiert, sondern es gehörte Jahrhunderte zum rückständigen Osmanischen Reich.

    Der Erfolg vieler Staaten in den Teilen der Welt, die einmal die "Dritte Welt" hießen, beruhen auf Kultur und Bildung, vor dem Hintergrund einer eigenen alten Hochkultur (China, Japan, Indien) und/oder der Kultur, die von Kolonialherren übernommen wurde (Indien, die meisten anderen der heute erfolgreichen Schwellenländer).

    Die Araber aber haben eine jahrhundertelange Geschichte als Untertanen des Osmanischen Reichs hinter sich. Es fehlt ihnen - so habe ich in der Serie argumentiert - dadurch noch die Voraussetzung dafür, den Weg Indiens, Chinas oder auch Malaysias und Indonesiens zu gehen.



    Wenn das richtig ist, dann ist der Islamismus ein vorübergehendes Phänomen. Auch die Länder des arabischen Kulturkreises werden den Weg in die Moderne gehen, und auch dort werden religiöse Fanatiker, sobald die Moderne Einzug gehalten hat, wieder eine kleine, radikale Minderheit ohne politischen Einfluß sein; so, wie überall auf der Welt.

    Deshalb glaube ich nicht, daß in der Sicht späterer Historiker der Islamismus eine herausgehobene Rolle in der Geschichte der ersten Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts spielen wird.

    Was sie einmal als die zentralen Charakteristika unserer Epoche sehen werden, das ist, da wir noch mitten in dieser Epoche stecken, naturgemäß schwer zu sagen. Man braucht Distanz, um ein Zeitalter charakterisieren zu können.

    Es gibt da viele Möglichkeiten: Vielleicht wird es der jetzt heraufziehende amerikanisch- chinesische Konflikt sein, der unser Zeitalter so kennzeichnet, wie der Kalte Krieg die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Vielleicht wird es der Zerfall Afrikas sein, vielleicht ein Wiedererstehen des Kommunismus in Lateinamerika. Vielleicht sind es auch - obwohl ich das für eher unwahrscheinlich halte - klimatische Veränderungen, die einmal als das Hauptmerkmal unseres Zeitalters gelten werden.

    Vielleicht wird man aber auch unser Zeitalter, wie ich hier optimistisch vermutet habe, als dasjenige charakterisieren, in dem sich im Rahmen der Globalisierung Aufklärung, Kapitalismus, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit weltweit durchzusetzen begonnen haben.

    Der Islam jedenfalls wird, da bin ich ziemlich sicher, im Rückblick keine große Rolle spielen. Vielleicht wird man in seinem jetzigen Boom einen letzten Nachklapp des religiösen Zeitalters sehen, das mit der Aufklärung zu Ende ging.

    Und gar der terroristische Islamismus, der islamistische Totalitarismus, wie er in Afghanistan herrschte und wie er immer noch im Iran herrscht - ich denke, ihn wird man als die letzte Variante des Totalitarismus sehen, der mit dem Kommunismus, dem Nazismus und dem Faschismus die Mitte des 20. Jahrhunderts prägte.

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    24. Oktober 2007

    Gedanken zu Frankreich (19): Eine heiße Debatte, eine kühle Strategie

    In Frankreich ist gestern ein Gesetz über die Immigration verabschiedet worden. Aber die heiße Debatte, die es ausgelöst hat, geht weiter. Jetzt soll der Verfassungsrat gegen das Gesetz mobilisiert werden.

    Parallel dazu findet etwas statt, was für Frankreichs Politik nach Süden hin von ungleich größerer Bedeutung ist, aber kaum Diskussionen ausgelöst hat: Präsident Sarkozy setzt planmäßig und kühl seine mediterrane Strategie fort, die - wenn sie erfolgreich ist - die französische Außenpolitik auf eine völlig neue Grundlage stellen wird; vergleichbar dem Beginn der europäischen Einigung mit den Verträgen über die Montan- Union.



    In Frankreich werden Gesetze gern nach dem- oder denjenigen benannt, die sie im Parlament eingebracht haben. Das Einwanderungsgesetz heißt also "la loi Hortefeux", nach Sarkozys Minister für Immigration und Nationale Identität, Brice Hortefeux, der es hat ausarbeiten lassen.

    Nicht dieses Gesetz als Ganzes ist aber Gegenstand der heftigen Debatte, sondern eine Ergänzung, die der Abgeordnete der UMP Thierry Mariani eingebracht hat, genannt folglich das amendement Mariani. Diese Gesetzesergänzung sieht für bestimmte Fälle einen DNA-Test an Einwanderungswilligen vor.

    Und siehe da - so, als wäre man in Deutschland, hat das Reizwort "DNA" eine Diskussion von einer Irrationalität ausgelöst, wie man sie im Land Descartes' eigentlich für unmöglich halten sollte.

    Es geht um den Familien- Nachzug. Wie in Deutschland, haben auch nach französischem Recht die im Ausland lebenden Kinder von Personen, die in Frankreich dauerhaftes Aufenthaltsrecht haben, das Recht, zu ihren Eltern nach Frankreich zu ziehen.

    Nur müssen sie nachweisen, daß sie deren Kinder sind. Das ist, wenn es sich um Länder mit einem wenig entwickelten Meldewesen handelt, oft nicht einfach. Dem Mißbrauch ist also Tür und Tor geöffnet.

    Thierry Marianis Gesetzesergänzung sah nun vor, daß in einem solchen Fall ein kostenloser Gentest durchgeführt werden kann, durch den die Kindschaft bewiesen wird. Und zwar dann, wenn sie nicht auf andere Art zweifelsfrei nachgewiesen werden kann und wenn ein Elternteil den Test beantragt.

    Klingt vernünftig, nicht wahr? Niemand wird gegen seinen Willen auf DNA- Übereinstimmung getestet. Der Staat bietet lediglich denen, die eine Familien- Zusammenführung beantragen, die Möglichkeit, auf diese Weise kostenlos den Beweis der Verwandtschaft anzutreten.



    Gleichwohl löste dieser Vorschlag in Frankreich einen Sturm der Entrüstung aus. Genauer gesagt: Einen Sturm und einen Orkan.

    Der Sturm betraf das, was an dem Gesetz praktisch zu beanstanden ist. Vor allem wurde darauf verwiesen - François Bayrou hat zum Beispiel so argumentiert -, daß nicht bei allen Kindern der Familienvater auch der Erzeuger sei und ein negativer DNA- Test somit dem Familienfrieden sehr abträglich sein könne. Dem wurde bei den Beratungen im Senat Rechnung getragen: In der jetzt verabschiedeten Fassung ist nur noch die Mutter berechtigt, einen DNA-Test zu beantragen.

    Aber den Orkan beruhigte diese Abänderung (Mariani selbst hält sie für verfassungswidrig) überhaupt nicht. Denn so, als sei man unter Deutschen, denen es daran mangelt, clare et distincte zu denken, brach eine öffentliche Diskussion los, die alle Merkmale teutonischer Unlogik trägt.

    Der bisherige Kulminationspunkt ist eine Petition, die von dem politischen Satire- Magazin Charlie Hebdo und der Organisation SOS Racisme initiiert wurde und der sich inzwischen mehr als 288 000 Franzosen mit ihrer Unterschrift angeschlossen haben. Darunter bunt gemischte politische Prominenz - der Trotzkisten- Führer Olivier Besancenot ebenso wie die Generalsekretärin der KPF, Marie- George Buffet; Sozialisten wie Lionel Jospin, François Hollande, Laurent Fabius und Ségolène Royal; aber auch rechte Politiker wie der gaullistische ehemalige Außenminister und Ministerpräsident de Villepin. Und natürlich die üblichen Kulturschaffenden - Michel Piccoli zum Beispiel, Bernard Tavernier, der Philosoph Bernard- Henri Lévy.

    Was haben sie unterschrieben, diese besorgten Franzosen? Das amendement Mariani werfe drei Gruppen fundamentaler Probleme auf:
    Tout d'abord, des problèmes d'ordre éthique. En effet, l'utilisation de tests ADN pour savoir si un enfant peut venir ou non rejoindre un parent en France pose d'emblée cette question : depuis quand la génétique va t'elle décider de qui a le droit ou non de s'établir sur un territoire ? (...)

    In allererster Linie Probleme ethischer Art. In der Tat wirft die Verwendung von DNA- Tests, um zu ermitteln, ob ein Kind zu einem Elternteil in Frankreich ziehen darf, sofort die Frage auf: Seit wann entscheidet die Genetik darüber, wer das Recht hat und wer nicht, sich in einem Gebiet niederzulassen? (...)

    Ensuite, cet amendement fait voler en éclats le consensus précieux de la loi bioéthique qui éloignait les utilisations de la génétique contraires à notre idée de la civilisation et de la liberté.

    Sodann zertrümmert diese Gesetzesergänzung den kostbaren Konsens des Gesetzes über Bioethik, das jeden Gebrauch der Genetik ausschließt, der im Gegensatz zu unserer Idee von der Zivilisation und der Freiheit steht.

    Enfin, cet amendement s'inscrit dans un contexte de suspicion généralisée et récurrente envers les étrangers qui en vient désormais à menacer le vivre ensemble. (...)

    Und schließlich paßt diese Gesetzesergängzung in den Kontext eines allgemeinen und immer wiederkehrenden Mißtrauens gegenüber den Ausländern, das künftig unser Zusammenleben bedrohen wird. (...)
    Und dann kommt die eigentlich Petition:
    (...) C'est pourquoi, nous, signataires de cette pétition, appelons le Président de la République et le Gouvernement à retirer cette disposition, sous peine de contribuer, en introduisant l'idée que l'on pourrait apporter une réponse biologique à une question politique, à briser durablement les conditions d'un débat démocratique, serein et constructif sur les questions liées à l'immigration.

    Deshalb appellieren wir, die Unterzeichner dieser Petition, an den Präsidenten der Republik und die Regierung, diese Vorschrift zurückzuziehen. Denn sonst tragen sie, indem sie die Idee einführen, man könne auf eine politische Frage eine biologische Antwort geben, dazu bei, auf Dauer die Bedingungen für eine demokratische, unaufgeregte und konstruktive Debatte über die Fragen der Immigration zu zerstören.



    Ich kann mich nicht entschließen, das ernsthaft zu diskutieren.

    Niemand wird ja aus genetischen Gründen nach Frankreich hineingelassen oder nicht, sondern in Abhängigkeit davon, ob er oder sie Eltern hat, die in Frankreich leben. Der Gentest ist nichts als ein Mittel, das nachzuweisen.

    Wieso das im Gegensatz zu den französischen Ideen von Zivilisation und Freiheit steht, bleibt das Geheimnis der Petenten.

    Und das "Mißtrauen" existiert völlig unabhängig davon, ob zu seiner Behebung nun ein Gentest erlaubt ist oder nicht.

    Alle drei Argumente sind so offensichtlich unlogisch, daß einen Freund französischer clarté wirklich das kalte Grausen packen kann.

    Und wenn dann auch noch gleich die ganze demokratische Debatte als durch das Gesetz bedroht dargestellt wird, dann fragt man sich, ob diese Petition wirklich von Franzosen geschrieben wurde und nicht vielmehr von der Ortsgruppe Hinterkirchdorf der deutschen Grünen.



    Verlassen wir dieses Thema und kommen wir zu einem, das französische Klarheit zeigt: Dem Plan von Präsident Sarkozy, parallel zur Europäischen Gemeinschaft eine Mittelmeer- Gemeinschaft zu schaffen, natürlich unter französischer Führung. Die strategischen Vorteile für Frankreich habe ich in einem früheren Beitrag zu skizzieren versucht.

    In einem Editorial geht Le Monde in der morgigen Ausgabe (25. 10.) auf dieses Thema ein.

    Sarkozy hat am gestrigen Dienstag in Tanger eine Rede gehalten, in der er alle Führer der Staaten des Mittelmeer- Raums zu einer Konferenz "auf gleicher Augenhöhe" im Juni 2008 in Paris eingeladen hat.

    Sarkozy schlägt vor, nach dem Modell der europäischen Einigung vorzugehen, die von der Montanunion über den Gemeinsamen Markt schrittweise in die Europäische Union führte. Ähnlich solle, sagte Sarkozy, die Mittelmeer- Union mit Vereinbarungen über Energie, Verkehr, Wasser beginnen - als ein "Labor zur gemeinsamen Entwicklung".

    Am Ende solle eine politische, wirtschaftliche und kulturelle Union der Mittelmeer- Länder stehen. Dies sei das "Gegengift gegen Kriege der Zivilisationen und der Religionen, die entscheidende Waffe gegen den Terrorismus ...".

    Wer zu dieser Mittelmeer- Union gehören sollte, läßt Sarkozy vorerst offen. Nicht- Anrainer wie Deutschland und England jedenfalls logischerweise nicht, obwohl sie vielleicht den Status von Beobachtern haben könnten. So hat denn, nicht überraschend, Brüssel um "Klarstellungen" gebeten.

    Wie auch immer - En attendant, ce projet est une idée digne d'attention. Vorerst sei das Projekt der Aufmerksamkeit wert, schreibt die Redaktion von Le Monde.

    In der Tat. Wenn Sarkozy Erfolg hat, wird das Frankreich ungemein stärken, weil es als Mitglied zugleich der EU als auch der Mittelmeer- Union in beiden Gemeinschaften ein singuläres Gewicht hätte. Aber mir scheint, Sarkozy hat nicht Unrecht: Eine solche Union könnte ein attraktiver Gegenentwurf zu dem Versuch der terroristischen Fundamentalisten sein, vom Irak bis zum Maghreb ein panarabisches Reich zu errichten.

    Links zu den bisherigen Folgen der Serie "Gedanken zu Frankreich" findet man hier. Für Kommentare und Diskussionen zu diesem Beitrag ist in "Zettels kleinem Zimmer" ein Thread eingerichtet. Wie man sich dort registriert, ist hier zu lesen. Registrierte Teilnehmer können Beiträge schreiben, die sofort automatisch freigeschaltet werden.

    Zettels Meckerecke: Das doppelte Kurtchen

    Kurt Beck ist ungefähr so sehr ein Linker in der SPD, wie Dieter Bohlen ein sexfeindlicher Asket ist.

    Während seine Altersgenossen in den Siebziger Jahren als Jusos den Sozialismus einführen wollten, machte Beck als Personalrat praktische Politik. Sein Idol war nicht Karl Marx, sondern der "gute Mensch von Kirn", Wilhelm Dröscher. Seine Wahlerfolge in Rheinland-Pfalz errang er später nicht mit linken Parolen, sondern dank einer soliden Mittelstandspolitik zusammen mit der FDP.

    Das ist Kurt Beck, wie wir ihn bisher kannten. Kurtchen I, sozusagen. Denn wie Ziethen aus dem Busch ist in den letzten Wochen ein neuer Beck in die Schlagzeilen gestürmt: Kurtchen II, der SPD-Linke. "Offensiv vertritt die Parteispitze vor dem Bundesparteitag den neuen Linkskurs von Kurt Beck" lesen wir gegenwärtig in Spiegel-Online.

    Den Linkskurs von Kurt Beck. Was ist in den Mann gefahren? Hat da einer sein Damaskus erlebt? Oder steckte in Kurt I, dem SPD-Rechten, wie er im Pateibuch steht, schon immer ein verkappter Linker? So wie in Oskar Lafontaine, dessen Kontakte zu den Roten in seiner Zeit als OB sich ja auf diejenigen beschränkt hatten, die in dem betreffenden Lichtmilieu ihr Zuhause haben, und der nun Kommunisten wie Marie- George Buffet und Fidel Castro an sein politisches Herz drückt, so als sei er nie etwas anderes gewesen als ein Kommunist?

    Ach nein, da wurde kein Saulus zum Paulus, und da outete sich auch kein bisher versteckter Linker. Da hat nur einer die politische Realität zur Kenntnis genommen.



    Kurt, I wie II, möchte gern Kanzler der Bundesrepublik Deutschland werden. Er hat wohl inzwischen gemerkt, daß dorthin nur ein einziger Weg führt: Der über eine Volksfront- Koalition mit den Grünen und den Kommunisten.

    Will Beck nicht mit den Kommunisten regieren, dann wird man eben Wowereit dafür nehmen, der ja schon so laut mit den Hufen scharrt, daß der ganze Stall wackelt.

    Beck muß, wenn er 2009 Kanzler werden will, drei Ziele erreichen: Erstens die Partei davon überzeugen, daß er der richtige Kandidat für die Volksfront ist. Zweitens die Wähler der SPD mobilisieren, damit die Volksfront die Schwarzgelben überflügelt. Drittens innerhalb der Volksfront die SPD möglichst stark und die Kommunisten möglichst schwach machen.

    Die Verwandlung von Kurtchen I in Kurtchen II dient offensichtlich allen drei Zielen. Die wieder entdeckte Klassenkampf- Rhetorik mobilisiert SPD- Wähler. Sie kann den Kommunisten Wähler abspenstig machen (laut dem verlinkten Artikel in SPON hat Lafontaine diese Gefahr sofort erkannt). Und wenn das alles halbwegs funktioniert, dann können Steinmeier und Wowereit ihre Kanzler- Ambitionen vorläufig vergessen.



    Nur der jetzigen Koalition tut die Verwandlung von Kurt I in Kurt II logischerweise nicht gut. Franz Müntefering, der in seiner Partei ziemlich abgemeldet, in dieser Regierung aber immerhin Vizekanzler ist, sorgt sich erkennbar mehr um die Stabilität dieser Regierung als darum, wer nach 2009 regieren wird. Also steht er loyal zum Koalitionsvertrag.

    Kurt Beck hingegen hat gar keine Wahl, als die Politik zu machen, für die er sich jetzt entschieden hat.

    Die SPD hat immer die Neigung gehabt, ihre Kanzlerkandidaten nach Tagesform auszusuchen - Willy Brand, weil er als Berliner OB populär war; Björn Engholm, weil er durch die Barschel- Affäre große Sympathien genoß; Johannes Rau, weil er damals gerade triumphal Wahlen gewonnen hatte; Schröder nach seinem Wahlsieg in Niedersachsen. Beck selbst wurde SPD- Vorsitzender, weil er in einer Zeit, in der es der SPD schlecht ging, in Rheinland- Pfalz einen glänzenden Wahlsieg eingefahren hatte.

    Die SPD wird also denjenigen zum Kanzlerkandidaten wählen, von dem sie denkt, daß er die meisten Stimmen bringt. Das kann Kurtchen I nicht. Kurtchen II könnte es; jedenfalls dürfte man das in der SPD denken.

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    23. Oktober 2007

    Randbemerkung: Discovery - "Ein schwieriges, riskantes Unternehmen"

    In knapp zwei Stunden wird, wenn der Countdown wie bisher problemlos läuft, die Discovery zur ISS starten.

    Besonderheiten dieses Flugs? Eine Frau ist Commander, Pamela Melroy. Das kann man bei Space.com und bei der NASA lesen, wo auch alle Einzelheiten des Flugs zu finden sind. Dort wird in Echtzeit fortlaufend über den Fortgang des Unternehmens berichtet.

    Weitere Besonderheiten? Ja. Die heutige New York Times widmet diesem Flug ein Editorial, also einen namentlich nicht gezeichneten, somit von der gesamten Redaktion verantworteten Kommentar. Dessen Titel - "An Arduous, Risky Mission" - habe ich in die Überschrift gesetzt. Solche Editorials werden dann geschrieben, wenn die Redaktion ein Thema besonders wichtig findet.

    Warum so wichtig? Warum schwierig, warum riskant?

    Schwierig, weil kaum je eine Besatzung - zehn Leute werden an Bord der ISS sein, wenn die Shuttle- Besatzung umgestiegen ist - so viele, so anspruchsvolle Aufgaben zu bewältigen hatte.

    Sie werden ein neues Modul an die Station anbauen, das erste seit sechs Jahren. Es ist eine Schleuse, an die später Labor- Moduln aus Europa und Japan andocken sollen, also auch das europäische Columbus- Modul. Sie werden einen riesigen Stahlträger mit seinen Sonnenkollektoren abbauen und anderswo wieder anbauen. Sie werden ein neues Gerät zur Reparatur von Schäden außenbords testen. Das alles wird fünf Außenbord- Aktivitäten verlangen (seltsamerweise auf deutsch "Weltraum- Spaziergänge" geheißen).

    Warum riskant? Es gibt bei der NASA unabhängige, also nicht weisungsgebundene Sicherheits- Ingenieure. Diese haben darauf gedrängt, den Flug um mindestens zwei Monate zu verschieben, weil sie ein erhebliches Sicherheitsproblem sehen.

    Wieder einmal geht es um den Hitzeschild. Diesmal sind es hitzebeständige Elemente an den Flügeln des Shuttles, die Ermüdungserscheinungen zeigen. Die Sicherheits- Ingenieure verlangen, sie zu ersetzen oder mindestens ausführliche Tests durchzuführen, bevor grünes Licht für den Start gegeben wird. Im schlimmsten Fall könnte sich sonst das Columbia- Szenario wiederholten: Heiße Gase dringen beim Wiedereintritt in das Shuttle ein, und es wird zerstört.

    Die NASA hat dazu eine ganztägige Konferenz veranstaltet und ist danach zu dem Schluß gekommen, daß das "Risiko akzeptabel" sei. Die Astronauten haben alle zugestimmt, daß jetzt geflogen werden soll.

    Was auch dringend nötig ist, denn der Zeitplan bis zur Fertigstellung der ISS ist denkbar eng geworden. Bis 2010 muß sie fertig sein, denn dann sollen die letzten Shuttles eingemottet werden. Danach gibt es vorerst kein Transportsystem mehr, das solche Lasten zur ISS bringen kann.

    Das Editorial schließt so:
    We’ll keep our fingers crossed that these judgments prove right. Another shuttle catastrophe would not only cost the lives of astronauts, it would also probably end the shuttle program and greatly delay completion of the space station.

    Wir drücken den Daumen, daß diese Beurteilung [der NASA] sich als richtig erweist. Eine weitere Shuttle- Katastrophe würde nicht nur Astronauten das Leben kosten. Sie würde wahrscheinlich das Ende des Shuttle- Programms bedeuten und die Fertigstellung der Raumstation in weite Ferne rücken.

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    22. Oktober 2007

    Marginalie: Warum trat der iranische Nuklear- Unterhändler Ali Laridschani zurück?

    Es gehört zum Wesen totalitärer Systeme, daß sie unweigerlich das hervorbringen, was zur Zeit des Kalten Kriegs "Kreml- Astrologie" genannt wurde. Da die Regierung keiner öffentlichen Kontrolle unterliegt, da es keine freie Presse gibt, wird über das, was hinter den Mauern der jeweiligen Regierungsgebäude geschieht, gemunkelt und gerätselt. Selbsternannte oder wirkliche Fachleute, eben die jeweiligen "Astrologen", liefern ihre Analysen - ein sicheres Geschäft insofern, als es meist an Möglichkeiten fehlt, die Richtigkeit ihrer Behauptungen zu überprüfen; gäbe es diese Möglichkeiten, dann brauchte man die Astrologen ja nicht.

    So ist es in auch Bezug auf das, was in der Führungsclique des Iran vorgeht. Heute bringt die Asia Times eine solche Analyse, die mir vergleichsweise vertrauenswürdig erscheint. Der Autor, Dr. Kaveh L. Afrasiabi, hat ausgiebig über die Außenpolitik des Iran publiziert, unter anderem eine Monographie über das iranische Atomprogramm und einen Artikel zum selben Thema im Harvard International Review. Was er schreibt, klingt sachkundig. Ob es das tatsächlich ist, kann ich nicht beurteilen.



    Afrasiabi sieht den Rücktritt des Atom- Unterhändlers Laridschani als Ausdruck einer Auseinandersetzung zwischen Ahmadinedschad und dem Revolutionsführer Khamenei. Dieser habe kürzlich - nach dem Besuch Putins - eine Besprechung aller führenden Politiker einberufen und sie darüber informiert, daß ein amerikanischer Angriff "eine reale Möglichkeit" sei. Putin hätte die diesbezüglichen Gespräche nicht mit Ahmadinedschad geführt - der als Staatspräsident eigentlich sein Gesprächspartner hätte sein müssen -, sondern mit Khamenei. Ahmadinendschad sei im Unterschied zu Khamenei solchen Warnungen nicht zugänglich.

    Die Rolle Rußlands ist offenbar sehr unklar. Putin habe Khamenei einen Vorschlag zur Lösung des Atomkonflikts vorgelegt; Ahmandinedschad dagegen bestreitet, daß es überhaupt einen solchen Vorschlag gibt. Die Russen verzögern auch weiterhin die Fertigstellung des AKW in Bushehr, das sie für die Iraner bauen. (Das hat während Putins Besuch auch Al Jazeera berichtet; die Russen schieben, hieß es dort, ausstehende Zahlungen des Iran vor, um nicht weiterzubauen).

    Die überraschendste Information in dem Artikel: Obwohl er als Chef- Unterhändler zurückgetreten ist, wird Laridschani an der nächsten Runde der Nuklear- Gespräche mit Solana teilnehmen, die heute in Rom stattfindet.

    Wie das?
    This question was posed by an Iranian reporter to Foreign Ministry spokesman Mohammad-Ali Hosseini, whose response sheds much light on the nature of things to come.

    Hosseini stated: "The negotiation with Javier Solana will definitely continue on Tuesday, with the difference that Dr Ali Larijani will participate as the representative of the Supreme Leader of the Revolution in the Supreme National Security Council [Ayatollah Ali Khamenei], with emphasis by his excellency and the president."

    In other words, no sooner had Larijani tendered his resignation when he was swung back into the middle of the process.

    Diese Frage stellte ein iranischer Reporter dem Sprecher des Außenministeriums Mohammed- Ali Hosseini, dessen Antwort viel Licht auf das wirft, was in Zukunft zu erwarten ist.

    Hosseini sagte: "Die Verhandlung mit Javier Solana wird auf jeden Fall am Dienstag fortgesetzt werden, mit dem Unterschied, daß Dr. Ali Laridschani als der Vertreter des Höchsten Führers der Revolution im Nationalen Sicherheitsrat [Ayatollah Ali Khamenei] teilnehmen wird, mit Nachdruck seitens seiner Exzellenz und des Präsidenten."

    Mit anderen Worten, kaum hatte Laridschani seinen Rücktritt eingereicht, da wurde er mitten in den Prozeß zurückkatapultiert.

    Es scheint, resümiert Afrasiabi, daß die internen Auseinandersetzung in der iranischen Führung jetzt auf die Atom- Verhandlungen durchschlagen. Man hatte in Teheran die Nuklearpolitik zu zentralisieren versucht. Jetzt habe man das Gegenteil.



    Wenn's denn stimmt. Natürlich könnte es auch sein, daß die iranische Führung nach dem Prinzip "good cop - bad cop" Gerüchte über solche Auseinandersetzungen streut, um den Westen nachgiebig zu machen: Kommt man dem guten, verhandlungsbereiten Khamenei entgegen, dann schwächt man den bösen Ahmadinedschad und vermeidet so vielleicht einen Krieg.

    Andererseits könnte es sein, daß der Iran sich allmählich in einer Zwickmühle sieht. Die Chinesen verhalten sich, wie es ihre Art ist, enigmatisch. Putin denkt offenbar nicht daran, den Iran bedingungslos zu unterstützen. Im Westen haben sich die Gewichte verschoben, seit der Falke Sarkozy Präsident Frankreichs ist. Es wird einsam um den Iran.

    Man dachte in Teheran, schreibt Afrasiab, man sei in der Nuklearfrage in einer win- win- Situation. Nun könne es darauf hinauslaufen, daß man sich in einer lose- lose- Situation wiederfinde.

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    Marginalie: Der Iran, Israel und die US-Flugzeugträger

    In der Los Angeles Times hat Niall Ferguson heute seine vorerst letzte wöchentliche Kolumne geschrieben; er verläßt offenbar das Blatt. Er greift darin noch einmal das Thema auf, das ihm im Januar 2006 die größte Leser- Resonanz eingebracht hatte: Seine Vorhersage eines bevorstehenden neuen Nahost- Kriegs.

    Jetzt faßt Ferguson noch einmal seine damaligen Argumente zusammen:
    (a) competition for the region's abundant reserves of fossil fuels, (b) demographic pressures arising from the region's high birthrates, (c) the growth of radical Islamism and (d) the determination of Iran to acquire nuclear weapons.

    (a) die Konkurrenz um die riesigen Vorkommen fossiler Brennstoffe in der Region, (b) der Bevölkerungsdruck, der sich aus den hohen Geburtenraten in der Region ergibt, (c) das Anwachsen des radikalen Islamismus und (d) die Entschlossenheit des Iran, an nukleare Waffen zu gelangen.
    Der Krieg, der in Fergusons damaligem Szenario im August 2006 hätte stattfinden können, ist glücklicherweise ausgeblieben. Aber die Ursachen, schreibt er jetzt, bestehen weiter, und die Situation verschärft sich.

    Sie verschärft sich dadurch, daß der Iran immer weniger Interesse an einer diplomatischen Lösung hat. Denn einerseits sind die USA, gegeben die Situation im Irak und die innenpolitische Lage in den USA selbst, kaum noch zu der Entscheidung für einen Militärschlag gegen die iranische Atomrüstung fähig. Und andererseits blockiert Rußland jede glaubwürdige Drohung des Weltsicherheitsrats. Ohne militärische Drohung kann aber, schreibt Ferguson, Diplomatie kaum Erfolg haben.

    Israel hingegen hat, schreibt Ferguson, durch den kürzlichen Militärschlag gegen Syrien gewissermaßen vorgemacht, wie so etwas funktionieren kann.



    Also doch ein US-Militärschlag, bevor der Iran die Bombe hat? Oder am Ende - das war das Schreckens- Szenario in Fergusons Artikel von Anfang 2006 gewesen - ein Atomkrieg zwischen Israel und dem Iran?

    Vorerst gibt Ferguson Entwarnung, und zwar aufgrund eines interessanten Indizes: Der gegenwärtigen Position der US- Flugzeugträger.

    Man mag es nicht glauben, aber jeder kann sich durch einen Klick hier davon überzeugen: Die US Navy hat eine WebSite, auf der ständig die Bewegungen sämtlicher elf US- Flugzeugträger mitgeteilt werden!

    Und von denen ist gegenwärtig nur einer - die Enterprise - im Persischen Golf.

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    Marginalie: War "nicht alles schlecht"?

    "Jeder vierte Deutsche sieht einer Umfrage zufolge auch gute Seiten des Nationalsozialismus – bei Befragten über 60 sogar mehr als jeder Dritte. In einer am Mittwoch vorab veröffentlichten Forsa-Umfrage für den "Stern" bejahten 25 Prozent der Teilnehmer diese Aussage." So berichtet Focus-Online; so berichten viele andere Medien.

    Ein Viertel der Deutschen also heimliche Sympathisanten der Nazis? Nein. Glücklicherweise nicht.



    Sehen wir uns die Formulierung der Fragestellung an, nachzulesen im gedruckten "Stern" auf Seite 36: "Hatte der Nationalsozialismus auch seine guten Seiten (Bau der Autobahnen, Beseitigung der Arbeitslosigkeit, niedrige Kriminalität, Förderung der Familie)?"

    Suggestiver geht's nimmer. Da wird den Befragten eine Liste dessen vorgelegt, was man - Sebastian Haffner hat das in dem Kaptitel "Leistungen" seiner "Anmerkungen zu Hitler" beschrieben - durchaus als Leistungen der Nazis betrachten kann; auch wenn Historiker Gründe haben, das zu relativieren. Gründe, deren Kenntnis man beim durchschnittlichen Befragten aber kaum voraussetzen kann.

    Erstaunlich jedenfalls scheint mir, daß bei einer derart suggestiven Formulierung der Frage drei Viertel der Befragten der Suggestion widerstanden und trotzdem "nein" gesagt haben.

    Ein bemerkenswerter Hinweis auf die demokratische Reife der Deutschen.



    Oder doch nicht? Es gibt da noch andere Daten. Am 24. September berichtete die "Welt" über eine Umfrage, die gemeinsam von Infratest dimap und dem Institut für Politikwissenschaft der Martin- Luther- Universität Halle- Wittenberg in Sachsen- Anhalt durchgeführt wurde. In dieser Umfrage urteilten laut dem Bericht "96 Prozent, dass in der DDR 'nicht alles schlecht' gewesen sei."

    Fast alle Sachsen- Anhaltiner verkappte Kommunisten? Keineswegs. Denn die meisten sind zufrieden mit der Bundesrepublik; nicht weniger als 79 Prozent bejahten die Aussage, daß die Demokratie die "beste aller Staatsideen" sei.



    Die Aussage "Es war nicht alles schlecht in (dem Nazi- Reich, der DDR)" kann offensichtlich unterschiedlich verstanden werden:
  • Erstens kann man das so verstehen, daß auch unter einem solchen Regime das Leben seine angenehmen Seiten hatte - man feierte, hatte Urlaub usw. Das ist in jeder Diktatur der Fall; selbst über die Zeit unter Saddam Hussein habe ich solche Berichte gelesen, wie man Abends am Euphrat dinierte usw.

  • Zweitens kann gemeint sein, daß auch das betreffende System, obwohl insgesamt verbrecherisch, positive Leistungen - beispielsweise im sozialen Bereich - vorzuweisen hatte. Ob man das bejaht, dürfte von der, sagen wir, Tiefe der Analyse abhängen. Bei oberflächlicher Betrachtung wird man das leicht bejahen wollen. Wer genauer überlegt, wird meist zu dem Ergebnis kommen, daß diese "Leistungen" durch negative Seiten des Regimes erkauft wurden.

  • Und drittens kann gemeint sein, daß das System in seinem Wesen positive Elemente hatte - daß also, sagen wir, das "Führerprinzip", der "demokratische Zentralismus", daß die Unterdrückung von Dissidenten, daß die von beiden Regimes betriebene "Erfassung" aller Bürger in Massenorganisationen etwas Positives seien.
  • Wer der Aussage in diesem dritten Sinn zustimmt, dem wird man Sympathien für das jeweilige System zuschreiben können. Aber nur ihm.

    Daß aber die 96 Prozent in Sachsen-Anhalt, daß die 25 Prozent bundesweit, die an der DDR bzw. am Nazi-System "nicht alles schlecht" gefunden haben, das in diesem dritten Sinn gemeint haben - dafür sehe ich keinen Anhaltspunkt.

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    21. Oktober 2007

    Ketzereien zum Irak (21): General Petraeus, Senatorin Clinton und die Zahl der zivilen Opfer

    Zu den vielleicht überraschendsten Mitteilungen, die General Petraeus bei seiner Zeugenaussage vor dem US-Kongreß machte, gehörte die Feststellung, daß die Zahl der zivilen Opfer im Irak stark gesunken sei. Am 11. September sagte er dort laut Washington Post:
    Civilian deaths of all categories, less natural causes, have also declined considerably, by over 45 percent Iraq-wide, since the height of the sectarian violence in December.

    Die Zahl der Todesfälle aller Arten bei Zivilisten, natürliche Ursachen abgezogen, ist ebenfalls erheblich zurückgegangen, im gesamten Irak um mehr als 45 Prozent seit dem Höhepunkt der konfessionellen Gewalt im Dezember.
    Das widersprach offenbar so sehr dem, was die US- Demokraten landauf, landab verkünden, daß noch in der Befragung des Zeugen Petraeus die Senatorin Hillary Clinton das genaue Gegenteil behauptete:
    The reports that you provide to us really require the willing suspension of disbelief. ... If you look at all the evidence that's been presented, overall civilian deaths have risen.

    Die Berichte, die Sie uns liefern, verlangen wirklich, mutwillig das zu glauben, was nicht zu glauben ist. ... Wenn man alle bekannten Fakten in Rechnung stellt, dann hat die Zahl der getöteten Zivilisten zugenommen.


    Es gehört zu den vorbildlichen Traditionen des US- Journalismus, daß man dort eine gewissermaßen unbändige Neigung hat, Fakten herauszufinden. Die Washington Post hat dazu eine eigene Rubrik namens Fact Checker. Dort hatte sich Michael Dobbs bereits einmal damit befaßt, welche der beiden Behauptungen über die Todesrate im Irak stimmt; und er hat jetzt noch einmal nachrecherchiert.

    Mit folgendem Ergebnis:

    Hillary Clinton hat so Unrecht, wie man überhaupt nur Unrecht haben kann. Es gibt schlicht keinen Beleg für ihre Behauptung.

    General Petraeus hat im Prinzip Recht, nur hätte er - meint Michael Dobbs - seine Aussage vorsichtiger formulieren sollen.

    Das "mehr als 45 Prozent" stimmt nämlich nur dann, wenn man - siehe diese Grafik - Daten aus zwei Quellen kombiniert: Die von den US-Streitkräften selbst ermittelten Todesfälle plus die zusätzlichen Todesfälle, die von den irakischen Behörden mitgeteilt wurden. Die letzteren zeigen den Rückgang erheblich ausgeprägter und sind vermutlich weniger zuverlässig. Darauf hätte - meint Michael Dobbs - der General aufmerksam machen sollen. (Und weil er das nicht getan hatte, bekam auch er einen "Pinocchio" verpaßt).

    Andererseits - auch das erwähnt Michael Dobbs - haben unabhängige Einrichtungen, darunter der sicher nicht Bush- freundliche Iraq Body Count, sogar einen noch stärkeren Rückgang ermittelt als die US-Streitkräfte.



    Ich habe von Beginn des Irak-Kriegs an die Informationspolitik des US-Militärs ziemlich aufmerksam verfolgt und hatte immer den Eindruck, daß man sich um eine ungeschminkte Darstellung der Tatsachen bemühte. Das hat sich auch an diesem Beispiel wieder bestätigt.

    Daß andererseits die Senatorin Clinton leichtfertig in einer solch zentralen Frage Dinge behauptet, die schlicht unwahr sind, scheint mir doch gewisse Zweifel an ihrer Eignung für die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten zu wecken. Beziehungsweise - was mich betrifft - die vorhandenen Zweifel zu bestätigen.

    Links zu den bisherigen Folgen der Serie "Ketzereien zum Irak" findet man hier. Für Kommentare und Diskussionen zu diesem Beitrag ist in "Zettels kleinem Zimmer" ein Thread eingerichtet. Wie man sich dort registriert, ist hier zu lesen. Registrierte Teilnehmer können Beiträge schreiben, die sofort automatisch freigeschaltet werden.

    19. Oktober 2007

    Zettels Meckerecke: Schafft die Rundfunkgebühren ab!

    Die Ministerpräsidenten der Länder haben - so lesen wir zum Beispiel in der FAZ - auf ihrer Jahrestagung beschlossen, die Rundfunkgebühren "aufkommensneutral zu vereinfachen". Jetzt sollen zwei Modelle geprüft werden. Und wie die Mühlen der Verwaltung so arbeiten - schon 2013 könnte es so weit sein, und die Gebühren sind vereinfacht. Ist das nicht schön?

    Nein, das ist nicht schön. Es ist so wenig schön wie die Idee, den Straßenraub zu vereinfachen, und zwar aufkommensneutral, indem man die Ganoven mit einer einheitlichen Bewaffnung ausstattet.

    Denn diese "Gebühren" als solche sind ein Unding. Ein Atavismus. Ein klassisches Beispiel dafür, wie aus etwas Sinnvollem Unsinn wird, wie dieser Unsinn ein Eigenleben gewinnt und weiterbesteht; gerechtfertigt allein dadurch, daß es ihn nun einmal gibt.



    In Postkutschen saßen die Passagiere einander gegenüber, drei oder vier auf jeder Bank. Als man die ersten Eisenbahnen baute, bestand ein "Waggon" aus mehreren solchen Postkutschen- Einheiten, die man auf ein gemeinsames Fahrgestell gesetzt hatte.

    Und damit war das "Abteil" in der Welt, das die Fahrgäste in diejenigen Sitzpositionen brachte, wie sie eben in der Postkutsche bestanden hatten - einander gegenübersitzend, in der gar auch noch durch eine Tür abgeschlossenen trauten Isoliertheit ihres Coupés.

    Das blieb rund eineinhalb Jahrhunderte so. Anfangs waren alle Wagen so aufgebaut; später immer noch die D-Zug-Wagen. Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, als man merkte, daß in einem Eisenbahnwagen die Fahrgäste vernünftigerweise so sitzen sollten wie im Flugzeug schon immer - bequem in Reihen hintereinander, statt in ihr "Abteil" gesperrt, Fremden gegenübersitzend, die man je nach Temperament stumm beäugte oder in ein Gespräch zu verwickeln trachtete; deren persönliche Gespräche untereinander auch dem Ohr der Abteilgenossen ungeschützt ausgeliefert waren.



    Für diese "Abteile" hatte es keinen anderen Grund gegeben als den, daß man zur Zeit der Postkutsche so gesessen hatte. Sie waren ansonsten ein Unding; nicht konstruktionstechnisch gerechtfertigt, nicht dem Reisekomfort dienend.

    Ebenso gibt es für die Rundfunkgebühren keine andere Rechtfertigung als die, daß sie 1923 sinnvoll waren, als mit der Einführung des Rundfunks auch die Gebühren erfunden wurden.

    Denn damals war der Rundfunk eine rein staatliche Veranstaltung, und es gab wenige Nutznießer - ganze 467 am Jahresende. Die Zahl stieg dann zwar schnell, aber es war immer noch eine Minderheit, die Rundfunk empfing, und dieser war immer noch eine staatliche Leistung. Es war vernünftig, daß der Staat für diesen Service eine Gebühr erhob - so wie, sagen wir, für die Fahrt mit der Reichsbahn oder den Besuch der Staatsoper.

    Offensichtlich bestehen diese Bedingungen heute nicht mehr. Nur noch eine Minderheit der Programme wird überhaupt von Öffentlich- Rechtlichen produziert. Andererseits sind die "Rundfunkteilnehmer" keine Minderheit mehr, sondern faktisch jeder Haushalt hat Radios und TV-Geräte; sehr oft etliche pro Haushalt. Mit vielen Handys kann man inzwischen Radio hören, in so gut wie jedem Auto ist ein Radio.

    Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist damit ein Teil der Infrastruktur geworden, die der Staat der Bevölkerung zur Verfügung stellt. Es gibt keinen Grund, warum er nicht - ebenso wie das Straßennetz, das Schulsystem, die Ausgaben für Umweltschutz usw. - aus Steuermitteln finanziert werden sollte.



    Aus Steuermitteln finanziert werden sollte in dem Umfang, in dem er vernünftig ist und nicht vielmehr durch private Anbieter ersetzt werden sollte. Daß Harald Schmidt und Jürgen Gottschalk nicht ebenso bei Privaten ihre Späßchen machen könnten wie bei ARD und ZDF - das wird man schwer begründen können. Wieso brauchen wir den Staat, um uns unterhalten zu lassen?

    Aber einen Kernbereich des Fernsehens, des Rundfunks, der sich privat nicht rechnen würde, sollte schon der Staat anbieten. Sender wie Arte, Phoenix, Bayern Alpha, wie den Deutschlandfunk und das Deutschlandradio Berlin würde ich ungern missen.

    Ein solches Programmangebot aus Steuergeldern zu finanzieren wäre aber wahrscheinlich nicht teurer als jetzt allein die Verwaltungskosten der GEZ.

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