25. Oktober 2007

Ist der Islam eigentlich wichtig; ist es der terroristische, der totalitäre Islamismus?

Der Islam interessiert mich nicht. Ich werde nicht Arabisch lernen, um den Koran lesen zu können, um die Auseinandersetzungen zwischen den Spielarten des Islam verstehen zu konnen. Wenn ich mich einmal mit Religionen beschäftigen sollte, dann mit dem Judentum und mit dem Buddhismus - zwei Religionen philosophischen Zuschnitts.

Was mir der Islam, diese Verkündigungsreligion, überhaupt nicht zu sein scheint. Er scheint mir im wesentlichen in Vorschriften zu bestehen, die einzuhalten die Gläubigen verpflichtet sind, und ein paar schlichten Glaubenssätzen, die sie vermutlich just wegen ihrer Schlichtheit inbrünstig glauben. Die Gelehrten des Koran befassen sich, so scheint mir, hauptsächlich damit, zu entscheiden, was erlaubt und was verboten ist.

Naja, vielleicht irre ich mich da. Ich verstehe halt nichts vom Islam.

Ja, aber muß man sich denn nicht mit dem Islam befassen, weil er politisch so bedeutsam ist? Weil Moslems nach Europa einwandern, in solchen Scharen, daß manche gar eine "Islamisierung" Europas fürchten? Weil es einen kriminellen Islamismus gibt, der mit seinen Verbrechen weltweit die Völker zu terrorisieren trachtet?

Weil ein islamisches Land, Pakistan, schon die Atombombe hat und ein zweites, der Iran, dabei ist, sie zu bauen? Weil im Irak eine Schlacht zwischen demokratischem Fortschritt und der Rückständigkeit einander und den Westen bekriegender Frommer geschlagen wird?



Gewiß, das sind gegenwärtige Probleme, es sind aktuelle Krisenherde.

Aktuell freilich auch in dem Sinn, daß diese Themen erst seit ein, zwei Jahrzehnten so viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Verwandten vor vielleicht fünfzehn Jahren, der einen rechtskonservativen Informationsdienst, die "Vertraulichen Mitteilungen", bezog. Dort hatte er viel von der Gefahr des Islamismus gelesen und versuchte mir das nahezubringen. Ich hielt das für abwegig; so wie wohl fast alle, die sich damals für Politik interessierten. Propaganda von rechtsaußen, so sah man das seinerzeit.

Nun, heute ist diese Präokkupation mit dem Islam längst kein "rechtes Thema" mehr. Gewiß nicht ohne Grund; sicherlich aufgrund der Ereignisse, die seither stattgefunden haben. Nicht zuletzt dadurch, daß die Bedrohung Israels, die lange Zeit von säkularen nationalistischen, oft auch sozialistischen arabischen Organisationen ausging, immer mehr zu einer Bedrohung durch islamistische Gruppen geworden ist.

Aber sind das sozusagen säkulare Ereignisse? Ereignisse, die unsere Epoche prägen? Hat sich an der Bedrohung Israels etwas fundamental geändert dadurch, daß nicht mehr die PLO und die PFLP es von der Landkarte tilgen wollen, sondern die Hamas und die Hisbollah? Wird für spätere Geschichtsschreiber einmal der Islamismus im Mittelpunkt dessen stehen, was sie über die ersten Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts schreiben?



Ich bezweifle das. In der kleinen Serie über die Misere Arabiens habe ich argumentiert, daß der Islamismus wesentlich eine Folge der Rückständigkeit des arabischen Kulturkreises ist; und ich habe auf einen der Faktoren aufmerksam gemacht, die meines Erachtens dafür kritisch sind: Arabien wurde nicht von einer westlichen Macht kolonisiert, sondern es gehörte Jahrhunderte zum rückständigen Osmanischen Reich.

Der Erfolg vieler Staaten in den Teilen der Welt, die einmal die "Dritte Welt" hießen, beruhen auf Kultur und Bildung, vor dem Hintergrund einer eigenen alten Hochkultur (China, Japan, Indien) und/oder der Kultur, die von Kolonialherren übernommen wurde (Indien, die meisten anderen der heute erfolgreichen Schwellenländer).

Die Araber aber haben eine jahrhundertelange Geschichte als Untertanen des Osmanischen Reichs hinter sich. Es fehlt ihnen - so habe ich in der Serie argumentiert - dadurch noch die Voraussetzung dafür, den Weg Indiens, Chinas oder auch Malaysias und Indonesiens zu gehen.



Wenn das richtig ist, dann ist der Islamismus ein vorübergehendes Phänomen. Auch die Länder des arabischen Kulturkreises werden den Weg in die Moderne gehen, und auch dort werden religiöse Fanatiker, sobald die Moderne Einzug gehalten hat, wieder eine kleine, radikale Minderheit ohne politischen Einfluß sein; so, wie überall auf der Welt.

Deshalb glaube ich nicht, daß in der Sicht späterer Historiker der Islamismus eine herausgehobene Rolle in der Geschichte der ersten Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts spielen wird.

Was sie einmal als die zentralen Charakteristika unserer Epoche sehen werden, das ist, da wir noch mitten in dieser Epoche stecken, naturgemäß schwer zu sagen. Man braucht Distanz, um ein Zeitalter charakterisieren zu können.

Es gibt da viele Möglichkeiten: Vielleicht wird es der jetzt heraufziehende amerikanisch- chinesische Konflikt sein, der unser Zeitalter so kennzeichnet, wie der Kalte Krieg die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Vielleicht wird es der Zerfall Afrikas sein, vielleicht ein Wiedererstehen des Kommunismus in Lateinamerika. Vielleicht sind es auch - obwohl ich das für eher unwahrscheinlich halte - klimatische Veränderungen, die einmal als das Hauptmerkmal unseres Zeitalters gelten werden.

Vielleicht wird man aber auch unser Zeitalter, wie ich hier optimistisch vermutet habe, als dasjenige charakterisieren, in dem sich im Rahmen der Globalisierung Aufklärung, Kapitalismus, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit weltweit durchzusetzen begonnen haben.

Der Islam jedenfalls wird, da bin ich ziemlich sicher, im Rückblick keine große Rolle spielen. Vielleicht wird man in seinem jetzigen Boom einen letzten Nachklapp des religiösen Zeitalters sehen, das mit der Aufklärung zu Ende ging.

Und gar der terroristische Islamismus, der islamistische Totalitarismus, wie er in Afghanistan herrschte und wie er immer noch im Iran herrscht - ich denke, ihn wird man als die letzte Variante des Totalitarismus sehen, der mit dem Kommunismus, dem Nazismus und dem Faschismus die Mitte des 20. Jahrhunderts prägte.

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