28. Februar 2009

Zitat des Tages: Die Modernität des Islamismus

Because of its emphasis on returning to Islamic purity, and its apparent — indeed noisy — rejection of modernity, most people failed to notice how modern a phenomenon Islamism was, not just in time but in spirit.

(Weil er die Rückkehr zum reinen Islam betont und weil er scheinbar, ja lautstark die Moderne ablehnt, wird meist übersehen, was für ein modernes Phänomen der Islamismus ist - nicht nur von seiner zeitlichen Entstehung her, sondern auch, was seinen Geist angeht.)

Theodore Dalrymple in der Zeitschrift City Journal des Manhattan Institute in einem Aufsatz "The Persistence of Ideology" (Das Fortbestehen der Ideologie).

Kommentar: Der Islamismus ist keine Religion, sondern eine politische Bewegung. Er ist die letzte der totalitären Bewegungen des Zwanzigsten Jahrhunderts - nach dem Faschismus, dem Kommunismus und dem Nazismus.

Er ist eine Bewegung mit allen Kennzeichen des Totalitarismus:

Mit einer für alle Bürger verbindlichen Ideologie, die vor allem die "Gemeinschaft" betont (die Volksgemeinschaft, die sozialistische Menschengemeinschaft, die Gemeinschaft der Gläubigen (Umma)); die einen übergreifenden geschichtlichen Zusammenhang herstellt (des Kampfs der "Rassen", des Klassenkampfs, der Kampfs gegen die Ungläubigen); die das Heil verspricht; die eine Welterklärung liefert bis hin zur Erklärung dafür, daß es Feinde der betreffenden Ideologie gibt (weil sie "fremdrassig" sind; weil sie der Klasse der Ausbeuter angehören; weil sie nicht vom Licht des Glaubens erleuchtet sind).

Gewinnt eine solche totalitäre Ideologie die Herrschaft, dann schafft sie einen Einparteienstaat mit der vollständigen Überwachung der Bürger durch eine Geheimpolizei; mit Folter, Verschleppungen und Hinrichtungen als Instrumenten der Einschüchterung; mit einer staatlich kontrollierten Wirtschaft; mit dem Hineinregieren des Staats in alle Lebensbereiche, bis in die Familie, in die Gestaltung der Freizeit. (Für den Faschismus, der ja mit dem Nazismus nur wenig Ähnlichkeit hatte, gilt das alles nur teilweise).

Warum wird diese offensichtliche Übereinstimmung oft nicht gesehen?

Teils, scheint mir, weil unter dem Einfluß der Kommunisten das Phänomen des Totalitarismus als solches oft noch geleugnet wird. Die Kommunisten haben natürlich jedes Interesse daran, es zu leugnen, weil die offensichtlichen Übereinstimmungen zwischen dem kommunistischen und dem NS- Herrschaftssystem verschleiert werden sollen. Die simple empirische Tatsache des Totalitarismus wird als eine "Totalitarismus- Theorie" abgetan.

Was speziell den Islamismus angeht, mag Unwissen eine Rolle spielen. Daß der Islamismus eine Ideologie ist, die im 20. Jahrhundert entstanden ist, die also auf bestimmte Autoren und Gruppierungen zurückgeht, ist oft nicht bekannt. Viele meinen, der Islamismus verhalte sich zum Islam wie, sagen wir, der Kapitalismus zum Kapital.

Theodore Dalrymple geht vor allem auf einen der Väter des Islamismus ein, den Ägypter Sayyid Kutub, den Theoretiker der Moslem- Bruderschaft, auf die beispielsweise die Kaida wesentlich zurückgeht. Er zeigt anhand von Zitaten, wie Aussagen von Kutub bis in die Einzelheiten mit denen von Lenin übereinstimmen.



Dalyrymples hauptsächliches Thema in dem Aufsatz ist die Frage, warum das Zeitalter der Ideologien nicht mit dem Scheitern des Kommunismus zu Ende gegangen ist, sondern im Islamismus (und, wie er meint, im Ökologismus) seine Fortsetzung gefunden hat. Seine Antwort erscheint mir einleuchtend:
... in many parts of the world, the number of educated people has risen far faster than the capacity of economies to reward them with positions they believe commensurate with their attainments. Even in the most advanced economies, one will always find unhappy educated people searching for the reason that they are not as important as they should be.

... in vielen Teilen der Welt ist die Zahl der gut Ausgebildeten schneller gestiegen als die Kapazität der Volkswirtschaften, sie mit Positionen zu belohnen, die ihnen dem, was sie erreicht haben, angemessen erscheinen. Selbst in den fortschrittlichsten Volkswirtschaften wird man immer gut Ausgebildete finden, die unglücklich sind und die nach dem Grund dafür suchen, daß sie nicht so wichtig sind, wie es ihnen zustehe.
Diese Schicht, meint Dalrymple, sei der hauptsächliche Träger von Ideologien.

Eine sicher nicht neue These, aber eine, von der ich mir doch wünschen würde, daß sie allgemeiner anerkannt wird, als das bisher der Fall ist.

Es sind nicht die "benachteiligten Massen", die aus sich heraus anfällig für Ideologie wären. Dafür denkt der Angehörige dieser Schicht viel zu praktisch und realitätsnah. Sein Bedürfnis ist es nicht, Ursprung und Ziel der Geschichte zu verstehen, sondern seine Familie ordentlich zu ernähren und sich einen Fernseher und ein Auto leisten zu können. Kein Volk der Welt ist in seiner Mehrheit anfällig für Ideologie.

Vielen von denen, die Dalrymple die "educated people" nennt - ich habe das mit "gut Ausgebildete" übersetzt, denn gebildet müssen sie keineswegs sein - genügt das aber nicht. Sie erleben die Diskrepanz zwischen dem, was sie, die Absolventen einer Hochschule (oft auch nur einer Fachhochschule oder dergleichen), im Leben sind und dem gesellschaftlichen Rang und Einkommen eines ungebildeten Geschäftsmanns, eines Militärs, eines Anghörigen der Feudalschicht.

Mit kaum etwas kann man sein derart gekränktes Selbstwertgefühl so aufrichten wie mit dem schönen Gefühl, den Schlüssel zum Verständnis der Welt zu besitzen. Zumal, wenn man daraus das Recht ableitet, andere zu bevormunden und am Ende auch in der sozialen Hierarchie ganz oben anzukommen.

Dank des Glaubens an die Ideologie vom Volksschul- Lehrer zum NS-Bonzen, vom Dorfgeistlichen zum mächtigen Ayatollah, vom Studenten zum Polit- Kommissar. Solche Karrieren haben im Zwanzigsten Jahrhundert die totalitären Staaten geprägt. Heute findet man sie dort, wo Islamisten regieren.



Mit Dank an Thomas Pauli. Für Kommentare bitte hier klicken.

"So macht Kommunismus Spaß" (7): Dutschke und Genossen als Revolutionäre. Räteherrschaft in Westberlin. "Dieser revolutionäre Kampf ist furchtbar"

Die meisten Versuche, die Geschichte der RAF aufzuarbeiten, konzentrieren sich, wie in der letzten Folge beschrieben, auf die Angehörigen dieser Gruppe und ihre persönliche Vorgeschichte. Das wäre gerechtfertigt, wenn der Weg zur gewaltsamen Revolution in Deutschland das Ergebnis eines sozusagen einsamen Entschlusses dieser Gruppe gewesen wäre.

Das ist aber nicht der Fall. Was die Angehörigen der RAF von Dutschke, Semler und den anderen Anführern der "Studentenbewegung" unterschied, war nicht die Entschlossenheit zur Revolution, sondern die Bereitschaft, diesen Entschluß auch in die blutige Tat umzusetzen.

Wie sehr aber bereits die nach außen hin alles in allem friedlich auftretenden Anführer vor allem aus dem SDS auf Revolution und Gewalt setzten, kann man erst ermessen, wenn man interne Dokumente heranzieht - Rudi Dutschkes Tagebuch zum Beispiel; Papiere, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren; Protokolle von Besprechungen, auch Spitzelberichte darüber.

Dieses Material aufgearbeitet zu haben ist das Verdienst von Götz Aly mit seinem Buch "Unser Kampf. 1968 - ein irritierender Blick zurück". Auf die Schwächen dieses Buchs habe ich in der vergangenen Folge hingewiesen. Sein Verdienst, dieses Material erschlossen und zusammengestellt zu haben, ist davon unberührt. Wenn nicht anders angegeben, stütze ich mich auf sein Buch.



Die Rede ist im folgenden nicht von "den Studenten" oder "den Achtundsechzigern". Da gab es viele Gruppen und Strömungen, wie in der letzten Folge beschrieben. Es geht um die Pläne, die in der Gruppe der Anführer kursierten - von Leuten wie Rudi Dutschke, Bernd Rabehl, Wolfgang Lefèvre, Christian Semler.

Welches war deren politisches Ziel? Wie wollten sie es erreichen?

Laut Johannes Agnoli, etwas älter als diese Studenten, aber auf ihrer Linie, war das Ziel "die Organisation des Klassenkampfs und die Desintegration der Gesellschaft [als der] erste Schritt zur Verwirklichung der Demokratie".

Wie das politische System der "Demokratie" aussehen sollte und wie man dahin kommen wollte, erläuterten im Jahr 1968 Rudi Dutschke, Bernd Rabehl und Christian Semler in einem Gespräch mit Hans- Magnus Enzensberger, das im "Kursbuch" abgedruckt wurde.

Aly zitiert kurz daraus. Ich habe jetzt - zum ersten Mal wieder seit vierzig Jahren - die betreffende Nummer des "Kursbuchs" (14/1968) in die Hand genommen. Beim Beginn des Gesprächs auf Seite 146 hatte ich ein Lesezeichen eingelegt; ich muß es also damals für wichtig gehalten haben.

Enzensbergers Gesprächspartner sind sich völlig einig darüber, daß es um nichts weniger als "die Revolution" geht; und sie verstehen darunter einen gewaltsamen Umsturz. Bernd Rabehl (S. 154):
Wir sollten die Frage stellen, welche gesellschaftlichen Schichten bereit sind, bis zur radikalen Gewalt zu gehen; das System zu beseitigen. Wir sollten z.B. die Versuche der amerikanischen Liberalen sehr hoch einschätzen, wir sollten uns darüber nicht erheben, wir sollten aber wissen, daß sie unfähig sind, den letzten Schritt zu tun, die Sprache der Gewalt zu sprechen.
Man war sich in der Runde offenbar einig, daß es bei Studenten, überhaupt allgemein der Intelligenz, an Bereitschaft zur revolutionären Gewalt hapert und diskutierte folglich darüber, was man dagegen tun könne. Dutschke trat (S. 156) für die Schaffung eines "Gegenmilieus" durch den Kampf ein, so daß
aus Gruppen, Individuen, Schichten, daß aus diesem ganzen Brei durchaus - nicht durch Selbstbewegung, sondern durch kämpferische Auseinandersetzung mit der staatlichen Exekutive - eine Basis ... in Gestalt von Gegenmilieu entstehen kann.
Semler dagegen setzte (S. 157) eher auf die Gewaltbereitschaft des Proletariats:
Der Vergleich zwischen Demonstrationsformen von Studenten und Arbeitern in anderen Ländern zeigt uns ganz deutlich, daß für die Arbeiter im Grunde jede Demonstration den Keim des Bürgerkrieges in sich trägt.
Man kam dann (S. 161) auf die Illegalität zu sprechen, die sowohl Dutschke ("den Schritt zu tun zum Widerstand, zur Desertion, zur Unterstützung der Desertion, zur illegalen Arbeit") als auch Rabehl ausdrücklich befürworteten. Rabehls Kommentar dazu liest sich fast wie das Konzept der RAF:
Illegalität, wenn sie nicht dilettantisch bleiben will, bedeutet, daß man gegen den Staatsapparat operiert, daß also gerade das psychische Moment des Friedens zurückgenommen wird und eine streng disziplinierte Organisation entsteht. Eine illegale Organisation bedeutet aber auch die Entwicklung neuer Bedürfnisse: direkte Solidarität, direkte Freundschaft zu den einzelnen Mitgliedern dieser Organisation (...) Insofern glaube ich, daß sich in einer illegalen Organisation Ansätze zu einer neuen Gesellschaft bilden können.



Waren das Spinnereien für den Sankt- Nimmerleinstag? Keineswegs. Beabsichtigt war die Revolution zunächst in Westberlin, und zwar innerhalb der nächsten Jahre (siehe unten). Das Ziel war eine Räteherrschaft in der Art der Pariser Commune, die dann sowohl in die DDR als auch die Bundesrepublik ausstrahlen und auch dort Revolutionen in Gang setzen sollte

Es gab auch schon ganz konkrete Überlegungen für Ausübung der Herrschaft nach der Revolution. Rabehl (S. 166): "Aber nun noch eine andere Frage: Was machen wir mit den Bürokraten? (...) Ein Großteil der Bürokraten wird nach Westdeutschland emigrieren müssen". Dutschke widersprach: "Niemand darf weggeschickt werden, sondern alle sind produktive Kräfte".

Und Semler steuerte (S. 170) die Idee bei: "Zum Beispiel darf es nie mehr Richter geben, darf es nie mehr einen Justizapparat geben". Auch Dutschke ging (S. 171) davon aus, "daß die Juristerei und die Polizei abgeschafft wird".

Das waren, wie gesagt, nicht Utopien für eine ferne Zukunft. Es war das, was man in Westberlin nach der Revolution machen wollte, die man dort unmittelbar vorbereitete.

Unter dem Pseudonym R.S. beschrieb Rudi Dutschke am 12. Juni 1967 in einer Publikation namens "Oberbaumblatt" im Detail, wie er sich die Revolution in Westberlin vorstellte: Die staatlichen Institutionen sollten einer "kontinuierlich gesteigerten Belastung ausgesetzt" und "tief erschüttert" werden.

Mit welchen Mitteln, notierte er in seinem Tagebuch: "Gegengewalt demonstrieren und praktizieren (Schutztruppe - Karateausbildung - bei Knüppeleinsatz - Molotowcocktails)".

Das Ergebnis sollte sein, daß "Parlament, Parteien und Exekutive" abgeschafft sind.

Die Westalliierten würden sich dieser Revolution nach Dutschkes Ansicht nicht in den Weg stellen, weil sie vor einem Blutbad zurückscheuen würden. Allerdings sollten sie für die Revolution sehr wohl eine Rolle spielen, nämlich "einige Sondermaschinen für den Abtransport der funktionslos gewordenen Politiker und Bürokraten" zur Verfügung stellen. Ein Jahr später, in dem Gespräch mit Enzensberger, hatte Dutschke in diesem Punkt seine Meinung offenbar geändert.

Am 24. und 25. Juni 1967 fand im Metaller- Heim Berlin- Pichelsdorf so etwas wie eine Strategie- Tagung der Revolutionäre statt; zu den Teilnehmern gehörten Dutschke, Rabehl, Semler und Lefèvre.

Und es nahm Dietrich Staritz teil, ein Spitzel des Verfassungsschutzes (und auch der Stasi). In seinem Bericht werden die Maßnahmen aufgelistet, die zur Machtergreifung führen sollten.

Man einigte sich auf eine Revolution in fünf Stufen. Sie reichten von einer "Verstärkung der politischen Unruhe durch studentische Demonstrationen und Willenskundgebungen" über den "Versuch, wilde Streiks zu organisieren, in deren Verlauf sich spontan Räte bilden könnten" bis zu einer "Massenbewegung, die in der Lage sein könnte, den Senat, sprich die bisherige politische Obrigkeit aus den Angeln zu heben". Das alles sollte in einem Zeitraum von fünf bis zehn Jahren zur Machtergreifung führen.

Ja, zur Machtergreifung. Zwei Tage nach dieser Konferenz notierte Dutschke in seinem Tagebuch: "In der Kneipe 'Machtergreifungsplan' 'ausgepackt". Riesige Überraschung".



Eine "riesige Überraschung" hätte vermutlich auch viele der protestierenden Studenten erfaßt, wenn sie gewußt hätten, daß es ihren Anführern - jedenfalls dieser dominierenden Gruppe - nicht um eine Reform der Universität ging (diese sollte abgeschafft werden) und auch nicht um eine Reform der Gesellschaft. Es ging ihnen um die Revolution.

Gewalt wurde dabei ausdrücklich nicht ausgeschlossen.

In seinem Tagebuch schwärmte Dutschke geradezu von der Gewalt in der Dritten Welt ("Che lebt und arbeitet in Bolivien. (...) Kämpfen schon mit Raketenwaffen!! Vietcong erst vor kurzem erhalten!")

Und in einem Brief, den Dutschke zusammen mit Gaston Salvatore 1967 an das Exekutivsekretariat einer internationalen linken Organisation namens OSPAAL richtete, heißt es:
Der Kampf allein bringt die Herstellung des revolutionären Willens. Dieser revolutionäre Kampf ist furchtbar, aber furchtbarer würden die Leiden der Völker sein, wenn nicht durch den bewaffneten Kampf der Krieg überhaupt von den Menschen abgeschafft wird.


Das bisher Zitierte könnte man wohlwollend noch so interpretieren, daß die Revolutionäre zwar Gewalt in der Dritten Welt befürworteten, daß sie aber meinten, in Westberlin und dann in ganz Deutschland die Machtergreifung auch ohne unmittelbare physische Gewalt hinzubekommen - als eine friedliche Revolution, wie sie zwanzig Jahr später in der DDR Wirklichkeit werden sollte.

Aber die Dokumente besagen etwas anderes. Wie Dutschke, Rabehl und Semler offen über Gewalt diskutierten, habe ich schon zitiert. 1968 forderte ein anonymer Autor im "FU-Spiegel", dem Berliner Studentenblatt, das damals fest in der Hand des SDS war, "Psychoterror gegen Richter und Staatsanwälte".

Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes wurden im selben Jahr auf einer Delegiertenkonferenz des SDS Flugblätter mit Anleitungen zur Herstellung von Sprengmitteln verteilt.

Am 1. November desselben Jahres wurden Brandbomben gegen das Frankfurter Justizgebäude geworfen. Im April 1969 fand eine Delegiertenkonferenz des SDS in Frankfurt statt, auf der auch eine "Gruppe Technologie" auftrat. Deren Thesenpapier begann mit einer Anleitung zum Bau von Molotow- Cocktails.



Gewiß gab es bei Dutschke und Genossen keine Pläne zur gezielten Ermordung von Menschen. Sie ließen offen, wie sich die "revolutionäre Gewalt" in Deutschland entwickeln würde. Aber Gewalt hielten sie für erforderlich.

Die beiden Strategie- Papiere der RAF - "Das Konzept Stadtguerilla" und "Über den bewaffneten Kampf in Westeuropa" - waren radikalere Konkretisierungen dessen, was Dutschke und Genossen wollten. Die Strategie der RAF basierte auf der ja nicht falschen Erkenntnis, daß "die Macht aus den Gewehrläufen kommt", wie ein damals vielzitiertes Mao-Wort lautete.

Dutschke und Genossen hatten das für Asien und für Lateinamerika akzeptiert und das dortige Blutvergießen befürwortet. Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und ihre Genossen zogen die logische Konsequenz, es auf Westeuropa auszudehnen, nachdem sie zu der Einsicht gekommen waren, daß anders die sozialistische Revolution nicht würde gelingen können.

Die Revolution, die sie ebenso wollten wie Dutschke und Genossen. Als dieser am Grab von Holger Meins sein berühmtes "Holger, der Kampf geht weiter!" sprach, haben sich viele gewundert, wieso Dutschke sich derart mit einem Terroristen solidarisieren konnte.

Es war aber ein- und derselbe Kampf, den Dutschke und Meins geführt hatten. Nur mit verschiedenen Mitteln.



Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier.

27. Februar 2009

Zitat des Tages: Barack Obamas Mogelpackung. John McCain sagt, wie es ist

The American people should be clear: The president's plan, even after the end of its withdrawal timeline is reached, will leave in place up to 50,000 U.S. troops. All will be in harm's way, and some will continue to conduct combat operations. (...) They will play a vital role in consolidating and extending the remarkable progress our military has made since early 2007.

(Das amerikanische Volk sollte sich im Klaren sein: Der Plan des Präsidenten wird auch dann, wenn der Termin für das Ende das Abzugs erreicht ist, bis zu 50.000 Mann US-Truppen in Stellung lassen. Sie alle werden im Feindeinsatz sein, und einige werden Kampfaufträge haben. (...) Sie werden eine lebenswichtige Rolle dabei spielen, den bemerkenswerten Fortschritt zu sichern und auszubauen, den unsere Militär seit Anfang 2007 gemacht hat.)

John McCain in seiner Stellungnahme, in der er den Truppenabzugsplan von Präsident Obama für den Irak guthieß.

Kommentar: Jetzt ist es entschieden: Barack Obama kümmert sich nicht um sein Geschwätz von gestern. Was er seinen Wählern erzählt hat, ist für ihn Makulatur.

Der Plan, den er heute verkündet hat, liegt vollkommen auf der Linie der Politik von Präsident Bush und entspricht dem, was John McCain im Wahlkampf befürwortet hatte.

Präsident Bush hatte mit der Regierung des Irak bekanntlich einen Abzugsplan ausgehandelt, der den vollständigen Abzug der US-Truppen aus den irakischen Städten bis zum 30. Juni 2009 und den Abzug aller Truppen aus dem Irak bis zum 31. Dezember 2011 festschreibt.

Wenn Obama jetzt einen Abzug von rund zwei Dritteln der jetzigen Truppen (rund 140.000) zum 31. August 2010 ankündigt, so daß 50.000 verbleiben, dann liegt das vollständig in dem von Bush ausgehandelten Zeitplan.

Nur hätte Bush nicht die Chuzpe gehabt, das als Truppenabzug zu verkaufen.

Freilich: Wenn man genau liest, dann tut das auch Obama nicht: Er hat gesagt:

Obama: "Let me say this as plainly as I can: by August 31, 2010, our combat mission in Iraq will end." Lassen Sie mich das so deutlich sagen, wie ich kann: Am 31. August 2010 wird unser Kampfauftrag im Irak enden.

Der "Kampfauftrag wird enden". Und ein neuer beginnt für die verbleibenden 50.000 Mann - weit mehr, als derzeit in Afghanistan sind -, die under a new mission of training, civilian protection and counterterrorism" bleiben werden - mit einem neuen Auftrag der Ausbildung, des Schutzes ziviler Einrichtungen und des Kampfs gegen den Terrorismus.



Es ist eine Mogelpackung, was Obama heute präsentiert hat. Obama setzt exakt die Politik von George W. Bush fort, verpackt sie aber so, daß der Anschein entsteht, er verfolge eine neue Politik.

Daß Obama damit sein Versprechen aus dem Wahlkampf bricht, ist gut für die USA, ist gut für die Iraker.

Diejenigen freilich, die Barack Obama gewählt haben, weil er angeblich im Irak alles anders machen wollte, werden jetzt vielleicht ein wenig verwundert sein.



Für Kommentare bitte hier klicken.

Marginalie: In diesen trüben Zeiten mal eine gute Nachricht. Dittsche kommt wieder!

Eben habe ich nachgesehen, wie oft ich in diesem Blog schon Dittsche zitiert oder erwähnt habe: In nicht ganz einem Dutzend Artikeln. Wenn Sie es nachprüfen wollen, geben Sie einfach "Dittsche" in die Suchfunktion (links ganz oben) ein.

Ich bin also ein Fan von Dittsche. Jetzt kommt er wieder. Und das Schönste: Er kommt wieder am Sonntag. Als der WDR ihn schnöde auf den Samstag verschoben hatte, habe ich ihn prompt ständig verpaßt.

Dittsche gehört für mich zum Sonntag Abend, wie danach der "Kommissar" in 3Sat. Der eine eine nostalgische, aber auch spannende Erinnerung an die siebziger Jahre. Der andere, Dittsche, derjenige, der uns die Welt von heute erklärt.

Wie? Und wie!

Anfang und Ende einer Folge sind sozusagen genormt: Ingo, der Imbißwirt, sieht durch die Scheibe, daß Dittsche im Anmarsch ist, und murmelt seufzend "Chefvisite". Dann geht die Tür auf. Dittsche erscheint, "Mahlzeit!" rufend, in seinem Bademantel, in der Hand die Plastiktüte mit den leeren Bierflaschen, die er auf den Tresen stellt.

Und los geht's. Bis sich, wenn die halbe Stunde verflogen ist, Dittsche an den bis dahin stumm dasitzenden Gast "Schildkröte" wendet und ihn anspricht. Worauf dieser antwortet: "Halt die Klappe, ich hab Feierabend!".

So ist es. So ist es meist, fast immer. Wenn es einmal eine Abweichung gibt - wenn zum Beispiel Schildkröte mehr als diesen einen Satz sagt -, dann ist das ein Ereignis.



Was ereignet sich sonst? Ein Tresengespräch. Ein Kneipengespräch.

Sie sind ja seltener geworden, diese Kneipen mit dem Tresen, an dem man manchmal auf Barhockern sitzt, meist aber steht. In denen sich Hinz und Kunz treffen und über Gott und die Welt reden. Manchmal mit schwerer, meist aber mit vom Bier und den Klaren gelöster Zunge.

Also wird schwadroniert. Die Gespräche bewegen sich von Thema zu Thema, wie eine Mücke im Zickzack durch die Stube fliegt. Schwer zu klatschen, denn kaum ist sie irgendwo, ist sie schon woanders.

So erratisch sind sie typischerweise, diese Kneipengespräche. Und aufgeladen mit Wissen; ehrlicher gesagt: Mit Besserwisserei. Auch da wirkt der Alkohol lösend. Im nüchternen Zustand verbietet es uns die gute Erziehung, mit Wissen und Ideen zu prahlen; abstruse Gedanken so zu verteidigen, als seien sie "Weltideen".

"Weltideen", die produziert Dittsche; so nennt er sie. Er sprudelt geradezu über vor Weltideen, wenn er mit Ingo - nein, nicht plaudert, sondern um sein Leben diskutiert.

Das ist das sozusagen minimalistisch reduzierte Kneipengespräch. Nur der Wirt und ein einziger Gast (außer dem zweiten, der, auch das ist festes Ritual, gegen Ende der Sendung kurz auftaucht; eigentlich kein Gast, sondern einer, der im Imbiß einkauft). Der Gast also weitgehend sich selbst überlassen, mit dem Wirt Ingo als Sidekick, der Fragen stellt, Zweifel anmeldet, oft den Kopf schüttelt.

Der auch den immer mal wieder ungezogenen und ungesteuerten Dittsche väterlich zurechtweist. Einmal hatte er sogar Lokalverbot; aber wir wußten natürlich, daß Ingo das nicht lange würde durchhalten können. Dazu mag er ihn viel zu sehr, diesen Aufschneider, diesen von gutem Willen überfließenden Idealisten, diesen Underdog, der sich auch schon mal mit kleinen Tricksereien und Lügen zu behaupten versucht. Diesen sentimentalen, im Grunde herzensguten Menschen.



Dittsche ist mehr als nur ein Schwadronierer. Die Figur ist subtil; sie hat menschliche Tiefe.

Dittsche ist der Loser - er ist arbeitslos, unbeweibt, offenbar ohne Freunde - , der sich für das Elend seiner realen Existenz ein wenig schadlos hält, indem er in Wunderwelten entweicht.

Wunderwelten, in denen er wie ein Kara ben Nemsi der Größte ist. Ihm fliegen die Gedanken zu. Er weiß Bescheid, er blickt hinter die Kulissen. Seine Theorien übertreffen an gedanklichem Höhenflug, an Absurdität jeden Hoax im Internet.

Er ist der Leser der "Bild"-Zeitung, aber - aufgepaßt! - einer, der sich nix vormachen läßt. Er saugt die Informationen darin auf, aber er legt sie nicht einfach in seinem Gedächtnis ab, sondern er arbeitet mit ihnen. Er verknüpft sie, er interpretiert sie auf die abenteuerlichste Weise.

Das ist vergnüglich anzuhören. Es hat aber auch etwas Rührendes; denn man sieht hinter all der Aufschneiderei ja nicht nur den armen Kerl, sondern man erkennt auch so etwas wie die Vergeblichkeit unseres menschlichen Bemühens, die Welt zu verstehen.

Dittsche ist ein Sokrates, der nicht aufhören kann, zu fragen und sich seine Gedanken zu machen. Er will alles mit allem verknüpfen, wie nur je ein Hegel. Er stellt Hypothesen auf, deren Kühnheit einen Kosmologen, einen theoretischen Physiker neidisch machen könnte.

Könnte - wenn es nicht alles so entsetzlich falsch, so völlig daneben wäre. Dittsche ist der klassische Clown. Wie dieser fällt er ständig hin, nur eben nicht physisch, sondern durch die geistigen Kunststückchen, die er unermüdlich versucht, und die ihn unweigerlich auf dem Bauch landen lassen.

Das finden wir witzig; wie ja überhaupt die Häme über das Ungeschick anderer eine evolutionäre Wurzel des Lachens sein dürfte.



Heute gibt es in "Spiegel- Online" ein Interview mit Dittsches Partner Ingo. Die erste Sendung der neuen Staffel ist am kommenden Sonntag, dem 1. März, um 23.30 im WDR-Fernsehen.



Für Kommentare bitte hier klicken.

"So macht Kommunismus Spaß" (6): Zwei schlechte Bücher. Aus einem davon kann man viel lernen

Die Geschichte der "Rote Armee Fraktion" (RAF) ist überwiegend aus einer stark personalisierenden Perspektive erzählt worden; zentriert vor allem um Ulrike Meinhof. Auch die Bücher, mit denen ich mich vor zwei Jahren in den ersten beiden Folgen dieser Serie befaßt habe, waren so ausgerichtet: Klaus Rainer Röhls "Fünf Finger sind keine Faust", Stefan Austs "Der Baader- Meinhof- Komplex" und das Buch, das der Serie den Titel gegeben hat: "So macht Kommunismus Spaß" von Ulrike Meinhofs Tochter Bettina Röhl.

In dieser auf die Akteure der RAF, vor allem auf diejenigen der "ersten Generation" konzentrierten Betrachtungsweise erscheint der deutsche Terrorismus als die Kopfgeburt einer kleinen Gruppe von Personen, die - radikalisiert beispielsweise durch den Tod von Benno Ohnesorg - gewissermaßen "sich entschlossen, Terroristen zu werden".

Gewiß nicht ohne eine Vorgeschichte - aber diese wurde und wird eher in der Biografie der Protagonisten gesehen. Für Ulrike Meinhofs Weg in den Terrorismus habe ich diesen biographischen Hintergrund in der vierten Folge der Serie nachzuzeichnen versucht.

Gewiß, irgendwie war der Terrorismus auch aus dem zeitgeschichtlichen Kontext hervorgegangen; aus der Bewegung der "Achtundsechziger". Aber doch - so schien es auch mir, als ich die Serie "Wir Achtundsechziger" geschrieben habe - nicht als deren konsequente Fortsetzung, sondern als ihre Entartung.

Ich habe in dieser Serie beschrieben, wie aus den anarchistischen Politclowns die stalinistischen Kommissare und wie aus "begrenzter Regelverletzung" der Mord als Mittel der Politik wurden; wie damit die Terroristen der siebziger Jahre an die Tradition der Fememorde in den zwanziger Jahren anknüpften.

Die RAF, eine elitäre, ideologisch verbohrte, kalt mordende Kader- Organisation stand unverkennbar in der Tradition der SS. Und hatte damit - so erschien es mir bis vor kurzem - kaum noch etwas gemeinsam mit den zwar naiven, aber doch sympathischen Träumen von einer besseren Welt, die die "Studentenbewegung" beflügelt hatten.

Das war ein Irrtum.



Selten habe ich aus einem schlechten Buch so viel gelernt wie aus Götz Alys "Unser Kampf. 1968 - ein irritierender Blick zurück". Es ist vor gut einem Jahr erschienen. In den letzten Tage habe ich es gelesen, nachdem ich zuvor ein anderes Erzeugnis der 1968- Nostalgie hinter mich gebracht hatte, Jutta Ditfurths "Ulrike Meinhof. Die Biografie".

Sehr verschiedene Bücher sind das, und doch mit zwei Gemeinsamkeiten: Beide sind das Ergebnis fleißigen, beharrlichen Recherchierens. Und beide sind derart parteilich geschrieben, derart mit heißer Nadel gestrickt, daß sie sich selbst um ihre Wirkung bringen. Deshalb sind beides schlechte, sind es mißglückte Bücher.

Bei Ditfurth ist das so offensichtlich, daß über das Buch im Grunde weiter nichts zu sagen ist: Es ist nicht nur nicht "die" Biografie, sondern es ist überhaupt keine Biografie. Es ist eine Art Heiligenlegende; der Versuch, Ulrike Meinhof aufs Vorteilhafteste zu porträtieren.

Das Buch verdient es schon deshalb nicht, ernst genommen zu werden, weil kaum je Quellen genannt werden. So machten das schlechte Journalisten in den fünfziger Jahren, als der "Tatsachenbericht" in Mode war, der meist stufenlos in den "Tatsachenroman" überging.

Auf die Frage nach ihren Quellen hat Jutta Ditfurth geantwortet: "Die unzähligen Quellen, die ich im Buch aus rechtlichen Gründen nicht nennen kann, kann ich auch hier nicht nennen." Ja, dann müssen wir ihr halt vertrauen, dieser durch und durch parteilichen Autorin. Oder eben nicht; und das Buch zur Seite legen.

In dieser Hinsicht ist Götz Alys Buch ungleich seriöser. Aly hat im Bundesarchiv und in zahlreichen anderen Archiven recherchiert; er hat zeitgenössische Quellen und einen großen Teil der Literatur über die Achtundsechziger ausgewertet. Der Apparat umfaßt 348 Anmerkungen, das Literaturverzeichnis rund 150 Titel. Aly zitiert ausführlich, und jedes Zitat ist penibel belegt. Insofern ist das Buch eine Fundgrube; ich komme in der nächsten Folge auf das zu sprechen, was man darin finden kann.

Aber so viel Mühe sich Aly gemacht hat - er entwertet sein Buch selbst dadurch, daß er auch nicht einen Augenblick den Eindruck aufkommen läßt, er schreibe aus der Perspektive des um eine objektive, sachliche Darstellung bemühten Historikers.

Er schreibt vielmehr aus einer ähnlichen Perspektive wie Ditfurth, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Bei Ditfurth merkt man auf jeder Seite, daß es ihr darum geht, Ulrike Meinhof emporzuheben. Bei Aly ist ebenso das durchgängige Bestreben wahrzunehmen, die Achtundsechziger herabzusetzen.

Es ist das Werk eines Renegaten, der mit seiner eigenen Vergangenheit abrechnet. Aly kam im November 1968 als Student nach Berlin und engagierte sich sofort in der Studentenbewegung. Er kandidierte erfolgreich für die "Roten Zellen", war Redakteur der kommunistischen Zeitschrift "Hochschulkampf", dann Mitarbeiter der "Roten Hilfe".

Persönliche Erlebnisse aus dieser Zeit fließen in das Buch ein. Aber nicht das ist das ärgerlich Subjektive, sondern die Einseitigkeit, mit der Aly Negatives über seine damaligen Genossen zusammenträgt; bis hin zu ihrem späteren Lebensweg. ("Einer, der sich seinen Lebensunterhalt zuletzt als Masseur verdient hatte, ergatterte noch eine Professur in Erfurt"; S. 17 - in diesem hämischen Stil geht das über Seiten).

Man darf sich also von der Tendenz des Buchs nicht beeinflussen lassen. Als ich nach einigen Seiten Lektüre den Pamphlet- Charakter merkte, habe ich es sozusagen gegen den Strich gelesen: Die Wertungen, die einseitige Selektion der Themen ignorierend, nur interessiert an den Fakten, den Zitaten.

Und diese nun freilich sind erschreckend genug.



Es gibt nicht "die Achtundsechziger", die so etwas wie einen gemeinsamen politischen Willen gehabt hätten. Es gab - in der Serie über die Achtundsechziger habe ich das nachzuzeichnen versucht - sozusagen eine vertikale und dann zunehmend auch eine horizontale Differenzierung.

Die vertikale bestand darin, daß im chronologischen Ablauf aus einer diffus- antiautoritären, oft auch fröhlich- anarchistischen Bewegung Gruppen mit einen fest umrissenen politischen Programm hervorgingen. Die horizontale bestand darin, daß diese Gruppen sich immer mehr differenzierten und neben die politischen zunehmend auch lebenserformerische, ökologische, esoterische Gruppen traten.

Nicht von dieser ganzen Entwicklung, nicht von diesem ganzen Spektrum handelt Alys Buch, sondern überwiegend von einer bestimmten Gruppe in einem engen Zeitfenster: Der vom Berliner und Frankfurter SDS dominierten Gruppe um Anführer wie Rudi Dutschke, Bernd Rabehl, Wolfgang Lefèvre, Reimut Reiche, Frank und Reinhard Wolff in den Jahren zwischen 1967 und 1970.

Diese Gruppe bestimmte damals das Bild der "Studentenrevolte" in der Öffentlichkeit. Ihre Anführer traten in den Medien auf; über sie wurde überall an den Universitäten diskutiert. Das Buch "Rebellion der Studenten oder Die Neue Opposition" (1968) war - von Dutschke, Lefèvre und Rabehl zusammen mit einem gewissen Uwe Bergmann herausgegeben - ein großer Erfolg. Es steht noch in meiner Bibliothek; zusammen mit Werken wie "Die Linke antwortet Jürgen Habermas" und "Was wollen die Studenten?".

Was also wollten sie, "die Studenten" (dh. ihre Wortführer)? Darüber gibt Alys Buch Auskunft. Und es ist eine erschreckende Auskunft.

Eine Auskunft, die zeigt, daß der "bewaffnete Kampf" von diesen Ideologen und Anführern der Studentenbewegung keineswegs abgelehnt wurde. Sie wollten die Revolution - in den vor ihnen liegenden Jahren zunächst in Westberlin, wo sie eine Räteherrschaft errichten und aus dem sie unliebsame Personen deportieren wollten. Dann in Deutschland, schließlich in der ganzen Welt.

(Fortsetzung folgt)



Links zu allen bisherigen Folgen dieser Serie findet man hier. Für Kommentare bitte hier klicken.

26. Februar 2009

Zitat des Tages: Warum macht Arabien die weltweite Entwicklung zur Demokratie nicht mit? Die Analyse von Michael Mandelbaum. Die Rolle des Irak

If Iraq should evolve, over the course of years if not decades, into a genuine democracy, with regular, free and fair elections and the assurance of property rights, religious liberty, and political freedom, this would have a powerful, and positive, impact on democracy's prospects throughout the region. (...)

Whether, on what schedule, and at what price genuine democracy can be established in Iraq, and, if democracy is possible, whether the American public will be willing to pay the price in blood and treasure necessary to bring it about, cannot be known in advance. What is clear in 2009 is that, far more than any explicit attempts to promote democracy, and perhaps even more than the pattern of global oil consumption, the future of Iraq will determine the fate of democracy in the Arab world.


(Wenn der Irak sich im Lauf von Jahren, wenn nicht Jahrzehnten zu einer echten Demokratie mit regelmäßigen, freien und fairen Wahlen, der Garantie von Eigentumsrechten, Religionsfreiheit und politischer Freiheit entwickeln sollte, dann hätte das eine gewaltige und positive Auswirkung auf die Aussichten der Demokratie in der gesamten Region. (...)

Ob, mit welchem Zeitplan und zu welchem Preis im Irak eine echte Demokratie errichtet werden kann, und ob - wenn die Demokratie möglich ist - die amerikanische Öffentlichkeit willens ist, den dafür erforderlichen Preis an Blut und Geldmitteln zu zahlen, kann man im Voraus nicht wissen. Was im Jahr 2009 klar ist, ist dies: Weit mehr als unmittelbare Versuche, die Demokratie zu verbreiten, und vielleicht selbst mehr als die Gestaltung des weltweiten Verbrauchs von Erdöl wird die Zukunft des Irak das Schicksal der Demokratie in der arabischen Welt bestimmen.)

Michael Mandelbaum, Professor für amerikanische Außenpolitik an der Johns Hopkins University School of Advanced International Studies, gestern im Middle East Forum über die Aussichten einer Demokratisierung der arabischen Welt. Mandelbaum ist Fachmann für dieses Thema; 2007 erschien sein Buch Democracy's Good Name: The Rise and Risks of the World's Most Popular Form of Government (Der gute Name der Demokratie: Aufstieg und Risiken der populärsten Regierungsform der Welt).



Kommentar: Wie viele Beobachter - auch ich habe dazu einmal eine Serie geschrieben - stellt sich Mandelbaum die Frage, warum sich weltweit die Demokratie und mit ihr der Wohlstand ausbreitet; nur nicht in der arabischen Welt.

In seinem sehr lesenswerten Aufsatz analysiert er eine Reihe von Gründen:

Zum einen fehle es in den arabischen Gesellschaften an einer freien Marktwirtschaft als einer wesentlichen Voraussetzung für Demokratie. Das wiederum liegt, meint Mandelbaum, vor allem am Ölreichtum.

Sodann gebe es strukturelle Gründe in der arabischen Gesellschaft - die spezifisch arabische Form des Islam, die ethnische, religiöse und nationale Heterogenität vieler arabischer Staaten; die Jahrhunderte alte antiwestliche Einstellung.

Dies alles stehe vor allem einem der beiden Elemente der Demokratie entgegen, nämlich der Freiheit. Mandelbaum weist - ein simpler Aspekt, der aber meines Erachtens oft übersehen wird - darauf hin, daß Demokratie ja nicht nur in Volkssouveränität besteht, sondern auch in der Freiheit des Einzelnen. Freie Wahlen, die beispielsweise zur Herrschaft der Hamas führen, begründen keine Demokratie.

Dies wohl ist der Grund, warum Mandelbaum der Entwicklung im Irak eine so zentrale Bedeutung zumißt. Dort ist mit Hilfe der USA eine Verfassung entstanden, die demokratische Institutionen, die die Freiheit des Einzelnen beinhaltet. Ein Erfolg des irakischen Modells, seine dann unweigerliche Funktion als Vorbild, würden deshalb die ganze Region zutiefst verändern.



Aber wird das Modell ein Erfolg werden? Mandelbaum beginnt seinen Aufsatz mit der Feststellung: "The Obama Administration apparently does not share its predecessor's determination to promote democracy in Arab countries." Es scheine, daß die Regierung Obama nicht die Entschlossenheit ihrer Vorgängerin teile, die Demokratie in den arabischen Ländern zu fördern.

Und er weist darauf hin, daß in dem Interview, das Präsident Obama kurz nach seinem Amtsantritt dem Sender Al-Arabiya gab, kein einziges Mal das Wort "Demokratie" vorkam.

Wird Obama den Aufbau der Demokratie im Irak auch in Zukunft durch die Anwesenheit amerikanischer Truppen schützen? Niemand weiß es. Wie die gesamte Außenpolitik dieser Regierung ist auch ihre Irak- Politik bisher vage und unbestimmt.

Im Wahlkampf hatte Obama versprochen, alle Kampftruppen innerhalb von 16 Monaten abzuziehen, ungefähr eine Brigade pro Monat. Davon ist jetzt nicht mehr die Rede; Geschwätz von gestern.

Angeblich - so ließ die Regierung es jedenfalls Anfang dieser Woche durchsickern - ist jetzt ein Abzug binnen 19 Monaten geplant.

Aber keineswegs aller Kampftruppen. 30.000 bis 50.000 Mann, heißt es, sollten nach dem "Abzug" weiter im Irak bleiben. Das wäre ungefähr ein Drittel bis ein Viertel der Truppenstärke vor dem Surge. So also sieht - falls die Meldungen stimmen - für den Präsidenten Obama der "vollständige" Abzug aus, den der Kandidat Obama im Wahlkampf versprochen hatte.

Immerhin - je mehr seiner Wahlkampfversprechen Obama bricht, umso besser. Wenn wirklich 50.000 US-Soldaten auf unbegrenzte Zeit im Irak bleiben sollten (während des Kriegs und in den Jahren danach waren es rund 130.000 gewesen) -, dann hätte dessen Demokratie, und damit die Demokratisierung der arabischen Welt, vielleicht eine echte Chance.



Für Kommentare bitte hier klicken.

25. Februar 2009

Marginalie: Präsident Obama spricht. Präsident Obama handelt. Wissen Sie, was "Cronyism" ist?

Präsident Obama hat in der vergangenen Nacht vor beiden Häusern des US-Kongresses eine Rede gehalten. Eine glänzende, eine große Rede. Es fehlte nicht viel, und die versammelten Abgeordneten und Senatoren hätten am Ende im Chor "Amen" gesagt.

Wäre es die Aufgabe des amerikanischen Präsidenten, Reden zu halten - Barack Obama hätte die Aussicht, als einer der großen Präsidenten in die Geschichte der Vereinigten Staaten einzugehen.



Aber Reden und Handeln, das ist halt zweierlei.

Auch im Wahlkampf hat Barack Obama viel geredet, hat er beeindruckend geredet. Im Wahlkampf hatte er, schrieb gestern die London Times, "campaigned on a promise to end the culture of cronyism", mit dem Versprechen geworben, Schluß zu machen mit der Kultur des Cronyism - also der Vetternwirtschaft, die in den USA unter anderem darin besteht, daß Leute, die einem späteren Präsidenten im Wahlkampf geholfen haben, mit Botschafter- Posten belohnt werden.

Zu denen, die dem späteren Präsidenten Obama im Wahlkampf ganz besonders geholfen haben, gehört der 71jährige Bankier Louis Susman. Susman war als ein sogenannter "Bundler" tätig: Er sammelte Kleinspenden für Obama, die er dann "gebündelt" an diesen ablieferte. Insgesamt, so wird geschätzt, mindestens 500.000 Dollar, auf die er noch 100.000 Dollar aus seinem eigenen Vermögen packte.

Nun raten Sie einmal, was Louis Susman (nach Berichten nicht nur der Times, die vom Weißen Haus nicht dementiert wurden) werden soll?

Richtig, Botschafter. Und zwar nicht in irgendeinem unbedeutenden Staat der Dritten Welt, sondern in London.

Dort wird er den von Präsident Bush ernannten Robert Tuttle ablösen. Tuttle, der von Außenpolitik ebenso viel verstand wie jetzt Susman davon versteht, nämlich nichts, hatte sich wie dieser für den Job qualifiziert: Er hatte Geld für den Wahlkampf von Präsident Bush aufgebracht.

Allerdings nicht 600.000, sondern nur 200.000 Dollar. Man sieht, auch hier sticht der neue Präsident den alten eindeutig aus. Yes, he can.



Für Kommentare bitte hier klicken.

Zitat des Tages: "Frauen dürfen nur mit Erlaubnis ihrer Ehemänner arbeiten". Meinen fast siebzig Prozent der Türken.

73 Prozent der rund 6500 Befragten wollen nicht, dass Grundeigentum an Ausländer verkauft wird. Fast 70 Prozent geben an, dass sie "nie" Bücher lesen. Ebenfalls beinahe 70 Prozent sind der Meinung, dass Frauen nur dann arbeiten dürfen, wenn sie ihre Männer um Erlaubnis fragen. 57 Prozent halten es auch im Hochsommer für unsittlich, wenn Frauen ärmellose Oberbekleidung tragen (außer daheim). (...)

Die Zahlen dürften einiges an Diskussionen auslösen – denn sie zeichnen das Bild einer auch nach acht Jahren Reformpolitik zutiefst islamisch- konservativen Türkei voller Misstrauen gegenüber Ausländern – das Gegenteil einer Annäherung an europäische Sichtweisen.


Die "Welt" gestern über die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage in der Türkei.

Kommentar: "Auch nach acht Jahren Reformpolitik"? In diesen acht Jahren regierte Erdogans AKP, deren "Reformpolitik" darin besteht, die Türkei wirtschaftlich, militärisch und außenpolitisch zu stärken, während zugleich im Inneren an die Stelle der säkularen Gesellschaft, wie Atatürk sie durchgesetzt hatte, eine islamische Gesellschaft treten soll.

Die Umfrage zeigt, daß das nicht schlecht funktioniert. Nicht trotz, sondern aufgrund dieser "Reformpolitik" nähert sich die Türkei keineswegs einer modernen, liberalen Gesellschaft, sondern entfernt sich immer mehr davon.

Ein aktuelles Beispiel: Im Sommer vergangenen Jahres stand die Neuwahl der Rektoren der 21 staatlichen Universitäten der Türkei an. Das übliche Verfahren ist, wie das Chronicle of Higher Education damals berichtete, daß die Universitäten Listen vorlegen, deren Erstplazierten der Präsident dann üblicherweise beruft.

Aber er muß das nicht. Der Staatspräsident Gül (AKP) nun lehnte sämtliche Erstplazierte ab, die sich gegen eine Aufhebung des Kopftuch- Verbots an türkischen Universitäten ausgesprochen hatten, und ersetzte sie durch Professoren, die für diese Aufhebung sind.

Soviel zur "Reformpolitik" der AKP.



Zu dem Artikel in der "Welt" gibt es eine Umfrage mit der Frage "Ist die Türkei reif für die EU?". Im Augenblick haben von 2158 Abstimmenden 27 Prozent mit "ja" und 73 Prozent mit "nein" geantwortet.

Was ja schön und gut ist. Nur ist die Frage irrelevant für die Entscheidung, ob die Türkei in die EU darf. Es geht nicht darum, ob sie "reif" oder "nicht reif" ist. Sondern es geht bei der Entscheidung darum, ob ihre Aufnahme für die EU von Vorteil oder von Nachteil ist.

Es geht - aus meiner Sicht - also darum, welche Folgen eine Aufnahme der Türkei für eine EU hätte, in der bekanntlich Freizügigkeit herrscht; jener Türkei, deren "junge und dynamischen Bevölkerung" das Parteiprogramm der AKP rühmt.

Jung, dynamisch - und mit den Auffassungen, die aus dieser Umfrage hervorgehen.



Für Kommentare bitte hier klicken.

24. Februar 2009

Zitat des Tages: "Die kraftlose Haltung eines Neulings an der Spitze". Ein Monat Außenpolitik der Regierung Obama. Wer ruft jetzt "Yes, we can"?

I would like to think the supine posture is attributable to a rookie leader otherwise preoccupied (i.e., domestically), leading a foreign policy team as yet unorganized if not disoriented. But when the State Department says that Hugo Chávez's president- for- life referendum, which was preceded by a sham government- controlled campaign featuring the tear- gassing of the opposition, was "for the most part . . . a process that was fully consistent with democratic process," you have to wonder if Month One is not a harbinger of things to come.

(Ich würde gern glauben, daß diese kraftlose Haltung einem Neuling an der Spitze zuzuschreiben ist, der anderweitig (nämlich in der Innenpolitik) beschäftigt ist und der einem außenpolitischen Team vorsteht, das bisher unorganisiert, wenn nicht orientierungslos ist. Aber wenn das State Department erklärt, daß Hugo Chávez' Präsident- auf- Lebenszeit- Referendum, dem ein von der Regierung gesteuerter Pseudo- Wahlkampf inklusive Gaseinsätzen gegen die Opposition vorausging, "überwiegend ... ein Prozeß war, der mit dem demokratischen Prozeß völlig im Einklang steht", dann fragt man sich doch, ob der Monat Nummer eins nicht der Vorbote dessen ist, was bevorsteht. )

Charles Krauthammer in seiner aktuellen Kolumne in der Washington Post als Fazit seines Überblicks über die Außenpolitik der Regierung Obama in ihrem ersten Amtsmonat.

Kommentar: Krauthammer weist vor allem darauf hin, wie schwächlich Obamas Regierung auf die zahlreichen Provokationen Moskaus reagiert hat, von dem Druck auf die Regierung Kirgisiens, die US-Basis Manas zu schließen, bis zu der Ankündigung, eine Schnelle Eingreiftruppe der CSTO aufzustellen - Vorgänge, die den Lesern von ZR bekannt sind, von denen man aber nicht den Eindruck hat, daß sie in den deutschen Medien sonderlich gewürdigt worden wären.

Dieselbe Kraftlosigkeit kennzeichnet die Menschenrechts- Politik der Regierung Obama, wie sie sich bisher abzeichnet.

Schwäche gegenüber Moskau, Schwäche gegenüber den Verletzungen der Menschenrechte in China. Und Schwäche gegenüber dem Iran, der auf die Avancen Washingtons mit dem Abschuß eines eigenen Erdsatelliten, also der Demonstration seiner Raketenmacht, reagierte.

Plus, wie Krauthammer berichtet, einer "Ping- Pong- Diplomatie" eigener Art: Als Begrüßungsgeschenk für Obama verweigerte Teheran einer amerikanischen Badminton- Mannschaft, die noch unter Bush in den Iran eingeladen worden war, am 4. Februar die Einreise.



Mein Kommentar zu Krauthammers Kommentar: Chávez, China, Rußland, der Iran - sie können sich bisher gewiß nicht über Präsident Obama beklagen. Und bestimmt werden sie dessen Kraftlosigkeit honorieren, indem sie ihrerseits künftig auf eine aggressive Außenpolitik verzichten.

Der Iran wird sein Atomwaffen- und sein Raketenprogramm einstellen; Putin wird auf die Wiederherstellung des sowjetischen Imperiums in Form einer Einflußsphäre verzichten; Chávez wird nicht länger Guerrilla- Bewegungen in Lateinamerika sponsern, und er wird sein Ziel aufgeben, in Venezuela den Sozialismus zu errichten.

Und die Regierung der Volkskrepublik China wird den chinesischen Demokraten Sendezeit im Staatsfernsehen CCTV anbieten, statt sie einzusperren und hinzurichten.

"Yes, we can!" werden sie alle dazu im Chor rufen; "Yes, we can change the world".



Für Kommentare bitte hier klicken.

23. Februar 2009

Zitat des Tages: Die "Voraussetzungen für eine staatlich kontrollierte Bewußtseinsindustrie". Frank Schirrmacher macht sich Sorgen um den Rundfunk

In Zeiten, da alle Verbände und Parteien sich per Internet manifestieren können, ist ihr Mittun in den öffentlich- rechtlichen Gremien zumindest fragwürdig. Wer ihnen durchgehen lässt, dass sie eine Personalpolitik nach Parteibuch wie in der alten Republik durchziehen, schafft angesichts der Vergesellschaftungstendenzen in der Gesamtgesellschaft und der Krise traditioneller Medien die Voraussetzungen für eine staatlich kontrollierte Bewusstseinsindustrie.

Der Mitherausgeber der FAZ Frank Schirrmacher zu Bestrebungen, den Vertrag von Nikolaus Brender als Chefredakteur des ZDF nicht zu verlängern.


Kommentar: Fragwürdig war das "Mittun" von Parteien und Verbänden (vulgo: ihre Herrschaft über die Rundfunk- Räte) nun freilich schon immer.

Diese Fragwürdigkeit beruht nicht darauf, daß die Parteien und die mit ihnen jeweils verbündeten "gesellschaftlich relevanten Gruppen" (von den Gewerkschaften über die Kirchen bis hin zu - beispielsweise im Rundfunkrat des NDR - dem Landesmusikrat Schleswig- Holstein e. V.) eine Macht okkupieren würden, die ihnen nicht zusteht.

Sondern diese Macht ist ihnen ausdrücklich durch die Rundfunk- Verträge verliehen. Auch wenn die aus den Parlamenten entsandten Vertreter der Parteien in den Rundfunk- Räten nicht die Mehrheit haben, sind sie doch fast durchweg der Kristallationspunkt für die übrigen Mitglieder. Irgendwie muß man ja Mehrheiten bilden, und diese werden in der Regel von den Profis aus der Politik organisiert; mittels ihrer jeweiligen Sympathisanten aus den Verbänden.

Wie stellt sich Frank Schirrmacher denn Rundfunkräte vor, die anders funktionieren? Träumt er von Politikern, die keine Politik machen, sondern die in edler Selbstbescheidung nur über die Freiheit der Journalisten wachen?

Das hat es nie gegeben, und ich sehe nicht, wie es das geben kann. Wenn man die Herrschaft der Parteien über den öffentlich- rechtlichen Rundfunk abschaffen will, dann muß man den öffentlich- rechtlichen Rundfunk abschaffen.



Das allerdings wäre längst fällig. Dafür, daß der Rundfunk heute immer noch diesen Status hat - den man mit ebenso viel oder wenig Berechtigung dem Zeitungswesen oktroyieren könnte -, gibt es nicht mehr die geringste vernünftige Begründung.

Der öffentlich- rechtliche Rundfunk ist ein alter Zopf. Er geht zurück auf das Jahr 1919, als die frisch ins Amt gekommene Reichsregierung sich die Hoheit über den Rundfunk aneignete, um diesen nicht in die Hand von Revolutionären fallen zu lassen. Daß von den Benutzern Gebühren erhoben wurden, war sinnvoll, als 1923 der Sendebetrieb begann. Da gab es am Jahresende genau 467 Teilnehmer im ganzen Reichsgebiet. Daß diese für ihr exklusives Vergnügen zahlen sollten - und nicht der Steuerzahler -, war vernünftig.

Heute gibt es keinen Grund, warum beispielsweise Gottschalk oder Harald Schmidt uns nicht werbefinanziert zum Lachen bringen sollten. Wohl aber gibt es ein massives Argument dagegen, daß sie es öffentlich- rechtlich tun: Dann könnte es keine albernen Vorstöße aus den Rundfunk- Räten heraus mehr geben, wie jüngst den von Therese Wieland, frühere Ordinariatsrätin und jetzt Mitglied des Rundfunkrats des Süddeutschen Rundfunks, gegen "Schmidt & Pocher" und den von Angelika Niebler, Europa- Kandidatin der CSU, gegen Gottschalks "Wetten, daß ...?".



Daß jemand es hinbekommt, dieses Monstergebilde des öffentlich- rechtlichen Rundfunks abzuschaffen oder wenigstens (wofür ich bin) auf aus Steuern finanzierte Bildungs-, Kultur- und Wissenschafts- Programme zu reduzieren; ist freilich unwahrscheinlich. Dafür dient dieses System zu vielen mächtigen Interessen.

Nur: Daß dann, wenn die Mächtigen ein solches Instrument haben, sie es auch nutzen - wer kann ihnen das verdenken? Es ist ihr gutes Recht. Ihr gutes öffentliches Recht, sozusagen.

Mag sein, daß Vorstöße wie jetzt der von Frank Schirrmacher dem Chefredakteur Brender seinen Sessel erhalten. Daran, daß ein von Parteien kontrollierter Rundfunk nun mal ein Parteien- Rundfunk ist, ändert das nichts.



Für Kommentare bitte hier klicken.

22. Februar 2009

Zettels Meckerecke: "Antibürokratieteam" gehackt. Finden Sie das lustig? Ich nicht

Vor fünf Stunden hat bei FDOG Euckenserbe darauf aufmerksam gemacht: Das "Antibürokratieteam", in Bloggerkreisen A-Team genannt, ist gegenwärtig nicht erreichbar. Wenn man es aufruft, wird man zu einer Fake-Seite umgeleitet.

Einer ausgesprochen dümmlichen Seite, in der im Stil der Antiautoritären der siebziger Jahre Pseudo- Offizielles verbreitet wird. Damals machte man das mit gefälschten Briefen mit amtlichem Briefkopf, in denen den Angeschriebenen mitgeteilt wurde, daß sie staatlich überwacht würden, daß bevorstehende Wahlen ausfallen würden, oder dergleichen Unsinn. Jetzt also dies.

Ich muß sagen, ich bin da ganz und gar ein Spielverderber. Ich kann an derlei kindischen Dummheiten weder etwas Aufklärendes noch etwas Freiheitliches finden.

Mich erinnert das sehr an die Hanswurstiaden, mit denen der Niedergang der Studentenbewegung Ende der sechziger Jahre begann; ich habe das einmal unter der Überschrift "Die Zeit der Pausenclowns" beschrieben.



Als ich die Meldung bei den Kollegen von FDOG las, dachte ich, daß der Unfug schnell behoben sein würde.

Daß man immer noch nicht wieder die Beiträge der Kollegen vom A-Team lesen kann, zeigt, was diejenigen, die mit solchen "Aktionen" angeblich für die Freiheit eintreten, tatsächlich von Freiheit halten: Nichts.

Ich hoffe, daß die Kollegen vom A-Team bald wieder die Kontrolle über ihren Blog haben.



Für Kommentare bitte hier klicken.

Kurioses, kurz kommentiert: "Virtuose Medienpräsenz". Über einen Typus des deutschen Professors

In diesem Typus des vergleichsweise erfolgreichen Politikers paaren sich Härte, evidente Durchsetzungsfähigkeit, ein Stück souveräner Unabhängigkeit von der eignen Partei mit Biss, Witz, Schlagfertigkeit, oft auch mit einem Hauch lustvoller rebellischer Provokation.

Der erfolgreiche Politikertypus solcher Fasson verbindet politischen Instinkt, Populismus, Stimmungs- und Problemsensibilität, Konzentration auf das Wesentliche, virtuose Medienpräsenz und Pragmatismus miteinander. Er muss eine immens facettenreiche Gestalt sein, muss als Projektionsfläche für verschiedene Bedürfnisse, Einstellungen und Kulturen taugen, muss rochieren, sich neuen Verhältnissen blitzschnell anverwandeln, ohne dabei aber opportunistisch zu wirken.


Franz Walter, ein deutscher Professor, heute in "Spiegel- Online"

Kommentar: In diesem Typus des wissenschaftlich unbedeutenden, aber in der Öffentlichkeit omnipräsenten deutschen Professors paaren sich Geschwätzigkeit, evidente Logorrhoe, ein Stück souveräner Unabhängigkeit vom Urteil der Fachkollegen mit den Spuren der Lektüre von Il Principe als dem bleibenden Bildungserlebnis.

Diese immens facettenarmen Gestalten fassen keinen eigenen Gedanken, wissen ihn aber wortreich auszudrücken. Der sinnfreie, süffige Wortmix, den sie zu Papier bringen, läßt sich schlürfen wie die alkoholfreie Gummibärchen- Bowle; garantiert ohne geistige Nachwirkungen.



Für Kommentare bitte hier klicken.

Zitate des Tages: Was tut Gerhard Schröder eigentlich im Iran? Rätselraten in Deutschland. Informationen aus Rußland

Wie privat ist es, wenn ein deutscher Ex-Kanzler den amtierenden iranischen Staatschef besucht, der das Existenzrecht Israels und die Existenz des Holocaust in Frage stellt? Völlig privat, befindet das Büro von Altkanzler Schröder. (...) Aus dem Auswärtigen Amt verlautet lediglich, dass Schröders 4-tägige Reise nach Iran rein privaten Charakter habe. Doch allein die Tatsache, dass das Außenministerium in die Reise des Ex-Kanzlers eingebunden ist, zeigt, dass, die Reise sehr wohl eine gehörige Portion politischen Charakters innehat.

Der "Tagesspiegel" über den Besuch Gerhard Schröders im Iran.

German ex-chancellor Gerhard Schroeder, head of Nord Stream AG, operator of the gas pipeline being built from Russia to Germany across the Baltic Sea, arrived in Iran yesterday. His unofficial visit coincided with the beginning of Tehran- EU talks on the possibility of Iran joining the Nabucco project, a pipeline planned to bypass Russia. Schroder, a long-time friend of Russia, may try to convince Iran to opt for Gazprom's South Stream pipeline instead. (...) Mikhail Korchemkin, director of the East European Gas Analysis consultancy, said: "Schroeder as Gazprom's agent of influence will talk about export flexibility in Tehran."

(Der deutsche Ex-Kanzler Gerhard Schröder, Chef der Nord Stream AG, des Betreibers der Gas- Pipeline, die durch die Ostsee von Rußland nach Deutschland gebaut wird, traf gestern im Iran ein. Sein inoffizieller Besuch traf zusammen mit dem Beginn der Gespräche zwischen Teheran und der EU über die Möglichkeit, daß der Iran sich an dem Projekt Nabucco beteiligt, einer Pipeline, die an Rußland vorbeiführen soll. Schröder, schon seit langem ein Freund Rußlands, dürfte versuchen, den Iran dazu zu bringen, sich stattdessen für die South Stream- Pipeline von Gazprom zu entscheiden. (...) Mikhail Korchemkin, der Direktor der Beratungsfirma East European Gas Analysis, erklärte: "Schröder als Einflußagent der Gazprom wird in Teheran über Flexibilität des Exports sprechen".)

Die russische Zeitung Kommersant, zitiert von der Nachrichten- Agentur RIA Novosti, unter der Überschrift "Gazprom's 'agent of influence' arrives in Tehran" (Gazproms "Einflußagent" trifft in Teheran ein) zum selben Thema.


Kommentar: Er ist schon seltsam, daß man in Deutschland darüber rätselt, ob Schröders Besuch nun "privat" ist oder "politisch". Er ist selbstverständlich weder das eine noch das andere, sondern geschäftlich.

In Deutschland scheinen viele immer noch zu meinen, Gerhard Schröder sei ein deutscher Politiker oder gar Staatsmann; manche titulieren ihn gar noch mit dem Ehrentitel "Altkanzler".

Gerhard Schröder ist aber ein Geschäftsmann, der ein von dem russischen Staatskonzern Gazprom dominiertes Unternehmen leitet. Der Friede im Nahen Osten oder das Thema der Leugnung des Holocausts dürfte ihn ungefähr so sehr interessieren wie die die Ergebnisse der Fußball- Liga von Neuseeland. Und für einen Urlaub dürfte er sich auch ein anderes Land aussuchen als ausgerechnet den Iran.

Wenn dieser Mann nach Teheran reist, dann im Auftrag seines Arbeitgebers. Daß er einmal Politiker war, hilft ihm freilich, diesen Auftrag zu verschleiern. Just wegen dieser Möglichkeit, wegen des Ansehens, das Schröder als ehemalige Kanzler immer noch hier und da genießt, hat man ihn ja eingestellt.

Eben als Einflußagenten. Eine sehr treffende Bezeichnung.



Für Kommentare bitte hier klicken.

21. Februar 2009

Benedikt XVI., Bischof Williamson und die Fraternitas Sacerdotalis Sancti Pii X (SSPX ): 3. Der aktuelle Skandal

Ein Gastbeitrag von Gorgasal

Die vier Bischöfe, deren Exkommunikation der Papst am 21. Januar 2009 aufhob, sind nicht nur konservative Theologen, sondern die SSPX ist auch - vor allem in Frankreich - mit politisch weit rechts stehenden Kreisen verbandelt. Einer der vier Bischöfe, Richard Williamson, war sogar als Holocaust- Leugner aufgefallen.

So kam es, wie es kommen musste: am 1. November 2008 gab Williamson im deutschen Priesterseminar der SSPX dem schwedischen Fernsehen ein Interview, in dessen Verlauf er erklärte, dass die historische Beweislage stark gegen eine überlegte Ermordung von sechs Millionen Juden durch Gaskammern in Deutschland spreche, wobei er den diskreditierten Leuchter- Report zitierte.

Das Interview wurde dann am 21. Januar 2009 - exakt dem Datum der Aufhebung der Exkommunikation - gesendet, und die öffentliche Reaktion war entsprechend. "Papst rehabilitiert Holocaust- Leugner" war noch die unaufgeregteste Schlagzeile.

Insbesondere in der US-Presse erschienen dann auch Berichte, die dem Papst explizit oder implizit Antisemitismus vorwarfen, beispielweise indem darauf verwiesen wurde, dass Benedikt XVI. in seiner Jugend in der Hitlerjugend war.

Da half es auch nichts, dass schon die Anti-Defamation League anlässlich der Wahl Benedikts XVI. darauf hingewiesen hatte, dass "under his leadership in Germany and Rome, the Catholic Church made important strides in improving Catholic-Jewish relations and atoning for the sin of anti-Semitism. Cardinal Ratzinger has been a leader in this effort and has made important statements in the spirit of sensitivity and reconciliation with the Jewish people.", dass also unter seiner Führung in Deutschland und Rom die katholische Kirche große Schritte dabei gemacht habe, die katholisch-jüdischen Beziehungen zu verbessern und Reue für die Sünde des Antisemitismus zu zeigen. Kardinal Ratzinger habe diese Anstrengungen angeführt und wichtige Aussagen im Geiste des Verständnisses und der Aussöhnung mit dem jüdischen Volk gemacht. Ebenso wenig fanden die regelmäßigen Aussagen des Papstes zur Schoah Beachtung.



Was war schief gelaufen, und welche Alternativen zum Ablauf der Causa hätte es gegeben?

Man muss berücksichtigen, dass die Leugnung des Holocausts keine Exkommunikation oder auch nur die Verweigerung ihrer Aufhebung rechtfertigt - ebensowenig wie ein Raubmord, der auch andere Strafen und Sanktionen seitens der Kirche nach sich zieht. Insofern gehen Aufforderung an Papst Benedikt XVI., die Aufhebung im Falle Williamsons rückgängig zu machen, an der Sache vorbei.

Wenn man so will, hinkt ein Vergleich mit der Staatsbürgerschaft noch am wenigsten: Deutschland kann auch nicht einfach Holocaustleugnern die Staatsbürgerschaft aberkennen, und §130 StGB sieht auch "nur" Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren vor, nicht aber etwa den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte.

Anders ist es natürlich mit der Frage nach einer Leitungs- oder sonstigen Funktion innerhalb der Kirche. Wie oben schon gesagt übt Williamson erlaubterweise kein Amt in der Kirche aus, und ein Grund für die Notwendigkeit der päpstlichen Zustimmung zu Bischofsweihen ist sicherlich auch, dass in derart exponierten Positionen niemand sitzen darf, der zentrale Überzeugungen der Kirche nicht anerkennt.

Entsprechend hat die Kurie auch am 4. Februar 2009 erklärt: "Il Vescovo Williamson, per una ammissione a funzioni episcopali nella Chiesa dovrà anche prendere in modo assolutamente inequivocabile e pubblico le distanze dalle sue posizioni riguardanti la Shoah, non conosciute dal Santo Padre nel momento della remissione della scomunica." Bischof Williamson muss sich zur Zulassung zum bischöflichen Amt in der Kirche auf absolut unmissverständliche und öffentliche Weise von seinen Positionen hinsichtlich der Schoah distanzieren, die der Heilige Vater im Augenblick der Aufhebung der Exkommunikation nicht kannte.

Unglücklich sind viele Katholiken nun insbesondere mit dem schlampigen Handling der gesamten Angelegenheit. Nach der obigen Mitteilung des Vatikans kannte der Papst die Ansichten Williamsons nicht. Vorab wurden offenbar weder die deutschen noch die französischen Bischöfe informiert. Der Papst selbst äußerte sich erst in seiner Generalaudienz am 28. Januar, und die obige Pressemitteilung kam, wie gesagt, erst am 4. Februar heraus.

Da hat ganz offensichtlich das Krisenmanagement im Vatikan versagt - wobei hier die Erklärungsansätze von einem Zusammentreffen unglücklicher Umstände mit Bandscheibenvorfällen bei zuständigen Kardinälen bis hin zu einem Versuch kurialer Kreise, Papst Benedikt XVI. bloßzustellen, reichen.




Wie geht es weiter? In der SSPX werden langsam Bruchstellen sichtbar. Bischof Williamson bekam einen Maulkorb und wurde von seinem Posten als Leiter des Priesterseminars der SSPX in La Reja (Argentinien) entbunden. Ein weiterer Priester der SSPX, Floriano Abrahamowicz, der auch durch antisemitische Hetzreden aufgefallen war, wurde aus der SSPX ausgeschlossen. Antisemitische Seiten verschwinden von der SSPX-Website. Aber einer der SSPX-Bischöfe, Tissier de Mallerais, schlägt in einem Interview wenig demütige Töne an: "Wir ändern unsere Positionen nicht, aber wir haben die Intention, Rom zu bekehren, das heißt, Rom zu unseren Positionen zu führen."

Und außerhalb der SSPX kritisieren die üblichen Verdächtigen den Papst, von Hans Küng bis hin zu diversen theologischen Fakultäten, die von sich erklären, fest auf dem Boden des II. Vatikanums zu stehen, aber doch teilweise mit eigenwilligen Ansichten zu verschiedenen kirchlichen Lehrmeinungen auftreten.

Auch die deutschen Bischöfe sind nicht durchgehend hilfreich. Der Freiburger Theologieprofessor Hubert Windisch:"Wohl aber muß es in bezug auf den Zustand der Christenheit in Deutschland nachdenklich stimmen, dass die Aufhebung einer Exkommunikation nicht mehr mit dem vor allem in der evangelischen Kirche betonten theologischen Gedanken der Voraussetzungslosigkeit von Gnade in Verbindung gebracht werden kann. Ist vielleicht die katholische Kirche in Deutschland härter als der Papst?"




Für Kommentare bitte hier klicken.

Zitat des Tages: "Amnesty International ist schockiert und äußerst enttäuscht". Die Regierung Obama und die Menschenrechte

"Amnesty International is shocked and extremely disappointed by U.S. Secretary Clinton's comments that human rights will not be a priority in her diplomatic engagement with China.

The United States is one of the only countries that can meaningfully stand up to China on human rights issues. But by commenting that human rights will not interfere with other priorities, Secretary Clinton damages future U.S. initiatives to protect those rights in China.


(Amnesty International ist schockiert und äußerst enttäuscht von den Erläuterungen der amerikanischen Ministerin Clinton, daß bei ihrem diplomatischen Einsatz gegenüber China die Menschenrechte nicht vorrangig sein werden.

Die Vereinigten Staaten gehören zu den einzigen Ländern, die in Bezug auf die Menschenrechte China entgegentreten können. Mit ihrer Erläuterung, daß die Menschenrechte andere Prioritäten nicht beeinträchtigen würden, fügt die Ministerin Clinton künftigen US- Initiativen, diese Rechte in China zu schützen, Schaden zu.)

T. Kumar, in der amerikanischen Organisation von Amnesty International zuständig für Asien und den Pazifik, in einer von Amnesty International USA verbreiteten Erklärung.


Kommentar: Dazu schreibt heute der Pekinger Korrespondent der FAZ, Till Fähnders:
In China wurden die Aussagen der Außenministerin als neuer Ton in den bilateralen Beziehungen und als Hinweis auf eine pragmatischere Haltung Amerikas gewertet. Nach Berichten von Menschenrechtlern hatten Polizeikräfte mehrere chinesische Dissidenten für die Dauer des Besuches unter Hausarrest gestellt.
Und in der Erklärung von Amnesty International USA wird darauf hingewiesen, daß die Verfolgungen von Tibetern, Uiguren und von religiösen Gruppen wie der Falun Gong in großem Umfang weitergehen; daß es Tausende politische Gefangene gibt, daß manche davon hingerichtet werden. Eine halbe Million Menschen seien derzeit in Arbeitslagern. Frauen würden weiter zur Abtreibung und zur Sterilisation gezwungen.



Es ist schon beklemmend: Hillary Clinton und ihr jetziger Chef Obama haben sich im Wahlkampf als die großen Anwälte der Menschenrechte präsentiert, was Guantánamo anging. Jetzt erweist sich dieses Engagement als nichts als heiße Luft. Und zugleich fahren die USA unter der neuen Regierung offenbar ihr weltweites Engagement für die Menschenrechte zurück.

Guantánamo will Obama auflösen. Daß sich dadurch am Status oder an der Behandlung der Gefangenen etwas ändert, ist nicht erkennbar. Sie werden verlegt; das ist alles. Auch die regelmäßige Entlassung von als nicht mehr gefährlich eingestuften Gefangenen war unter Bush längst üblich gewesen. Obama beseitigt ein Symbol, mehr nicht.

Gestern hatte die US-Regierung vor einem Gericht zum Status der Gefangenen im Lager Bagram in Afghanistan Stellung zu nehmen. Dort sitzen mehr als 600 Gefangene ein (Guantánamo: derzeit rund 245). Es ging darum, ob diese Gefangenen das Recht hätten, vor einem US-Gericht gegen ihre Festsetzung zu klagen.

Dieses Recht hatte die Regierung Bush verneint. Nach dem Regierungswechsel hatte der Distrikt- Richter John Bates bei der Regierung Obama angefragt, ob sie bei dieser Position bleibe oder sie zu "differenzieren" (refine) wünsche. Gestern gab die Regierung Obama ihre Antwort. Dazu Reuters:
In a brief filing with the court on Friday, the Justice Department said it would stick to the previous government's position, which argued the four men -- who have been detained at Bagram for over six years -- had no right to challenge their detention in a U.S. court.

Barbara Olshansky, lead counsel for three of the four detainees and a visiting professor at Stanford Law School, said she was deeply disappointed that the Obama administration had decided to "adhere to a position that has contributed to making our country a pariah around the world for its flagrant disregard of people's human rights."

In einer kurzen schriftlichen Stellungnahme gegenüber dem Gericht erklärte das Justizministerium am Freitag, daß es bei der Position der bisherigen Regierung bleiben werde, die die Auffassung vertreten hatte, daß die vier Männer - die seit mehr als sechs Jahren in Bagram festgehalten werden - nicht das Recht hätten, gegen ihre Festsetzung vor einem US-Gericht zu klagen.

Barbara Olshansky, die Hauptvertreterin von drei der vier Gefangenen und Gastprofessorin an der juristischen Fakultät der Universität Stanford, erklärte, sie sei tief enttäuscht von der Entscheidung der Regierung Obama, "bei einer Position zu bleiben, die dazu beigetragen hat, unsere Land wegen seiner flagranten Mißachtung der Menschenrechte zu einem weltweiten Paria zu machen".



Ich bin nicht der Meinung, daß die USA durch Mißachtung der Menschenrechte zu einem weltweiten Paria geworden sind. Ich bin allerdings der Meinung, daß die Regierung Bush, so sehr sie sich um die Durchsetzung der Menschenrechte weltweit bemüht hat, nicht genügend für ihre Einhaltung im eigenen Land getan hat.

Jetzt zeichnet sich ab, wie es unter dem Präsidenten Obama werden wird: Was das Verhalten der USA selbst angeht, business as usual; was die Durchsetzung der Menschenrechte weltweit angeht, worse than before.



Für Kommentare bitte hier klicken.

Kurioses, kurz kommentiert: Ein Auftrag für Andrea Ypsilanti

Andrea Ypsilanti, Hessens frühere SPD- Vorsitzende, bekommt von der Parteispitze in Berlin eine neue Aufgabe. Sie soll den kultur- und bildungspolitischen Teil des SPD- Regierungsprogramms ausarbeiten.

Aus einer Vorabmeldung zum aktuellen "Spiegel" 9/1009.

Kommentar: Eine ausgezeichnete Entscheidung. Besonders sorgfältig wird sich Frau Ypsilanti bestimmt dem Abschnitt über Politische Kultur widmen.



Für Kommentare bitte hier klicken.

20. Februar 2009

Benedikt XVI., Bischof Williamson und die Fraternitas Sacerdotalis Sancti Pii X (SSPX): 2. Der Weg zur Aufhebung der Exkommunikation

Ein Gastbeitrag von Gorgasal

Im ersten Teil habe ich nachgezeichnet, wie es zur Exkommunikation der vier Bischöfe der SSPX und damit dem Schisma kam. Nun war aber dieser Zustand für keinen der Beteiligten akzeptabel, auch wenn es zunächst wenig weiteren Kontakt zwischen der SSPX und dem Heiligen Stuhl gab. Seit 2000 gab es langsame und zögerliche Gespräche mit dem Ziel der Zurückführung der SSPX in die volle Gemeinschaft mit der katholischen Kirche.

Dem Bibelkundigen kommen da die Gleichnisse vom Guten Hirten ("Wenn ein Mensch hundert Schafe hätte und eins von ihnen sich verirrte, lässt er nicht die neunundneunzig auf den Bergen und geht hin und sucht das irrende? Und wenn es geschieht, dass er es findet, wahrlich, ich sage euch, er freut sich mehr über dieses als über die neunundneunzig, die nicht verirrt sind." Matth 18,12-13) und vom Verlorenen Sohn ("Als er aber noch fern war, sah ihn sein Vater und wurde innerlich bewegt und lief hin und fiel ihm um seinen Hals und küsste ihn." Lk 15,11-32) in den Sinn.

Die SSPX sah sich noch immer mit großen Widerständen in der Kirche konfrontiert, insbesondere seitens der französischen Bischofskonferenz und seitens Teilen der Kurie. Daher erwartete sie zwei Schritte des Entgegenkommens der Kirche:

Erstens sollte allen katholischen Priestern die Feier der tridentinischen Messe erleichtert werden, die bisher einer Erlaubnis des Ortsbischofs bedurfte. Diesen Wunsch erfüllte Benedikt XVI. mit seinem Schreiben Summorum Pontificum vom 14. September 2007. Sicherlich war der Wunsch der SSPX dabei nicht der einzige Faktor; der Papst hat selbst einige vorkonziliare Praktiken in seine Messen eingeführt und scheint auch selbst der alten Liturgie wieder mehr Raum geben zu wollen.

Zweitens erwartete die SSPX die Aufhebung der Exkommunikation gegen die 1988 geweihten Bischöfe.

Nun schreibt aber der CIC in Canon 1358 vor, dass einem Täter, der seine Widersetzlichkeit aufgegeben hat, "der Nachlaß [der Beugestrafe der Exkommunikation] nicht verweigert werden" kann. Soweit man die (öffentlich verkündete) Exkommunikation der vier SSPX- Bischöfe also als Beugestrafe interpretiert und den mehrfach geäußerten Wunsch des SSPX ernst nimmt, in die volle Gemeinschaft mit der Kirche zurückzukehren, trifft Can. 1358 zu, und die Aufhebung der Exkommunikation ist geboten.

Diese und andere Überlegungen - wir hatten oben schon den Guten Hirten, der 99 Schafe zurücklässt und sich auf die Suche nach dem einen verlorenen macht - haben Benedikt XVI. offenbar dazu bewogen, die Exkommunikation am 21. Januar 2009 aufzuheben - während der Weltgebetswoche für die Einheit der Christen vom 18. Januar bis 25. Januar.



Wichtig ist dabei, dass die vier Bischöfe jetzt zwar wieder in voller Gemeinschaft mit der Kirche stehen, aber dass die Aufhebung der Exkommunikation keinerlei Auswirkung auf den Status der SSPX (sie bleibt nicht anerkannt) oder auf den kanonischen Status der vier Bischöfe hat: "non hanno una funzione canonica nella Chiesa e non esercitano lecitamente un ministero in essa", sie haben keine kanonische Funktion in der Kirche und üben erlaubterweise kein Amt in ihr aus.

Insbesondere wurden die vier Bischöfe nicht als Bischöfe oder auch nur als Priester "rehabilitiert", wie es irrigerweise häufig in den Medien insinuiert wurde und wie das sogar manche Theologen durcheinanderbringen, sondern nur als einfache Kirchenmitglieder. Sie üben keine Leitungs- oder sonstige Funktion aus.

Kompliziert wird die Lage dadurch, dass die SSPX insbesondere in Frankreich eng mit weit rechts stehenden Kreisen verbandelt ist, von denen monarchistische Splittergruppen noch die appetitlichsten sind. Von Lefebvre sind Zitate bekannt, in denen er das Vichy- Regime, Franco, Salazar, Pinochet und Le Pen unterstützte. Insbesondere einer der exkommunizierten Bischöfe, Richard Williamson, war schon mehrfach als Holocaust- Leugner und 9/11- Verschwörungstheoretiker aufgefallen. So kam es zu dem Skandal, der in den vergangenen Wochen die Medien beschäftigte.

(Fortsetzung folgt)



Für Kommentare bitte hier klicken.

Zitat des Tages: Eine "Karnevalsrede". Wie unsere Medien über die Rede des tschechischen Staatspräsidenten berichten. Und was er wirklich gesagt hat

Tschechiens Präsident sorgt für Eklat - "Karnevalsrede" im EU-Parlament

Überschrift des Berichts der Brüsseler Korrespondentin der ARD, Katrin Brand, im Internet- Auftritt der "Tagesthemen".

Kommentar: Der Staatspräsident des Landes, das gegenwärtig die Präsidentschaft der EU innehat, hat vor dem Europäischen Parlament eine Rede gehalten. Eine nachdenkliche, eine herausfordernde, eine kritische Rede. Am Ende dieses Artikels finden Sie die wichtigsten Passagen.

Nicht wahr, es wäre die Aufgabe eines öffentlich- rechtlichen, eines von unseren Gebühren finanzierten, eines zur Ausgewogenheit verpflichteten Senders, über den Inhalt einer so wichtigen Rede ausführlich zu informieren?

Tut das die Korrespondentin des WDR Katrin Brand? Sie tut das in einer nachgerade empörenden Weise nicht.

Der Bericht ist so abgefaßt, wie es die reißerische, den Staatspräsidenten herabsetzende Überschrift ankündigt: Über den Inhalt der Rede erfährt man fast nichts; umso mehr über das, was die Überschrift als einen "Eklat" bezeichnet - also die unhöfliche, respektlose Art, wie Angehörige des Parlaments, vor dem der Präsident sprach, auf dessen Rede reagiert haben.

Der Bericht hat fünf Absätze. Gerade einmal eineinhalb davon befassen sich mit dem Inhalt der Rede; der Rest mit Kritik daran.
Daniel Cohn Bendit von den Grünen reagierte eher amüsiert: "Die Grünen werden Vaclav Klaus einen Preis vergeben: Die beste Karnevalsrede, die je im Parlament gehalten wurde." Martin Schulz von der SPD kommentierte trocken: "Der Mann hat keine Ahnung!" Und Bernd Posselt von der CDU meinte, das sei die "Provinzposse eines begnadeten Selbstdarstellers" gewesen, der "leider nach dem nationalistischen Libretto aus dem 19. Jahrhundert" gespielt habe.
So beginnt Katrin Brand ihren Bericht. Der Leser erfährt diese negativen Kommentare, bevor er auch nur mit einem Wort über das informiert worden ist, was der Präsident eigentlich gesagt hat. Die Information darüber beschränkt sich auf ein paar Sätze.

Nicht besser sieht es in den übrigen Leitmedien aus. "Spiegel- Online" vermischt wie meist Bericht und Kommentar, wenn es schreibt (oder aus den Agenturen zusammenschustert):
Nachdem der deutsche Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering die Tschechen für ihre wichtige Rolle in Europa gelobt und dabei sogar bis ins 14. Jahrhundert zurückgegangen war, legte Klaus los. Zwar betonte er zunächst, dass es für Tschechien "keine Alternative zum EU-Beitritt gab und gibt". Dann aber fragte er die Abgeordneten, ob sie sich bei Abstimmungen immer sicher seien, dass diese Entscheidungen tatsächlich in Brüssel und nicht besser in den einzelnen Mitgliedstaaten getroffen werden müssten.
Das nenne ich "loslegen" - Klaus wagt es, an das Prinzip der Subsidiarität zu erinnern; bekanntlich ein Bestandteil der Verträge von Lissabon.

Ähnlich die meisten anderen Medien. "Ratspräsident Klaus provoziert EU-Abgeordnete" titelt "Zeit- Online"; "Der beste Provokateur - Tschechiens Präsident Klaus poltert in Brüssel" die "Frankfurter Rundschau"; "Tschechiens Präsident sorgt für Eklat im EU-Parlament" ist die Meldung der Bericht der "Deutschen Welle" überschrieben. (Ob es nicht eher die sich echauffierenden Abgeordneten waren, die für den Eklat sorgten?).

Sachliche Berichte, aus denen wenigstens ein wenig von dem hervorgeht, was Klaus eigentlich gesagt hat, findet man in der FAZ und in der "Welt".



Und was hat Vaclav Klaus nun gesagt? Hier ist der Text der Rede in der offiziellen deutschen Übersetzung. Auszüge (aus Gründen des Copyrights muß ich mich auf einige Zitate beschränken):
Ich möchte aber auch auf diesem Forum ganz eindeutig und – für diejenigen, die das entweder nicht wissen oder auch nicht wissen wollen – ganz deutlich und laut wiederholen, dass es für uns keine Alternative zum EU-Beitritt gab und gibt und dass in unserem Land keine relevante politische Kraft existiert, die diese Aussage in Frage stellen könnte oder möge. (...)

Verschiedene Barrieren und Hindernisse bestehen weiter und es gibt mehr Entscheidungen auf Brüsseler Ebene, als es optimal wäre. Sicherlich gibt es mehr davon, als die Menschen in den einzelnen europäischen Ländern verlangen. Dessen sind Sie sich – meine sehr geehrten Damen und Herren – sicher auch bewusst. Ich stelle hier daher die eher rhetorische Frage, ob Sie sich – bei jeder Ihrer Abstimmungen – sicher sind, dass Sie über Sachen entscheiden, die gerade hier in diesem Saal und nicht näher am Bürger, das heißt in den einzelnen europäischen Staaten, entschieden werden müssen? (...)

Wenn ich gesagt habe, dass es für uns keine Alternative zu einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union gab und gibt, ist das nur die Hälfte von dem, was dazu zu sagen ist. Die zweite Hälfte ist ganz logisch die Behauptung, dass es für die Methoden und Formen der europäischen Integration im Gegenteil eine Reihe möglicher und legitimer Varianten gibt, genauso wie es sie auch in der letzten Jahrhunderthälfte gegeben hat. Die Geschichte hat kein Ende. (...)

Außerdem ist offensichtlich, dass die eine oder andere institutionelle Anordnung der Europäischen Union kein Ziel zum Selbstzweck ist, sondern ein Instrument zu Erreichung tatsächlicher Ziele. Und diese Ziele sind nichts anderes als die Freiheit der Menschen und so eine wirtschaftliche Ordnung, die Prosperität mit sich bringt. Und diese wirtschaftliche Ordnung ist die Marktwirtschaft. (...)

Das heutige System des Entscheidens in der Europäischen Union ist etwas anderes, als das von der Geschichte geprüfte und in der Vergangenheit erprobte System der klassischen parlamentarischen Demokratie. In einem normalen parlamentarischen System gibt es einen Teil der Abgeordneten, der die Regierung unterstützt und einen oppositionellen Teil. Doch das ist im Europäischen Parlament nicht der Fall. Hier wird nur eine Alternative durchgesetzt und wer über andere Alternativen nachdenkt, wird als Gegner der europäischen Integration angesehen. In unserem Teil Europas lebten wir noch bis vor kurzem in einem politischen System, in dem jegliche Alternative unzulässig war und wo es aus diesem Grund auch keine parlamentarische Opposition gab. Wir haben die bittere Erfahrung gemacht, dass dort, wo es keine Opposition gibt, die Freiheit verkommt. Deshalb muss es politische Alternativen geben. (...)

Ich sage das alles aus einem Gefühl der Verantwortung für die demokratische und prosperierende Zukunft Europas. Ich möchte an die Grundprinzipien erinnern, auf deren Grundlage die europäische Zivilisation seit Jahrhunderten bzw. Jahrtausenden gebildet ist. Das sind Prinzipien von zeitloser und universeller Gültigkeit, die deshalb auch in der heutigen Europäischen Union gelten sollen. Ich bin davon überzeugt, dass sich die Bürger der einzelnen EU-Länder Freiheit, Demokratie und Prosperität wünschen. (...)
Falls Sie die Zeit erübrigen können, lesen Sie die Rede bitte ganz und sorgfältig. Es ist eine der großen Reden in der Geschichte der europäischen Integration; eine kluge und differenzierte Rede.

Daß die von Katrin Brand zitierten Abgeordneten sich so flegelhaft geäußert haben, wie sie es taten, sagt nichts über diese Rede, aber viel über diese Abgeordneten. Von denen einer - Daniel Cohn-Bendit - sich übrigens schon einmal gegenüber dem tschechischen Staatspräsidenten als ein Flegel benommen hat.



Nachtrag (20.2. abends): Erst jetzt habe ich gesehen, daß gestern schon Stunden, bevor ich diesen Artikel publiziert habe, bei den Kollegen von B.L.O.G. Boche auf das Thema eingegangen ist und dazu auch ein weiteres Beispiel für die agitatorische Berichterstattung zitiert hat, den Artikel in der FTD. - Siehe auch die Artikel von Daniel Fallenstein und von Jo@achim vom Antibürokratieteam.



Für Kommentare bitte hier klicken.

19. Februar 2009

Benedikt XVI., Bischof Williamson und die Fraternitas Sacerdotalis Sancti Pii X (SSPX ): 1. Wie es zur Exkommunikation und zum Schisma kam

Ein Gastbeitrag von Gorgasal

Mittlerweile ist die Aufregung um die Aufhebung der Exkommunikation von vier SSPX- Bischöfen und die Holocaust- Leugnung eines der Bischöfe etwas abgeflaut. Zeit, sich einen Überblick zu verschaffen, was da eigentlich vorgefallen ist.

Da hier eine Exkommunikation aufgehoben wurde, müssen wir uns erst einmal darüber klarwerden, was eine Exkommunikation ist (und was sie nicht ist). Die Exkommunikation in der katholischen Kirche ist kein Ausschluss aus der Kirche - ein solcher ist kirchenrechtlich gar nicht möglich. Vielmehr schließt sie den Exkommunizierten von der vollen Gemeinschaft mit der Kirche aus.

Die einschlägigen Abschnitte finden sich im geltenden kirchlichen Recht, dem Codex Iuris Canonici (CIC) von 1983, in Canon 1331: dem Exkommunizierten ist es verboten, Sakramente wie die Kommunion oder die Beichte oder Sakramentalien wie das kirchliche Begräbnis zu empfangen oder zu spenden. Allerdings hat der Exkommunizierte weiterhin als Mitglied der Kirche die Verpflichtung etwa zum Besuch des Gottesdienstes.

Die Exkommunikation gibt es in zwei Varianten: als Tatstrafe oder als Beugestrafe.

Die Tatstrafe tritt ohne expliziten Urteilsspruch mit dem Vergehen ein, mit dem man sich selbst so weit von der Kirche entfernt hat, dass eine volle Gemeinschaft nicht mehr möglich ist. Sie tritt ein nach schweren Vergehen wie der Entweihung der Eucharistie, der Verletzung des Beichtgeheimnisses, dem Schwangerschaftsabbruch, Apostasie, Häresie, Schisma, Simonie bei der Papstwahl, oder auch - und jetzt wird es für uns interessant - bei einer unerlaubten Bischofsweihe, und zwar für beide Parteien: den Weihenden und den Geweihten.

Die Beugestrafe hingegen tritt durch ausdrücklichen Urteilsspruch ein: sie soll den Exkommunizierten häufig dazu bewegen, ein irriges Verhalten einzustellen, das inner- wie außerhalb der Kirche Ärgernis erregt, beispielsweise wenn ein Amtsträger der Kirche irrige Lehren verbreitet und damit die Gläubigen irreführt.



Wie kam es denn nun zu den Exkommunikationen, die von Benedikt XVI. aufgehoben wurden?

Nach dem zweiten vatikanischen Konzil (1962-1965) kamen einige konservativere Gläubige und Geistliche zunehmend zu der Auffassung, dass das Konzil mehr als "Bruch" in der katholischen Kirche denn als eines von vielen Konzilien interpretiert wurde - ihrer Ansicht nach überwog eine "Hermeneutik des Bruches" die "Hermeneutik der Kontinuität", die die Rezeption und Interpretation der früheren Konzilien dominiert hatte.

Beispielsweise wurde im II. Vatikanum die Muttersprache im Gottesdienst zugelassen: "Da bei der Messe, bei der Sakramentenspendung und in den anderen Bereichen der Liturgie nicht selten der Gebrauch der Muttersprache für das Volk sehr nützlich sein kann, soll es gestattet sein, ihr einen weiteren Raum zuzubilligen, vor allem in den Lesungen und Hinweisen und in einigen Orationen und Gesängen..." (Sacrosanctum Concilium, 36, §2).

Dennoch sollte das Lateinische weiterhin im Gebrauch bleiben: "Der Gebrauch der lateinischen Sprache soll in den lateinischen Riten erhalten bleiben, soweit nicht Sonderrecht entgegensteht." (Sacrosanctum Concilium, 36, §1). In der Praxis führte dies nicht zu einer allmählichen und schrittweisen Entwicklung, sondern zu einem abrupten Untergang der jahrhundertealten lateinischen Messe, die das Konzil von Trient im 16. Jh. kodifiziert hatte.

Wie gesagt empfanden einige Katholiken diese Entwicklung als zu schnell und der Tradition der katholischen Kirche nicht angemessen - "prüft aber alles, das Gute haltet fest" (1 Thess 5,21). Insbesondere Erzbischof Marcel Lefebvre (1905-1991) war ein Wortführer dieser "traditionalistischen" Linie. Fünf Jahre nach dem Konzil gründete er 1970 die Priesterbruderschaft St. Pius X., die sich der Bewahrung der tridentinischen Messe verschrieb. Die Bruderschaft wird meist nach ihrem offiziellen lateinischen Namen Fraternitas Sacerdotalis Sancti Pii X als (F)SSPX abgekürzt.

Die SSPX wurde zunächst ganz regulär sechs Jahre lang ad experimentum geführt, also auf Probe. Normalerweise wird die Regularisierung einer Bruderschaft danach durch den zuständigen Ortsbischof durchgeführt.

Lefebvre hatte sehr angespannte Beziehungen zu den französischen und Westschweizer Bischöfen, die weit von seinen Ansichten entfernt standen, und versuchte, in der Frage der Regularisierung direkt an Rom zu appellieren. Das wurde weder von der französischen Bischofskonferenz noch von der Kurie gut aufgenommen, und 1975 wurde der vorläufige Status der SSPX aufgehoben - von diesem Zeitpunkt an war die SSPX nicht mehr von der Kirche anerkannt.

Lefebvre und die SSPX operierten dennoch als Bruderschaft weiter, und Lefebvre weihte entgegen einem ausdrücklichen Verbot weiterhin Priester. Entsprechend wurde er 1976 a collatione ordinum suspendiert und durfte keine Priesterweihen mehr durchführen. Allerdings änderte das nichts an der Gültigkeit seiner Weihen - jede Priesterweihe eines Bischofs ist als solche gültig, allerdings in diesem Falle unerlaubt. Nach einigen weiteren Briefwechseln wurde Lefebvre a divinis suspendiert und durfte keine Sakramente mehr spenden.



Nun wurde Lefebvre - der einzige mit der SSPX assoziierte Bischof - nicht jünger, und nach katholischer Lehre kann nur ein Bischof gültig Priester und Bischöfe weihen. Mit Lefebvres Tod wäre der SSPX also der Fortbestand unmöglich geworden.

Ursprünglich suchte Lefebvre noch die Aussöhnung mit dem Heiligen Stuhl und war nicht willens, eine unerlaubte Bischofsweihe durchzuführen und damit eine Kirchenspaltung zu riskieren. 1988 war sogar ein Memorandum of Understanding zwischen Lefebvre und der Glaubenskongregation (der ein gewisser Joseph Ratzinger vorstand) unterschriftsreif.

Die SSPX versprach darin Treue zum Papst und zur Kirche und erkannte die problematischen Aspekte des II. Vatikanums und die Gültigkeit der "neuen Messe" an. Umgekehrt versprach die Glaubenskongregation der SSPX den Status einer "Gesellschaft apostolischen Lebens" und das Recht auf die "alte Messe". Dem Papst sollte vorgeschlagen werden, dass ein Mitglied der SSPX zum Bischof geweiht werden sollte. Schließlich sollten allfällige noch strittige Punkte durch eine Kommission geklärt werden, der auch zwei Mitglieder der SSPX angehören sollten. Alles schien sich zum Besten zu wenden.

Aber der Optimismus war verfrüht. Kaum war das gemeinsame Protokoll fertig, kamen Lefebvre Gewissensbisse. Er verlangte eine frühere Bischofsweihe (zu diesem Zeitpunkt war er bereits 83 Jahre alt) dreier statt eines SSPX- Bischofs sowie eine Mehrheit von SSPX- Mitgliedern in der einzurichtenden Schiedskommission. Auf Geheiß von Johannes Paul II. drängte Ratzinger auf eine Einhaltung des ursprünglichen Protokolls.

Dies wiederum nahm Lefebvre zum Anlass, die Verhandlungen abzubrechen und am 30. Juni 1988 vier Priester des SSPX zum Bischof zu weihen: Bernard Fellay, Bernard Tissier de Mallerais, Richard Williamson und Alfonso de Galarreta. Wie oben schon beschrieben zogen sich damit alle Beteiligten die Tatstrafe der Exkommunikation zu, die am 1. Juli 1988 durch die päpstliche Kongregation für die Bischöfe formell festgestellt wurde. Das Schisma war perfekt.

(Fortsetzung folgt)



Für Kommentare bitte hier klicken.