28. Februar 2009

Zitat des Tages: Die Modernität des Islamismus

Because of its emphasis on returning to Islamic purity, and its apparent — indeed noisy — rejection of modernity, most people failed to notice how modern a phenomenon Islamism was, not just in time but in spirit.

(Weil er die Rückkehr zum reinen Islam betont und weil er scheinbar, ja lautstark die Moderne ablehnt, wird meist übersehen, was für ein modernes Phänomen der Islamismus ist - nicht nur von seiner zeitlichen Entstehung her, sondern auch, was seinen Geist angeht.)

Theodore Dalrymple in der Zeitschrift City Journal des Manhattan Institute in einem Aufsatz "The Persistence of Ideology" (Das Fortbestehen der Ideologie).

Kommentar: Der Islamismus ist keine Religion, sondern eine politische Bewegung. Er ist die letzte der totalitären Bewegungen des Zwanzigsten Jahrhunderts - nach dem Faschismus, dem Kommunismus und dem Nazismus.

Er ist eine Bewegung mit allen Kennzeichen des Totalitarismus:

Mit einer für alle Bürger verbindlichen Ideologie, die vor allem die "Gemeinschaft" betont (die Volksgemeinschaft, die sozialistische Menschengemeinschaft, die Gemeinschaft der Gläubigen (Umma)); die einen übergreifenden geschichtlichen Zusammenhang herstellt (des Kampfs der "Rassen", des Klassenkampfs, der Kampfs gegen die Ungläubigen); die das Heil verspricht; die eine Welterklärung liefert bis hin zur Erklärung dafür, daß es Feinde der betreffenden Ideologie gibt (weil sie "fremdrassig" sind; weil sie der Klasse der Ausbeuter angehören; weil sie nicht vom Licht des Glaubens erleuchtet sind).

Gewinnt eine solche totalitäre Ideologie die Herrschaft, dann schafft sie einen Einparteienstaat mit der vollständigen Überwachung der Bürger durch eine Geheimpolizei; mit Folter, Verschleppungen und Hinrichtungen als Instrumenten der Einschüchterung; mit einer staatlich kontrollierten Wirtschaft; mit dem Hineinregieren des Staats in alle Lebensbereiche, bis in die Familie, in die Gestaltung der Freizeit. (Für den Faschismus, der ja mit dem Nazismus nur wenig Ähnlichkeit hatte, gilt das alles nur teilweise).

Warum wird diese offensichtliche Übereinstimmung oft nicht gesehen?

Teils, scheint mir, weil unter dem Einfluß der Kommunisten das Phänomen des Totalitarismus als solches oft noch geleugnet wird. Die Kommunisten haben natürlich jedes Interesse daran, es zu leugnen, weil die offensichtlichen Übereinstimmungen zwischen dem kommunistischen und dem NS- Herrschaftssystem verschleiert werden sollen. Die simple empirische Tatsache des Totalitarismus wird als eine "Totalitarismus- Theorie" abgetan.

Was speziell den Islamismus angeht, mag Unwissen eine Rolle spielen. Daß der Islamismus eine Ideologie ist, die im 20. Jahrhundert entstanden ist, die also auf bestimmte Autoren und Gruppierungen zurückgeht, ist oft nicht bekannt. Viele meinen, der Islamismus verhalte sich zum Islam wie, sagen wir, der Kapitalismus zum Kapital.

Theodore Dalrymple geht vor allem auf einen der Väter des Islamismus ein, den Ägypter Sayyid Kutub, den Theoretiker der Moslem- Bruderschaft, auf die beispielsweise die Kaida wesentlich zurückgeht. Er zeigt anhand von Zitaten, wie Aussagen von Kutub bis in die Einzelheiten mit denen von Lenin übereinstimmen.



Dalyrymples hauptsächliches Thema in dem Aufsatz ist die Frage, warum das Zeitalter der Ideologien nicht mit dem Scheitern des Kommunismus zu Ende gegangen ist, sondern im Islamismus (und, wie er meint, im Ökologismus) seine Fortsetzung gefunden hat. Seine Antwort erscheint mir einleuchtend:
... in many parts of the world, the number of educated people has risen far faster than the capacity of economies to reward them with positions they believe commensurate with their attainments. Even in the most advanced economies, one will always find unhappy educated people searching for the reason that they are not as important as they should be.

... in vielen Teilen der Welt ist die Zahl der gut Ausgebildeten schneller gestiegen als die Kapazität der Volkswirtschaften, sie mit Positionen zu belohnen, die ihnen dem, was sie erreicht haben, angemessen erscheinen. Selbst in den fortschrittlichsten Volkswirtschaften wird man immer gut Ausgebildete finden, die unglücklich sind und die nach dem Grund dafür suchen, daß sie nicht so wichtig sind, wie es ihnen zustehe.
Diese Schicht, meint Dalrymple, sei der hauptsächliche Träger von Ideologien.

Eine sicher nicht neue These, aber eine, von der ich mir doch wünschen würde, daß sie allgemeiner anerkannt wird, als das bisher der Fall ist.

Es sind nicht die "benachteiligten Massen", die aus sich heraus anfällig für Ideologie wären. Dafür denkt der Angehörige dieser Schicht viel zu praktisch und realitätsnah. Sein Bedürfnis ist es nicht, Ursprung und Ziel der Geschichte zu verstehen, sondern seine Familie ordentlich zu ernähren und sich einen Fernseher und ein Auto leisten zu können. Kein Volk der Welt ist in seiner Mehrheit anfällig für Ideologie.

Vielen von denen, die Dalrymple die "educated people" nennt - ich habe das mit "gut Ausgebildete" übersetzt, denn gebildet müssen sie keineswegs sein - genügt das aber nicht. Sie erleben die Diskrepanz zwischen dem, was sie, die Absolventen einer Hochschule (oft auch nur einer Fachhochschule oder dergleichen), im Leben sind und dem gesellschaftlichen Rang und Einkommen eines ungebildeten Geschäftsmanns, eines Militärs, eines Anghörigen der Feudalschicht.

Mit kaum etwas kann man sein derart gekränktes Selbstwertgefühl so aufrichten wie mit dem schönen Gefühl, den Schlüssel zum Verständnis der Welt zu besitzen. Zumal, wenn man daraus das Recht ableitet, andere zu bevormunden und am Ende auch in der sozialen Hierarchie ganz oben anzukommen.

Dank des Glaubens an die Ideologie vom Volksschul- Lehrer zum NS-Bonzen, vom Dorfgeistlichen zum mächtigen Ayatollah, vom Studenten zum Polit- Kommissar. Solche Karrieren haben im Zwanzigsten Jahrhundert die totalitären Staaten geprägt. Heute findet man sie dort, wo Islamisten regieren.



Mit Dank an Thomas Pauli. Für Kommentare bitte hier klicken.