Hätte Daniel Fallenstein nicht im Blog Antibürokratieteam heute darauf aufmerksam gemacht, dann wäre es mir entgangen: Gestern war ein runder Geburtstag von Theodor Heuss. Vor 125 Jahren wurde er geboren.
Adenauer und Heuss - die beiden gehörten für die Deutschen der fünfziger Jahren zusammen wie, sagen wir, Kara ben Nemsi und Hadschi Halef; oder wie Don Quijote und Sancho Pansa.
Adenauer, das war der listige, trickreiche Rheinländer mit der einfachen, plastischen Sprache. Der Praktiker, der Taktiker: So wurde er damals gesehen. Daß er auch ein Mann mit ehernen Prinzipien war, ein weitblickender Staatsmann, dieser "gußeiserne Kanzler" (so Rudolf Augstein), das haben die meisten - auch Augstein - erst im Rückblick erkannt.
Und Heuss, sein Antipode, sein Gegenstück, sein Zwilling - das war "Papa Heuss", der gemütliche Schwabe mit der tiefen Stimme. "Mäine lieben Landsloide ...", diesen Beginn seiner Weihnachtsansprachen, langsam, bedächtig und in dieser unverwechselbaren Stimmlage eines Basso profondo gesprochen, hat jeder noch ihm Ohr, der ihn damals im Radio erlebt hat.
Er gehörte wie Adenauer zu den Politikern, die ihre prägenden Jugenderfahrungen noch im Kaiserreich gemacht hatten (bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs war er immerhin schon dreißig Jahre alt) und die in der Weimarer Zeit versucht hatten, ein demokratisches Deutschland aufzubauen.
Wie Adenauer überstand der Nazigegner Heuss das Dritte Reich in der, wie man sagte, "inneren Emigration". Als Journalist und Publizist von Publikationsverboten betroffen, aber mal unter Pseudonym, mal in politisch unverdächtigen Genres doch schreibend; sich so über Wasser haltend.
Er war ein in der Wolle gefärbter Liberaler; Biograph von Friedrich Naumann, Gründungsmitglied der DDP, der Vorläuferin der FDP in der Weimarer Republik. Und er übte sein Amt als Liberaler aus; aber in einer in gewisser Hinsicht paradoxen Weise.
Mit seinen liberalen Ansichten hielt er sich zurück. Mir ist nicht erinnerlich, daß er sich jemals in eine politische Streitfrage eingemischt hat, um die liberale Position zu stärken. Aber gerade damit tat er viel für die Liberalität der noch jungen Bundesrepublik.
Er verkörperte den Staatsmann, für den das Gemeinwesen und nicht seine Partei oder auch nur seine politische Philosophie an erster Stelle steht. Er war damit der perfekte Antipode, die perfekte Ergänzung zu Adenauer: Dieser war immer Partei; ein Mann, der keinen Augenblick unklar ließ, welche Meinung er hatte. Er stand für den demokratischen Streit, das Ringen um die beste Lösung. Heuss stand für die Gemeinsamkeit der Demokraten.
Er prägte damit das Amt des Bundespräsidenten. Das Grundgesetz hatte es keineswegs so eindeutig nur repräsentativ angelegt, wie Heuss es gestaltete. Das wurde deutlich, als Konrad Adenauer 1959 vorübergehend erwog, in dieses Amt zu wechseln und dabei die Fäden der Politik in der Hand zu behalten. Ein wenig auf den Spuren Hindenburgs, dem die Weimarer Verfassung freilich weit mehr Befugnisse zuerkannt hatte als das Grundgesetz dem Bundespräsidenten. Das Grundgesetz, so sah es der Jurist Adenauer zunächst, hätte aber durchaus einen erheblich politischeren Präsidenten ermöglicht, als Heuss es aus eigenem Entschluß gewesen war.
Heuss war so etwas wie der Anti- Hindenburg; in jeder Hinsicht. Dieser ein Militär durch und durch, Heuss ein eingefleischter Zivilist. ("Nun siegt mal schön" soll er Soldaten fröhlich zugerufen haben, die er im Manöver besuchte). Hindenburg autoritär, Heuss ein Demokrat par excellence. Hindenburg ein politischer Präsident, Heuss ein bewußt nur repräsentativer.
Wobei es mit "repräsentativ" so eine Sache war. Heuss hielt wenig von staatlicher Repräsentation. Er verstand sich als Bürger- Präsidenten im doppelten Sinn: Als Präsidenten der Bürger, aber auch als einen Präsidenten, der im Amt Bürger geblieben war.
Ein Glücksfall für die Bundesrepublik war er nicht nur durch seine Persönlichkeit, sondern auch deshalb, weil er sich nie auch nur indirekt mit den Nazis eingelassen hatte; 1942 war es Hitler persönlich gewesen, der ein Publikationsverbot über ihn verhängen ließ.
Freilich verhinderte das nicht, daß Zweifel an seiner demokratischen Integrität gesät wurden. Kaum etwas in Heuss' bewegter politischer Biografie wurde so oft erwähnt wie seine Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz. Dabei hatte er nicht zustimmen wollen und auch bereits eine entsprechende Rede vorbereitet. Er fügte sich aber der Disziplin seiner Fraktion, die mehrheitlich für eine Zustimmung war. Im übrigen konnte man aus ehrenwerten Motiven dem Ermächtigungsgesetz zustimmen.
Im Herbst 1959 schied Heuss aus dem Amt. Vor einem halben Jahrhundert! Die ersten Jahre der Bundesrepublik beginnen langsam, aus der Zeitgeschichte in die Historie überzugehen. Oder anders gesagt: Die Bundesrepublik, als Provisorium begründet, gewinnt allmählich das Gewicht und die Würde eines Staats mit Tradition. Daß es eine respektable, eine vorzeigbare Tradition ist, dazu hat Heuss viel beigetragen.
Adenauer und Heuss - die beiden gehörten für die Deutschen der fünfziger Jahren zusammen wie, sagen wir, Kara ben Nemsi und Hadschi Halef; oder wie Don Quijote und Sancho Pansa.
Adenauer, das war der listige, trickreiche Rheinländer mit der einfachen, plastischen Sprache. Der Praktiker, der Taktiker: So wurde er damals gesehen. Daß er auch ein Mann mit ehernen Prinzipien war, ein weitblickender Staatsmann, dieser "gußeiserne Kanzler" (so Rudolf Augstein), das haben die meisten - auch Augstein - erst im Rückblick erkannt.
Und Heuss, sein Antipode, sein Gegenstück, sein Zwilling - das war "Papa Heuss", der gemütliche Schwabe mit der tiefen Stimme. "Mäine lieben Landsloide ...", diesen Beginn seiner Weihnachtsansprachen, langsam, bedächtig und in dieser unverwechselbaren Stimmlage eines Basso profondo gesprochen, hat jeder noch ihm Ohr, der ihn damals im Radio erlebt hat.
Er gehörte wie Adenauer zu den Politikern, die ihre prägenden Jugenderfahrungen noch im Kaiserreich gemacht hatten (bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs war er immerhin schon dreißig Jahre alt) und die in der Weimarer Zeit versucht hatten, ein demokratisches Deutschland aufzubauen.
Wie Adenauer überstand der Nazigegner Heuss das Dritte Reich in der, wie man sagte, "inneren Emigration". Als Journalist und Publizist von Publikationsverboten betroffen, aber mal unter Pseudonym, mal in politisch unverdächtigen Genres doch schreibend; sich so über Wasser haltend.
Er war ein in der Wolle gefärbter Liberaler; Biograph von Friedrich Naumann, Gründungsmitglied der DDP, der Vorläuferin der FDP in der Weimarer Republik. Und er übte sein Amt als Liberaler aus; aber in einer in gewisser Hinsicht paradoxen Weise.
Mit seinen liberalen Ansichten hielt er sich zurück. Mir ist nicht erinnerlich, daß er sich jemals in eine politische Streitfrage eingemischt hat, um die liberale Position zu stärken. Aber gerade damit tat er viel für die Liberalität der noch jungen Bundesrepublik.
Er verkörperte den Staatsmann, für den das Gemeinwesen und nicht seine Partei oder auch nur seine politische Philosophie an erster Stelle steht. Er war damit der perfekte Antipode, die perfekte Ergänzung zu Adenauer: Dieser war immer Partei; ein Mann, der keinen Augenblick unklar ließ, welche Meinung er hatte. Er stand für den demokratischen Streit, das Ringen um die beste Lösung. Heuss stand für die Gemeinsamkeit der Demokraten.
Er prägte damit das Amt des Bundespräsidenten. Das Grundgesetz hatte es keineswegs so eindeutig nur repräsentativ angelegt, wie Heuss es gestaltete. Das wurde deutlich, als Konrad Adenauer 1959 vorübergehend erwog, in dieses Amt zu wechseln und dabei die Fäden der Politik in der Hand zu behalten. Ein wenig auf den Spuren Hindenburgs, dem die Weimarer Verfassung freilich weit mehr Befugnisse zuerkannt hatte als das Grundgesetz dem Bundespräsidenten. Das Grundgesetz, so sah es der Jurist Adenauer zunächst, hätte aber durchaus einen erheblich politischeren Präsidenten ermöglicht, als Heuss es aus eigenem Entschluß gewesen war.
Heuss war so etwas wie der Anti- Hindenburg; in jeder Hinsicht. Dieser ein Militär durch und durch, Heuss ein eingefleischter Zivilist. ("Nun siegt mal schön" soll er Soldaten fröhlich zugerufen haben, die er im Manöver besuchte). Hindenburg autoritär, Heuss ein Demokrat par excellence. Hindenburg ein politischer Präsident, Heuss ein bewußt nur repräsentativer.
Wobei es mit "repräsentativ" so eine Sache war. Heuss hielt wenig von staatlicher Repräsentation. Er verstand sich als Bürger- Präsidenten im doppelten Sinn: Als Präsidenten der Bürger, aber auch als einen Präsidenten, der im Amt Bürger geblieben war.
Ein Glücksfall für die Bundesrepublik war er nicht nur durch seine Persönlichkeit, sondern auch deshalb, weil er sich nie auch nur indirekt mit den Nazis eingelassen hatte; 1942 war es Hitler persönlich gewesen, der ein Publikationsverbot über ihn verhängen ließ.
Freilich verhinderte das nicht, daß Zweifel an seiner demokratischen Integrität gesät wurden. Kaum etwas in Heuss' bewegter politischer Biografie wurde so oft erwähnt wie seine Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz. Dabei hatte er nicht zustimmen wollen und auch bereits eine entsprechende Rede vorbereitet. Er fügte sich aber der Disziplin seiner Fraktion, die mehrheitlich für eine Zustimmung war. Im übrigen konnte man aus ehrenwerten Motiven dem Ermächtigungsgesetz zustimmen.
Im Herbst 1959 schied Heuss aus dem Amt. Vor einem halben Jahrhundert! Die ersten Jahre der Bundesrepublik beginnen langsam, aus der Zeitgeschichte in die Historie überzugehen. Oder anders gesagt: Die Bundesrepublik, als Provisorium begründet, gewinnt allmählich das Gewicht und die Würde eines Staats mit Tradition. Daß es eine respektable, eine vorzeigbare Tradition ist, dazu hat Heuss viel beigetragen.
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