11. Februar 2009

Zitat des Tages: "Das Wahlsystem ist eklatant gescheitert". Über den Ausgang der Wahlen in Israel. Einmal mehr ein Plädoyer für das Mehrheitswahlrecht

But the most blatant failure was that of our electoral system, insistently unreformed by our politicians, and again apparently denying whoever becomes prime minister the solid bedrock of parliamentary support so vitally needed to steer Israel through the mounting regional challenges it faces.

(Am Eklatantesten aber scheiterte unser Wahlsystem, dem unsere Politiker beharrlich eine Reform verweigern und das offenbar wiederum dem Premierminister - wer immer das wird - die feste Grundlage einer Unterstützung im Parlament verweigert; so dringend diese auch nötig wäre, um Israel durch die wachsenden Herausforderungen zu steuern, vor denen es in der Region steht.)

Der Chefredakteur der Jerusalem Post, David Horovitz, in seiner Analyse des Ausgangs der gestrigen Wahlen zur Knesset.

Kommentar: In Israel sind die Stimmen nahezu komplett ausgezählt. Es fehlen lediglich noch diejenigen des Militärs und der Israelis, die im Ausland in den Botschaften gewählt haben.

Das Wahlergebnis steht also fest. Der Ausgang der Wahlen ist völlig offen.

Das Ergebnis sieht, nachdem 98 Prozent der Stimmen ausgezählt sind, so aus: Kadima (liberal) 28; Likud (konservativ) 27; Israel Beiteinu (rechts- populistisch) 15; Arbeiterpartei (sozialdemokratisch) 13; Schas (orthodox) 11; Vereinigte Arabische Liste 5, Vereinigtes Thora- Judentum (ultra- orthodox) 4; Nationale Union (national- religiös) 4; Hadasch (links- säkulär) 4, Meretz (links- sozialistisch) 3; Bayit Hayihudi (national- religiös) 3; Balad (israelo- arabisch) 2.

Wenn es heißt, Tzipi Livnis Kadema hätte die Wahlen "gewonnen", dann ist das also nicht nur mit einem Körnchen, sondern mit einem ganzen Scheffel Salz zu nehmen. Sie hat voraussichtlich gerade einmal 28 von 120 Sitzen.

In den Berichten über das Wahlergebnis wurde manchmal ein "Linksblock" einem "Rechtsblock" gegenübergestellt; ich habe das in einem ersten Artikel über den Wahlausgang übernommen.

Aber es handelt sich dabei keineswegs um Wahlbündnisse, so wie sie beispielsweise in Frankreich vor den Wahlen zwischen linken Parteien (PS, PCF, Linksliberale) und rechten Parteien (UMP, UDF) geschmiedet werden. Sondern die Journalisten zählen einfach die Stimmen der Parteien zusammen, die als links (liberal, sozialdemokratisch, sozialistisch, säkular usw.) und die als rechts (konservativ, rechtspopulistisch, national- religiös usw.) gelten.

Über Koalitionen ist damit nichts gesagt. Welche Koalition aus den gestrigen Wahlen hervorgeht, ist völlig offen.

Livni verlangt, als erste mit der Bildung der Regierung beauftragt zu werden, weil ihre Partei die meisten Mandate hat. Vielleicht tut Peres das, der derselben Partei angehört (die Kadima ist aus liberalen ehemaligen Mitgliedern sowohl des Likud als auch der Arbeiterpartei hervorgegangen).

Aus dem Likud wird aber bereits (nicht zu Unrecht) dagegen argumentiert, daß Livni vor den jetzigen Wahlen schon mit der Bildung einer Regierung scheiterte. Damals hatte sie eine bessere Ausgangs- Position in der Knesset als jetzt; und just aufgrund ihres Scheiterns wurden die jetzigen Neuwahlen erforderlich. Warum sollte ihr jetzt gelingen, was ihr damals mißlang?

Also Netanyahu? Er hat nicht so gut abgeschnitten, wie die letzten Umfragen vorhersagten. Aber der Likud hat die Zahl seiner Mandate gegenüber den letzten Wahlen (damals nur 12) mehr als verdoppelt.

Eine Schlüsselrolle wird Avigdor Lieberman zufallen. Seine Partei Israel Beiteinu (Heimstatt Israel) wird als rechts- populistisch bezeichnet. Aber bei Populisten weiß man ja meist nicht, ob sie eigentlich links, rechts oder sonst etwas sind. Lieberman war der Leiter des Büros von Netanyahu, als dieser Premier war. Aber er war auch stellvertretender Premier im Kabinett von Ehud Olmert, der wie Livni der Kadema angehört.

Erst recht lassen sich die Orthodoxen nicht einem von zwei "Blöcken" zurechnen. Sie sind traditionell bereit, jede Regierung zu unterstützen, die ihren religiösen (und finanziellen) Forderungen entspricht.



Stammleser von ZR wissen, wie ich das jetzt kommentieren werde: Israel ist geradezu ein Musterbeispiel für das Elend des Verhältnis- Wahlrechts. Eines Wahlrechts, das scheinbar "gerecht" ist, weil es auch noch der unbedeutendsten Minderheit dazu verhilft, im Parlament vertreten zu sein und weil es angeblich zu einer Verteilung der politischen Macht führt, welche die "Meinungen im Volk widerspiegelt".

Ich kann davon nichts sehen; auch und gerade jetzt wieder nach diesem Wahlergebnis in Israel. Nicht die "Meinungen im Volk" werden am Ende darüber bestimmen, wer Israel regiert. Sondern erstens werden es die Führer der großen Parteien bestimmen, die jetzt in Verhandlungen eintreten, jeder mehr oder weniger mit jedem. Und zweitens werden es diejenigen Parteien bestimmen, die das (in einem schiefen, aber nun einmal gängigen Bild) "Zünglein an der Waage" sind: Traditionell die Religiösen; jetzt auch Liebermans Populisten.

"Gerecht" oder auch nur "repräsentativ" ist daran gar nichts. Das Verhältnis- Wahlrecht erzeugt in aller Regel nur instabile Verhältnisse und eine Mentalität des Kuhhandels zwischen den Parteien. Das war in der Weimarer Republik so. Es war so in der italienischen Nachkriegs- Republik, bevor das Wahlrecht geändert wurde. Es war so in Frankreichs Vierter Republik, bevor mit der Fünften Republik das Mehrheits- Wahlrecht eingeführt wurde. Es ist traditionell so in Israel.

So sieht es auch der Chefredakteur Horovitz. Er weist auf das Dilemma hin, in dem Präsident Peres jetzt bei der Entscheidung steckt, wen er mit der Bildung einer Regierung beauftragen soll, und schreibt dazu:
The very fact that the president may face this kind of dilemma underlines the unworkability of the Israeli electoral system, which has gradually seen "big" parties losing support to the extent where, as in 2006, no single party seems to have won the backing of more than a quarter of the Knesset.

Die Tatsache als solche, daß der Präsident sich einem Dilemma dieser Art gegenübersehen dürfte, unterstreicht, daß das Wahlsystem Israels nicht funktioniert; ein Wahlsystem, unter dem "große" Parteien in einem Maß an Unterstützung verloren haben, daß, genauso wie im Jahr 2006, offenbar keine einzige Partei in der Knesset mehr als ein Viertel der Sitze haben wird.
Nach jenen Wahlen 2006 hatte man, so Horovitz, eine Reform des Wahlrechts in Angriff nehmen wollen. Aber daraus wurde nichts.

Offenbar muß einer Republik das Wasser bis zum Hals stehen, so wie der französischen 1958 und der italienischen 1992, bis man bereit ist, das Verhältnis- Wahlrecht zu kippen.

Der Grund liegt auf der Hand: Eine solche Änderung des Wahlrechts bedarf einer breiten Mehrheit im Parlament. In einem Parlament, das selbst logischerweise noch nach dem Verhältnis- Wahlrecht gewählt wurde. In dem also Parteien sitzen und in der Regel eine Sperrminorität haben, die mit der Änderung des Wahlrechts ihr eigenes Todesurteil beschließen würden.



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