31. März 2007

"So macht Kommunismus Spaß" (4): Das Leben von Ulrike Marie Meinhof

Das politische Leben von Ulrike Marie Meinhof gliedert sich - fast könnte man sagen: es zerfällt - in drei Abschnitte, zwischen denen tiefe Zäsuren liegen. Jeder läßt sich durch den Namen eines Mannes kennzeichnen: Gustav Heinemann, Klaus Rainer Röhl, Andreas Baader.



Im ersten Abschnitt war Ulrike Marie Meinhof eine linke, bürgerliche Protestantin in der Tradition der "Bekennenden Kirche"; in der Tradition Martin Niemöllers und Gustav Heinemanns, des Gründers der "Gesamtdeutschen Volkspartei". Einer Strömung ohne nachhaltigen Einfluß auf die deutsche Politik; aber immerhin hat sie zwei deutsche Bundespräsidenten (neben Heinemann Johannes Rau, auch er ein guter Bekannter von Ulrike Marie Meinhof) hervorgebracht; und einen der einflußreichsten Politiker der SPD, Erhard Eppler.

In dieses politische Milieu wuchs Ulrike Marie Meinhof hinein. Als ihre Eltern kurz nacheinander verstarben, nahm sich eine alte Studienfreundin ihrer Mutter der Vierzehnjährigen an, die Pädagogik- Professorin Renate Riemeck. Sie vermittelte Ulrike Marie Meinhof ihre politischen Werte: die eines fundamentalistischen linken Protestantismus; von einer rigorosen Moralauffassung getragen, wie sie so oft im Protestantismus zu finden ist. Sie führte Renate Riemeck später dazu, sich als Galionsfigur für eine von Ostberlin aus konzipierte und gesteuerte kommunistische Tarnorganisation, die DFU, herzugeben.

Die hochbegabte, als ernsthaft, mutig und prinzipientreu geschilderte Ulrike Marie Meinhof wurde nach dem Abitur Stipendiatin der "Studienstiftung des deutschen Volkes". Ihre Berichte an die Studienstiftung zeigen eine wissenschaftlich denkende, selbstkritische Studentin mit breiten Interessen und zugleich einer gründlichen Arbeitsweise - sozusagen die ideale Studienstiftlerin. Ihr war der Weg vorgezeichnet, zu promovieren und eine wissenschaftliche Karriere einzuschlagen.

Aber sie war eben auch eine kritische, linke Protestantin. Das führte sie fast zwangsläufig in den Pazifismus, in die Bewegung "Kampf dem Atomtod". Und diese wurde zunehmend kommunistisch unterwandert. So wurde auch Ulrike Marie Meinhof Kommunistin.



Im zweiten Lebensabschnitt war Ulrike Marie Meinhof eine kommunistische Agitatorin, eine Journalistin, die im Auftrag ihrer Partei arbeitete, der damals verbotenen KPD. Klaus Rainer Röhl, der im Parteiauftrag den "Studentenkurier", später "Konkret", unter der Tarnung als eine unabhängige linke Zeitschrift herausgab, hatte sie für die KPD rekrutiert; und sie hatte sich in ihn verliebt und ihn geheiratet.

Sie war als Agitatorin so erfolgreich, daß die Ostberliner Parteiführung Röhl als Chefredakteur von "Konkret" absetzte und sie als seine Nachfolgerin installierte.

Sie war eine Parteisoldatin. Effizient, gehorsam, aber auch brillant; eine zweite Rosa Luxemburg. Ihr Auftrag, wie überhaupt der Parteiauftrag für "Konkret", war es, die parteipolitisch nicht festgelegten linken Studenten im Sinn der KPD zu agitieren. Dazu war es erforderlich, daß "Konkret" sich nicht als kommunistisch zu erkennen gab. Klaus Rainer Röhl schrieb sogar regelmäßig Artikel, die die DDR kritisierten. Im Schnitt einer pro Heft, das war so festgelegt.



Im dritten Abschnitt ihres Lebens war Ulrike Marie Meinhof eine Terroristin, die sich entschlossen hatte, am Aufbau einer kommunistischen Armee mitzuwirken mit dem Ziel, in Deutschland einen Bürgerkrieg zu entfachen, an dessen Ende die kommunistische Machtergreifung stehen sollte.

Wie sie dazu werden konnte, ist oft erörtert worden.

Klaus Rainer Röhl hatte sich äußerst ernsthaft in eine andere Frau verliebt; die Ehe war damit gescheitert.

Ulrike Marie Meinhof wollte aber auch aus anderen Gründen weg aus Hamburg: Nicht nur raus aus dem schicken Haus im Villenviertel, sondern weg von diesem ganzen linken Schickeria- Milieu, in dem ihre Ernsthaftigkeit, ihre Radikalität nur den Wert eines glänzenden Sich- Verkaufens hatte. Sie hatte es in gewisser Weise genossen, sich als exotische Linke in diesem Milieu zu bewegen; aber es war ihr wohl zunehmend auch zuwider geworden.

Also brach sie alle Brücken ab, ging nach Berlin und versuchte, in ein Milieu einzutauchen, zu dem sie im Grunde keinen Zugang hatte: Sie schloß sich ungebildeten, prolligen und protzenden Revoluzzern an.

Der unangefochtene, auch von Ulrike Marie Meinhof akzeptierte Anführer der Gruppe, deren Mitglied sie wurde, war Andreas Baader, ein berufsloser, in der Berliner Sado- Maso -Szene der sechziger Jahre bekannter Bohémien, der sich entschlossen hatte, Politiker zu werden.

Ulrike Marie Meinhof hat sich ihm untergeordnet. Die brillante Intellektuelle dem prahlenden, unglaublich dummen Macho, der Frauen grundsätzlich als "Fotzen" bezeichnete. La belle et la bête.

Bevor sie in Mordanschläge verwickelt werden konnte, wurde sie verhaftet. Vielleicht war sie auf dem Weg gewesen, sich zu stellen, als sie verhaftet wurde. Sie wehrte sich nicht.

In den Gefängnisjahren geriet sie in der Gruppe der RAF- Häftlinge mehr und mehr in die Isolation; ohne Einfluß, am unteren Ende der Hackordnung. Von den anderen ständig kritisiert, regelrecht gemobbt, sich hilflos rechtfertigend, immer depressiver, immer mehr voller Selbstzweifel. Am 9.Mai 1976 nahm sie sich das Leben.



Mir fällt es schwer, diese Biographie zu verstehen; erst recht sie zu bewerten, gar zu verurteilen.

Ulrike Marie Meinhof war keine Verführte. Sie wußte, was sie tat. Es ist schlicht falsch, zu glauben, daß sie nicht für den Massenmord eingetreten wäre, den die RAF einleiten wollte. Sie ist ja, beispielsweise, sehr wahrscheinlich die Verfasserin der Schrift "Das Konzept Stadtguerilla", die zum Bürgerkrieg in Deutschland aufruft.

Nur paßt diese Brutalität, dieser Zynismus, diese Unmenschlichkeit so gar nicht zu Ulrike Marie Meinhof. Oder, richtiger, subjektiver formuliert: Das geht nicht zusammen mit meinem Bild von einem Menschen, der durchweg als aufrecht, ernsthaft, hochintelligent, reflektierend, empathisch geschildert wird.

Erklärungsversuche wären also notwendig. Ich versuche jetzt zwei Erklärungen und bin mir im Klaren, wie unsicher solch ein Psychologisieren ist:

Mir scheint erstens, daß diese ohne Familie, ohne Geschwister, in großer Vereinzelung aufgewachsene Frau immer sehnsüchtig, geradezu süchtig nach Gemeinschaft gewesen ist. Von daher ihre Selbstaufgabe, als sie sich der Autorität der KPD unterordnete. Von daher, denke ich mir, ihr sacrificium intellectus, als sie sich dem Kommando eines brutalen Dummkopfs unterordnete.

Zweitens war sie, denke ich, repräsentativ für eine skurrile, abwegige Form schlechten Gewissens, wie sie bei den zahlreichen Sympathisanten der RAF weit verbreitet war:

Eines schlechten Gewissens deswegen, weil man immer nur redet und nicht handelt. Weil man nicht den Mut hat, mit seinem Leben für das einzustehen, was man für richtig hält.

Intellektuelle verachteten sich selbst und bewunderten noch den dümmsten Steinewerfer, weil der es eben gewagt hatte, Steine zu werfen. Oder zu zündeln. Oder, schließlich, Menschen zu ermorden. Sanfte Leute, die selbst keinem Tier etwas zuleide tun konnten, bewunderten allen Ernstes Mörder, weil sie den Mut zum Morden hatten.

Die tun was! Das war in den siebziger Jahren nicht der Werbeslogan eines Automobil- Herstellers, sondern eine weitverbreitete Meinung über die Revoluzzer, die sich zur Tat entschlossen hatten.

Es war pervers. Es war keinen Deut besser als die Zustimmung, die die Elterngeneration dieser 68er der Brutalität der Nazis entgegengebracht hatte. Es war die SS-Mentalität der RAF, die aber nur möglich war, weil viele Deutsche dieser Generation genauso dachten: Wer Recht hat, der hat auch das Recht, für sein Recht zu morden.

Das war der Grundgedanke des Nationalsozialismus gewesen.



Heute, wo die meisten Deutschen Demokraten geworden sind, kann man sich kaum noch vorstellen, daß viele - und sehr viele engagierte Linke - so dachten. Aber sie dachten so. Sie waren in ihrer Mentalität Nazis, diese "militanten" Achtundsechziger, auch wenn sie sich einbildeten, gegen den "Faschismus" zu sein; was immer sie sich darunter vorstellten.

Ulrike Marie Meinhof spiegelte mit ihrer Radikalität diese Haltung wider. Nein, widerspiegeln ist nicht ganz die richtige Metapher: Sie nahm sie auf, reflektierte sie und fokussierte sie.

Die ersten drei Folgen dieser Serie sind hier, hier und hier zu lesen.