14. März 2007

Zu François Bayrou (1): Halb de Gaulle, halb Kennedy

Heute habe ich zum ersten Mal François Bayrou in einer größeren Diskussions- Sendung erlebt; "Le temps de choisir" des Senders "LCP", der dem deutschen Sender "Phoenix" vergleichbar ist. Er stellte sich, unter der Moderation der charmanten und klugen Emilie Aubry, den Fragen zahlreicher Journalisten.



Ich war überrascht. So radikal hatte ich mir das nicht vorgestellt, was Bayrou will. Denn auch wenn er es nicht so nennt - er will das Ende der Fünften Republik. Er will eine Sechste Republik.

Bayrou hat eine irritierende Art, Fragen zu beantworten. Man könnte sie für ausweichend halten. Aber er sieht das wohl so, daß er die Dinge auf eine neue Art betrachtet, sie auf eine andere Ebene hebt.

Beispiel: Ein Journalist stellt eine naheliegende Frage: Wenn Sie, François Bayrou, im zweiten Wahlgang gegen Ségolène Royal gewinnen, dann werden Sie das mit den Stimmen der Rechten getan haben. Wenn Sie gegen Nicolas Sarkozy gewinnen, dann werden Sie das mit den Stimmen der Linken getan haben: Wird das nicht bedeuten, daß Sie im einen Fall dann auch mit der Linken, im anderen mit der Rechten regieren werden?

Pas du tout, war die Antwort von Bayrou. Der Frager habe noch nicht verstanden, was er, Bayrou, wolle: Eine Überwindung der clivage, der Kluft zwischen Links und Rechts.

Und auf die Frage, wie das denn gehen solle, erlaubte er einen kleinen Blick in seine Pläne:

Bei den nach der Präsidentschaftswahl stattfindenden Wahlen zur Nationalversammlung werde es in jedem Wahlkreis einen Kandidaten geben, der für diesen neuen Ansatz ("approche nouvelle") stehe. Er oder sie könne aus irgendeiner der alten Parteien kommen, das sei nicht wichtig. Jedenfalls aber ein Kandidat, der die neue Linie des gewählten Präsidenten Bayrou unterstütze, seine neue Mehrheit ("majorité nouvelle"). .



Mal meinte man Charles de Gaulle zu hören, mal John F. Kennedy.

Wenn er über das bisherige Parteiensystem herzieht - "l'ancien système", "les manières d'hier", "les appareils" (das alte System, die Art von gestern, die Apparate) - dann präsentiert sich François Bayrou als der neue Charles de Gaulle. Den Namen von de Gaulles Partei - Rassemblement du Peuple Français, Sammlung des Französischen Volks - könnte er, wäre er nicht schon vergeben, auch seiner offensichtlich geplanten neuen Volksbewegung geben.

Nur ist er, anders als Charles de Gaulle, kein Konservativer, kein Nationalist. Sondern wie Kennedy will er sein Land modernisieren. Wie Kennedy will er Frankreich wieder an die Spitze des Fortschritts bringen: "Au lieu de nous combattre, travaillerons ensemble pour reconstruire notre pays" - "Statt uns gegenseitig zu bekämpfen: arbeiten wir gemeinsam daran, unser Land zu erneuern". So ähnlich hat das auch Kennedy gesagt.



Ich beginne jetzt zu verstehen, was das "Phénomène Bayrou" ausmacht. Wieso dieser Mann, der bei so etwas wie sieben Prozent startete, jetzt gut über zwanzig Prozent liegt, Tendenz steil steigend:

Er ist mal wieder ein Hoffnungsträger.

Frankreich ist ja weit hinter Deutschland zurück, was die Akzeptanz der Globalisierung, was neoliberale Reformen angeht.

Die Staatsverschuldung ist gewaltig und steigt und steigt. Die Arbeitslosigkeit zeigt längst noch nicht die fallende Tendenz, wie jetzt in Deutschland.

Die von der sozialistisch- kommunistischen Regierung Jospin staatlich festgelegte 35- Stunden- Woche ist ein Klotz am Bein der französischen Wirtschaft. Die Rechte hat es nicht gewagt, diesen Irrsinn zu beseitigen.

Der Staat regiert noch immer in die Wirtschaft hinein; siehe jetzt die Vorschläge zum Airbus- Problem: Der Staat solle einen größeren Anteil an dem Unternehmen übernehmen.

Staatliche Beschäftigungsprogramme (Emplois- Jeunes; Jobs für Jugendliche) haben sich als ein Schuß in den Ofen erwiesen, wie überall auf der Welt, wo man glaubte, der Staat könne Beschäftigung schaffen.

Kurz, viele Franzosen merken, daß es so nicht weitergehen kann. Und sie haben die Erfahrung gemacht, daß die Rechten den Karren nicht aus dem Dreck ziehen konnten oder wollten, in den ihn die Linken gefahren hatten.

Ähnlich war die Lage in Frankreich, als de Gaulle "gerufen" wurde. Ähnlich war sie in den USA, als nach am Ende der Präsidentschaft des ehrenwerten, aber konservativ- trägen Dwight D. Eisenhower das Land nach der New Frontier, der neuen Grenze strebte.



Wie will Bayrou ihn nun aus dem Dreck ziehen, den Karren? Über seine Wirtschafts-, Gesellschafts- und Außenpolitik hatte er im ersten Teil der Sendung Auskunft gegeben, den ich leider versäumt habe. Aber eine Aufzeichnung wird heute Nacht gesendet.

Wenn ich diesen ersten Teil gesehen habe, gibt es nochmal einen Beitrag zu diesem Thema. Das mir inzwischen viel interessanter vorkommt, als ich das erwartet hatte. Und zu dem meine Meinung sich auch zu ändern beginnt.