27. März 2007

Zu François Bayrou (2): Kein Liberalkonservativer, aber ein Ordoliberaler

Wie versprochen, jetzt ein Beitrag über die wirtschafts- und gesellschafts- politischen Vorstellungen von François Bayrou. Allerdings nicht auf der Sendung "Le Temps de choisir" basierend, auf die sich der erste Teil dieser kleinen Serie über Bayrou bezogen hatte. Dort waren die Auskünfte Bayrous zu diesen Themen doch eher vage.

Jetzt ist er aber sehr viel konkreter geworden, und zwar in der gestrigen Ausgabe der Wirtschaftszeitung "Les Echos". Er wurde von unterschiedlichen Wirtschafts- Fachleuten befragt; unter anderem dem Inhaber eines kleinen Unternehmens und einer Kommunistin.

Mein Eindruck ist, daß er gewiß kein Chicago- Liberaler ist. Als solcher hätte er in Frankreich auch eine ungefähr so große Chance, Präsident zu werden, wie Brigitte Bardot. Seine Ansichten scheinen mir aber recht nahe an denen der Ordoliberalen zu sein: Es ist eine soziale Marktwirtschaft à la Ludwig Erhard, die ihm offenbar vorschwebt.

Für Frankreich, wo sich traditionell linke und rechte Etatisten an der Regierung ablösen, wäre es eine wahre Revolution, wenn er es schaffen würde. Deshalb wird es - hélas! - wohl auch nichts werden mit einem Präsidenten Bayrou.



Aber gucken darf man ja mal. Hier sind Kernsätze aus dem in den "Echos" dokumentierten Gespräch, mit meinen Übersetzungen und [Kommentaren].

Über die Rolle des Staats:
Je veux en effet faire de la France un pays pro-entreprise. Au lieu de considérer que l'administration n'a qu'un rôle de contrôle et de sanction, je voudrais qu'elle fasse du conseil.

Ich möchte in der Tat aus Frankreich ein unternehmerfreundliches Land machen. Statt es so zu sehen, daß die die Regierung nur die Funktion des Verwaltens und Kontrollierens hat, möchte ich, daß sie Rat erteilt.

Tout fonctionne comme si l'Etat était le patron de tout et qu'à ce patron-là, on n'avait pas le droit d'adresser la parole. C'est cela qu'il faut changer, et ce n'est pas une petite affaire. Il faut convertir la société française au partenariat, à la reconnaissance d'une double légitimité, celle de l'Etat et celle de la société civile. C'est dans ce partenariat, et notamment dans la reconnaissance d'un droit de saisine sur tout ce qui ne marche pas, que l'on trouvera des marges de progrès infinis, sans augmenter les prélèvements obligatoires. Tout cela est source de croissance, de liberté, de confiance.

Alles funktioniert so, als sei der Staat der Chef von allem und jedem und als dürfe man diesem Chef nichts sagen. Das ist es, was geändert werden muß, und das ist keine Kleinigkeit. Es ist nötig, die französische Gesellschaft zur Partnerschaft hin zu verändern. Anzuerkennen, daß es eine doppelte Legitimität gibt, die des Staats und die der Zivilgesellschaft. In dieser Partnerschaft, und vor allem in der Anerkennung des Rechts, [den Verfassungsrat] zu allem anzurufen, was nicht funktioniert, wird man den Rahmen für unbegrenzten Fortschritt finden. Und das verlangt keine Erhöhung der Steuern. Alles das ist eine Quelle des Wachstums, der Freiheit, des Vertrauens.

Pourquoi, en France, les partenaires sociaux ne se parlent-ils pas ? Pourquoi s'enferment-ils dans un jeu de rôle qui consiste à réclamer tout d'un côté et à refuser tout de l'autre ? Parce qu'on sait que c'est l'Etat qui décidera en dernier recours.

Warum reden in Frankreich die Sozialpartner nicht miteinander? Warum kapseln sie sich in ein Rollenspiel ein, das darin besteht, auf der einen Seite alles zu fordern und auf der anderen alles abzulehnen? Weil man weiß, daß am Ende doch der Staat entscheidet.

[Auf die Frage, ob man die Ämter nicht auch samstags für Publikumsvekehr geöffnet sein sollten] Excellente suggestion. Cette mesure ne coûterait pas un euro à l'Etat et rendrait la vie plus facile. Ce que vous venez de suggérer montre qu'il y a d'immenses marges de progrès en France, qui ne coûtent pas d'argent.

Ein ausgezeichneter Vorschlag. Diese Maßname würden den Staat nicht einen Euro kosten und das Leben erleichtern. Was Sie vorschlagen, das zeigt, daß es in Frankreich immensen Spielraum für einen Fortschritt gibt, der nichts kostet.
Über die Vermögenssteuer:
Je suis favorable à une base large et à un taux réduit d'ISF. Le taux réduit, pour moi, c'est 1 pour 1000. C'est simple et compréhensible par tout le monde. (...) mon idée reste (...) d'abaisser le taux, afin que les gens se fassent à l'idée que ce n'est plus un impôt pénalisant.

Ich bin für einen breiten Sockel und einen verminderten Steuersatz für die ISF (Vermögenssteuer). Ein verminderter Satz, das ist für mich ein Promille. Das ist einfach und jedem verständlich. (...) es bleibt meine Idee (...), diese Steuern zu senken, damit die Menschen verstehen, daß es keine Strafsteuer ist.
Über das Arbeitsrecht:
L'Etat ne peut plus décider de tout. Il est en situation d'extrême fragilité, c'est un colosse aux pieds d'argile. La manière dont le travail est organisé doit se discuter entre les organisations syndicales et les entreprises.

Der Staat kann nicht alles entscheiden. Er ist in einer sehr zerbrechlichen Lage, ein Koloß auf tönernen Füßen. Die Art, wie die Arbeit organisiert wird, muß zwischen den Gewerkschaften und den Unternehmen ausgehandelt werden.
Über die 35-Stunden-Woche:
Les 35 heures ont engendré deux maux : des feuilles de paie trop basses et du stress dans l'entreprise. On nous avait annoncé les 35 heures payées 39, on a finalement eu les 35 heures payées 35, avec le stress en prime.

Die 35-Stunden-Woche hat zwei Übel mit sich gebracht: Zu niedrige Löhne und Streß in den Unternehmen. Man hat uns die 35 Stunden versprochen, bezahlt wie 39 Stunden. Am Ende haben wir die 35 Stunden, bezahlt wie 35 Stunden, und dazu noch den Streß.
Über die Gewerkschaften:
Il faut que les organisations syndicales passent de la protestation à la responsabilité. Ce n'est pas facile, certains n'aimeront pas ça, mais il faut absolument aller dans cette direction. Il faut bouger. Et, d'ailleurs, le faible taux de syndicalisation en France montre qu'il y a quelque chose qui ne va pas dans notre système.

Die Gewerkschaften müssen vom Protest zur Verantwortung übergehen. Das ist nicht leicht. Manche werden es nicht mögen, aber es ist unbedingt erforderlich, in diese Richtung zu gehen. Wir müssen uns bewegen. Im übrigen zeigt der geringe Organisationsgrad in Frankreich, daß in unserem System einiges nicht in Ordnung ist.
Über den Kommunismus:[An eine kommunistische Fragestellerin gerichtet:]
(...) nulle part dans le monde, les solutions que vous défendez n'ont été appliquées et n'ont produit quelque chose de bien. Nulle part. Je sais bien que vous avez un idéal et des raisons de le défendre, (...) mais nulle part ce que vous demandez n'a produit autre chose que d'épouvantables malheurs et des millions de morts.

(...) nirgends in der Welt sind die Lösungen, die Sie vertreten, angewandt worden und haben zu etwas Gutem geführt. Ich weiß sehr wohl, daß Sie ein Ideal haben und Gründe, es zu vertreten, (...) aber nirgendwo hat das, was Sie verlangen, etwas anderes als entsetzliches Unglück und Millionen von Toten hervorgebracht.
Über die Lage Frankreichs:
Les Français savent bien que la réalité est complexe, que personne n'a totalement raison et personne complétement tort. Il est grand temps que nous en tirions toutes les conséquences sur le plan politique.

Die Franzosen wissen sehr gut, daß die Realität komplex ist, das niemand völlig im Recht und niemand völlig im Unrecht ist. Es ist hohe Zeit, daß wir daraus auf der politischen Ebene die Konsequenzen ziehen.



Mir scheint, das sind sehr vernünftige Ideen. In Deutschland würde ein Kandidat damit vielleicht offene Türen einrennen. Für Frankreich ist der Mann aber schon fast ein Revolutionär.

Er versucht, mit seinem Charisma, mit dieser Mischung aus Kennedy und de Gaulle, mit diesem Pathos der Volksnähe die Vorbehalte zu überwinden, die in Frankreich gegen einen Liberalen wie ihn existieren.

Ich fürchte, es wird nichts werden. Und würde mich sehr freuen, wenn ich in vier Wochen feststellen könnte, daß ich mich geirrt habe.