Dürfen sich Künstler politisch äußern? Sollten sich Künstler, zumal Literaten, politisch engagieren, müssen sie es gar? Weil doch auch Kunst letzten Endes Politik ist? Ist es gar barbarisch, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben?
Dumme Fragen. Sehr dumme Fragen. Es gibt Künstler, die sich von der Politik fernhalten. Es gibt andere, die sich gesellschaftlich, vielleicht sogar parteipolitisch engagieren. So, wie es Lyriker und Romanciers gibt, Realisten und Surrealisten, Sprachartisten und Minimalisten.
Künstlern das eine oder andere vorzuschreiben ist absurd. "L'art pour l'art" ist ebenso gerechtfertigt und begründbar wie die "Litterature engagée".
Trivialerweise. Der Kunst Vorschriften zu machen ist noch dümmer, als Menschen in anderen Lebensbereichen Vorschriften zu machen. Kunst basiert darauf, lebt davon, daß sie keinen Vorschriften folgt, daß sie incorrect ist, politisch und in jeder anderen Hinsicht.
Nur wird es, so borniert es ist, halt immer wieder versucht, der Kunst politische Zügel anzulegen. Natürlich in totalitären Systemen. Aber auch im demokratischen Rechtsstaat.
In der jüngeren Geschichte gab es zwei solche politische Strömungen, in denen Künstler bedrängt wurden, sich "politisch zu engagieren".
Erstens passierte das in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.
In Frankreich vor dem Hintergrund der Erfahrung der Résistance. Während der Besatzungszeit war jeder Franzose zu der Entscheidung gezwungen gewesen, ob er sich der Résistance anschließen wollte oder nicht. Einige Literaten, wie Albert Camus, René Char und André Malraux taten das. Andere schwankten, wie Jean-Paul Sartre, oder hielten sich ganz heraus, wie André Gide, der sich nach Nordafrika absetzte.
Nach der Befreiung führte das zu heftigen Diskussionen; und gerade der während der Besatzungszeit nicht als Widerständler hervorgetretene Sartre wurde nun der Herold des Sich- Entscheidens, des politischen Engagements. Keine politische Auseinandersetzung, zu der Sartre nicht seine Meinung vernehmen ließ; bis hin zu dem gespenstischen Besuch in Stammheim. Das politische Engagement des Schriftstellers, zur Burleske geworden.
In Deutschland gab es eine ähnliche Auseinandersetzung über das politische Engagement von Künstlern; natürlich aufgrund der Erfahrungen der Nazi-Zeit und vor allem der Verbrechen der Nazis.
Theodor W. Adorno, der eine Begabung für das Erfinden griffiger Formulierungen hatte, schrieb 1951 in "Minima Moralia" den immer wieder zitierten Satz: "Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben ist barbarisch". Vermutlich einer der meistzitierten Sätze zur deutschen Literatur des Zwanzigsten Jahrhunderts; noch Günter Grass hat ihn in seiner Nobelpreisrede von 1999 aufgegriffen.
Ein auch für Adorno ungewöhnlich provokativer Satz. Der Versuch, der Kunst nicht nur politische, sondern gleich auch noch moralische Fesseln anzulegen.
Das zweite Mal fand der Versuch, die Kunst politisch zu disziplinieren, nach der Revoluzzerei von 1967, 1968 statt. "Alles ist Politik" - das war ein Schlagwort, eine Direktive, der sich sogar die Intelligenteren unter den Künstlern damals unterwarfen.
Und das ist nicht vorbei. Wer eine aktuelle Kostprobe dieses schwafligen, aufgeblasenen und schlichtgeistigen Geredes lesen möchte, das damals von allen Seiten auf uns alle eindrang, dem empfehle ich (falls er es denn ertragen kann) diesen Beitrag.
Heutige können sich das vielleicht nicht mehr vorstellen - aber so schrieben damals fast alle; zwischen 1967 und ungefähr 1985.
Nun zu Walser. Er ist ein politisch interessierter Schriftsteller, der sich diesem Bedrängen immer konsequent entzogen hat.
Er hat sich dezidiert "links" geäußert und wurde dafür kritisiert. Er hat sich zum Holocaust geäußert und wurde dafür kritisiert. Er wurde als Kommunist bezeichnet und als Antisemit. Er hat's ertragen.
Fast vermute ich, er hat's genossen.
Denn Walser versucht, so scheint mir, die Karten in dem Spiel zwischen Politik und Kunst neu zu mischen. Er weigert sich - ganz anders als der superkorrekte, hochgradig angepaßte Günter Grass (siehe seine Nobelpreisrede) - , so zu reden, wie das von der politischen Wirkung her eigentlich richtig ist. Mit anderen Wortern, wie er reden müßte, wenn er Politiker wäre.
Wenn ein Politiker etwas sagt wie Walser 1999, dann achtet er auf die Wirkung. Nein - er sagt es ja just wegen der Wirkung. Walser hat sich aber, wie mir scheint, nie wegen der Wirkung geäußert, sondern weil es das Ergebnis seines Nachdenkens gewesen war. Mit einer gewissen souveränen, man kann auch sagen arroganten, Geringschätzung der Folgen.
Martin Walser hat immer gesagt, was er dachte. Was er oft auch ins Unreine dachte, womit er sich beschäftigte. Mit den Zweifeln, den Fragen, der Unsicherheit, wie das halt bei einem Intellektuellen der Fall ist.
Und er hatte immer das Bedürfnis, das zu kommunizieren. Andere an seinen Überlegungen, seinen Zweifeln, seiner Unsicherheit teilhaben zu lassen.
Das war auch der Tenor seiner Dankesrede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels von 1999. Ich empfehle, sie nachzulesen.
Aber er wurde als Politiker mißverstanden, der etwas bewirken will, der nachdenkliche, selbstkritische, frei denkende Martin Walser. Seine Zweifel, seine Fragen, wurden als bewußter Tabubruch, gar als Ausdruck von Antisemitismus gebrandmarkt.
Kurz, man hat ihn so gesehen wie einen, der als Politiker auf Effekte zielt.
Und zufällig wurde nun auch noch bald danach sein Roman "Tod eines Kritikers" publiziert - ungefähr so antisemitisch, wie der "Tartuffe" antichristlich ist.
Aber da war's geschehen. Da war Martin Walser abgestempelt.
"Du siehst, mit diesem Trank im Leibe, bald Helenen in jedem Weibe". Ist einer erst mal des Antisemitismus verdächtig, dann wird die Auseinandersetzung mit einer Person, schwupp, zum antisemitischen Text.
Absurd, ungerecht, ein trauriges Kapitel des deutschen Kulturbetriebs.
Nur - er hat's gut überstanden, der Martin Walser. Bei Thea Dorn, bei der er ja eh zur Hochform aufläuft, wirkte er sehr souverän.
Dumme Fragen. Sehr dumme Fragen. Es gibt Künstler, die sich von der Politik fernhalten. Es gibt andere, die sich gesellschaftlich, vielleicht sogar parteipolitisch engagieren. So, wie es Lyriker und Romanciers gibt, Realisten und Surrealisten, Sprachartisten und Minimalisten.
Künstlern das eine oder andere vorzuschreiben ist absurd. "L'art pour l'art" ist ebenso gerechtfertigt und begründbar wie die "Litterature engagée".
Trivialerweise. Der Kunst Vorschriften zu machen ist noch dümmer, als Menschen in anderen Lebensbereichen Vorschriften zu machen. Kunst basiert darauf, lebt davon, daß sie keinen Vorschriften folgt, daß sie incorrect ist, politisch und in jeder anderen Hinsicht.
Nur wird es, so borniert es ist, halt immer wieder versucht, der Kunst politische Zügel anzulegen. Natürlich in totalitären Systemen. Aber auch im demokratischen Rechtsstaat.
In der jüngeren Geschichte gab es zwei solche politische Strömungen, in denen Künstler bedrängt wurden, sich "politisch zu engagieren".
Erstens passierte das in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.
In Frankreich vor dem Hintergrund der Erfahrung der Résistance. Während der Besatzungszeit war jeder Franzose zu der Entscheidung gezwungen gewesen, ob er sich der Résistance anschließen wollte oder nicht. Einige Literaten, wie Albert Camus, René Char und André Malraux taten das. Andere schwankten, wie Jean-Paul Sartre, oder hielten sich ganz heraus, wie André Gide, der sich nach Nordafrika absetzte.
Nach der Befreiung führte das zu heftigen Diskussionen; und gerade der während der Besatzungszeit nicht als Widerständler hervorgetretene Sartre wurde nun der Herold des Sich- Entscheidens, des politischen Engagements. Keine politische Auseinandersetzung, zu der Sartre nicht seine Meinung vernehmen ließ; bis hin zu dem gespenstischen Besuch in Stammheim. Das politische Engagement des Schriftstellers, zur Burleske geworden.
In Deutschland gab es eine ähnliche Auseinandersetzung über das politische Engagement von Künstlern; natürlich aufgrund der Erfahrungen der Nazi-Zeit und vor allem der Verbrechen der Nazis.
Theodor W. Adorno, der eine Begabung für das Erfinden griffiger Formulierungen hatte, schrieb 1951 in "Minima Moralia" den immer wieder zitierten Satz: "Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben ist barbarisch". Vermutlich einer der meistzitierten Sätze zur deutschen Literatur des Zwanzigsten Jahrhunderts; noch Günter Grass hat ihn in seiner Nobelpreisrede von 1999 aufgegriffen.
Ein auch für Adorno ungewöhnlich provokativer Satz. Der Versuch, der Kunst nicht nur politische, sondern gleich auch noch moralische Fesseln anzulegen.
Das zweite Mal fand der Versuch, die Kunst politisch zu disziplinieren, nach der Revoluzzerei von 1967, 1968 statt. "Alles ist Politik" - das war ein Schlagwort, eine Direktive, der sich sogar die Intelligenteren unter den Künstlern damals unterwarfen.
Und das ist nicht vorbei. Wer eine aktuelle Kostprobe dieses schwafligen, aufgeblasenen und schlichtgeistigen Geredes lesen möchte, das damals von allen Seiten auf uns alle eindrang, dem empfehle ich (falls er es denn ertragen kann) diesen Beitrag.
Heutige können sich das vielleicht nicht mehr vorstellen - aber so schrieben damals fast alle; zwischen 1967 und ungefähr 1985.
Nun zu Walser. Er ist ein politisch interessierter Schriftsteller, der sich diesem Bedrängen immer konsequent entzogen hat.
Er hat sich dezidiert "links" geäußert und wurde dafür kritisiert. Er hat sich zum Holocaust geäußert und wurde dafür kritisiert. Er wurde als Kommunist bezeichnet und als Antisemit. Er hat's ertragen.
Fast vermute ich, er hat's genossen.
Denn Walser versucht, so scheint mir, die Karten in dem Spiel zwischen Politik und Kunst neu zu mischen. Er weigert sich - ganz anders als der superkorrekte, hochgradig angepaßte Günter Grass (siehe seine Nobelpreisrede) - , so zu reden, wie das von der politischen Wirkung her eigentlich richtig ist. Mit anderen Wortern, wie er reden müßte, wenn er Politiker wäre.
Wenn ein Politiker etwas sagt wie Walser 1999, dann achtet er auf die Wirkung. Nein - er sagt es ja just wegen der Wirkung. Walser hat sich aber, wie mir scheint, nie wegen der Wirkung geäußert, sondern weil es das Ergebnis seines Nachdenkens gewesen war. Mit einer gewissen souveränen, man kann auch sagen arroganten, Geringschätzung der Folgen.
Martin Walser hat immer gesagt, was er dachte. Was er oft auch ins Unreine dachte, womit er sich beschäftigte. Mit den Zweifeln, den Fragen, der Unsicherheit, wie das halt bei einem Intellektuellen der Fall ist.
Und er hatte immer das Bedürfnis, das zu kommunizieren. Andere an seinen Überlegungen, seinen Zweifeln, seiner Unsicherheit teilhaben zu lassen.
Das war auch der Tenor seiner Dankesrede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels von 1999. Ich empfehle, sie nachzulesen.
Aber er wurde als Politiker mißverstanden, der etwas bewirken will, der nachdenkliche, selbstkritische, frei denkende Martin Walser. Seine Zweifel, seine Fragen, wurden als bewußter Tabubruch, gar als Ausdruck von Antisemitismus gebrandmarkt.
Kurz, man hat ihn so gesehen wie einen, der als Politiker auf Effekte zielt.
Und zufällig wurde nun auch noch bald danach sein Roman "Tod eines Kritikers" publiziert - ungefähr so antisemitisch, wie der "Tartuffe" antichristlich ist.
Aber da war's geschehen. Da war Martin Walser abgestempelt.
"Du siehst, mit diesem Trank im Leibe, bald Helenen in jedem Weibe". Ist einer erst mal des Antisemitismus verdächtig, dann wird die Auseinandersetzung mit einer Person, schwupp, zum antisemitischen Text.
Absurd, ungerecht, ein trauriges Kapitel des deutschen Kulturbetriebs.
Nur - er hat's gut überstanden, der Martin Walser. Bei Thea Dorn, bei der er ja eh zur Hochform aufläuft, wirkte er sehr souverän.
Der erste Teil dieser Serie ist hier zu finden.