21. März 2007

Scharia am Main? Schauen wir uns den Fall mal genau an

"Sturm der Entrüstung über Koran- Richterin" titelt im Augenblick "Spiegel-Online". Und bietet weitere Beiträge sowie ein Forum an, alle unter der Überschrift "Justiz-Skandal": "Gewalt- Rechtfertigung mit Koran". "Deutsche Richterin rechtfertigt eheliche Gewalt mit Koran". "Koran kontra BGB - Rechtfertigung für eheliche Gewalt".

Gleich zwei Redakteurinnen und ein Redakteur haben sich der momentanen Aufmacher- Story angenommen und teilen uns mit:
Der Richterin, die mit Verweis auf den Koran Gewalt gegen eine Ehefrau rechtfertigte, wurde der Scheidungsfall entzogen. Politiker und Öffentlichkeit sind über den Fall empört. Der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz fordert disziplinarische Konsequenzen.

(...) "Abenteuerlich", nannte der Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach den Frankfurter Fall, der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz sprach von einer "eklatanten Fehlentscheidung einer Richterin". (...) "Es handelt sich aus meiner Sicht um eine massive Rechtsstaatswidrigkeit, die nicht einfach durch Befangenheit aus der Welt zu schaffen ist".
Hm, hm. Wenn der Abgeordnete Wiefelspütz empört ist, dann ist Vorsicht angebracht. Wir erinnern uns an den "Skandal hoch drei", den "Anschlag auf das Parlament", als in einem Abgeordnetenbüro Mikrofone gefunden worden waren, die mit Wanzen ungefähr so viel Ähnlichkeit hatten wie ein Omnibus mit einem Smart. Sie waren, wie sich bald herausstellte, harmlos - vor Jahren einmal zum Scherz eingebaut und dann vergessen worden.



"Scharia am Main - Prügeln per Gerichtsbeschluß" überschreibt die "Frankfurter Rundschau" einen Kommentar von Peter Michalzik, in dem zu lesen ist:
Dass gnadenlos exekutierter Kulturrelativismus und liebgewonnene Einfühlungsreflexe wie bei der political correctness zu absurden Ergebnissen führen und den schönen Begriff der Toleranz zu dem Ring machen, an dem wir uns wie Tanzbären durch die Manege der groteskesten Selbstverrenkungen führen lassen, bleibt nach wie vor gewöhnungsbedürftig.
Dann allerdings kriegt der Autor doch noch die Kurve zur deutschen Selbstbezichtigung:
Am Ende geht die Gefahr nicht von bombenlegenden Opernbesuchern und prügelnden Ehemännern aus, sondern von uns selbst.
Klar, am Ende sind wir immer die Schuldigen. Weil wir Tanzbären eine Ring aus dem Begriff der Toleranz schmieden und an ihm in einer Manege herumtanzen, die aus Selbstverrenkungen besteht.



Was hat sich nun wirklich zugetragen? Darüber informiert der oben verlinkte Beitrag in "Spiegel-Online". Darüber informiert der aktuelle Artikel in der "Frankfurter Rundschau". Und auch in der übrigen Presse wird der Fall mehr oder weniger vollständig beschrieben, zum Beispiel in der "Süddeutschen Zeitung".

Es geht um eine Ehe- und Scheidungsgeschichte. Eine in Deutschland lebende Frau marokkanischer Abstammung hatte einen ebenfalls aus Marokko stammenden Mann in Deutschland geheiratet.

Die Ehe verlief offenbar unglücklich. Der Mann schlug die Frau. Diese wandte sich daraufhin an die Rechtsanwältin Barbara Becker- Rojczyk, weil sie sich von dem Mann scheiden lassen wollte. Im Mai 2006 reichte sie die Scheidung ein.

Das deutsche Scheidungsrecht sieht nach Einreichung des Scheidungsbegehrens ein sogenanntes "Trennungsjahr" vor, bevor die Scheidung ausgesprochen wird. Dieses soll den Ehegatten Gelegenheit geben, das Scheidungsbegehren noch einmal zu prüfen und sich gegebenenfalls wieder zu versöhnen.

Wenn nun aber einer der Ehepartner gewalttätig gewesen ist, dann wenden die Gerichte oft das Gewaltschutzgesetz an. So geschah es auch hier: Die Frankfurter Richterin, die mit dem Fall befaßt war, verhängte gegen den gewalttätigen Ehemann ein sogenanntes Näherungsverbot: Er durfte sich nicht in der ehelichen Wohnung aufhalten, die der Frau zugesprochen war, und sich der Frau auch sonst nicht nähern. Dieses Verbot verlängerte die Richterin im Januar 2007. Soweit bisher bekannt ist, hat der Mann sich hieran auch gehalten.

Nun wollte die Frau aber darüber hinaus noch eine sogenannte vorzeitige Scheidung erreichen; also eine Scheidung vor dem Mai 2007, in dem das Trennungsjahr abgelaufen wäre. Dies ist in Härtefällen möglich.



Die Richterin hatte nun also zu entscheiden, ob ein Härtefall vorlag. Sie verneinte das, weil ja der Ehemann ohnehin keinen Zugang mehr zu seiner Frau hatte.

Sie tat aber noch ein Übriges: Sie begründete das Nichtvorliegen eines Härtefalls zusätzlich damit, daß eine Frau, die einen frommen Moslem heiratet, damit rechnen müsse, daß dieser sich gemäß dem Koran verhält:

"Für diesen Kulturkreis ist es nicht unüblich, dass der Mann gegenüber der Frau ein Züchtigungsrecht ausübt. Hiermit musste die in Deutschland geborene Antragstellerin rechnen, als sie den in Marokko aufgewachsenen Antragsgegner geheiratet hat" schrieb die Richterin.



Hat diese Richterin also etwa die Scharia angewandt, statt deutsches Recht? Nicht die Spur. Ist gar "Prügeln per Gerichtsbeschluß" sanktioniert worden? In keiner Weise. Durch das Näherungsverbot hat die Richterin ja im Gegenteil die Frau gegen den prügelnden Mann geschützt. Hat es eine "Gewalt- Rechtfertigung mit Koran" gegeben? Mitnichten.

Es ging allein um die Frage, ob ein Härtefall auch dann noch vorlag, als das Näherungsverbot ausgesprochen worden war. Bei der Entscheidung darüber hat die Richterin in ihre Überlegungen einbezogen, ob die Frau, als sie diesen Mann heiratete, damit hatte rechnen müssen, daß er sich gemäß den Vorschriften seiner Religion verhalten würde. Das hat sie bejaht.

Also kein Grund zur Aufregung. Jedenfalls kein Grund zu dem Empörungs- Theater, das jetzt abläuft. Den Vogel schießt mal wieder die unsägliche SPD- Bundestagsabgeordnete Lale Akgün ab, die laut "Spiegel-Online" gleich den Rechtsstaat bedroht sieht: "Doch in diesem Fall wird der Rechtsstaat ausgehöhlt. Mal davon abgesehen, dass Frauen- und Menschenrechte missachtet werden", zitiert "Spiegel-Online" Frau Akgün.




Um nicht mißverstanden zu werden: Nein, ich bin nicht dafür, in irgendeiner Weise in Deutschland islamisches Recht anzuwenden. Ich bin nicht dafür, Gewalttäter und Mörder milder zu bestrafen, weil sie sich gemäß "ihrem Kulturkreis" verhalten haben. Ich bin strikt dagegen.

Ich halte schon den Begriff des "Ehrenmords" für falsch. Menschen, die jemanden wegen der angeblichen "Ehre" umbringen, tun das in Wahrheit fast immer aus Egoismus - weil sie sich nicht der Mißachtung ihrer Glaubensgenossen, ihrer ethnischen Gruppe aussetzen wollen. Sie sind so zu bestrafen wie jeder Mörder aus niedrigen Beweggründen.

Ebenso kann es für Moslems, für Mormonen oder wen sonst auch immer kein Sonderrecht geben, was das Verhalten gegenüber Familienangehörigen angeht. Wer seine Tochter zwangsverheiratet, wer seine Frau schlägt, der ist in genau derselben Weise zu bestrafen; egal, wie die Sitten in seiner Heimat sind oder was seine Religion ihm erlaubt.

Da darf der demokratische Rechtsstaat meines Erachtens keinen Millimeter zurückweichen. Wer gegen deutsches Recht verstößt, der wird in Deutschland nach deutschem Recht verurteilt. Punktum.

Nur hat diese Frankfurter Richterin nach dem, was man bisher weiß, ja deutsches Recht angewandt und sonst nichts. Sie hat nur die Auffassung vertreten, daß eine Frau, die einen frommen Moslem heiratet, damit rechnen muß, daß er sich wie ein frommer Moslem verhält.

Könnte man das nicht auch als Realismus, sagen wir: sogar als kritischen, als islamkritischen Realismus verstehen?

Nachtrag: Inzwischen hat Karsten in B.L.O.G den Fall sachkundig untersucht. Er kommt zu einer ähnlichen Beurteilung wie ich, aber aufgrund einer gründlicheren juristischen Analyse. Lesenswert!