27. März 2007

Ketzereien zum Irak (9): Ein neues Vietnam? In einem Punkt schon

Zwei Kriege könnten kaum verschiedener sein als der Vietnam- Krieg und der Krieg im Irak.

Der Vietnam- Krieg (es ist vielleicht hilfreich, an einige Fakten zu erinnern) war im Grunde eine Phase eines mehr als dreißigjährigen Kriegs, der 1940 mit dem japanischen Angriff auf Französisch- Indochina begonnen hatte. Es gab Phasen eines konventionellen Kriegs, Phasen relativer Ruhe und zweimal eine Phase des Guerillakriegs.

Die Japaner hatten 1940 Indochina schnell erobert, die französische Verwaltung aber weitgehend weiterfunktionieren lassen. Nach der Kapitulation Japans 1945 versuchten die Franzosen die alten Kolonialverhältnisse wiederherzustellen, stießen aber auf den Widerstand der kommunistisch- nationalistischen Viet Minh- Guerrillakämpfer, aus denen nach dem Sieg der Kommunisten in China immer mehr eine reguläre Armee wurde. Am Ende dieser Phase stand die Schlacht von Dien Bien Phu und die Teilung Vietnams im Frieden von Genf 1954.

Die nächste Phase dieses Kriegs war die Rückkehr zu einem Guerrillakrieg, den die Kommunisten jetzt im Süden führten, unter der neuen Bezeichnung Viet Cong. Die (im Vergleich mit den Verhältnissen in Nordvietnam) demokratischen Regierungen von Diem und seinen Nachfolgern wurden mit diesem - heute würde man sagen: asymmetrischen - Krieg immer weniger fertig, so daß die Amerikaner ihnen immer mehr zur Hilfe kommen mußten. Sie taten es, weil sie der Überzeugung waren, daß ein kommunistischer Sieg in Vietnam ein Vordringen des Kommunismus auch nach Laos, Kambodscha, Thailand, Malaya, auf die Philippinen nach sich ziehen würde ("Domino- Theorie").

Am Ende wiederholte sich die Geschichte: Wieder mündete der Guerrillakampf in einen regulären Krieg, in dem die Truppen Südvietnams und der USA den Divisionen Nordvietnams gegenüberstanden, geführt von dem Strategen von Dien Bien Phu, General Giap. Keiner Seite gelang der entscheidende Sieg; auch wenn die Nordvietnamesen bei der Tet-Offensive 1968 eine vernichtende Niederlage erlitten hatten.

Trotzdem gab es schließlich einen eindeutigen Sieger: Diejenige Seite, die die stärkere Moral gehabt hatte. Die Kommunisten waren zum Durchhalten entschlossen gewesen, unter allen dafür erforderlichen Opfern. Die US-Bevölkerung lehnte dagegen diesen Krieg zunehmend ab und verlangte mehrheitlich einen Truppenabzug, selbst um den Preis einer demütigenden Niederlage.

Es begann die "Vietnamisierung" des Kriegs, mit parallel einem amerikanischen Rückzug und Friedensverhandlungen. Diese führten Anfang 1973 zum Frieden von Paris: Auf dem Papier ein Friedensschluß, der beiden Seiten das von ihnen beherrschte Territorium ließ. Faktisch ein Vorwand für die USA, sich zurückzuziehen und Südvietnam den Kommunisten zu überlassen. Die nicht daran dachten, sich an den Waffenstillstand zu halten.

Das Ende war besiegelt, als 1974 der von der Demokratischen Partei dominierte Kongreß die gesamte Militärhilfe für die südvietnamesische Armee sperrte. Ende April 1975 rückten die Kommunisten in Saigon ein. Was sie dann anrichteten, habe ich in einem früheren Beitrag geschildert.

Ein Kampf vietnamesischer kommunistischer Nationalisten gegen fremde Mächte - gegen die Franzosen, die Japaner, die Amerikaner, zeitweise auch die Chinesen - hatte damit sein Ende gefunden. Er hatte freilich nicht nur diese Fremden aus dem Land geworfen, sondern zugleich auch alle Ansätze für eine Entwicklung hin zu Freiheit, Demokratie und Wohlstand zerstört.

Vietnam beginnt jetzt - rund dreißig Jahre nach dem Sieg der Kommunisten - zögernd den Wiederaufbau; der Süden ist aber noch immer weit von dem Maß an Wohlstand, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie entfernt, das - bei allen offensichtlichen Mängeln - unter Diem und seinen Nachfolgern erreicht worden war. Wären die Kommunisten damals geschlagen worden, dann ginge es den Südvietnamesen heute so gut wie den Südkoreanern. Stattdessen geht es ihnen so schlecht wie den Nordvietnamesen.



Mit einer Ausnahme ist alles beim Irak- Krieg anders. Er war nicht eine Phase eines schon Jahrzehnte andauernden Kampfs, sondern ein Blitzkrieg gegen einen Diktator mit dem Ziel, seine Diktatur zu beseitigen. Der Krieg, für den dieser Name geprägt wurde (englisch einfach the blitz), der deutsche Krieg gegen Frankreich 1940, hatte immerhin sechs Wochen gedauert. Die US-Truppen brauchten für die Niederwerfung der Armee Saddam Husseins ganze 26 Tage, vom 20. März bis zum 15. April 2003.

Seither herrscht eine Situation, die völlig anders ist als irgendeine Phase des indonesischen Kriegs. Es gibt keine koordinierte Aufstandsbewegung mit einem gemeinsamen Ziel. Die im Irak operierenden Terroristen verfügen über keine schweren Waffen und sind unfähig, irgendeine Stadt, geschweige denn ein Gebiet, dauerhaft zu halten. Sie sind in keiner Hinsicht den Viet Cong vergleichbar.

Viel eher vergleichbar ist die Situation derjenigen in Algerien von 1992 bis 2002, als weite Teile des Landes von Islamisten terrorisiert wurden. Wie jetzt im Irak gelang es diesen bewaffneten Banden zu keinem Zeitpunkt, Gebiete zu erobern und zu halten. Sie richteten aber durch Anschläge und Überfälle ähnlich Schlimmes an wie jetzt die Terroristen im Irak.

Solche bewaffneten Banden haben in der Regel keine militärische Siegeschance; aber es ist auch außerordentlich schwer, sie zu besiegen. Deshalb dauern solche Kämpfe oft jahrzehntelang, zu Lasten der Zivilbevölkerung; wie beispielsweise in Peru (der "Sendero Luminoso"), auf den Philippinen, in Nepal. Und am Ende gewinnt, wer den längeren Atem hat, wer sich nicht demoralisieren läßt.



Und damit sind wir bei der Parallele zwischen dem Vietnam- Krieg und der jetzigen Situation im Irak:

Es wird im Irak keinen El-Kaida-Staat geben, keinen schiitischen Gottesstaat mit El Sadr an der Spitze, keine Rückkehr zur Diktatur der Baath, wie das die verbliebenen Getreuen Saddams wollen.

Aber die Regierungstruppen und die Koalitionstruppen haben es eben andererseits auch sehr schwer, alle diese Gruppen zu besiegen. Das kann viele Jahre dauern, wie das Beispiel Algerien zeigt, wo die Regierung zehn Jahre brauchte um die Rebellen zu besiegen.

Und das bedeutet, daß es auch hier wieder darum geht, wer die stärkere Moral hat. Da nun sind die Parallelen zum Vietnam- Krieg in der Tat beängstigend: Wenn auch die heutige Anti- Kriegs- Bewegung in den USA noch lange nicht den Umfang und die Intensität hat wie in der Endphase des Vietnam- Kriegs, so wird sie doch von Tag zu Tag stärker.

Und die Demokraten im Kongreß scheinen entschlossen zu sein, ihre Entscheidung des Jahres 1974 zu wiederholen, durch das Sperren von Mitteln einen Krieg zu beenden.



Was würde geschehen, sollten die Koalitionstruppen abziehen, bevor die Regierungstruppen stark genug sind, die Aufständischen allein zu bekämpfen? Niemand wird dann als Sieger in Bagdad Einzug halten, so wie die Truppen Giaps im April 1975 in Saigon.

Sondern es wird dann sehr wahrscheinlich wirklich den Bürgerkrieg geben, den viele jetzt schon zu erkennen vermeinen. Einen dreißigjährigen Krieg vielleicht, in dem Warlords ihre Kämpfe ausfechten; in dem Konfessionen einander bekämpfen; in den ausländische Mächte eingreifen wie die Schweden in den europäischen Dreißigjährigen Krieg.



Manche, vor allem die gegen den Irak- Krieg engagierten Linken werden sagen: Das hat dann alles Bush zu verantworten, der diesen Krieg begonnen hat. Vielleicht. Für wahrscheinlicher halte ich es allerdings, daß sich eine ähnliche Entwicklung ergeben hätte, wenn Saddam Hussein nicht durch eine Invasion, sondern durch einen Putsch oder eine Revolution gestürzt worden wäre.

Was wäre gewesen, wenn ...? Darüber kann man bekanntlich viel spekulieren. Auch das Szenario eines dreißigjährigen Kriegs ist vielleicht falsch.

Aber es ist doch, scheint mir, so naheliegend, daß ich immer noch nicht verstehe, wieso die Demokratische Partei in den USA nicht sieht, welche verheerenden Folgen ein vorzeitiger Rückzug aus dem Irak hätte.