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14. August 2008

Vier historische Parallelen zum russischen Überfall auf Georgien

Die Geschichte wiederholt sich nicht. Ebenso wie diese triviale Wahrheit stimmt es, daß bestimmte historische Konstellationen sich sehr wohl wiederholen.

Die Möglichkeiten sind begrenzt. Ähnliche Ursachen tendieren dazu, ähnliche Wirkungen hervorzubringen. Es kann Einsichten befördern, wenn man sich klarmacht, was so ähnlich schon einmal dagewesen ist.



Die offensichtlichste Parallele zum jetzigen russischen Überfall auf Georgien ist das, was schon in dem Wort "Überfall" anklingt. Wir haben uns angewöhnt, im Zusammenhang mit dem Beginn eines Kriegs dieses Wort vor allem für den deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 zu verwenden. Er war die direkte Konsequenz der Appeasement- Politik gegenüber Hitler, die im Münchner Abkommen vom 30. September 1938 kulminierte.

In den Kommentaren zum russischen Überfall auf Georgien wird immer wieder auf die Politik des Appeasement hingewiesen. Beispielsweise schrieb am Montag John Barry in Newsweek:
As those of a certain age will recall, "appeasement" encapsulated the determination of British governments of the 1930s to avoid war in Europe, even if it mean capitulating to the ever- increasing demands of Adolf Hitler. (...) It is impossible to view the Russian onslaught against Georgia without these bloodstained memories rising to mind.

Wer ein gewisses Alter hat, der erinnert sich daran, daß "Appeasement" die Entschlossenheit der britischen Regierungen der 30er Jahre beinhaltete, einen Krieg in Europa zu verhindern, selbst wenn das bedeutete, gegenüber den sich immer mehr steigernden Forderungen Adolf Hitlers zu kapitulieren. (...) Es ist unmöglich, den russischen Angriff auf Georgien zu betrachten, ohne daß diese blutgetränkten Erinnerungen vor unserem Geist auftauchen.
Die Parallele ist vor allem deshalb beklemmend, weil es auch im Vorfeld dieses jetzigen Überfalls ein München gegeben hat, nämlich die Konferenz von Bukarest im April dieses Jahres, als die Nato es ablehnte, Georgien als Aspiranten aufzunehmen, d.h. ihm den Status Membership Action Plan (MAP) zu gewähren, den es beantragt hatte.

Die Rolle Chamberlains spielte diesmal ein Deutscher, der Außenminister Frank- Walter Steinmeier.



Wenn wir in der Chronologie weitergehen, dann treffen wir als nächstes auf eine historische Parallele, die ich zum ersten Mal gestern Abend im Gespräch eines CNN- Moderators mit der Moskauer Korrespondentin von CNN, Jill Dougherty, gehört habe. Sie schilderte, wie jetzt die ersten amerikanischen Versorgungsflüge in Tiflis landen und meinte, es könnten hunderte werden.

Die Parallele, die man dabei besprach, war die zur Berliner Luftbrücke vom Juni 1948 bis zum Mai 1949.

In der Tat - auch damals wollten und konnten die USA als Antwort auf eine einseitige Aktion der Russen keine militärische Konfrontation riskieren. Sie entschieden sich für eine weiche, aber dennoch wirksame Antwort; die Versorgung Westberlins aus der Luft.

Auch jetzt könnten die USA durch eine Luftbrücke - vor allem, wenn sie, anders als im Fall Berlin, Waffen einschließt - die Georgier in die Lage versetzen, gegen den russischen Aggressor standzuhalten.

Das Kalkül Putins dürfte es sein, durch die Invasion das Land so zu destabilisieren, daß die gewählte Regierung stürzt und Rußland eine Vasallenregierung einsetzen kann. Eine massive nicht nur moralische, sondern auch materielle Unterstützung des demokratischen Georgien durch die USA könnte dem begegnen. Von Europa haben die Georgier augenscheinlich nichts zu erwarten.



1938, dann 1948. Wie es der Zufall will, ist das dritte historische Datum, das in diesen Tagen heraufbeschworen wird, 1968 - so, als würde Derartiges sich im Rhythmus von Dezennien wiederholen.

1968 also. Der russische Einmarsch in die damalige Tschechoslowakei. Der tschechische Außenminister hat diesen Vergleich gezogen:
In Prague on Sunday, Foreign Minister Karel Schwarzenberg compared Russia's incursion into Georgia to the Soviet invasion of Czechoslovakia in 1968. In a statement, Schwarzenberg said the Czech Republic supports Georgia and added that "it is a sad coincidence" that the fighting in Georgia takes place at the moment when the country is marking the 40th anniversary of the invasion of Warsaw Pact troops in August 1968.

The Soviet Union and other Warsaw Pact nations crushed the "Prague Spring" challenge to Soviet domination - bold pro-democracy reforms led by Alexander Dubcek. The last of the troops did not leave until 1991.

Am Sonntag verglich in Prag Außenminister Karel Schwarzenberg den russischen Einmarsch nach Georgien mit der sowjetischen Invasion der Tschechoslowakei im Jahr 1968. In einer Erklärung sagte Schwarzenberg, daß die Tschechische Republik Georgien unterstütze und daß "es ein trauriges Zusammentreffen" sei, daß der Kampf in Georgien zu einem Zeitpunkt stattfindet, zu dem das Land den vierzigsten Jahrestag der Invasion der Truppen des Warschauer Pakts im August 1968 begeht.

Die Sowjetunion und andere Staaten des Warschauer Paktes schlugen den "Prager Frühling" nieder, diese Herausforderung der Dominanz der Sowjetunion durch die mutigen Reformen, die Alexander Dubcek anführte. Die letzten dieser Truppen zogen erst 1991 ab.
Der Angriff des Warschauer Pakts auf die Tschechoslowakei wurde damals mit der Breschnew- Doktrin gerechtfertigt, wonach die Mitglieder des Warschauer Pakts nur eine begrenzte Souveränität hätten und es ihnen insbesondere nicht erlaubt sei, diesen Pakt zu verlassen und sich dem Westen zuzuwenden.

Noch gibt es dazu kein Gegenstück, keine formulierte Putin- Doktrin. Daß aber Wladimir Putin entschlossen ist, ehemaligen russischen Kolonien künftig die Zuwendung zum Westen, also den Beitritt zur Nato zu verwehren, das liegt auf der Hand.



Wo liegt die vierte historische Parallele? Nicht bei einem späteren Datum, wieder um Dezennien verschoben. Sondern bei einem Ereignis, das der Vernichtung des "Prager Frühlings" vorausging, nämlich dem russischen Überfall auf Ungarn 1956.

In der Nacht vom 3. zum 4. November 1956 drangen russische Truppen so in Ungarn ein, wie das russische Truppen jetzt in der Nacht vom 7. zum 8. August in Georgien getan haben. Die ungarische Armee konnte nur sporadisch und unkoordiniert Widerstand leisten, so wie jetzt die Armee Georgiens. Der Premierminister Imre Nagy appelierte ähnlich verzweifelt an den Westen, dem Land zu helfen, wie das gestern den ganzen Tag über Präsident Saakaschwili getan hat. Die Reaktion des Westens war dieselbe: Schulterzucken.

So weit war das alles ähnlich wie 1968 in der Tschechoslowakei. (Nur daß die Führer der besiegten Ungarn gehängt wurden, während zwölf Jahre später Alexander Dubcek nur zur Bewährung in die Produktion geschickt wurde, nämlich in die Forstverwaltung. Da sieht man, wie der Humanismus der Kommunisten seine Fortschritte machte).

Es gibt aber eine mögliche Parallele - eine mögliche! -, die noch darüber hinausgeht. Die damalige "Ungarn- Krise" war nämlich so etwas wie eine Doppelkrise, deren zweiter Teil in der Suez- Krise bestand.

Damals erschien erstmals in seiner Geschichte der "Spiegel" derselben Woche mit zwei verschiedenen Titelbildern. Das eine zeigte den ungarischen Premier Imre Nagy, das andere, in einem anderen Teil der Auflage, den äyptischen General Amir.

In Osteuropa zwangen die Russen ein nach Freiheit strebendes Volk in ihren eisernen Griff zurück, und im Nahen Osten standen sich Israelis und Araber im Krieg gegenüber.

Es ist später viel darüber spekuliert worden, ob und wie die beiden Krisen zusammenhingen. Jedenfalls war die internationale Diplomatie bei der Bewältigung jeder der beiden Krisen dadurch belastet, daß sie es zugleich mit der anderen zu tun hatte.

Auch jetzt fällt die Georgien- Krise in eine Zeit, in der nicht nur in Osteuropa, sondern auch im Nahen Osten die Spannungen wachsen. Seit der syrische Präsident Assad den Iran besucht hat, ist eine Konfrontation zwischen Israel und dem Mullah- Regime, das sein Nuklearprogramm offenbar nicht aufzugeben bereit ist, eine reale Möglichkeit.



Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.

27. März 2007

Ketzereien zum Irak (9): Ein neues Vietnam? In einem Punkt schon

Zwei Kriege könnten kaum verschiedener sein als der Vietnam- Krieg und der Krieg im Irak.

Der Vietnam- Krieg (es ist vielleicht hilfreich, an einige Fakten zu erinnern) war im Grunde eine Phase eines mehr als dreißigjährigen Kriegs, der 1940 mit dem japanischen Angriff auf Französisch- Indochina begonnen hatte. Es gab Phasen eines konventionellen Kriegs, Phasen relativer Ruhe und zweimal eine Phase des Guerillakriegs.

Die Japaner hatten 1940 Indochina schnell erobert, die französische Verwaltung aber weitgehend weiterfunktionieren lassen. Nach der Kapitulation Japans 1945 versuchten die Franzosen die alten Kolonialverhältnisse wiederherzustellen, stießen aber auf den Widerstand der kommunistisch- nationalistischen Viet Minh- Guerrillakämpfer, aus denen nach dem Sieg der Kommunisten in China immer mehr eine reguläre Armee wurde. Am Ende dieser Phase stand die Schlacht von Dien Bien Phu und die Teilung Vietnams im Frieden von Genf 1954.

Die nächste Phase dieses Kriegs war die Rückkehr zu einem Guerrillakrieg, den die Kommunisten jetzt im Süden führten, unter der neuen Bezeichnung Viet Cong. Die (im Vergleich mit den Verhältnissen in Nordvietnam) demokratischen Regierungen von Diem und seinen Nachfolgern wurden mit diesem - heute würde man sagen: asymmetrischen - Krieg immer weniger fertig, so daß die Amerikaner ihnen immer mehr zur Hilfe kommen mußten. Sie taten es, weil sie der Überzeugung waren, daß ein kommunistischer Sieg in Vietnam ein Vordringen des Kommunismus auch nach Laos, Kambodscha, Thailand, Malaya, auf die Philippinen nach sich ziehen würde ("Domino- Theorie").

Am Ende wiederholte sich die Geschichte: Wieder mündete der Guerrillakampf in einen regulären Krieg, in dem die Truppen Südvietnams und der USA den Divisionen Nordvietnams gegenüberstanden, geführt von dem Strategen von Dien Bien Phu, General Giap. Keiner Seite gelang der entscheidende Sieg; auch wenn die Nordvietnamesen bei der Tet-Offensive 1968 eine vernichtende Niederlage erlitten hatten.

Trotzdem gab es schließlich einen eindeutigen Sieger: Diejenige Seite, die die stärkere Moral gehabt hatte. Die Kommunisten waren zum Durchhalten entschlossen gewesen, unter allen dafür erforderlichen Opfern. Die US-Bevölkerung lehnte dagegen diesen Krieg zunehmend ab und verlangte mehrheitlich einen Truppenabzug, selbst um den Preis einer demütigenden Niederlage.

Es begann die "Vietnamisierung" des Kriegs, mit parallel einem amerikanischen Rückzug und Friedensverhandlungen. Diese führten Anfang 1973 zum Frieden von Paris: Auf dem Papier ein Friedensschluß, der beiden Seiten das von ihnen beherrschte Territorium ließ. Faktisch ein Vorwand für die USA, sich zurückzuziehen und Südvietnam den Kommunisten zu überlassen. Die nicht daran dachten, sich an den Waffenstillstand zu halten.

Das Ende war besiegelt, als 1974 der von der Demokratischen Partei dominierte Kongreß die gesamte Militärhilfe für die südvietnamesische Armee sperrte. Ende April 1975 rückten die Kommunisten in Saigon ein. Was sie dann anrichteten, habe ich in einem früheren Beitrag geschildert.

Ein Kampf vietnamesischer kommunistischer Nationalisten gegen fremde Mächte - gegen die Franzosen, die Japaner, die Amerikaner, zeitweise auch die Chinesen - hatte damit sein Ende gefunden. Er hatte freilich nicht nur diese Fremden aus dem Land geworfen, sondern zugleich auch alle Ansätze für eine Entwicklung hin zu Freiheit, Demokratie und Wohlstand zerstört.

Vietnam beginnt jetzt - rund dreißig Jahre nach dem Sieg der Kommunisten - zögernd den Wiederaufbau; der Süden ist aber noch immer weit von dem Maß an Wohlstand, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie entfernt, das - bei allen offensichtlichen Mängeln - unter Diem und seinen Nachfolgern erreicht worden war. Wären die Kommunisten damals geschlagen worden, dann ginge es den Südvietnamesen heute so gut wie den Südkoreanern. Stattdessen geht es ihnen so schlecht wie den Nordvietnamesen.



Mit einer Ausnahme ist alles beim Irak- Krieg anders. Er war nicht eine Phase eines schon Jahrzehnte andauernden Kampfs, sondern ein Blitzkrieg gegen einen Diktator mit dem Ziel, seine Diktatur zu beseitigen. Der Krieg, für den dieser Name geprägt wurde (englisch einfach the blitz), der deutsche Krieg gegen Frankreich 1940, hatte immerhin sechs Wochen gedauert. Die US-Truppen brauchten für die Niederwerfung der Armee Saddam Husseins ganze 26 Tage, vom 20. März bis zum 15. April 2003.

Seither herrscht eine Situation, die völlig anders ist als irgendeine Phase des indonesischen Kriegs. Es gibt keine koordinierte Aufstandsbewegung mit einem gemeinsamen Ziel. Die im Irak operierenden Terroristen verfügen über keine schweren Waffen und sind unfähig, irgendeine Stadt, geschweige denn ein Gebiet, dauerhaft zu halten. Sie sind in keiner Hinsicht den Viet Cong vergleichbar.

Viel eher vergleichbar ist die Situation derjenigen in Algerien von 1992 bis 2002, als weite Teile des Landes von Islamisten terrorisiert wurden. Wie jetzt im Irak gelang es diesen bewaffneten Banden zu keinem Zeitpunkt, Gebiete zu erobern und zu halten. Sie richteten aber durch Anschläge und Überfälle ähnlich Schlimmes an wie jetzt die Terroristen im Irak.

Solche bewaffneten Banden haben in der Regel keine militärische Siegeschance; aber es ist auch außerordentlich schwer, sie zu besiegen. Deshalb dauern solche Kämpfe oft jahrzehntelang, zu Lasten der Zivilbevölkerung; wie beispielsweise in Peru (der "Sendero Luminoso"), auf den Philippinen, in Nepal. Und am Ende gewinnt, wer den längeren Atem hat, wer sich nicht demoralisieren läßt.



Und damit sind wir bei der Parallele zwischen dem Vietnam- Krieg und der jetzigen Situation im Irak:

Es wird im Irak keinen El-Kaida-Staat geben, keinen schiitischen Gottesstaat mit El Sadr an der Spitze, keine Rückkehr zur Diktatur der Baath, wie das die verbliebenen Getreuen Saddams wollen.

Aber die Regierungstruppen und die Koalitionstruppen haben es eben andererseits auch sehr schwer, alle diese Gruppen zu besiegen. Das kann viele Jahre dauern, wie das Beispiel Algerien zeigt, wo die Regierung zehn Jahre brauchte um die Rebellen zu besiegen.

Und das bedeutet, daß es auch hier wieder darum geht, wer die stärkere Moral hat. Da nun sind die Parallelen zum Vietnam- Krieg in der Tat beängstigend: Wenn auch die heutige Anti- Kriegs- Bewegung in den USA noch lange nicht den Umfang und die Intensität hat wie in der Endphase des Vietnam- Kriegs, so wird sie doch von Tag zu Tag stärker.

Und die Demokraten im Kongreß scheinen entschlossen zu sein, ihre Entscheidung des Jahres 1974 zu wiederholen, durch das Sperren von Mitteln einen Krieg zu beenden.



Was würde geschehen, sollten die Koalitionstruppen abziehen, bevor die Regierungstruppen stark genug sind, die Aufständischen allein zu bekämpfen? Niemand wird dann als Sieger in Bagdad Einzug halten, so wie die Truppen Giaps im April 1975 in Saigon.

Sondern es wird dann sehr wahrscheinlich wirklich den Bürgerkrieg geben, den viele jetzt schon zu erkennen vermeinen. Einen dreißigjährigen Krieg vielleicht, in dem Warlords ihre Kämpfe ausfechten; in dem Konfessionen einander bekämpfen; in den ausländische Mächte eingreifen wie die Schweden in den europäischen Dreißigjährigen Krieg.



Manche, vor allem die gegen den Irak- Krieg engagierten Linken werden sagen: Das hat dann alles Bush zu verantworten, der diesen Krieg begonnen hat. Vielleicht. Für wahrscheinlicher halte ich es allerdings, daß sich eine ähnliche Entwicklung ergeben hätte, wenn Saddam Hussein nicht durch eine Invasion, sondern durch einen Putsch oder eine Revolution gestürzt worden wäre.

Was wäre gewesen, wenn ...? Darüber kann man bekanntlich viel spekulieren. Auch das Szenario eines dreißigjährigen Kriegs ist vielleicht falsch.

Aber es ist doch, scheint mir, so naheliegend, daß ich immer noch nicht verstehe, wieso die Demokratische Partei in den USA nicht sieht, welche verheerenden Folgen ein vorzeitiger Rückzug aus dem Irak hätte.