(Zeichnung von Harry Clarke (1889-1931) aus dem Jahr 1913)
„The Song of Wandering Aengus”
I went out to the hazel wood,
Because a fire was in my head,
And cut and peeled a hazel wand,
And hooked a berry to a thread;
And when white moths were on the wing,
And moth-like stars were flickering out,
I dropped the berry in a stream
And caught a little silver trout.
When I had laid it on the floor
I went to blow the fire a-flame,
But something rustled on the floor,
And someone called me by my name:
It had become a glimmering girl
With apple blossom in her hair
Who called me by my name and ran
And faded through the brightening air.
Though I am old with wandering
Through hollow lands and hilly lands,
I will find out where she has gone,
And kiss her lips and take her hands;
And walk among long dappled grass,
And pluck till time and times are done,
The silver apples of the moon,
The golden apples of the sun.
* * *
“Das Lied des umherirrenden Aengus”
Ich ging hinaus zum Haselwald
Denn Feuer brannte mir im Hirn,
Und schnitt mir einen Haselzweig
Und hing die Beere an den Zwirn.
Und als Nachtfalter weiß aufflogen -
die Sterne loschen flimmernd aus -
Da tauchte ich sie in den Bach
Und zog den Silberfisch heraus.
Legt‘ ihn beiseit und beugte mich,
Und hauchte Leben in die Flammen,
Da raschelte etwas im Gras
Und jemand rief mich leis beim Namen.
Ein Mädchen war es, schimmernd hell
Das mich bei meinem Namen nannt'
Mit Apfelblütenschmuck im Haar,
Das lief und in der Luft verschwand.
Und wurd' ich auch beim Wandern alt
Durch Täler und durch Hügelland,
Ich find' heraus, wohin sie schwand
Und küsse sie, nehm' ihre Hand.
Und streif mit ihr durchs bunte Gras,
Pflück', bis die letzte Stunde schlägt
Die Silberäpfel hoch vom Mond
Die goldnen, die die Sonne trägt.
"The Song of Wandering Aengus" erschien zuerst in der englischen Zeitschrift "The Sketch" vom 4. August 1897 mit dem Titel "A Mad Song" und wurde zwei Jahre später in Yeats‘ dritte Gedichtsammlung ,"The Wind Among the Reeds" (nach „The Wanderings of Oisin“, 1889 und „The Lake Isle of Innisfree“, 1893) aufgenommen, die 1899 im Londoner Verlag Elkin Mathews erschien, als neuntes der 37 Gedichte aufgenommen. Das Portrait aus dem Jahr 1900 stammt von seinem Bruder Jack Butler Yeats (1871-1957), der wie ihr Vater John Butler Yeats ein bekannter irischer Portraitmaler war, und hängt in der National Gallery of Ireland in Dublin.
I.
(Ill. aus "The Wind Among the Reeds," 1899)
„Literarische Übersetzungen, so will es ein geflügeltes Wort, haben etwas mit Frauen gemeinsam: sind sie schön, so sind sie nicht treu – und umgekehrt.“ (Dietrich Leder, „Proust übersetzen,“ CulturMag, 2022)
Dieser Befund, der selbstverständlich wegen Essentialismus, Frauenfeindlichkeit, Sexismus und Zwangsheteronormativität scharf abzulehnen ist, wird noch verschärft, wenn der zu übertragende Text durch Reimschema und Metrum (in diesem Fall der jambische Tetrameter) in ein sehr engsitzendes Korsett geschnürt ist. In diesem Fall erleichtert die kurze Liedform dies freilich sehr. Man steht als Arbeiter im Weinberg der Dichtung immer wieder wie geplättet vor den Nachdichtungen des neunzehnten Jahrhunderts, etwa durch Freiligrath und Rückert, die nicht nur für kurze Lieder, Ghaselen, Sonette und Balladen solche Entsprechungen gefunden haben, sondern für Epen - im 19. Jahrhundert vor allem auch die Parodie der klassischen Epenform wie Bryons „Don Juan“ oder die zehn Bücher von Alexander Puschkins „Eugen Onegin“ – etwa Ulrich Buschs Übersetzung von Puschkins Versroman, die 1981 im Manesse Verlag erschienen ist und Vladimir Nabokovs apodiktisches Urteil, eine dem Original angemessene Übertragung, die Reimschema und Versmaß bewahrt, sei schlicht unmöglich, locker in die Schranken des Bornierten weist. Das gleiche gilt auch für Vikram Seths „The Golden Gate“ von 1986, der in seiner leichthändigen Zeitgeistschilderung aus den frühen Jahren von Ronald Reagans Präsidentschaft 590 Sonette in der „Onegin“-Form (Jambische Vierheber auch hier, mit dem Reimschema aBaBccDDeFFeGG, wobei Kleinbuchstaben feminine Reime und Majuskeln männliche bezeichnen) statt der 389 des Vorbilds umfaßt. Auch hier bringt die niederländische Fassung durch Paul van den Hout (als „De Golden Gate“) die Nuancen des Originals zum Anklingen.
Ich habe angelegentlich in meinen Beiträgen die italienische Wendung „traduttore traditore“ gebraucht. In diesem Fall bleibt etwa das „long dappled grass“ auf der Strecke, da „lang, (sonnen)gefleckt/gesprenkelt“ jedes Metrum sprengt (ganz im Sinn des bekannten Limericks: „There was a young man from Japan / whose limericks never would scan. / When asked why that was / he answered: Because / I always try to cram as many words into the last line as I possibly can“), und “langes Gras” auf den Anklang des Sonnenlichts verzichtet, den die Schlußzeile aufgreift. Auch der strenge Parallelbau der Äpfel des Mondes und der Sonne und die zweimal auftauchenden „Motten,“ die im Deutschen an Kleiderfraß als an Sommernachtszauber denken lassen, sind dem zum Opfer gefallen. (Die Anfangszeile des Sonetts „Pied Beauty“ von Gerald Manley Hopkins aus dem Jahr 1877 - „Glory be to God for dappled things“ - hat es übrigens in den unverbrüchlichen Zitatenvorrat des Englischen gebracht.)
II.
Yeats selbst schreibt in den Fußnoten, die er den Gedichten in „The Wind Among the Reeds“ beigibt:
Die Stämme der Göttin Danu kommen alle Gestalten annehmen, und die, die im Wasser wohnen, nehmen oft die Gestalt eines Fisches an. Eine Frau aus Burren in der Grafschaft Galways sagt: „Es gibt von ihnen mehr im Meer als an Land, und manchmal versuchen sie bei den Fischern in Gestalt von Fischen an Bord zu springen, denn sie können sich ihr Aussehen frei wählen.“ Zu anderen Zeiten sind sie schöne Frauen, und eine andere Frau aus Galways sagte: „Ganz bestimmt leben sie sowohl auf dem festen Land wie im Meer. Eines Nachts war mein Vater vor der Küste von Tyrone beim Fischen. Und es kam etwas ans Boot geschwommen, das Augen hatte, die wie Kerzen leuchteten. Und die Wellen fingen an, hochzugehen, und in Minutenfrist kam ein Sturm auf, und was immer dort in dem Wellen schwamm drohte das Boot zu versenken. Und sie konnten alle sehen, daß es eine Frau war, die da im Meer schwamm und die leuchtende Augen hatte. Da ging mein Vater zum Priester, und bat ihn, jedesmal, wenn er ausfuhr, einen Tropfen Weihwasser und eine Prise Salt mitnehmen zu dürfen, damit ihm kein Unheil widerfahren sollte.
Das Gedicht wurde durch ein griechisches Volkslied angeregt, aber der Volksglaube in Griechenland ist dem in Irland sehr ähnlich, und als ich das Gedicht schrieb, habe ich an Irland und die Geister dort gedacht. Ein alter Mann, der in Gort, in Galway, eine Hecke schnitt, hat mir erst vor kurzem erzählt: „Als ich einmal zum Holzfällen in Inchy war und mich an die Arbeit machte, ungefähr um acht Uhr morgens, sah ich ein Mädchen, das Nüsse pflückte, mit Haaren, die über die Schulter reichten, braunem Haar, mit einen guten, sauberen Gesicht; sie war großgewachsen und trug keine Kopfbedeckung, und ihr Kleid war nicht auffällig, sondern ganz schlicht. Und als sie bemerkte, daß ich daherkam, stand sie auf und war verschwunden, als wenn die sie Erde verschluckt hätte. Und ich lief zu der Stelle, an der ich sie gesehen hatte, und habe nach ihr gesucht, aber bis heute habe ich sie niemals wiedergesehen.“
In Leute in Galway verwenden das Wort „sauber“ („clean“) in der alten Bedeutung von „frisch“ und „hübsch.“
Yeats‘ Erwähnung des „griechischen Volkslieds“ hat einige Philologen auf die Idee gebracht, hierbei könnte es sich um den von Lucy M. J. Garnett übersetzten und herausgegebenen Band „Greek Folk Poesy“ handeln, der 1896 bei David Nutt in London erschienen war und den Yeats im Oktober 1896 in der Zeitschrift „The Bookman“ besprochen hatte. Dort findet sich in der Tat auf den Seiten 133-134 ein Gedicht mit dem Titel „The Fruit of the Apple-Tree,“ die der ein Jäger seinem Falken in einen Garten voller Apfelbäume folgt, dort eine junge Maid vorfindet, die an einem Brunnen wäscht und deren Kleid mit Perlen und goldenen Pailletten besetzt ist. Und als er erklärt, daß sie ihm keine Mitgift geben kann, er keine verlangt und sie ihm an dessen Stelle die Früchte ihres Apfelbaums anbietet, sagt er: „Du, Mädchen, bist der Apfelbaum, laß mich von deinen Früchten kosten!“ – wozu sie ihn „wieder und wieder“ auch einlädt.
Ein Echo einer bekannten biblischen Episode – und vielleicht des Mythos vom Garten der Hesperiden - sind hier deutlich zu sehen; aber formell dürften die unbeholfenen Verse aus der Hand von Mrs. Garnett eher abschreckend gewirkt haben:
With all his greyhounds fleet around, a youth goes out a-hunting;
A falcon small upon his wrist he bears forth as he sallies.
It frees itself, and flies afar, and in a garden enters;
But quick, his falcon to regain, the hunter follows after.
In Yeats‘ Rezension heißt es denn auch:
Vielleicht wäre Miss Garnett ein ansprechendes Buch gelungen, wenn sie sich damit begnügt hätte, es bei Prosafassungen zu belassen: Leconte de Lisles Übersetzungen von Homer, Vergil und Aeschylos, die Homerübersetzungen von Lang, Butcher und Leaf, Langs Theokrit-Übersetzung und die neuen Übertragungen rumänischer Volkslieder hätten dafür ein gutes Vorbild abgegeben. Die einzige Berechtigung, in Versen zu schreiben, ist die poetische Kraft des Dichters, und solche Zeilen wie
A flower I took thee to my heart, and there a thorn art thou;
And marvels all the world to see that lost our love is now.”
oder
Vilachopoulo, thee I love;
This I’ve come to tell my dove.
oder
Goumene, if thou lov’st true,
Go and fetch a boat, now do
sind eines Dichters nicht würdig.
Miss Garnetts Übertragungen sind so hölzern und leblos, daß man keinerlei Eindruck vom dichterischen Wert der Originale erhält, oder auch nur hier und da auf allen ihren vierhundert Seiten angerührt wird.
John P. Frayne, aus dessen Textsammlung „Uncollected Prose by William Bulter Yeats. Vol. 1: First Reviews and Articles, 1886 – 1896” (Columbia University Press, 1970) ich hier zitiere, meint einleitend dazu: “Yeats hielt Miss Garnetts Übersetzungen für wertlos, aber er scheint das Buch mit Gewinn gelesen zu haben“ (S. 409).
III.
Was aber tatsächlich unzweifelhaft am Motiven und Ambiente als Anregung für Yeats‘ Gedicht gedient hat, ist ein Mythenstoff aus dem Kreis der Sagen um die Tuatha de Danann, dem „Volk der Göttin Danu,“ den mit übernatürlichen Kräften ausgestatten Heilern, Königen, Zauberern und Barden, die der Ankunft der sterblichen Menschen auf der Grünen Insel vorausgingen. In diesem Fall handelt es sich um Áingus, der von der Forschung als ein heidnischer Gott der Liebe, der Jugend und des Sommers gedeutet wird. Die älteste Quelle, die „Vita Columbae“ des Adómnan, Abt von Iona, geschrieben um das Jahr 700, latinisiert den Namen als „Oinogusius,“ in den irischen Handschriften des Mittelalters kommt er als Óingus oder Oíngus vor. Die Episode, auf die sich Yeats bezieht, das „Traumgesicht des Oengus“ („Aslinge Oenguso“) gehört zur Vorgeschichte für die größere Sage um den „Rinderraub von Cooley“ („Táin Bó Cuailinge“) und ist in einem einzigen Manuskript aus dem 15. Jahrhundert erhalten. In der modernen englischen Übersetzung von Jeffrey Gantz, „Early Irish Sagas“ (Penguin Books, 1982), liest sich diese Episode so:
Der Traum des Oengus
Als Oengus eines Nachts schlief, sah er, wie eine Gestalt, die der eines jungen Mädchens glich, ans Kopfende seines Bettes trat, und sie war die schönste Frau in Eriu. Es wollte ihre Hand ergreifen und sie zu sich ins sein Bett ziehen, aber während er sie willkommen hieß, verschwand sie plötzlich, und er wußte nicht, wer sie ihm genommen hatte. Er verblieb bis zum Morgen in seinem Bett, aber sein Geist war von Sorgen bedrückt; die Gestalt, die er gesehen hatte und die kein Wort gesprochen hatte, ließ ihn krank werden. An jenem Tag nahm er nichts zu sich. Er wartete bis zum Abend, und als sie zu ihm kam, hielt sie ein Timpán in der Hand, und sie spielte für ihn, bis er einschlief. So ging es die ganze Nacht, und am nächsten Morgen aß er nichts.
Ein ganzes Jahr verging, und das Mädchen kam weiter zu Oengus, und er entbrannte in Liebe zu ihr, aber er erzählte niemandem davon. Dann wurde er krank, aber niemand konnte sagen, woran er litt. Die Ärzte von Eriu kamen zusammen, aber die konnten nicht herausfinden, welche Krankheit ihn befallen hatte. Deshalb sandten sie nach Fergne, dem Leibarzt Conds, und Fergne kam zu ihnen. He konnte einem Mann am Gesicht ablesen, an welcher Krankheit er litt, so wie er am Rauch, der von einem Schornstein aufstieg, erkennen konnte, wie viele Menschen darin krank darnieder lagen. Fergne nahm Oengus beiseite und sprach zu ihm: „Kein Zusammentreffen, Liebe aus der Ferne.“ „Du hast erkannt, woran ich leide,“ sagte Oengus. „Dein Herz ist schwer,“ sagte Fergne, „und du hast nicht gewagt, jemandem anderes davon zu erzählen.“ „Das ist wahr,“ sagte Oengus, „Ein junges Mädchen ist zu mir gekommen, ihre Gestalt war die schönste, die ich je erblickt habe, und ihr Anblick war bezaubernd. In der Hand trug sie ein Timpán, und sie hat jede Nacht für mich gespielt.“ „Die Liebe zu ihr hat dich ergriffen,“ sagte Fergne. „Wir werden nach Bóand, deiner Mutter, schicken, damit sie kommt und mit dir redet.“
Sie schickten nach Bóand, und sie kam. „Ich wurde zu diesem Mann gerufen, weil eine rätselhafte Krankheit vom ihm Besitz ergriffen hat,“ sprach Fergne, und er berichtete Bóand, was geschehen war. „Laßt seine Mutter für ihn sorgen,“ sagte Fergne, „und laßt sie in ganz Eriu suchen, bis sie die Gestalt findet, die ihr Sohn gesehen hat.“ Ein ganzes Jahr dauerte die Suche, aber das Mädchen war nicht gefunden worden. So wurde Fergne von neuem gerufen. „Wir haben keine Hilfe für ihn gefunden,“ sprach Bóand. „Dann sende nach dem Dagdae, heiße ihn herbeikommen und mit seinem Sohn sprechen,“ sagte Fergne. Es wurde nach dem Dagdae gesandt, er kam herbei und fragte: „Warum bin ich gerufen worden?“ „Um deinem Sohn mit Rat zur Seite zu stehen,“ sagte Bóand. „Es ist nur recht, daß du ihm hilfst, denn sein Tod wäre ein großer Verlust. Die Liebe ohne Erfüllung zehrt an ihm, und niemand weiß ein Mittel, ihm zu helfen.“ „Warum sagst du mir das?“ fragte der Dagdae. „Mein Wissen ist nicht größer als das deine.“ „So ist es,“ sprach Fergne, „denn du bist der König der Sidhe in Eriu. Sendet Boten zu Bodb, denn er ist der König der Sidhe von Mumu, und seine Weisheit hat in Eriu nicht seinesgleichen.“
Daraufhin wurden Boten wurden zu Bodb ausgeschickt, und sie wurden willkommen geheißen. Bodb sprach: „Willkommen, Männer des Dagdae.“ „Wir sind aus einem Grund gekommen“ lautete ihre Antwort. „Bringt ihr Neuigkeiten?“ fragte Bodb. „Die haben wir: Oengus, der Sohn des Dagdae, ist seit zwei Jahren in Liebe entbrannt.“ „Wie ist dies geschehen?“ fragte Bodb. „Er sah im Traum ein junges Mädchen,“ lautete die Antwort,“ aber wir wissen nicht, wo sie in Eriu zu finden ist. Der Dagdae bittet dich darum, daß du ganz Eriu nach einem Mädchen absuchst, daß ihr an Gestalt und Aussehen gleicht.“ „Ich werde sie suchen,“ sprach Bodb, „und die Suche soll ein ganzes Jahr dauern, damit ich sicher sein kann, daß ich sie auch finde.“ Als das Jahr vergangen war, kamen Bodb’s Männer zu seinem Haus in Síd ar Femuin und sprachen: „Wir haben ganz Eriu umwandert und wir haben das Mädchen am Loch Bél Dracon in Cruitt Cliach gefunden.“ Daraufhin wurden Boten zum Dagdae gesandt, er hieß sie willkommen und fragte sie: „Bringt ihr Neuigkeiten?“ „Gute Neuigkeiten,“ sprachen sie,“ das Mädchen von der Gestalt, dir du uns beschrieben hast ist gefunden worden. Bodb wünscht, daß Oengus mit uns zu ihm reist, damit wir sehen, ob er sie als das Mädchen, das er gesehen hat, wiedererkennt.“
Oengus wurde mit einem Wagen nach Síd ar Femiun gebracht, und er wurde dort willkommen geheißen; ein großes Fest wurde für ihn bereitet, und es dauerte drei Tage und drei Nächte. Danach sprach Bobd zu Oengus: „Laß uns jetzt gehen und sehen, ob du das Mädchen wiedererkennst. Du darfst sie sehen, aber es steht nicht in meiner Macht, sie dir zu geben.“ Sie schritten aus, bis sie an einen See kamen; dort erblickten sie drei Gruppen von fünfzig jungen Mädchen, und Oengus‘ Mädchen war unter ihnen. Die anderen Mädchen reichten ihr nur bis zur Schulter, je ein Paar war mit einer silbernen Kette aneinander gefesselt, aber Oengus‘ Mädchen trug eine silberne Halskette, und ihre Ketter bestand aus glänzend poliertem Gold. „Erkennst du das Mädchen?“ fragte Bodb. „Das tue ich in der Tat,“ sprach Oengus. „Dann kann ich nichts weiter für dich erreichen,“ sprach Bodb. „Das tut nichts, denn sie ist das Mädchen, das ich gesehen habe. Ich kann sie jetzt nicht zu mir nehmen,“ sprach Oengus. „Wer ist sie?“ „Ich kenne sie natürlich. Sie ist Cáer Ibormeith, die Tochter des Ethal Anbúail aus Síd Uamiun in Connachta.“
Daraufhin kehrten Oengus und seine Männer in ihr eigenes Land zurück und Bobd begleitete sie, um dem Dagdae und Bóand in Bruig ind Maic Oic seine Aufwartung zu machen. Sie berichteten ihnen, was sie erfahren hatten: daß die Erscheinung und das Aussehen des Mädchens ganz so waren, wie Oengus sie erblickt hatte, und sie nannten ihren Namen und den ihres Vaters und Großvaters. „Es ist schade, daß wir sie nicht zu uns holen können,“ sprach der Dagdae. „Du solltest zu Ailill und Medb gehen, denn das Mädchen lebt in ihrem Land,“ sprach Bodb.
Und so begab sich der Dagdae mit sechzig Streitwagen nach Connachta, sie wurden vom König und der Königin dort willkommen geheißen und verbrachten eine Woche mit einem Fest. „was führt euch hierher?“ fragte der König. „Auf deinem Land lebt ein Mädchen,“ sprach der Dagdae, „zu dem mein Sohn so in Liebe entbrannt ist , daß er davon krank geworden ist. Ich bin gekommen, um zu fragen, ob du sie ihm geben willst.“ „Wer ist sie?“ fragte Ailill. „Die Tochter des Ethal Anbúail,“ gab der Dagdae zur Antwort. „Es seht nicht in unserer Macht, sie dir zu geben,“ sprachen Ailill und Medb. „Dann wäre es das Beste, den König des Sid herbeizurufen,“ sprach der Dagdae. Ailills Marschall begab sich zu Ethal Anbúail und sprach zu ihm: „Ailill und Medb lassen dich zu sich rufen, um mit dir zu reden.“ „Ich werde nicht kommen,“ sprach Ethal, „und ich werde nicht meine Tochter dem Sohn des Dagdae zur Frau geben.“ Der Marschall wiederholte dies vor Ailill und sprach: „Er weiß, warum du ihn gerufen hast, und er wird nicht zu dir kommen.“ „Das tut nichts,“ sprach Ailill, „denn er wird kommen, und die Köpfe seiner Krieger werden mit ihm kommen.“
Daraufhin erhoben sich der Hof Ailills und die Männer des Dagdae gegen den Sid und zerstörten ihn. Sie brachten sechzig Köpfe mit zurück und setzten den König in Crúachu gefangen. Ailill sprach zu Ethal Anbúail: „Gib deine Tochter dem Son des Dagdae.“ „Das steht nicht in meiner Macht,“ lautete die Antwort, “denn ihre Macht ist größer als die meine.“ „Über welche große Macht verfügt sie?“ fragte Ailill. „Sie nimmt für ein Jahr lang die Gestalt eines Vogels an, und im Jahr darauf die Gestalt eines Menschen,“ sprach Ethal. „In welchem Jahr nimmt die die Gestalt eines Vogel an?“ fragte Ailill. „Das darf ich nicht sagen,“ sprach Ethal. „Dann wirst du deinen Kopf verlieren,“ sprach Ailill, „wenn du es uns nicht verrätst.“ „Dann will ich es euch nicht länger verheimlichen, sondern es euch sagen, weil ihr so hartnäckig drauf besteht,“ sprach Ethal.“Am nächsten Samuin wird sie die Gestalt eines Vogels annehmen; sie wird am Loch Bél Dracon zu finden sein, und schöne Vögel werden sie begleiten, sie wird von drei mal fünfzig Schwänen umringt sein, und ich werde bereit sein, sie zu empfangen.“ „Das ist jetzt unwichtig,“ sprach der Dagdae, „denn ich weiß nun, von welcher Art ihre Natur ist.“
Daraufhin wurde Frieden und Freundschaft zwischen Ailill und Eathal und dem Dagdae geschlossen, und der Dagdae nahm Abschied von ihnen, und kehrte heim und berichtete seinem Sohn die Neuigkeiten. „Geh am nächsten Samiun zum Loch Bél Dracon,“ sprach er, „und ruf sie zu dir.“ Der Macc Oc ging zum Loch Bél Dracon, und dort erblickte er drei Gruppen von fünfzig weißen Vögeln, mit silbernen Ketten, und ihre Köpfe waren von goldenen Haaren umgeben. Oengus stand in Menschengestalt am Ufer des Sees, und er rief das Mädchen an und sprach: „Komm und sprich zu mir, Cáer!“ „Wer ruft mich?“ fragte Cáer. „Oengus ruft dich,“ antwortete er. „Ich werde zu dir kommen, wenn du mir versprichst, daß ich wieder zum Wasser zurückkehren darf.“ „Das verspreche ich,“ sprach er. Daraufhin kam sie zu ihm; er nahm sie in seine Arme und nahmen die Gestalt von Schwänen an und umkreisten im Flug den See drei Mal. So hielt Oengus sein Versprechen. In Gestalt zweier weißer Vögel flogen sie zu Bruig ind Maicc Oic, and dort sangen sie so süß, daß die Menschen dort drei Tage lang und drei Nächte lang in Schlaf sanken. Und das Mädchen blieb bei Oengus. So entstand die Freundschaft zwischen Ailill und Medb und den MaiccOc, und dies ist der Grund, aus dem Oengus dreihundert Mann mit auf den Viehraub von Cúalilnge mitnahm.
Ein paar Erläuterungen zum Text: ein Timpán ist ein kleines Glockenspiel. Fíngen war der Arzt bzw. Druide des Königs Conchobar von Ulster. Bóand war ursprünglich unter dem Namen Étain die Frau des Gottes Ogmae, den sie mit dem Dagdae betrog und daraufhin Óingus gebar; der Fluß Boyne in County Meath hat seinen Namen vor ihr. Der Dagdae ist nach Lug die wichtigste Gottheit der Kelten, der Gott der Mysterien, der Freundschaft und der Verträge. Bóand ist seine Tochter. Sein Herrschaftssitz Bruig na Bóinde befindet sich im heutigen Newgrange. Síd (auch Sidhe geschrieben) ist der Name der Anderswelt; das Wort bezeichnet auch die Hünengräber, die den Zugang dazu bieten; Síd ar Femiun liegt in der Nähe von Cashel Rock in der Grafschaft Tipperary. Bruig Ind Maicc Óic bezeichnet ebenfalls Newgrange, hier im besonderen den Tumulus von Newgrange, des als Wohnsitz des Dagdae galt; Ailill und Medb waren die Herrscher von Connaught; Medb, deren Namen „Trunkenheit“ bedeutet, stachelt im Epos über den Rinderraub von Cúlainge,“ zu dem die „Traumvision“ die Vorgeschichte bildet, die Provinzen Connaught, Munster, Leinster und Meath zur Krieg gegeneinander auf. Samain (meist „Samhain“ geschrieben) ist das wichtigste Fest nach dem alten keltischen Jahreskreis. Das Ende des alten und der Beginn des neuen Jahres fielen dort auf den 1. November; die Festzeit erstreckte sich über die drei Tage davor und danach. Zu dieser Zeit konnte – von beiden Seiten – eine Begegnung zwischen der Welt der Menschen und der Sidhe stattfinden. (Auf dem Album „An Appointment with Mr. Yeats“ der Waterboys von 2011 – eine schottische Combo, keine irische – trägt das erste Stück den Titel „The Hosting of the Shee,“ während das erste Gedicht in „The Wind Among the Reeds“ die traditionelle Schreibweise „Sidhe“ verwendet.)
Yeats hat in seinem Gedicht erkennbar Motive aus diesem Umkreis genutzt, ohne sich strikt an die Vorlage zu halten. Auch ansonsten zeigt sich hier eine gewisse Unbekümmertheit. Der „goldene Lachs,“ den Aengus/Oingus fängt, läßt die „Forelle des Wissens“ (An Brádan Feasa) der irischen Sagenwelt anklingen, der dem , der ihn fängt, zubereitet und ißt, das Wissen der ganzen Welt verleiht. Diese Gabe (oder Potenz) verdankt sich dem Umstand, daß ein ganz gewöhnlicher Lachs neun Haselnüsse gefressen hatte, die von den neun Haselnußbüschen, die die die „Quelle der Weisheit“ (An Tobar Segais) umstehen, ins Wasser gefallen waren. (Traditionellerweise werden in Irland drei verschiedene Quellen mit diesem mythischen Ort identifiziert.) Daß in vielen Traditionen des alten Europas dem Holz des Haselnußbusches magische Kräfte zugeschrieben werden, dürfte bekannt sein: so müssen etwa Wünschelruten aus diesen Zweigen zugeschnitten werden, um mit Hilfe von „Erdstrahlen“ (die es nicht gibt) unterirdische „Wasseradern“ (die es nicht gibt) zu „muten.“ Allerdings fällt die Blütezeit dieses Strauchs in die Zeit von Februar bis April, in milden Wintern noch eher – und es dürfte zu dieser Jahreszeit mit dem „Auffliegen von Nachtfaltern“ noch nicht viel zu erwarten sein.
Zu beachten wäre, daß es sich bei Yeats Zeilen um „eine Offenbarung, zu der es nicht kommt,“ handelt ("… esta inminencia de una revelación, que no se produce, es, quizá, el hecho estético“ lautet der Schluß von Borges‘ Essay „Die Mauer und die Bücher“ von 1950). Die weisheitsspendende Forelle bleibt unangerührt und fliegt verwandelt davon, und dem seit vielen Jahren ziellos umherirrende Sucher bleibt nur die Hoffnung auf einen zukünftigen Erfolg, um die Äpfel des Mondes und der Sonne pflücken zu können.
(Der "Lachs des Wissens," Abb. aus Justin McCarthy, "The Literature of Ireland," Band 8. 1904. Leider gibt McCarthy keine genaue Angabe zu seiner Vorlage, sondern vermerkt nur: "nach einer Photographie")
IV.
Yeats hat sein poetisches Verfahren (als angelegentlicher Poetaster an dieser Stelle neige ich dazu, „Handwerk“ zu bevorzugen, da die Verfertigung von Versen zu höchstens 10 Prozent aus Inspiration, zu neun Zehnteln aber aus Transpiration besteht) zwei Jahre später etwas ausführlicher beschrieben. Am 21. Juni 1899 schreibt er an die Zunftgenossin Dora Sigerson Shorter:
„Ich glaube, eine Mixtur, halb Ballade, halb lyrisches Gedicht, paßt ab besten zu Ihnen. Vielleicht scheint mir das deshalb so, weil mir diese Art von Gedicht am besten gefällt – eine Ballade, die langsam aufsteigt, wie es in „The Wind on the Hills“ der Fall ist, und sich aus reiner Detailschilderung zu rein lyrischen Zeilen aufschwingt. Wenn Sie weiter an sich arbeiten, werden Sie mit Sicherheit immer bessere Arbeit abliefern, weil Sie auf so eine einfache und schlichte Weise schreiben. Sie beginnen ganz simpel, anstatt wie andere Verseschmiede mit einer poetischen, aber falschen Sprache, die sie dann auf jedes Thema anwenden. Aber Sie sollten versuchen, ein wenig Gefühl hineinzulegen. Ich habe das erst allmählich gelernt, weil es damit zufrieden war, Geschichten zu erzählen.“
Das bezieht sich zwar in keiner Weise direkt auf „The Song of Wandering Aengus,“ sondern auf den gerade in London erschienenen Gedichtband „Ballads and Poems,“ den ihm die Dichterin zugeschickt hatte, die er seit seiner Schulzeit in der Metropolitan School of Arts in Dublin, an der sein Vater Kunstunterricht gab, aus den Jahren 1884 bis 1886 her kannte. Aber da sich jeder Philologe, der sich zu diesem Gedicht geäußert hat, bemüßigt fühlt, im Zusammenhang mit diesem Gedicht genau diese Passage zu zitieren (Colin Meir, The Ballads and Songs of W.B.Y.,“ 1974, S. 32; A. Norman Jeffares in seinem Kommentar in „Yeats’s Poems“ ebenfalls Macmillan, 1989, auf S. 511; Peter Allt und Russell K. Alspach in ihrer „Variorum Edition of the Poems of W.B.Y.“ von 1957; Richard Ellman in seiner Yeats-Biographie mit dem Untertitel „The Man and the Masks“ aus dem Jahr 1948, der diesen Trend losgetreten zu haben scheint; und nicht zuletzt der Eintrag zum Gedicht in der „allwissenden Müllhalde“ Wikipedia), möchte ich an dieser Stelle natürlich nicht zurückstehen.
Andere Philologen haben versucht, andere mögliche Quellen und Zitate aufzutun, die möglicherweise in Yeats‘ Verse eingeflossen sind (da man ihre Arbeiten nur per Lektüre zur Kenntnis nehmen kann, ist die unschöne, aber politisch-korrekte Wendung „als literaturforschend Gelesene“ ausnahmsweise keine Versündigung gegen das Gerundium). Russel Alspach vermutete, daß das Gedicht „The White Trout“ von William Lover (1797-1868), das Yeats in seine frühe Blütenlese irischer Dichtung „Fairy and Folk Tales of the Irish Peasantry“ von 1888 aufgenommen hat, die silberne Forelle angeregt hat; Jeffares weist darauf hin, daß Maud Gonne, die für Yeats Zeit ihres Lebens stets eine inspirierende Muse gewesen ist, von ihm mit Apfelblüten assoziiert worden ist. In seinen „Erinnerungen“ („Memoirs,“ 1972 postum veröffentlicht, beschreibt er ihr erstes Zusammentreffen im Jahr 1889: „...sie ging am Fenster vorbei und arrangierte einen Strauß Blumen in einer Vase. Zwölf Jahre später faßte ich diesen Eindruck in Verse („Blossom pale, she pulled down the pale blossom / At the moth hour at hid it in her bosom.”) Ich spürte, daß ich mich in der Gegenwart eines Menschen mit großer Freigiebigkeit, Mut und einem Geist, der keine Ruhe kannte, befand, und als sie und all die Singvögel fort waren, war die Schwermütigkeit, die ich empfand, mehr als nur die Laune eines Verliebten.“ (S. 42). In einem anderen Text, gesammelt in „Autobiographies“ (1955), heißt es über sie: „ihr Teint war leuchtend, wie Apfelblüten, durch die Licht scheint, und ich erinnere mich, wie sie an jenem ersten Tag neben einer großen Strauß solcher Blüten am Fenster stand“ (S. 123). Und Sheila O’Sullivan endlich vermutet, daß das Bild von Sonne und Mond auf das Buch „Ancient Cures, Charms and Usages“ von Lady Wilde (ja, ganz recht: die Mutter des Wilden Oscar) aus dem Jahr 1890 zurückgeht, in dem sie auf S. 101f. erwähnt, daß in Irland bei den Umzügen zum ersten Mai zwei Kugeln, die mit Gold- und Silberpapier umwickelt sind und in einem Reif hängen, der mit Ebereschenzweigen und Dotterblumen umflochten sind, als Symbol für Sonne und Mond mitgeführt werden.
(Yeats' Typoskript des Gedichts für den Abdruck in "The Winds Among the Reeds." Es handelt sich um ein mit blauem Farbband beidseitig betipptes Blatt im Format 25,2 x 20,2 cm. Auf der Rückseite findet sich das Gedicht "A Cradle Song". Das Blatt befindet sich heute in der Henry W. and Albert A. Berg Collection in der New York Public Library. Die Abb. entnehme ich dem Band "The Wind Among the Reeds: Manuscript Materials," hg. v. Carolyn Holdsworth, Ithaca und London. Cornell University Press, 1993)
V.
„The Sketch,“ in der „A Mad Song” wie erwähnt zuerst abgedruckt wurde, war eine in London herausgegebene wöchentlich erscheinende Illustrierte, die wie es bei englischen Journalen gar nicht so selten vorkommt (oder zumindest im 19. Jahrhundert vorkam), die neben der halb- oder vierteljährlichen Bandzählung auch die Gesamtzahl der bislang erschienenen Nummern führte (für das bedeutendste Wissenschaftsjournal, „Nature,“ das seit 1869 erscheint, ist das ebenfalls der Fall. Die aktuelle Ausgabe des Bandes 643 vom 31. Juli 2025 trägt die Nummer 8074). Von „The Sketch“ erschienen vom 1. Februar 1893 bis zur Einstellung am 17. Juni 1959 insgesamt 2989 Ausgaben. Bemerkenswert ist, daß der vierte Herausgeber des Blattes, Bruce Ingram, diesen Job für mehr als ein halbes Jahrhundert, von 1905 bis 1959, ausgeübt hat (von 1899 bis zu seinem Tod 1963 war er Chefredakteur zuerst beim„English Illustrated Magazine,“ 1899-1901, dann „The Sketch“ und schließlich bei der „Illustrated London News,“ von 1900 bis 1963 – ein Zeitraum, der die Zeit von der Regierungszeit Königin Viktorias bis zu den Beatles und der Präsidentschaft von John F. Kennedy umfaßt). „The Sketch“ veröffentlichte neben Gesellschaftsreportagen in jeder Ausgabe zwei oder drei Kurzgeschichten, gerne auch in Zyklen oder Serien. Bekanntheit darf das Blatt dafür renommieren, daß dort, eine Generation nach „A Mad Song,“ Agatha Christies belgischer Detektiv Hercule Poirot die Arbeitsweise seiner „kleinen grauen Zellen“ einem größeren Lesepublikum vor Augen führen durfte. (Zu einem großen Publikumserfolg wurde erst der dritte Poirot-Roman, „The Murder of Roger Ackroyd“ von 1926, nachdem die Vorgänger „The Mysterious Affair at Styles“ (1920) und „Murder on the Links“ relativ kleine Verkaufszahlen verbucht hatten. (Bekanntlich hat die spätere Dame Agatha in „Roger Ackroyd“ eine der Hauptregeln für den Kriminalroman, die sich der 1930 gegründete „Detection Club,“ dem sie als ein des 16 Mitglieder angehörte, gab, gebrochen, indem sich am Ende der Ich-Erzähler als der Mörder entpuppt). Zwischen dem 7. März 1923 (Nummer 1571) und dem 10. Dezember 1924 (Nummer 1663) veröffentlichte sie in „The Sketch“ insgesamt 49 Kurzgeschichten, bei denen in 33 Hercule Poirot im Zentrum stand. (Ansonsten fällt bei der Durchsicht der dort publizierten Erzähler vor allem der Umstand auf, daß Namen wie Armine Grace, Seumes MacManus, V. H. Friedlaender, Brenda E. Spender vollständig in Vergessenheit geraten sind – falls sie überhaupt zu ihren Lebzeiten bekannt waren.)
Ich habe weiter oben die Veröffentlichung des Gedichts in „The Sketch“ und im Band „The Wind Among the Reeds“ erwähnt. Dazu fehlt noch eine Ergänzung: ein paar Jahr später kam es zu einem weiteren Magazinabdruck, diesmal auf der anderen Seite des Atlantiks, als die in New York erscheinende Zeitschrift „McClure’s Magazine“ im März 1905 Yeats‘ Kurzgeschichte „Red Hanrahan’s Vision“ abdruckte. In diesem Text erscheinen die drei Strophen ganz zu Beginn:
Im Monat Juni befand sich Hanrahan auf der Straße in der Nähe von Sligo, aber er war nicht auf dem Weg in die Stadt, sondern wandte nach Beinn Bulben, denn er sann über die alten Zeiten nach, und ihm stand nicht der Sinn danach, sich unter die gewhnlichen Menschen zu mischen. Und während er ging, sang er für sich allein ein Lied, das ihm einst im Traum eingefallen war:
Ich ging hinaus zum Haselwald,
Denn Feuer brannte mir im Hirn …
Yeats hatte im Lauf der 1890er Jahre eine Reihe von Gedichten und insgesamt sechs Erzählungen über den „roten Hanrahan“ geschrieben, einen irischen Barden und Wanderlehrer, der über die Dörfer zieht und der Dorfjugend Unterricht nicht nur Lesen, Schreiben und Weltwissen, sondern auch über die alten Bräuche und Traditionen vermittelt, und dem Owen Roe O’Sullivan (1748-1784), der „letzte der gälischen Barden,“ als Vorbild gedient haben soll. In den ersten Texten trug er noch den Namen O’Sullivan the Red; als Yeats diese Geschichten zusammen mit einer Reihe von Gedichten in Buchform bündelte („The Secret Rose“ erschien 1897 im Londoner Verlag Lawrence & Bullen mit sechs Illustrationen seines Vaters John Butler Yeats), änderte Yeats den Namen seiner Protagonisten in Hanrahan the Red.
Nachdem der Verlag im Jahr 1900 Konkurs angemeldet hatte (die Gründer hatten sich auf edel ausgestattete Luxusausgaben spezialisiert, die aufgrund der hohen Verkaufspreise die Druckkosten nicht einspielten), schrieb Yeats die Texte nochmals um, bevor die neue Version vom Kleinstverlag Du Emer Press in einer Auflage von 500 Exemplaren neu gedruckt wurde. Die Du Emer Press war 1902 von Evelyn Gleeson, Yeats und seiner Schwester Lily gegründet worden; Gleeson stellte dafür die Räume, die auch als Ausbildundsstääte für angehende Buchdrucker und – binder dienten, zur Verfügung. Als erster der 11 Titel, die bis 1907 herauskamen, erschien 1903 Yeats‘ Gedichtband „In the Seven Woods; „Stories of Red Hanrahan“ erschien als sechster am 16. Mai 1905.
Während der Großteil des Prosatextes der „Vision,“ bis auf kleine stilistische Abänderungen und Kürzungen von einigen Sätzen hier und da, weitgehend unverändert blieb, wechseln die Verse, die der Wandersmann zu Gehör gibt. (Der leicht zynisch angefressene Literator muß zugeben, daß ihm bei solchen Darbietungen unweigerlich ein „Bär von sehr geringem Verstand,“ A. A. Milnes Winnie-the-Pooh in den Sinn kommt, der auch bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit spontan improvisierte formvollendete Verse zu spontan ersonnenen Melodien zum Besten gibt. Allerding sei zugeben, daß auch Frodo und die Ringgefährten auf ihrem Weg vom Auenland bis zu den Klüften des Schicksals in Mordor ausgiebig diesem Zeitvertreib frönen.)
In der ersten Fassung der „Vision,“ „The Vision of O’Sullivan“ erschienen in „The New Review“ im April 1897, singt der Wandersmann noch ein Lied, das mit der Zeile „Veering, fleeting, fickle, the winds of Knocknaren …“ anhebt und nicht in die „Collected Poems“ Aufnahme gefunden hat. In der ersten Buchfassung „The Secret Rose“ findet sich ein völlig anderes Gedicht („O tufted reeds, bend low and low in pools on the Green Land…“) und in der Buchfassung von 1905 ist es durch eben „I went out to the hazel wood …“ ersetzt worden – und diese Version wurde für „McClure’s“ übernommen. Mit einigen Varianten allerdings: aus „and moth-like stars were flickering out“ wurde „were shining out…”; wo es in der Erstfassung 1897 geheißen hatte “..in barren hills and marshy lands …“ sind jetzt die „hilly lands and hollow lands“ geworden, die in der Endfassung die Plätze getauscht haben, und statt „walk among long dappled grass“ heißt es „… and walk and walk through summer grass.“
In allen späteren Nachdrucken ist „The Song of Wandering Aengus“ wieder gestrichen und durch ein Gedicht ersetzt worden, dessen erste Strophe so lautet:
O Death's old bony finger
Will never find us there
In the high hollow townland
Where love's to give and to spare;
Where boughs have fruit and blossom
At all times of the year;
Where rivers are running over
With red beer and brown beer.
An old man plays the bagpipes
In a gold and silver wood;
Queens, their eyes blue like the ice,
Are dancing in a crowd.
und das ebenfalls nicht in die „Collected Poems“ aufgenommen worden ist.
Des Todes Knochenfinger
Er findet uns hier nicht
Hier in der Stadt im Hochland
Wo frei die Liebe spricht.
Wo Zweige Früchte tragen
An jedem Tag im Jahr,
Und Flüsse überschäumen
Von Bier – braun, rot und klar.
Ein Alter spielt den Dudelsack
Im goldenen Waldgepränge
Und Königinnen mit Eisblick
Sie tanzen in der Menge.
Der schon genannte Sardoniker kann nicht umhin anzumerken, daß anders als bei Yeats‘ Gedichten, von denen etwas mehr als eine Handvoll zu Klassikern der modernen englischen Literatur geworden sind, mit Zeilen, die jedem halbwegs Gebildeten als Zitat bereit stehen, auch wenn er sonst nicht von dem Dichter gelesen hat (etwa aus „The Second Coming“: Things fall apart, the centre cannot hold, mere anarchy is loosed upon the world … and what rough beast, its hour come round at last / Slouches towards Bethlehem to be born?“), wie beispielsweise das späte „Sailing to Byzantium“ – daß im Gegensatz dazu keinem einzigen Prosatext von Yeats, keiner Erzählung, nicht der mystagogischen Abhandlung „A Vision“ von 1917, der Übergang zum Horaz’schen „monumentum aere perennius“ vergönnt gewesen ist.
VI.
Der erste Künstler, der Yeats‘ Zeilen als Motiv für ein Bild genommen hat, war der in Dublin geborene Harry Clarke, zu dessen frühesten Werken drei Schwarz-weiß-Zeichnungen gehören, von denen eine (im Format 30 x 20 cm) 2007 vom Londoner Auktionshaus Bonhams für umgerechnet €11.300 versteigert wurde, und die ich an den Kopf dieses Beitrags gerückt habe. Clarke, 1889 in Dublin geboren, wurde nur 41 Jahre alt, bevor er Anfang 1931 im schweizerischen Chur an Tuberkulose starb, die zwei Jahre zuvor bei ihm festgestellt worden war (ein Leidensgenosse Hans Castorps also). In der Zeit zwischen seinem Tod und dem Aufkommen des Internets (dem größten Kunstarchiv der Weltgeschichte, was nicht genug betont werden kann), war Clarke nicht nur hauptsächlich, sondern ausschließlich als Illustrator makaber-phantastischer Literatur bekannt: als einer der wichtigsten Bebilderer der „Tales of Mystery and Imagination“ von Edgar Allan Poe (die Erstausgabe bei George Harrap 1919 umfaßte 24 s/w-Zeichnungen; für die zweite Auflage kamen 1923 noch 8 Farbtafeln hinzu). Von den Märchen Andersens, seinem ersten illustrierten Werk von 1916 (mit 16 Farbbildern und 24 s/w-Illustrationen) bis zu dem 11 Zeichnungen für die „Selected Poems“ von Charles Algernon Swinburne hat Clarke insgesamt acht Bücher illustriert; am aufwendigsten ist dabei sein Werk für Goethes „Faust“ (Hartsdale House, New York 1925) ausgefallen, das 8 Farb- und 70 s/w-Tafeln umfaßt.
(Poe, "Die Maske des roten Todes")
(Poe, "Der Fall des Hauses Usher")
(Andersen, "Das Feuerzeug": "Da saß der Hund - mit Augen so groß wie Teetassen!")
Erst in den letzten gut 20 Jahren ist durch die Magie des Internets klar geworden, daß es sich bei Clarke, der sein Handwerk in der Werkstatt seines Vaters erlernt hatte, der Glasfenster für Kirchen restaurierte und im Bedarfsfall neu anfertigte, um den wohl bedeutendsten Glasmaler Irland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehandelt hat. Von seinen ersten Arbeiten (für die Honan Chapel des University College, zwischen 1914 und 1916 erbaut, entwarf er neun von 1915 bis 1918 der 18 Glasfenster), bis hin zu seinem letzten Werk, einem Triptychon des Jüngsten Gerichts für die St. Patrick’s Church in Newports in der Grafschaft Mayo, das wenige Wochen nach seinem Tod am 5. Januar 1931 von seiner Werkstatt fertiggestellt wurde, schuf er rund 130 Glasfenster – nicht alle zu christlichen Motiven. Sein „kontroversestes“ Werk war das achtteilige „Geneva Window,“ das er zwischen 1927 und 1930 im Auftrag des irischen Freistaats für das Hauptgebäude der ILO, der Internationalen Arbeitsorganisation des Völkerbundes in Genf vorgesehen war, aber nach der ersten öffentlichen Präsentation in Clarkes Studio im Mai 1930 vom Exekutivrat der irischen Regierung als „anstößig“ und „provokant“ abgelehnt wurde. Clarke hatte auf den acht Fenstern Szenen und Motive aus der irischen Literatur dargestellt; es waren nicht so sehr die Darstellungen selbst, die Anstoß erregten, sondern die jeweiligen Textpassagen, auf denen sie beruhten – der irische Staat sah sich nicht gern auf internationaler Bühne durch Betrunkene, bittere Armut, nackte Frauen und käufliche Liebe repräsentiert. Heute ist das Werk im Format 1,8 mal 1 m im Wolfsonian-FIU-Museum der Florida International University in Miami zu sehen.
(Glasfenster von Harry Clarke, angefertigt 1923 für Harold Jacob. Dargestellt ist eine Szene auf John Keats' Gedicht "The Eve of St. Agnes." Heute bedindet sich die Arbeit in der Hugh Lane Gallery in Dublin.)
(Dublin City Gallery, Dublin)
(St. Mary's Church in Ballinrobe, Irland. Dargestellt sind der hl. Colman und der hl. Brendan)
(Das „Geneva Window“. Die einzelnen Bilder stellen, von oben nach unten, dar: 1. Der „Wanderer“ aus Patrick Pearses Gedicht „The Wayfarer,“ das er am Abend vor seiner Hinrichtung aufgrund der Teilnahme am Osteraufstand am 3. Mai 1916 schrieb, und die heilige Brigit aus Lady Gregorys Drama „The Story Brought by Brigit“ (1924); 2. Die hl. Johanna aus George Bernard Shaws Drama „St. Joan“ (1923); 3. Christy Magon und Pegeen Mike aus John Millingtons „The Playboy of the Western World,” dessen Uraufführung im Abbey Theatre in Dublin im Januar 1907 wüste Tumulte unter den Zuschauern ausgelöst hatte, und Feen aus Seumas O’Sullivans Gedicht “The Others” (1914); 4. Drei Halbgötter aus James Stephens’ Roman “Demi-Gods” (1914) und die Gestalt der Joxer Daly aus Sean O’Caseys Drama „Juno and the Paycock” (1924); 5. Den Rebellenführer Robert Emmett, der 1803 einen Aufstand gegen die britische Krone organisieren wolle, nach der Darstellung in Lennnox Robertsons Drama „The Dreamers“ (1913) und die Gräfin Cathleen aus Yeats‘ Schauspiel „The Countess Cathleen“ (1892); 6. Deirdre aus AE s gleichnamigem Drama von 1907 sowie Mr. Gilhooley, der Titelgestalt aus Liam O’Flaherty Roman von 1926; 7. Eine Bäuerin von Padraig Colums kleinem Gedicht „A Cradle Song“ von 1907 und Jamoney Shanahan, der Wechselbalg aus George Fitzmoneys Einakter „The Magic Glasses“ (1913); und zuletzt ein Totengräber und die Witwe des Tuchwebers aus Seumas O’Kellys längere Erzählung „The Weaver’s Grave“ (für den Erstdruck von 1923 hat Jack Butler Yeats acht Illustrationen angefertigt) sowie einen Barden, der symbolisch für James Joyces Gedichtband von 1907, „Chamber Music“ stehen soll.)
Ebenfalls aus buntem Glas bestehen diese Werke der britischen Künstlerin Tamsin Abott aus Herefordshire von 2024, die sich ebenfalls mit Yeats‘ Stoff befassen – allerdings schreibt sie auf ihrer Webseite, daß diese Bilder nicht so sehr vom Gedicht selbst inspiriert sind, sondern von Version, die der irische Folksänger Christy Moore 1984 auf seinem Album „Ride On“ gesungen hat (der die Namensform „Aongus“ gewählt hat).
(Tamsin Moore, "The Song of Wandering Aengus"))
(Tamsin Moore, "Glimmering Girl")
VII.
Die oben abgebildete Doppelseite erschien im September 1974 in der amerikanischen Kinderzeitschrift „Cricket: The Magazine for Children“ und stammt von der Art-Direktorin (oder grafischen Leiterin) des Magazins, Trina Schart Hyman (1939-2004), die diesen Posten von der ersten Ausgabe der Zeitschrift im September 1973 bis 1979 innehatte. „Cricket“ war von der Verlegerin und Herausgeberin Marianne Carus mit dem Ziel gegründet worden, „das Pendant zum New Yorker für ein Publikum im Alter von 9 bis 14 Jahren zu sein.“ Carus, die 1928 in Dieringhausen im Regierungsbezirk Köln geboren wurde und in Gummersbach aufwuchs, war nach ihrer Heirat mit einem Amerikaner 1951 in die Vereinigten Staaten gezogen und hatte sich oft über die schlichten Themen und die holzschnitthafte Schwarz-Weiß-Moral geärgert, die ihren Kindern per Schullektüre verordnet wurden, verglichen mit den Büchern etwa von Erich Kästner, mit denen sie aufgewachsen war. Mit ihrem Mann, der der Verlag Open Court Publishing leitete, begann sie 1963 die Reihe der Open Court Basic Readers für das erste Lesealter und ein Jahrzehnt später „Cricket,“ für das ihr das legendäre Kinderjournal „St. Nicholas“ aus dem späten 19. Jahrhundert Modell stand, in dem solche Klassiker wie Frances Hodgson Burnetts „Little Lord Fauntleroy,“ Mark Twains „Tom Sawyer Abroad“ oder Rudyard Kiplings „Dschungelbücher“ vorabgedruckt wurden. Zur Redaktion von „Cricket“ zählten Eleanor Cameron (deren „The Wonderful Flight to the Mushroom Planet” von 1954 ein Kinderbuchklassiker ist), Lloyd Alexander, Isaac Bashevis Singer und eben Trina Schart Hyman.
(Marianne Carus, 1928-2021)
Hyman, im April 1939 in Philadelphia geboren und in Pennsylvania aufgewachsen, heiratete während ihres Kunststudium am Philadelphia Museum College of Art den Ingenieur Harris Hyman und zog mit ihm für zwei Jahre nach Stockholm. Dort erhielt sie vom Verlag Rabén & Sjögren ihren ersten Buchauftrag: 46 schwarz/weiß-Illustrationen für die schwedische Ausgabe von Hertha von Gebhardts Kinderbuch „Toffi und das kleine Auto“ (1958), „Toffe och den lilla billen“ (1961). Den Auftrag verschaffte ihr die für die Kinderbuchabteilung zuständige Redakteurin, deren Bücher für den Verlag zu Weltbestsellern geworden waren und von der sich der Verlag ein gutes Händchen in diesem Metier versprach. Ihr Name war Astrid Lindgren.
Bis zu ihrem Tod an Brustkrebs im Alter von 65 Jahren im Jahr 2004 illustrierte Hyman insgesamt 129 Titel und gewann damit drei Mal die höchste Auszeichnung für ein bebildertes Kinderbuch in den Vereinigten Staaten, die Caldecott Medal (benannt nach dem englischen Zeichner Randolph Caldecott, 1846-1886, dessen Werke bis heute im englischen Sprachraum ebenfalls Klassiker sind).
(Mark Twain, A Connecticut Yankee in King Arthur's Court)
(J. M. Barrie, Peter Pan)
("Sleeping Beauty", 1977)
(Ronja Räubertochter)
(Self-Portrait, 1981)
Weiter oben ist Christy Moores Vertonung von Yeats‘ Gedicht aus dem Jahr 1984 zu hören; auch andere Musikanten aber sich davon inspirieren lassen (wenn auch möglicherweise nicht ganz so spontan wie der Rote Hanrahan); die am häufigsten aufgenommene Version stammt von den Folksong-Duo Bud & Travis und erschien 1960 unter dem Titel „Golden Apples of the Sun“ auf ihrem Album „Naturally: Songs for the Present.“ Diese Version wurde unter anderem 1962 von Judy Collins als Titelstück ihrer zweiten LP aufgenommen. Der schottische Singer-Songwriter Donovan Leitch, als „Donovan“ einen (älteren) Publikum wohl nur noch durch seine leicht penetrant schmalzige Ballade „Atlantis“ aus dem Jahr 1969 in schlechter Erinnerung, spielte seine eigene Komposition 1971 auf dem Album „HMS Donovan“ ein, und Angelo Branduardi sang eine italienische Version dieser Version 1986 auf der LP „Branduardi canta Yeats,“ die leider völlig auf Reime verzichtet und deren dritte Strophe so lautet:
Sono invecchiato vagabondando
Per vallate e per colline
Ma saprò alla fine dov'è andata
La bacerò e la prenderò per mano
Cammineremo tra l'erba variegata
Sino alla fine dei tempi coglieremo
Le mele d'argento della luna
Le mele d'oro del sole
(Der kleine Poetaster vom Dienst fühlt sich angesichts dieses “abwechslungsreichen Grases“ denn doch gleich wieder in sein Recht gesetzt.)
(Das Titelbild stammt von Frank Kelly Freas)
Ray Bradbury hat die Verse von Yeats 1953 zum Anlaß für eine kleine Erzählung genommen (die Publikation im Pulp-Magazin "Planet Stories" im November 1953 war eine der letzten Veröffentlichungen Bradburys in diesem halbseidenen Metier, in dem er so viele seiner frühen Stories während seiner Anfangszeit als Autor untergebracht hatte), in der er den Mythos vom Raub des Feuers durch Prometheus aufgreift und ihn als Science-Fiction-Erzählung mit dem "Raub des Sonnenfeuers" nacherzählt; "The Golden Apples of the Sun" hat Bradburys dritter "eigentlicher" Sammlung im Verlag Doubleday im gleichen Jahr (nach "The Martian Chronicles," 1950 und "The Illustrated Man," 1951) den Titel gegeben. Die ebenfalls "The Golden Apples of the Sun" betitelte Kurzgeschichte von Jack Dann, Gardner Dozois und Michael Swanwick (im Herrenmagazin "Penthouse" 31 Jahre später, im März 1984, erschienen) ist keine Replik darauf, sondern widmet sich den Fährnissen eines Vertreters, der im Feenreich einen der neu auf den Markt gekommenen Laptops an das ... geheime Volk ... bringen will.
(Die Umschlaggestaltung besorgte Bradbury langjähriger "Stammillustrator" Joe Mugnaini, dessen erste Illustrationsaufgabe für Ray Bradburys Bücher bei Doublday Books dies darstellte.)
Zum Schluß noch ein Hinweis auf diese vier Minuten lang dauernde filmische Umsetzung der Gedichts, die der englische, nun, Filmemacher Matthew Lawes-Wickwar 2017 als erste Produktion für das im Jahr zuvor von ihm in Suffolk gegründete Other Brother Studio angefertigt hat. Bis heute hat das Studio 17 Kurzfilme produziert, die auf zahlreichen Filmfestivals vorgestellt worden sind. Anders als man es auf den ersten Blick vermuten könnte, handelt es sich hier nicht um einen computeranimierten Film (von den Lichteffekten und den Szenenübergängen einmal abgesehen), sondern um eine klassische „Stop-Motion-Animation“ mit Gliederpuppen mit innerem Drahtgerüst, die für jede Einzelaufnahme um einen winzigen Bruchteil einer Bewegung weiterbewegt werden. Die ruckhafte, starre Bewegung ist Teil der Ästhetik des kurzen Films, die das künstliche Ambiente unterstreicht. Die Verse werden rezitiert von Liam Cunningham, der unter anderem eine der Hauptrollen in Ken Loachs „The Wind That Shakes the Barley“ (2006) gespielt hat. (Verschiedene englische Medien berichteten vor zwei Monaten, Cunningham sei neben Fräulein Thunberg einer der Passagiere der „Gaza Freedom Flotilla“ an Bord der „Madleen“ gewesen, die von der israelischen Armee vor der Küste Gazas aufgebracht wurde; er befand sich aber nicht an Bord – das sei nur en passant erwähnt. Weiter oben findet sich des Name Patrick Pearse; und Yeats‘ Muse Maud Gonne, um deren Hand er vier Mal angehalten hat, hat sich geweigert, ihn zu heiraten, weil er ihr nicht genug rabiaten revolutionären Furor im Kampf um die Unabhängigkeit der Insel an den Tag legte. Anscheinend ist die irische Geschichte besonders geeignet, um Fettnäpfchen zum Hineinstolpern bereitzustellen.)
("It had become a glimmering girl / with apple blossoms in her hair ...")
("... the silver apples of the moon, /The golden apples of the sun.")
Die drei Puppen, die hier verwendet wurden – Aengus, der Fisch und das schimmernde Mädchen – sind von Olga Lunina angefertigt worden, einer russischen Puppenkünstlerin, 1998 in Krasnodar geboren, die mit 7 Jahren nach Moskau gezogen ist und dort studiert hat und seit Jahren in London tätig ist. Besonders die flüchtige Mädchenfigur könnte manche Betrachter an die Puppen erinnern, die die aus Breslau stammende Künstlerin Lotte Pritzel ab 1908 im Münchner Stadtteil „Wahnmoching“ (Muggeln eher als Schwabing geläufig) ausstellte und über die Rainer Maria Rilke im März 1914 einen Text für Rene Schickeles „Weiße Blättern“ verfaßte, in dem er das Kunststück fertigbringt, noch unkonkreter und verdrehter schlicht nichts in Worte zu fassen, als es bei ihm üblicherweise der Fall ist.
(Lotte Pritzel, Bajadere, vor 1924, Münchner Stadtmuseum, vor 1924. Höhe 42 cm)
„Sieht man es, man möchte sagen, daß es kleine Seufzer sind, so dünn, daß für sie unser Ohr nicht mehr ausreichte, sie erscheinen, schwindend, an der schwankendsten Grenze unseres Gesichts. Denn dies allein beschäftigt sie: hinzuschwinden. Geschlechtlos, wie die Kinderpuppen selbst es waren, finden sie keinen Untergang in ihrer anstehenden Wollust, die nicht Zufluß noch Abfluß hat. Es ist, als verzehrten sie sich nach einer schönen Flamme, sich falterhaft hineinzuwerfen (und dann müßte der augenblickliche Geruch ihres Aufbrennens uns mit grenzenlosen, niegewußten Gefühlen überfluten). Wie man das so denkt und aufsieht, steht man, fast erschüttert, vor ihrer wächsernen Natur.“ (R.M.R., „Die Puppen der Lotte Pritzel“)
(Saxophon Orchester Dobbri - Pritzelpuppen 1925 Beka 32983)
(Olga Lunina, Figuren für „The Song of Wandering Aengus“)
(Der Aufbau der Sets im Studio)
Wie Matthew Lawes in einem Interview für das Magazin „Director’s Notes“ erläutert hat, dauerten die Stop-Motion-Aufnahmen für seinen Film einen Monat, dazu kam ein weiterer Monat für die Nachproduktion, die Effekte und die Vertonung. Der Aufbau der Sets hingegen verschlang vier Monate, und die schwierigste Szene war das Aufblühen des Baums am Schluß, der die Silber- und Goldäpfel hervorbringt. Lawes stutzte die Zweige des voll erblühten Baums millimeterweise für jedes Einzelbild zurück und montierte die so entstandene Szene dann rückwärts in seinen Film. Die Sequenz nahm 16 Stunden konzentrierter Arbeit in Anspruch.
VIII.
Ein letzter Schlenker, da ich eingangs Vikram Seths buchlangen Versroman „The Golden Gate“ erwähnt habe. Die bislang einzige Übertragung des Textes in eine andere Sprache war die ins Niederländische. Während seiner Teilnahme am 23. Poetry International Festival in Rotterdam, das vom 12. Bis 15. Juni 1992 im Rotterdam stattfand und auf dem er aus seinem im März 1986 bei Random House erschienenen Buch las, trug auch der niederländische Lyriker und Übersetzer Paul van den Hout (der sich ansonsten eher durch Nachdichtungen von Versen von Durs Grünbein, Robert Gernhardt und Erich Kästner einen Namen gemacht hat) neun der Puschkin-Strophen vor. Seth beschreibt im Vorwort der niederländischen Version, die 1995 beim Verlag Van Oorschoot erschienen ist, anschaulich, wie er, der kein Wort Niederländisch verstand, davon amüsiert war und eine Kopie davon seinen holländischen Bekannten zeigte, die sich ebenfalls amüsiert zeigten und wie ihnen „der Kiefer herunterfiel,“ als er das englische Original daneben hielt. Mit solch einem Übersetzer habe er einen wahren Glücksgriff getan: eine solche Paßgenauigkeit des Ausdrucks, der geschmeidigen Versbaus und der Idiomatik fände man nicht leicht ein zweites Mal. Für den Abdruck dieses Probestücks in der Zeitschrift „De tweede ronde“ (14. Jahrgang, Nummer 2) bat die Redaktion den deutschen Lyriker Eberhard Breidert, dem eine Nachdichtung von Alexander Popes „Essay on Man“ zu verdanken ist (Meinert Verlag, 1997), um eine deutsche Version. Um einen Eindruck davon zu geben, greife ich zwei dieser Beispiele heraus.
(The Golden Gate, Harper & Row, 1986)
(De Golden Gate, Van Oorschoot, 1995)
2.1
That midnight, after strenuous drumming
And an hour's drive for Liquid Sheep,
After the catcalls of homecoming,
Janet's arm hurts. She cannot sleep.
For hours she stands and views Orion,
The Bear, the Dog, the Goat, the Lion,
The cats asleep now, slackly curled
Upon the surface of the World
Of Counterpane. Then, suddenly smiling,
A light within her almond eyes,
To her grandmother's desk she flies,
Seized by a notion so beguiling
That she must - must? - she thinks a bit -
She must act instantly on it.
Die avond, na gedreven drummen
voor Liquid Sheep, na ‘n lange rit,
na Oor en Bels begroetingsnummer,
doet Janes arm pijn. Klaarwakker zit
ze naar de sterrenpracht te turen,
Orion en de Dioscuren.
De poezen soezen zij aan zij
en donzig op haar beddesprei.
Jane blijft staan peinzen, tot een lachje
- haar bruine ogen doen blij mee -
haar lippen krult. Een prachtidee!
Ze snelt naar haar bureau, want wacht je
met zo'n impuls één tel te lang,
dan komt er later niets meer van.
Nach harter Nachtarbeit als Drummer
und langer Fahrt für ‘Perlend Schaf’
trifft Jan der Heimkehr-Katzenjammer.
Der Arm schmerzt; sie kommt nicht zum Schlaf.
Lang steht und blickt sie auf den Schützen,
den Steinbock, Bären, Sternenspitzen.
Die Katzen liegen eingerollt
auf weichen Steppdecken - nichts holt
sie aus dem Schlaf. Jetzt leuchten panisch
Jans Mandelaugen, und sie eilt
wie von der Lethargie geheilt
zu Omas altem Schreibtisch. Manisch
hat sie die Vorstellung gepackt,
dass sie sofort schreite zum Akt.
2.30
Though Liz was brought up marinading
Near the jacuzzis of Marin,
She never reveled in parading
Her heart, her knowledge, or her skin.
She bloomed unhardened by her beauty,
Immune to ‘Lizzie, you're a cutie!’
Though doting aunt and Hearing beau
Reiterated it was so.
Her mother, anxious, loving, rigid,
Said, ‘Liz, a pretty girl like you
Ought to be thinking of...’ ‘Et tu?’
Sighed Liz, ‘Mom, do you think I'm frigid?
Just let me get my law degree
Dol, in haar jeugd, op marineren
in zee en zon, langs strand en duin,
meed Liz het steeds te koketteren,
met hart of brein, laat staan haar bruin.
Ze was wel mooi, maar bleef een liefje,
immuun voor ‘Lizzie, hartendiefje!’,
al kweelde haar dat in het oor
een heel verliefde-knapen-koor.
Haar moeder, van de oude stempel,
zei: ‘Liz, een schone blom als jij,
moet zachtjesaan toch eens...’ ‘Ook gij?’
verzuchtte Liz. ‘Het lijkt warempel
of ik frigide ben - wat maf!
Nee, eerst mijn studie maar eens af.’
Zwar wuchs Liz auf mit Marinaden
nahe dem Badeort Marin,
trug aber nie zu Schau-Paraden
Herz, Wissen, Körper oder Sinn.
Obwohl von schrillen Beaus umworben,
hat Schönheit niemals sie verdorben.
Auch wiederholtes Tantenlob
(‘Wie niedlich!’) sie beiseite schob.
Die Mutter fragt besorgt, rigide:
‘Ein schönes Mädchen, Liz, wie du,
müßte bald denken an...’ - ‘Et tu?’
seufzt Liz. ‘Denkst du, ich bin frigide?
Erst bringe ich mal hinter mich
mein Studium - dann ergibt es sich.
* * *
Coda:
Da ich mir schon vor kurzem das Vergnügen gemacht und eines meiner Postings mit einem zünftigen Literaturverzeichnis abgeschlossen habe, und es sich hier unzweifelhaft um einen Ausflug ins Gebiet der Literaturkunde handelt, spricht nichts dagegen, es hier auch so zu halten. Man ist schließlich als Flattergeist in den akademischen Randbezirken vorgeschädigt, und eine solche Arbeit ohne eine einschlägige Bibliographie wirkt einfach … indezent, um nicht zu sagen: nackt; auch wenn den Urtypus des Netzlogs die Essais von Michel de Montaigne oder Ralph Waldo Emerson darstellen, in denen solche Beigaben traditionell streng verpönt sind.
Zum Text des Gedichts:
William Butler Yeats, The Wind Among the Reeds. London, Elkins Mathew, 1899.
[---] The Variorum Edition of the Poems of William Butler Yeats, hgg. Peter Allt und Russell K. Alspach. New York: The Macmillan Company, 1957.
[---] Yeats’s Poems. Edited and annotated by A. Norman Jeffares. New York: Macmillan, 1989.
[---] The Wind Among the Reeds. Manuscript Materials, hg. Carolyn Holdsworth. Ithaca und London: The Cornell University Press, 1993.
Weitere Lit.:
"Matthew Lawes Animates W. B. Yeats' The Song of Wandering Aengus," directorsnotes.com, 31. Juli 2017.
Cara Ackerman, "Yeats' Revision of the Hanrahan Stories, 1897 and 1904," Texas Studies in Literature and Language, Bd. 17, Nr. 2 (1975), 505-524.
Russell K. Alspach, "Two Songs of Yeats's," Modern Language Notes, Bd. 61.6 (1946), 395-400.
Sheila O’Sullivan, „William Butler Yeats’s Use of Irish Oral and Literary Tradition,” Heritage: Essays and Studies presented to Seumas O’Duilearga, hg. Bo Almquist et al. (1975), S. 266-79 (hier S. 270).
Jeffrey Gantz, Early Irish Myths and Sagas, translated, with an introduction and notes. Harmondsworth, Middlesex: Penguin Books, 1982
Colin Meir, The Ballads and Songs of W. B. Yeats: the Anglo-Irish Heritage in Subject and Style. London: Macmillan, 1974.
The Collected Letters of W. B. Yeats, Hg. John Kelly, Clarendon Press, Oxford, 1986-2018. (Bislang sind in dieser Edition 5 Bände erschienen, die Yeats' Korrespondenz bis zum Jahr 1910 umfassen. Ich zitiere aus dem zweiten Band von 1997, der die Jahre 1896 bis 1900 abdeckt.
Uncollected Prose by William Butler Yeats, Vol 1: First Reviews and Articles, 1886-1896. Hg. John P. Frayne (Columbia University Press, 1970).
U.E.
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