(Bild 11 aus der Photosequenz von Mariner 4)
„Lassen wir mal die Vorspeisen weg und kommen gleich zum Eingemachten,“ sagte von Braun, der sich auch mit dreiundfünfzig seinen Pennälerhumor bewahrt hatte. „Das entscheidende Photo ist das hier, Nummer elf.“ Er schob es in die Mitte des Tisches, und die anderen Wissenschaftler beugten sich darüber. Oppie spürte, wie sein Herz heftig schlug. Er hörte, wie Rabi tief Luft holte, und Kitty murmelte: „Mist!“
„Das ist aus einer Entfernung von 7800 Meilen aufgenommen worden,“ sagte von Braun und machte einen Schritt zurück, damit die anderen besser sehen konnten. „Von Osten nach Westen erfaßt das 170 Meilen, und von Norden nach Süden 150.“
„Und wo?“ wollte Oppie wissen. „Welche Koordinaten?“
Von Braun blätterte in einem Stoß zusammengehefteter Blätter, den er mitgebracht hatte. „Das ist ausgerichtet auf 31 Grad Süd und Ein-neun-sieben Grad Ost.“
Oppie wandte sich der großen Marskarte zu, die die Air Force 1962 veröffentlicht hatte, und strich die Knickfalten mit der Hand glatt. Er fand die Stelle schnell. Auf der Karte durchschnitt ein Kanal diagonal die Mitte des Gebiets, der sich vom Südwesten bis Nordosten erstreckte, als ob er vom Mare Cimmerium zum Mare Sirenum fließen würde.
Und auf dem MARINER-Photo war, möglicherweise, sehr schwach, wenn er sich wirklich anstrengte und etwas ausmachen wollte, eine schwache diagonale Linie zu sehen, in einem weniger steilen Winkel verlaufend. Sie mündete ... nein, nicht in ein Meer, nicht einmal eine Ebene, sondern in -
Es konnte sich um gar nichts anderes handeln, oder?
… in einen KRATER. Nur gut die Hälfte des Kraterrandes war zu sehen, wie die rechte Seite eines großgeschriebenen D, aber er beherrschte den Großteil des Bildes. Und er war nicht der einzige. Oppie zählte rasch sieben – nein, acht! – andere Krater auf Photo Nummer 11. Gemessen an der abgebildeten Fläche mußte der D-Krater einen ungefähren Durchmesser von 80 Meilen haben, der direkt daneben liegende vielleicht einen von 30, zwei weitere 20, und der Rest maß 10 bis hinunter zu 5 Meilen.
Oppie wußte, daß das Mare Cimmerium zu Ehren der Kimmerer benannt worden war, einem Volk, das Homer in der Odyssee erwähnte hatte und das in ewiger Finsternis lebte. Und nach dreieinhalb Jahrhunderten, in denen der Mars mit Teleskopen beobachtet worden war, hatte sich die Finsternis endlich gelichtet, und die Menschheit sah zum ersten Mal das wahre Angesicht ihres Nachbarn im All.
Es war herzzerreißend.
Es war, als hätte man den gottverdammten Mond vor sich.
Auf Photo 11 zeigten sich kleinere Krater innerhalb der großen, und einige Krater überlappten sich und überlagerten Teile von anderen. Und sobald man sie auf diesem, dem schärfsten der Bilder, gesehen hatte, fielen sie einem auch auf den anderen Bildern auf. Überall Krater.
Aber kein Anzeichen von Wasser.
Kein Anzeichen von EROSION durch Wasser.
Nur Staub und Tod.
Schlimmer noch: TOD bedeutete, daß es hier irgendwann Leben gegeben hatte, aber die Oberfläche dieses Planeten wirkte uralt, unberührt seit Millionen oder Milliarden von Jahren. Öder, leblos, steril.
Mit von Brauns Hilfe fand Oppie als auf der Karte der Air Force nächstes die Stelle, die Bild Acht zeigte. Das Gebiet wurde von Erinnys durchschnitten, einem von Percival Lowells Hauptkanälen, der ihm zufolge vom Westrand des Mare Sirenum zum Titanum Sinus in Memnonia floß. Aber auch diese Bild zeigte nichts als Krater, auch wenn keiner von ihnen so groß war wie der, der Bild 11 dominierte.
(Bild 8 aus der Reihe der Mariner-4-Aufnahmen)
„Es gibt noch mehr,“ sagte von Braun.
„Na großartig,“ sagte Kitty.
„MARINER IV ist nicht in die Umlaufbahn eingeschwenkt,“ sagte von Braun. „Es war ein reiner Vorbeiflug. Aber dabei ist sie aus unserer Sicht hinter dem Planeten verschwunden, und direkt davor – und als sie wieder auftauchte – ist das Funksignal, im S-Band-Bereich bei 2300 Megahertz, durch die Marsatmosphäre gelaufen. Die Sonde hatte keine speziellen Meßgeräte für diese Bedeckung an Bord, aber wir können aus der Phasenverschiebung und der Stärke des Signals ein paar bemerkenswerte Schlüsse ziehen. Demnach besteht die Marsatmosphäre fast vollständig aus Kohlendioxid. Und das läßt darauf schließen, daß, anders als wir gehofft haben, die Polarkappen keinen nennenswerten Anteil an Wassereis aufweisen, das man als Trinkwasser oder zur Bewässerung nutzen könnte, oder das sich durch Elektrolyse in Wasserstoff und Sauerstoff als Treibstoff aufspalten ließe – sondern daß sie fast vollständig aus Trockeneis bestehen.“
„Das taugt für Kindergeburtstage und um Goldfische in Stücke zu brechen,“ sagte Rabi. „Aber sonst es zu nichts zu gebrauchen.“
„Ja.“ Von Braun nickte. „Und die Bedeckung hat uns auch einen Hinweis auf die Dichte der Marsatmosphäre geliefert. Sie ist DÜNN – noch dünner als wir gedacht hatten. Irgendwo zwischen vier und sechs Millibar.“ Der irdische Wert lag bei etwa tausend Millibar - ein Bar war laut Definition der atmosphärische Druck auf Meereshöhe. Der rote Planet besaß eine Atmosphäre, deren Dichte ein halbes Prozent der irdischen aufwies – und dieses bißchen bestand auch noch aus giftigem Kohlendioxid. Oppenheimer fühlte, wie ihm schwindlig wurde.
„Es gibt noch mehr schlechte Nachrichten,“ sagte von Braun. „MARINER IV hatte ein Helium-Magnetometer an Bord. Wir hatten damit gerechnet, beim Anflug zum Mars sein Magnetfeld nachzuweisen. Je eher das der Fall war – das heißt, je größer die Entfernung zum Mars war – desto stärker mußte das Feld sein. Wir wußten, daß es schwächer sein mußte als das der Erde. Aber aufgrund der Masse und der Tageslänge hatten wir erwartet, daß es etwa ein Zehntel der Stärke des irdischen Magnetfelds aufweisen würde und hatten deshalb damit gerechnet, daß MARINER die Schockwelle viele Stunden vor der größten Annäherung registrieren würde. Damit will ich nicht sagen, daß wir NICHTS gefunden haben. Es gab kurz nach der größten Annäherung einen winzigen Ausschlag, der möglicherweise auf eine solche Schockwelle zurückgeht. Wenn das der Fall ist, dann besitzt Mars ein Magnetfeld mit einer Stärke von 0,3 Prozent des irdischen – und wenn nicht, dann ist es noch schwächer oder fehlt vielleicht ganz.
Oppie angelte sich einen Stuhl und sackte fassungslos darauf zusammen. Mit solch einen winzigen Magnetfeld war es unmöglich, daß der Mars so etwa wie die Van-Allen-Gürtel der Erde besaß. Das würde die unglaublich dünne Marsatmosphäre erklären, die MARINER nachgewiesen hatte – es gab nichts, das den fortwährenden Sonnenwind daran hindern würde, sie fortzublasen. Aber das bedeutete auch, daß alles Leben an der Oberfläche – ob nur heimische Flechten oder Flüchtlinge von der Erde – einem beständigen Beschuß von Alphapartikeln ausgesetzt sein mußte, die die Sonne freisetzte. Die Oberfläche des Mars war nicht nur steril; sie wurde auch ohne Unterlaß STERILISIERT.
Oppenheimer sah sie der Reihe nach an. Von Braun hatte die Augenbrauen hochgezogen und die Arme ausgebreitet, als wollte er sagen: ich kann nichts dafür, ich bin bloß der Botenjunge. Rabi sah finster drein und kaute auf seinem Daumennagel. Kitty schüttelte langsam den Kopf hin und her.
„Puh,“ sagte Oppie, als er seine Stimme wiedergefunden hatte, „Das ist niederschmetternd.“
(Robert J. Sawyer, Auszug aus „The Oppenheimer Alternative“ [2020])
(Marskarte der U.S. Air Force von 1962. Die Größe der Karte beträgt 52 mal 72 Zentimeter.)
* * *
I.
Ich sollte zu Anfang dieses Beitrags vielleicht etwas klarstellen, um mich nicht einer „terminologischen Ungenauigkeit“ schuldig zu machen. Denn natürlich haben die Menschen – zumindest eine Handvoll von Astronomen unter ihnen – schon länger als 60 Jahre Blicke auf den roten Nachbarplaneten der Erde geworfen – wenn auch noch nicht so lange, wie es auf den ersten Blick scheinen könnte. Während der größte Teil der Sternkundigen seit dem 18. Jahrhundert, als die Frage nach „Leben auf anderen Welten“ zum erstenmal Gegenstand des wissenschaftlichen Interesses wurde, sich einig war, daß der Erdmond, ganz im Sinne von Oppenheimer, „toter als tot“ war, weil er nie Leben gekannt hatte, blieb Mars ein konturloses, winziges Scheibchen. Erst die Entwicklung farbverzerrungsfreier („achromatischer“) Objektivlinsen durch Josef Fraunhofer und die Entwicklung großer Format mit 60 und mehr Zentimetern Durchmesser, zuerst durch die amerikanische Firma von Alvan G. Clark und Söhne ab 1865 machten es möglich, ab 1877 während der größten Annäherungen alle 26 Monate auf dieser Scheibe, die dann den Durchmesser des markanten Mondkraters Tycho erreicht, ansatzweise Details auszumachen. Aber sie blieben ungenau, diffus, an der äußersten Grenze der optischen Auflösungsfähigkeit des menschlichen Auges. (1293)
(Mariner 4 am 1. November 1963 bei einem Gewichtstest in der Montagehalle)
Insofern waren die 21 Aufnahmen, die die amerikanische Raumsonde am 15. Juli 1965 während ihres Vorbeiflugs in 9844 Kilometern zwischen 00:18 und 00:40 Weltzeit aufnahm und zwischen dem 15. Juli und dem 4. August über einen Zeitraum von vier Tagen reiner Sendezeit in doppelter Ausführung zur Ende gefunkt wurden, um einem möglichen Datenverlust vorzubeugen, der erste „klare“ oder „unverstellte“ Blick auf den roten Planeten. Sie Aufnahmen deckten nur rund ein Prozent der Marsoberfläche ab – aber die Auswirkung dieser Bilder auf die Forschergemeinschaft gestaltete sich durchaus so, wie es der kanadische SF-Autor Robert Sawyer weiter oben – dramatisch zugespitzt – geschildert hat. Zwar hatten die allermeisten Astronomen die Visionen von Marskanälen, erbaut von eine sterbenden, technisch hochentwickelten Zivilisation, wie sie Percival Lowell aufgrund seiner Beobachtungen in Flagstaff in der Wüste von Arizona in seinen Büchern „Mars“ (1895) und „Mars as the Abode of Life“ (1908) entwickelt hatte, nie wirklich ernst genommen – aber bis in die 1950er Jahre wurde vielfach noch ernsthaft in Betracht gezogen, daß auf dem Mars niedrige Lebensformen (Oppenheimers „heimische Flechten“) existieren könnten und die jahreszeitlichen farblichen Veränderungen der dunklen Bereiche darauf zurückzuführen sein könnten. Die herbe Enttäuschung, die aus vielen der Veröffentlichungen der Jahre nach 1965 spricht, zeigt vor allem, welche unbewußte Hoffnung sich an die Aussicht, daß das Leben auf der Erde kein Einzelfall sein könnte, geknüpft hat.
(Die Verteilung der 21 Aufnahmen von Mariner 4 auf der Oberfläche des Mars)
Die Bahnmechanik der Umlaufbahnen der Planeten im Sonnensystem bringt es mit sich, daß ein Startfenster für einen Transferorbit, bei dem mit dem geringsten Aufwand an Energie, also Treibstoff, ein Raumfahrzeug auf den Weg zum Mars gebracht werden kann, sich, wie erwähnt, alle 26 Monate für nur wenige Wochen öffnet. Für eine solche Bahn, nach seinem Entdecker auch „Hohmann-Transferorbit“ genannt, ist es notwendig, daß sich der Mars auf seiner Bahn 44 Bogengrad vor Mutter Erde befindet. Da seine Umlaufzeit 687 Tage gegenüber den 365,25 der Erde beträgt, ergibt sich daraus dieser Betrag. Der nächste Starttermin dieser Art steht im 15 Monaten, vom 31. Oktober bis zum 15. November 2026 an, und Elon Musk hat ja schon Ende des vergangenen Jahres angekündigt, daß seine Firma SpaceX plant, diesen Zeitpunkt zu nutzen, um fünf Schwerlastraketen vom Typ Starship auf die Reise zu schicken. Die regelmäßige Wiederkehr bringt es auch mit sich, daß ein „Reißen“ dieses Termins kein Beinbruch sein würde – anders als etwas im Fall der „Grand Tour,“ bei der die beiden Voyager-Sonden, Ende der 1970er Jahre gestartet, den vier großen Gasplaneten des äußeren Sonnensystems einen Besuch abgestattet haben. Eine dafür geeignete Stellung erreichen Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun nur alle 175 Jahre.
(Start von Mariner 4 an der Spitze einer Atlas Agena)
Dieses enge Startfenster führt dazu, daß sich die Starttermine für solche Mission eng drängen. Drei Wochen vor dem Start von Mariner 4 war am 5. November 1964 die baugleiche Schwestersonde Mariner 3 gestartet worden. Aus Gründen des Gewichtsersparnis hatte man dort für die Schanzverkleidung an der Spitz der Rakete, die die Sonde vor der Reibungshitze bei Start schützen sollte, allerdings glasfaserverstärkten Kunststoff als Material gewählt – mit dem Resultat, daß entscheidende Teile dieses Materials beim Start schmolzen, weich wurden oder sich verklemmten, die Absprengung der Verschanzung mißlang und die jetzt viel zu große Masse des Sonde dazu führte, daß sie nicht auf die vorgesehene Flugbahn gebracht werden konnte. Da deshalb auch die Sonnenpaneele zur Energieversorgung nicht entfaltet werden konnten, wurde die Mission nach wenigen Stunden, nach der Erschöpfung der Bordbatterien, offiziell beendet.
Für Mariner 4 wurde die Schanzverkleidung durch einer schwerere aus Aluminium ersetzt und die zusätzliche Masse durch Druckerhöhung in den Brennkammern und eine höhere Leistung der Pumpen für den flüssigen Wasser- und Sauerstoff durch die Konstruktionsfirmen Lockheed und Convair wettgemacht. Der Start erfolgte am 28. November, zwei Tage, bevor sich das Startfenster schloß. Die 228 Tage der Anreise waren für die Flugleitung nicht ganz streßfrei, weil die Sonde mehrere Male ihre Ausrichtung auf den Stern Canopus (α Carinae) verlor.
Am erwähnten 15. Juli 1965 passierte die Sonde den Mars mit einer Geschwindigkeit von 17.700 km/h. Die Laufzeit zur 215 Millionen km entfernten Erde betrug 12 Minuten. Das von von Braun oben beschriebene Verschwinden hinter der Planetenscheibe begann um 02:12 Weltzeit und dauerte bis 03:05.
Auch die Konkurrenz beim „Wettlauf ins All,“ die Sowjetunion hat Ende 1964 diese Gelegenheit genutzt. Die Sonde Zond-2 startete am letzten Tag, dem 30. November, von Baikonur aus. Weil sich nur eines der beiden Sonnenpaneele entfaltete, mußte die Sonde mit halber Kraft arbeiten. Am 7. April ging während einer Kurskorrektur der Kontakt zur Sonde verloren. Allerdings wurden dort im Dezember zuvor zum ersten Mal in der Geschichte der Raumfahrt sechs Ionentriebwerke zur Lagekontrolle 70 Minuten lang erfolgreich getestet. Es war die erste Mars-Sonde, die von russischer Seite aus gestartet wurde; Zond-1 war am 2. April 1964 zur Venus gestartet worden; hier brach der Funkkontakt am 14. Mai ab. (2062 Wörter)
(Zond-2)
II.
In der Titelgeschichte des TIME Magazine („Portrait of the Planet“) las sich das eine Woche darauf, am 23. Juli, so:
„Das Bild war körnig und unscharf, ein weißer Fleck vor schwarzem Hintergrund. Es würde noch Monate langwieriger Untersuchung brauchen, um festzustellen, was dort zu sehen war. Aber schon ein flüchtiger Blick liefert den Wissenschaftlern am Jet Propulsion Laboratory des Caltech die wichtigste Botschaft: aus einer Entfernung von 135 Millionen Meilen hatte ihr Raumfahrzeug, Mariner IV, die erste Aufnahme gesendet, die den Menschen je vom weit entfernten Mars gelungen ist.
Der erste Befehl war gesendet worden, als Mariner noch 107.000 Meilen vom Mars entfernt war. Damit wurde der Verschlußmechanismus der Kamera aktiviert, eine Suche mit einem Weitwinkelsensor nach Licht vom Mars gestartet und der Magnetbandrekorder mit Strom versorgt. Es lief wie am Schnürchen. Reporter und die Familien der Wissenschaftler hatten sich im Von- Kármán-Auditorium des JPL versammelt, um auf die rätselhaften Botschaften von den Bodenstationen in Johannesburg in Südafrika, Woomera in Australien und Goldstone in Kalifornien zu warten.
Um 16:55 pazifischer Sommerzeit erfaßte der Weitwinkelsensor den Rand der Marsscheibe. Dreiundzwanzig Minuten später war der Telesensor ebenfalls auf den Mars ausgerichtet. Vermutlich hatte jetzt die Bildaufzeichnung begonnen. Um 17:30 verkündete Jack James, stellvertretender Direktor des JPL und für die Mond- und Planetenforschungsprojekte zuständig, mit einem breiten Lächeln, daß er einen Anruf aus Goldstone erhalten hatte. Dort hatte man soeben bestätigt, daß der Magnetbandrekorder lief. Das Chancen standen sehr gut, daß man Bilder empfangen würde. Unter der Belegschaft, die für Mariner zuständig war, brach Applaus aus.
Der Jubel wich bald der Verzweiflung. Die Flugleitung am JPL erhielt widersprüchliche Signale über das Verhalten des Zweispurrekorders. „Das Analyseteam ist alarmiert,“ gab James bekannt. Die Signale deuteten darauf hin, daß etwas mit dem Stopmechanismus des Rekorders nicht stimmte. Möglicherweise blieb das band nicht zwischen den einzelnen Aufnahmen für einen Zeitraum von 24 Sekunden stehen. Falls das zutraf, wären beide Bandspuren nach der Hälfte der vorgesehenen Zeit voll, und nur die Hälfte der 21 geplanten Bilder wäre aufgenommen worden. Die Verwirrung stIeg noch, als eine körperlose Stimme per Lautsprecher bekanntgab: „Alles deutet darauf hin, daß die Aufnahmen plangerecht durchgeführt worden sind.“
Während der folgenden Stunden wußte niemand, was davon zutraf. Während die Mannschaft des JPL besorgt wartete, umrundete Mariner die Rückseite des Mars. Für 54 Minuten war der Kontakt zur Erde unterbrochen. Während dieses Manövers führte sie ein weiteres wichtiges Experiment durch. Mariner sendete durch die Marsatmosphäre Funksignale zur Erde. Durch die Veränderungen in der Amplitude und der Frequenz der Radiowellen erhofften sich die Wissenschaftler ein besseres Bild über die Eigenschaften der Atmosphäre des Mars.
Durch dieses Experiment brachten sie schnell in Erfahrung, daß die Lufthülle des Mars außerordentlich dünn ist und ungefähr der Dichte der Erdatmosphäre in einer Höhe von 93.000 bis 102.000 Fuß entspricht. Der Luftdruck an der Marsoberfläche, so schätzt der JPL-Physiker Dr. A. J. Kiore, beträgt zwischen 10 und 20 Millibar, verglichen mit 1.000 auf der Erde. Die Dichte der Marsatmosphäre wird jetzt auf 1 bis 2 Prozent des irdischen Werts geschätzt, und es scheint, daß sie erheblich unruhiger ist. Weil sie so dünn ist, müßte der Wind auf dem Mars mit sehr hoher Geschwindigkeit wehen, um die Staubstürme zu erzeugen, die für den roten Planeten so charakteristisch sind.
Dr. Van Allen, der Entdecker des Strahlungsgürtels der Erde, der ach ihm benannt ist (Titelgeschichte in TIME vom 4. Mai 1959) interessierte sich besonders für erhöhte Strahlungswerte in der Nähe des Mars. Die Instrumente von Mariner konnten sie nicht nachweisen. Es sollte also möglich sein, daß Raumfahrer auf einer Umlaufbahn um den Mars auf schwere Abschirmungen gegen solche Strahlung verzichten können. Und trotz der hohen Strahlungswerte am Boden sind die Wissenschaftler der Ansicht, daß sie nicht hoch genug sind, um ein Hindernis bei der Erforschung darzustellen. Wahrscheinlich könnten Menschen den Mars besuchen, ohne auf einen besonderen Strahlenschutz angewiesen zu sein.
Doch während der angespannten Stunden in der letzten Woche standen nicht die gewonnen wissenschaftlichen Erkenntnisse im Zentrum des Interesses in der Flugleitung am JPL, sondern, sondern die Bildsequenz. Das bange Warten hatte ein Ende, als Mariner seine Funkstille beendete und die digitalen Zeichenfolgen überspielte, in der die Bilder, die es am Tag zuvor aufgenommen hatte, umgewandelt worden waren. „Als ich den ersten kurzen Lochstreifenausdruck sah und klar war, daß wir ein Bild hatten, fiel mir ein Stein vom Herzen,“ sagt Dr. Robert B. Leighton vom Caltech, Leiter des Bildauswertungsteams.
(TIME-Magazine vom 23. Juli 1965. Ausdruck der Bilddaten am Kontrollzentrum des JPL)
Seine Aufregung ist verständlich. Dieser Lochstreifen in seinen endlosen Zahlenreihen, verriet den Spezialisten, die sie lesen konnten, das Mariner die komplizierten Aufgaben ausführte, die viele Monate zuvor eingebaut worden waren. Gemäß dem Plan wurde kurz nachdem die Suchermechanismen den Planeten gefunden und das Kamerasystem aktiviert hatten, die Bildaufnahmeröhre hinter einem Spiegelteleskop scharfgestellt und nahm das erste Bild auf. Sie war darauf programmiert, alle 48 Sekunden ein weiteres Bild aufzuzeichnen. Jedes Bild bestand aus 200 Bildzeilen – verglichen mit 525 Zeilen bei herkömmlichen Fernsehbildschirmen. Und jede Bildzeile bestand aus 200 Bildpunkten. Die Bildröhre hielt jedes Bild für 25 Sekunden fest, während es von einem Elektronenstrahl abgetastet wurde, der die Helligkeit jedes Bildpunkts registrierte. Dieser Wert wurde dann in einen Zahlenwert umgewandelt, der von 0 für weiß bis 63 für tiefschwarz reichte.
Diese Werte wurden im Binärcode als Nullen und Einsen aufgezeichnet, der Sprache, die Computer verstehen können. Damit entsprach weiß (0) 000000, und schwarz als 111111 (63). Jedes Bild – 40.000 winzige Punkte, die als 240.000 Bit binärer Code verschlüsselt waren – wurde auf Magnetband gespeichert, um nach dem Passieren des Mars zur Erde gesendet zu werden. Dieser Vorgang ist in mancher Hinsicht komplizierter als die direkte Übertragung der Videodaten von Bildern vom Mond; das war erforderlich, um alle Informationen fehlerfrei vom Mars zur Erde zu senden.
Aufgrund der großen Entfernung und der schwachen Leistung des Senders der Sonde mit nur 10,5 Watts dauerte die Übertragung der Daten für ein Bild 8 Stunden und 35 Minuten. And zu dem Zeitpunkt, zu dem die Signale eine der Empfangsstationen erreichten, betrug ihre Stärke nur noch den milliardsten Bruchteil eines milliardstel Watt. Dieses leise Flüstern wurde von großen Radioantennenschüssel aufgefangen und tausendfach verstärkt, in dem sie durch einen Helium-Maser geschickt wurden. Die Datenübertragungsrate war so gering, daß eine Empfangsstation nicht ausreichte, um ein ganzes Bild zu empfangen. Während die eine Antenne durch die Erddrehung aus dem Sendebereich verschwand, übernahm eine andere ihre Aufgabe ein, um den Rest der Botschaft aufzufangen.
Computer auf der Erde werteten die Bilder aus, Zahl für Zahl, und „entwickelten“ sie, indem sie die Zahlenwerte in die entsprechende Helligkeit übersetzten, die auf einen photographischen Film projiziert wurde. Mariner war darauf programmiert, insgesamt 21 solcher Bilder vom Mars aufzunehmen und zu übertragen. Aber die Ingenieure des Mariner-Teams wollten nicht warten, bis die Übertragung des ersten Bildes abgeschlossen war, um einen ersten Blick darauf zu werfen. Sie werteten das halbe Bild aus, das von den Stationen in Johannesburg und Madrid empfangen worden war, bevor Goldstone, das übernommen hatte nachdem die Verbindung abgebrochen war, seine Hälfte des Bildes übermitteln konnte.
Die Bilder waren nicht so deutlich wie die Ingenieure am JPL gehofft hatten, aber sie waren besser, als sie befürchtet hatten. In den kommenden Monaten wird das Bildauswertungsteam die Bilder mit verschiedenen Methoden weiterbearbeiten – sie werden versuchen, sie Signale besser zu filtern, sie immer wieder auf Übertragungsfehler untersuchen, und Einzelheiten durch Vergrößerung des Kontrasts hervorzuheben. Für die kommenden Wochen erwartet das Team eine zweite, vielleicht auch eine dritte Wiederholung der Magnetbanddaten von Mariner. Diese Wiederholungen werden mit den ersten Übertragungen verglichen werden, um Bildstörungen aufgrund falscher Radiosignale zu korrigieren. Am JPL plant man auch, ein Modell der photographierten Teils der Oberfläche des Mars zu konstruieren – die sich auf weniger als ein Prozent der gesamten Oberfläche des Planeten beläuft.
(Präsentation von Bild 8 im Weißen Haus am 29. Juli 1965 durch die Leitung des Flugteams vom JPL. Von links nach rechts: Dr. William H. Pickering, Leiter des JPL; Oran Nicks, Leiter des Mond- und Planetenforschungsprogramms der NASA; Jack N. James, Leiter der Flugleitung für Mariner 4 am JPL; Präsident Lyndon B. Johnson, und James Webb, Administrator der NASA)
* * *
(Es ist natürlich nicht die feine englische Art, durch das ausführliche Zitieren beider Texte einen Werkstatteinblick zu geben und sichtbar zu machen, womit SF-Autoren ihr Ränzlein mästen und wie sie Recherche für ihre Bücher betreiben. Aber auch unsereins kocht nur mit Wasser. Und der Einblick in die bildgebenden Verfahren mit Hilfe des elektronischen Datenverarbeitung vor jetzt 60 Jahren, noch in der „Steinzeit“ der Computerei, hat seinen eigenen (zeit)historischen Reiz. Erst mit der Entwicklung des PCs Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre lösten die Monitore die Banddrucker als gängiges Displayverfahren ab – die ersten Bildschirme, die mir untergekommen sind, waren die Terminals des Typs VT 20, die DEC 1969 für das erste Rechnernetzwerk, das Arpanet, angefertigt hat. Und bis Mitte der 1980er blieb es hier bei monochromer alphanumerischer Zeichendarstellung auf 30 oder 40 Zeilen, wahlweise in orange oder grün.)
(An dieser Stelle zeigt sich wieder einmal sehr schön, daß auch in diesem Bereich die technische Entwicklung den Notwendigkeiten des Verwendungszwecks geschuldet ist. Die Entwicklung der „dynamischen Adressierung“ in der EDV erfolgte zwischen 1956 und 1958, nachdem die Batch-Programme so umfangreich geworden waren, daß sich die Programmierer die exakten Speicherorte für Programmbefehle nicht mehr merken oder notieren konnten und sich die Notwendigkeit ergab, sie über frei zu wählende Variablen – Strings, Namen, Feldbezeichnungen - ansteuern zu können. Und beim Arpanet ergab sich die Notwendigkeit, direkt Rückmeldung über die Verfügbarkeit und den Status weit entfernter Netzknoten zu erhalten.)
(Monitor mit integrierter Tastatur VT 20 von DEC aus dem Jahr 1969)
* * *
III.
Robert J. Sawyer, 1960 in Ottawa geboren, zählt sicher nicht zu den „großen Stars“ des Genres, auch wenn sein Name den meisten passionierten Science Fiction-Lesern zumindest bekannt sein dürfte, was den englischen Sprachbereich betrifft. Er ist das typische Beispiel für das, was in der englischen Verlagswelt einmal als „midlist author“ bezeichnet wurde: ein Schriftsteller mit einem überschaubaren Oeuvre, dessen Werke sich in respektablen, aber nicht wirklich großen Zahlen verkaufen. Von seinem ersten Roman „Golden Fleece“ (1990) bis zu seinem letzten, „The Downloaded“ von 2023 hat er es auf 25 Romane gebracht, die meisten in Taschenbuchreihen publiziert und lange vergriffen; dazu kommen gut drei Dutzend kürzer Erzählungen seit 1980. Und dennoch darf er heute als einer wichtigsten, wenn nicht der bedeutendste, unter den aktiven SF-Autoren Kanadas gelten. Das verdankt sich vor allem einem Phänomen, das auch in anderen Windstrichen des Erdballs zu sehen ist, in denen das Genre aufgrund der kleinen Bevölkerungszahl – und damit Leserschaft – sowieso eher ein Nischendasein führt: gas gilt ebenfalls für Australien, Schottland, oder auch Länder wie Schweden, Dänemark, Belgien und die Niederlande. In allen diesen Ländern ist es in den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts zu einem wahren Boom der SF gekommen, es gab Dutzende von Autoren, die regelmäßig Erzählungen und Romane herausbrachten, deren Namen den Lesern zumindest geläufig waren. Für Australien wären hier etwa, ganz leicht aus der Lamäng, die Namen Greg Egan, Terry Dowling, Sean McMullen, Damien Broderick, Stephen Dedman, George Turner und Jack Wodhams zu nennen. Selbst für die frankophone Exklave Quebec, mit einer halben Million Einwohner (Einwohner, nicht Leser!) recht überschaubar bemessen, wären für diese Jahre die Namen Elisabeth Vornarburg, Esther Rochon, Daniel Sernine und Yves Meynard zu nennen. Tempi passati. Irgendwann zwischen den Jahren 2000 und 2010 sind die meisten von ihnen verstummt, sei es, weil der Große Schnitter sein Recht geltend gemacht hat (wie, um auf das englischsprachige Kanada zu kommen) im Fall von Phyllis Gotlieb, Terence M. Green, Andrew Weiner oder Michael G. Coney, sei es, weil ihre letzten Veröffentlichungen – als Erzähler – jetzt auch schon Jahrzehnte zurückliegen, wie bei Charles de Lint oder Robert Charles Wilson. Mittlerweile haben es zwar sowohl Australien als auch Kanada zum ungeahnten Luxus eines Genre-Magazins gebracht, die im regelmäßigen Turnus erschienen und es auf eine erstaunliche Zahl von Ausgaben gebracht haben, gemessen an den früheren Versuchen noch im Zeichen der Gutenberg-Galaxis (das australische „Aurealis“ hat es seit 1990 bis zum Juli 2025 auf 182 Ausgaben gebracht, die Nummer für den „Sommer 2025“ des kanadischen „On Spec“ ist die 132.), aber das verdanken sie der nahezu kostenfreien Erstellungsmöglichkeit durch „die Internetze“ (George Bush II) und des Desktop Publishing. Gravierender ist, daß hier die alte Funktion der Genremagazine weggefallen ist: diese Magazine bilden keine Stammautoren mehr aus, die ihre Gesellenzeit mit ersten Fingerübungen verbringen und sich zu reiferen und größeren Formen vorarbeiten und sich nach und nach bei den Lesern „einen Namen machen,“ wie es zur Hochzeit des Genres der Regelfall war
All das sagt natürlich nichts über das Gewicht der Romane Sawyers. Aber eine große Resonanz hat ein Teil davon nicht verbuchen können, weder die „Quintaglio Ascension“ (1992-94), in der intelligente Dinosaurier auf dem Mond eines Fernen Gasplaneten die irdische Renaissance noch einmal durchspielen, den drei Bänden der „Neanderthal Parallax“ (2002-03), in denen Physiker auf einer alternativ verlaufenen Evolution, in der die genannten Hominiden eine technologische Revolution in Gang gesetzt haben, ein Dimensionstor zu unserer Parallelwelt öffnen, noch in der „WWW“-Trilogie (2009-11), in der das Internetz, wie das komplexe Roboter, Elektronenhirne oder neuronale Netze im Genre so an sich haben, Selbstbewußtsein entwickelt. Mit seinen sich stehenden Romane, die typischerweise als Gedankenexperiment angelegt sind, hat der Autor mehr Fortüne gehabt: in „Flashforward“ von 2009 führt ein Experiment am CERN zum Nachweis des Higgs-Bosons dazu, daß der gesamten Menschheit blitzartig ein Blick in die eigene Zukunft in 20 Jahren ermöglicht wird; der größte Teil des Textes fokussiert sich auf die beiden Fragen, ob diese Zukunft unabänderbar festliegt, prädestiniert ist, und welche Folgen ein solches als bombensicher erlebtes Wissen für den Einzelnen und die Gesellschaft als Ganzes hat. In „Calculating God“ (2000) konfrontieren Außerirdische, die unerwartet der Erde einen Besuch abstatten, einen sterbenden Astronomen mit Beweisen für die Existenz einer göttlichen Macht, sehr zum Verdruß des eingefleischten Atheisten. (Der Autor hat sich vehement gegen den Vorwurf der Frömmelei gewehrt und betont, daß es ihm nur darum ging, eine solche Versuchsanordnung durchzuspielen)
Aus heutiger, bzw. aktueller Sicht liest sich „Quantum Nights“ (Ace Books, März 2016, geb., 351 S.) wie ein literarisches Überraschungsei. Auf der Ebene der technischen Spekulation geht um Neurologie und Quantenphysik. Anknüpfend an Roger Penroses Hypothese (in seinem Buch „The Emperor’s New Mind“), daß menschliches Bewußtsein durch quantenmechanische Vorgängen in „Mikrotubuli“ in der Hirnrinde entsteht, gelingt dem Neurologen Jim Marchuk an der Universität von Manitoba der experimentelle Nachweis, daß es beim Menschen je nach dem Auftreten davon drei Arten von freiem Willen gibt: beim Typ Q1, die vier Siebtel der Menschheit ausmachen, befindet sich nur eines in Superposition; es handelt sich um „philosophische Zombies,“ die keinen freien Willen und kein wirkliches Selbstbewußtsein aufweisen; beim Typ Q2, bei dem jeweils zwei Mikrotubuli quantenmechanisch wechselwirken, und auf zwei Siebtel der menschlichen der Menschheit entfallen, resultieren daraus Psychopathen; nur ein Siebtel der Menschen, mit drei solcher Überlagerungen in den kleinen grauen Zellen, verfügen über volles Selbstbewußtsein und die Fähigkeit, kritisch und rational zu denken und Mitgefühl zu entwickeln. So weit, so gut, und so fragwürdig.
Es ist aber der politische Hintergrund, vor dem sich dies abspielt, der verblüfft. Ich habe oben den Monat genannt, in dem das Buch veröffentlicht worden ist; die kanadische Aufgabe beim Viking ist schon einen Monat vorher, im Februar 2016, herausgekommen. Donald Trump ist im Juni 2016 von den Republikanern als Kandidat für die Präsidentschaftswahlen im November aufgestellt worden. Im Sawyers Roman hat der US-Präsident, der neu ins Amt gewählte Präsident Quentin Carroway die gerichtliche Präzendenzentscheidung „Wade vs. Roe“ außer Kraft gesetzt und damit begonnen, illegale Einwanderer in großem Stil außer Landes zu schaffen. Als mit Naheed Kurban Nenshi ein indischstämmiger Moslem, ein Schiit, zum Premierminister gewählt wird (Sawyer hat ihn nicht erfunden; Nenshi, 1972 geboren und von 2010 bis 2021 Bürgermeister der Stadt Calgary, ist seit 2024 Vorsitzender der Alberta New Democratic Party und seit dem 12. Juli 2025 „offizieller Anführer der Opposition“ im kanadischen Parlament), kommt es zu schweren Unruhen im Land, die Präsident Carroway zu einer Invasion Kanadas nutzt, um „Ordnung und Sicherheit wiederherzustellen.“ Und dieses Vorgehen ruft nun den russischen Präsidenten Waldimir Putin auf den Platz, der seinerseits ebenfalls damit droht, in Kanadas einzumarschieren, wodurch ein Kriegsausbruch zwei der Russischen Föderation und den Vereinten Staaten droht. Marchuk kann mit einer Klapparatur leicht nachweisen, daß es sich sowohl bei Tru… bei Carroway wie auch bei господин Владимир Владимирович um Q2, um Psychopathen, handelt.
(Aus der Abteilung „Der Halstuchmörder ist Dieter Borsche“: man soll ja keine Pointen verraten, aber in „Quantum Nights“ führt ein Betrieb von Marchuks Wundermaschine dazu, daß sich in den Menschenhirnen – Tiere verfügen über keine solchen Tubuli, weshalb sie kein wahres Selbstbewußtsein entwickeln können – weltweit zu einer weiteren Überlagerung und damit zum nächsten Evolutionsschritt. Eine zweifache Bestrahlung mit dieser Höhensonne resultiert dann in einer Menschheit, die, bis auf Ausnahmen, aus solchen „Clears“ besteht, einschließlich Putin und Carroway.)
(Die Totholzversion von "The Oppenheimer Alternative." Das Titelbild stammt von Scott Grimando)
Bei „The Oppenheimer Alternative,“ aus dem ich eingangs die Entzauberung des Mars entnommen habe, handelt es sich zwei mehr als zwei Dritteln um eine Alternativhistorie, mit dem speziellen Dreh, daß sich in ihr der Verlauf der Geschichte nicht ändert. Im Mittelpunkt steht J. Robert Oppenheimer, von seinen Freunden Oppie genannt, und maßgeblich an Entwicklung und Bau der Atombombe im Rahmen des Manhattan Project beteiligt. Die Volte liegt in diesem Fall darin, daß Oppie im Zug seiner Berechnungen zur Wasserstofffusion, die der Bombe ihre Durchschlagskraft verleiht, im August 1945 entdeckt, daß der Sonnenkern nicht stabil ist und der Sonne in gut 80 Jahren, um das Jahr 2030 herum, eine katastrophale Entwicklung bevorsteht: dann wird sie in einem explosiven Strahlungsausbruch ihre äußere Schicht, die Photosphäre, absprengen und die inneren Bereiche des Sonnensystems werden durch das Plasma einer Strahlung ausgesetzt, die alles Leben auf der Erde vernichten wird.
Diese Entdeckung unterliegt natürlich strengster Geheimhaltung (selbst die amerikanische Regierung ist nicht eingeweiht), aber während die Geschichte über die kommenden Jahrzehnte den uns bekannten Verlauf nimmt, arbeiten die Forscher um Oppenheimer und von Braun an zwei Möglichkeiten, den drohenden Untergang der Menschheit abzuwenden: zum einen dadurch, daß ein gewaltiger Schutzschild zwischen Erde und Sonne platziert wird (für die gleiche Lösung haben sich Arthur C. Clarke und Stephen Baxter im zweiten Band von „A Time Odyssey“, „Sunstorm“ aus dem Jahr 2005 entschieden, wo der Große Ausbruch 2042 stattfindet). Oder indem so viele Menschen wie möglich auf den Mars auswandern. (Das Ann Arbor Project mit diesem Ziel wird im Buch im Januar 1946 von General Groves gegründet; die „Operation Sonnenschirm“ folgt 1954.) Das ist – innerhalb der Erzählsituation des Buchs – der Grund, warum die Messungen der Mariner-Sonde eine solche Reaktion auslösen. Sawyer hat dieses Treffen – von dem er auf seiner Internetzseite ausdrücklich betont, daß es natürlich nie stattgefunden hat - auf Mittwoch, den 4. August 1965 gelegt.
Ich habe mir erlaubt, diesen Abschnitt aus Kapitel 53 von „The Oppenheimer Alternative“ in voller Länge zu zitieren. Der Autor selbst hat diese Passage dreimal selbst öffentlich aufrufbar ins Netz gestellt, vor zwei Wochen auf seiner Facebook-Seite aus Anlaß des 60. Jahrestags der Mariner-4-Aufnahmen, davor ebenfalls auf Facebook fünf Jahre zuvor anläßlich der Veröffentlichung des Romans in Rahmen der Reihe CAEZIK SF & Fantasy, einer Unterabteilung des amerikanischen Verlags Manor Books und ebenfalls in der Abteilung seiner eigenen Internetseite „sfwrinter.com“, in dem er auch Hintergrundinformationen, Überblicke über die dramatis personae (Sawyer betont, daß es sich bis auf zwei Nebenfiguren ausschließlich um reale Gestalten handelt) und die physikalischen und zeitgeschichtlichen Hintergründe gibt, als amuse-geule, weil der Verlag, anders als viele andere Buchhäuser, keinen auszugsweisen Einblick ins Buch zum Probelesen anbietet.
IV.
* * *
Und während ich diese Zeilen schreibe, erreicht mich, am 29.07. um 22:00, zufällig die Nachricht, daß drei Tage zuvor, am vergangenen Samstag, in den USA Tom Lehrer im Alter von 97 Jahren gestorben ist. Nun wird dieser Name vielen Lesern von Zettels Raum nichts sagen, und wenn es Lehrer bei seinem Brotberuf als Mathematiker und als Dozent in Harvard und am MIT belassen hätte, wäre sein Name nur seinen ehemaligen Studenten ein Begriff. Aber Lehrers Ruhm (man muß seit über 55 Jahren sagen: sein künstlerischer Nachruhm) verdankt sich dem Umstand, daß er während seiner Studienzeit in Harvard damit begonnen hatte, satirische Songs zu komponieren und zu verfassen, die er zu eigener Klavierbegleitung in Klubs und nach einsetzendem Erfolg auch in Konzertsälen vortrug. Zwei Sammlungen davon sind im Studio eingespielt worden („Songs by Tom Lehrer,“ 1953 und „More of Tom Lehrer,“ 1959). Anfang der sechziger Jahre gab es einen jahrelangen Rechtsstreit darüber, ob Georg Kreislers böses Chanson „Taubenvergiften im Park“ oder Lehrers „Poisoning Pigeons in the Park“ das Original und das andere nur das Imitat bei gleicher Melodie darstellt; die Frage ist gerichtlich nie geklärt worden. Sowohl Lehrer als auch Kreisler haben der Gegenseite ein Plagiat vorgeworfen. (Ein ähnlicher Fall liegt übrigens bei Reinhard Mey vor – wobei die zeitliche Distanz von einem Jahrzehnt die Frage des Erstgeburtsrechts klar entscheidet. Auf Meys Album „Wie vor Jahr und Tag“ aus dem Jahr 1974 heißt es zum Lied „Über den Wolken“: „Text und Musik: Reinhard Mey. Wer sich allerdings das 10 Jahre vorher herausgekommene „Early Morning Rain“ des kanadischen Singer-Songwriters Gordon Lightfoot zu Gemüte führt, könnte einen Verdacht hegen, wodurch sich Mey, sagen wir, sehr hat inspirieren lassen.)
Man sollte den Anfang dieser Plattenkarriere nicht überbewerten. Lehrer hat die 12 Stücke für sein erstes Album, „Songs by Tom Lehrer“ auf eigene Kosten im Tonstudio von Trans Radio in Boston am 22. Januar 1953 aufgenommen und für die Mitschneidegebühr 15 Dollar bezahlt. Die Preßkosten der 400 ersten Exemplare beliefen sich auf 700 Dollar.
Seinen eigentlichen Ruhm verdankt Tom Lehrer aber drei Live-Mitschnitten solcher Kleinkunst-Auftritte: „An Evening Wasted with Tom Lehrer“ (1959), „Revisited“ (1959, das die Lieder des ersten Albums enthält), und sein letztes Album „That Was The Year That Was“ von 1965. Diese Aufnahmen sind ebenfalls vor genau 60 Jahren entstanden: bei fünf Auftritten Lehrers im Juli 1965 im legendären Nachtklub the hungry i, der im Stadtteil North Beach von 1950 bis 1970 betrieben wurde. Der Titel der letzten LP leitet sich von dem satirischen Programm „That Was The Week That Was“ des amerikanischen Fernsehsenders NBC ab, für das Lehrer im Zeitraum 1964-1965 die dort vorgetragenen Brettl-Lieder komponiert hat. Und auf dieser LP findet sich ein Song, der einem Mann gewidmet ist, der weiter oben in diesem Beitrag einen ausführlichen Auftritt hat: „Wernher von Braun.“ Das Lied ist einer von zwei Titeln, die NICHT in dieser Sendung ausgestrahlt wurden. (Anders als für die Auftritte in Konzertsälen lassen sich die genauen Daten für seine zahlreichen Nachtklubauftritte nicht mehr tagesgenau ermitteln.) Erschienen ist die LP mit der Katalognummer R/RS 6179 beim Plattenlabel Reprise Records Ende Oktober 1965.
Arthur C. Clarke (der in meinen letzten Postings zum Dauergast mutiert ist) schreibt übrigens in seiner „Autobiographie anhand früher SF-Lektüre“ „Astounding Days“ (1990), daß er in den späten sechziger Jahren einmal während eines Aufenthalts in den Vereinigten Staaten auf einer Party eingeladen war, bei der auch Wernher von Braun auftauchte – worauf der Partygast, der gerade am Flügel spielte, umgehend diesen Song von Tom Lehrer anstimmte und vollständig vortrug. Von Braun habe immerhin die Contenance bewahrt, keine Miene zu verziehen.
(Gesprochene Einleitung:) „And what is it that put America in the forefront of the nuclear nations? And what is it that will make it possible to spend twenty million dollars of your money to put some clown on the moon? Well – it was good old American know-how, as provided by good old Americans like Dr. Wernher von Braun. Here’s a song about that:”
Gather ‘round while I sing you of Wernher von Braun,
A man whose allegiance is ruled by expedience.
Call him a Nazi, he won’t even frown
„Nazi – shmazi,“ says Wernher von Braun.
Don’t say that he’s hypocritical.
Say rather that he’s a-political.
„Vunce rockets are up, who cares vere they komm down?
That’s not my department!” says Wernher von Braun.
Some have harsh words for this man of renown
But I think our attitude
Should be one of gratitude,
Like the widows and cripples in Old London town
Who owe their large pensions to Wernher von Braun.
You too may be a big hero
Once you’ve learned to count backwards to zero.
“In German oder Englisch I know how to count down…
Und I’m learning Chinese!” says Wernher von Braun.
* * *
„Und was hat Amerika den Vorrang unter den Atommächten verschafft? Und was hat es möglich gemacht, zwanzig Millionen von Eurem Geld dafür auszugeben, um einen Kasper auf den Mond zu schießen? Gutes altes amerikanisches Knowhow, natürlich, dank guter alter Amerikaner wie Dr. Wernher von Braun. Hier hab‘ ich ein Lied dazu.“
Heute sing ich euch etwas über Wernher von Braun
Dessen Loyalität
übers Praktische geht.
Nennt ihn wer einen Nazi, wird er nicht mal bös‘ schaun -
„Nazi, Schmazi!“ sagt Wernher von Braun.
Nennt ihn bitte nicht den Scheinheiligen
Er will sich nur nicht politisch beteiligen.
"Wenn die Raketen erst fliegen, ist's gleich, wo sie ‘reinhaun -
"Das ist nicht mehr mein Job!" sagt Wernher von Braun.
Manche reden von ihm recht bös und gemein
doch ich finde, wir sollten ihm dankbarer sein,
Wie in London die Krüppel und verwitweten Fraun:
Die verdanken ihre Renten Doktor Wernher von Braun.
Auch dich wird man zum Helden erwählen:
Du brauchst nur bis Null abwärts zählen.
"Auf Deutsch und Englisch beherrsch' ich den Countdown -
"Und ich lerne Chinesisch," sagt Wernher von Braun.
U.E.
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