Sieht man von den Weltkriegen ab, so haben nur drei Kriege der vergangenen hundert Jahre weltweit Emotionen erregt und die politische Diskussion bestimmt. Nur diese drei Kriege haben das Engagement und lebhafte Stellungnahmen von Menschen ausgelöst, die von diesen Kriegen überhaupt nicht betroffen waren: Der Spanische Bürgerkrieg, der Vietnamkrieg und jetzt der Irakkrieg.
Keiner dieser Kriege war blutiger als andere Kriege dieses blutigen Jahrhunderts - der russische und der chinesische Bürgerkrieg zum Beispiel, der Korea-Krieg, der Kongo-Krieg, der Afghanistan-Krieg. Bei keinem der drei Kriege ging es um Entscheidungen von ungewöhnlicher Tragweite. Im Gegenteil: Der Ausgang des spanischen Bürgerkriegs änderte nichts an den Machtverhältnissen in Europa. Der Sieg der Kommunisten im Vietnam-Krieg hat lediglich den Aufstieg des Kapitalismus und der Demokratie in Indochina um einige Jahrzehnte verzögert.
Was der Irak-Krieg und sein Ausgang bewirken werden, wissen wir noch nicht. Aber es gehört nicht viel spekulative Kraft zu der Vermutung, daß auch ein Ende des Saddam-Regimes durch eine innere Revolution oder durch eine Implosion wie in Osteuropa die ethnischen, religiösen und politischen Konflikte freigesetzt hätte, die jetzt im Irak ausgetragen werden. Die Invasion hat die jetzige Situation ausgelöst, verursacht hat sie sie nicht.
Gut, beim Vietnam-Krieg konnte man damals nicht wissen, daß der Sieg der Kommunisten nicht die "Dominos fallen" lassen würde, wie die USA das befürchtet und die Kommunisten erhofft hatten. Man hatte zu wenig Zutrauen in die Kraft des Kapitalismus gehabt, hatte andererseits dem kommunistischen System viel zu viel zugetraut. Aber das erklärt nicht das ungeheure, weltweite Engangement, das dieser Krieg auslöste. Wie der Spanische Bürgerkrieg, wie heute der Irak-Krieg.
Was diese drei Kriege auszeichnet, das war und ist nicht ihre reale Bedeutung, auch nicht die Entsetzlichkeit des Gemetzels. Sondern es ist ihr Symbolwert. Was sie gemeinsam haben, das ist ihre Eignung dazu, politische Einstellungen affektiv aufzuladen. Sie boten und bieten sich dafür an, "Farbe zu bekennen". Sie standen und stehen für Gut und Böse.
Der Spanische Bürgerkrieg war für die europäische und amerikanische Linke das Symbol des Kampfs gegen den Faschismus und den Nazismus, für Demokratie, Fortschritt, Sozialismus. Der Vietnamkrieg war weltweit für die Linke das Symbol für das, was man damals als "auf der Tagesordnung der Weltgeschichte" stehend ansah: Niedergang des "Spätkapitalismus", Siege im "Nationalen Befreiungskampf" auf allen Kontinenten. "Schafft zwei, drei, viele Vietnams". In beiden Fällen war das politische Engangement zugleich ein moralisches Engagement. Für Fortschritt und Gerechtigkeit. Gegen Unterdrückung und Unrecht.
Was ist es nun, was jetzt dem Irak-Krieg diese symbolhafte Bedeutung verleiht? Auf den ersten Blick ist das schwer zu erkennen. Ein blutiger Diktator, einer der widerlichsten unserer Zeit, ist durch eine Invasion gestürzt worden. An die Stelle seiner Willkürherrschaft ist der mühsame Versuch getreten, einen demokratischen Rechtsstaat aufzubauen. Einen Staat, den - wie die Volksabstimmungen, wie die Wahlen beweisen - die Bevölkerung in ihrer großen Mehrheit will. Dessen Erfolg aber durch Banden von Kriminellen, von Fanatikern, von religiös motivierten Terroristen gefährdet ist.
Sofern man das nach moralischen Kriterien bewerten kann, wird man auf der Seite der irakischen Demokraten und der amerikanischen Befreier stehen, die ihnen den Aufbau eines freien Irak ermöglicht haben. Aber seltsam - die Linke, die sonst weltweit gegen Diktaturen und für die Freiheit eintritt, hat sich diesmal anders entschieden. Sie steht gegen die Befreier. Daß sie auf der Seite der Terroristen steht, wird man nicht behaupten können. Aber es gibt doch ein sehr ähnliches moralisches Engangement wie beim Vietnam-Krieg; ein Engangement gegen die USA.
Was ist da los? Ist es einfach der antiamerikanische Reflex, der auch schon dazu führte, daß deutsche Linke (nicht nur der Kommunist Gysi) sich im Balkan-Krieg auf die Seite von Milosevic stellten? Vielleicht. Ich möchte aber eine Hypothese zur Diskussion stellen, die darüber hinausgeht. Ich weiß nicht, ob sie stimmt. Aber sie erscheint mir bedenkenswert:
Das Ende des Sozialismus in Osteuropa, und nun auch in Asien, hat die Linke weltweit tief getroffen. Nicht einfach nur als eine politische Niederlage. Sondern das, was den Kern linken Denkens ausmacht - daß man "gut" ist, für das Moralische eintritt, "Humanist" ist, Erbe der Aufklärung -, das war durch das, was nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus für alle offensichtlich zutage trat, vollkommen diskreditiert.
Alle Rechtfertigungsversuche, alle Illusionen auch über die Verhältnisse im Sozialismus hatten sich erledigt. Was vom Sozialismus blieb, das waren Unterdrückung, Unrecht, Armut. Zugleich erwiesen sich die sozialdemokratischen Modelle in Europa als unfähig, mit den Herausforderungen der Globalisierung zurechtzukommen.
Da war also eine große Leere entstanden. Und diese wurde - so die Hypothese - durch den Irak-Krieg zumindest partiell wieder gefüllt. Der Grundzustand linken Denkens - das Sich-Empören wider Unrecht - hatte wieder einen Gegenstand gefunden. Etwas, woran sich die Affekte heften konnten: Ein Präsident, der angeblich gelogen hat, um einen Krieg´entfachen zu können, der - so 2003 eine Spiegel-Titelgeschichte - "Blut für Öl" opfert. Eine amerikanische Besatzungsmacht, der "Widerstandskämpfer" entgegentreten. Amerikaner, die foltern. Das ist der Stoff, aus dem linke Träume sind.
Die Welt ist wieder in Ordnung, man kann sich wieder engagieren - für das Gute, gegen das Böse, das Altböse, also die USA.
Man muß freilich sehen, daß der Irak-Krieg für ein derartiges, moralisch überhöhtes Engagement gegen die USA nun wahrlich ungeeignet ist. Ein - in der Terminologie der Ethologen - unteroptimaler Auslöser. Aber das Bedürfnis, sich wieder "auf der richtigen Seite" zu engagieren, war halt nach 1989 auf der Linken sehr groß. In der Not frißt der Teufel Fliegen.
Keiner dieser Kriege war blutiger als andere Kriege dieses blutigen Jahrhunderts - der russische und der chinesische Bürgerkrieg zum Beispiel, der Korea-Krieg, der Kongo-Krieg, der Afghanistan-Krieg. Bei keinem der drei Kriege ging es um Entscheidungen von ungewöhnlicher Tragweite. Im Gegenteil: Der Ausgang des spanischen Bürgerkriegs änderte nichts an den Machtverhältnissen in Europa. Der Sieg der Kommunisten im Vietnam-Krieg hat lediglich den Aufstieg des Kapitalismus und der Demokratie in Indochina um einige Jahrzehnte verzögert.
Was der Irak-Krieg und sein Ausgang bewirken werden, wissen wir noch nicht. Aber es gehört nicht viel spekulative Kraft zu der Vermutung, daß auch ein Ende des Saddam-Regimes durch eine innere Revolution oder durch eine Implosion wie in Osteuropa die ethnischen, religiösen und politischen Konflikte freigesetzt hätte, die jetzt im Irak ausgetragen werden. Die Invasion hat die jetzige Situation ausgelöst, verursacht hat sie sie nicht.
Gut, beim Vietnam-Krieg konnte man damals nicht wissen, daß der Sieg der Kommunisten nicht die "Dominos fallen" lassen würde, wie die USA das befürchtet und die Kommunisten erhofft hatten. Man hatte zu wenig Zutrauen in die Kraft des Kapitalismus gehabt, hatte andererseits dem kommunistischen System viel zu viel zugetraut. Aber das erklärt nicht das ungeheure, weltweite Engangement, das dieser Krieg auslöste. Wie der Spanische Bürgerkrieg, wie heute der Irak-Krieg.
Was diese drei Kriege auszeichnet, das war und ist nicht ihre reale Bedeutung, auch nicht die Entsetzlichkeit des Gemetzels. Sondern es ist ihr Symbolwert. Was sie gemeinsam haben, das ist ihre Eignung dazu, politische Einstellungen affektiv aufzuladen. Sie boten und bieten sich dafür an, "Farbe zu bekennen". Sie standen und stehen für Gut und Böse.
Der Spanische Bürgerkrieg war für die europäische und amerikanische Linke das Symbol des Kampfs gegen den Faschismus und den Nazismus, für Demokratie, Fortschritt, Sozialismus. Der Vietnamkrieg war weltweit für die Linke das Symbol für das, was man damals als "auf der Tagesordnung der Weltgeschichte" stehend ansah: Niedergang des "Spätkapitalismus", Siege im "Nationalen Befreiungskampf" auf allen Kontinenten. "Schafft zwei, drei, viele Vietnams". In beiden Fällen war das politische Engangement zugleich ein moralisches Engagement. Für Fortschritt und Gerechtigkeit. Gegen Unterdrückung und Unrecht.
Was ist es nun, was jetzt dem Irak-Krieg diese symbolhafte Bedeutung verleiht? Auf den ersten Blick ist das schwer zu erkennen. Ein blutiger Diktator, einer der widerlichsten unserer Zeit, ist durch eine Invasion gestürzt worden. An die Stelle seiner Willkürherrschaft ist der mühsame Versuch getreten, einen demokratischen Rechtsstaat aufzubauen. Einen Staat, den - wie die Volksabstimmungen, wie die Wahlen beweisen - die Bevölkerung in ihrer großen Mehrheit will. Dessen Erfolg aber durch Banden von Kriminellen, von Fanatikern, von religiös motivierten Terroristen gefährdet ist.
Sofern man das nach moralischen Kriterien bewerten kann, wird man auf der Seite der irakischen Demokraten und der amerikanischen Befreier stehen, die ihnen den Aufbau eines freien Irak ermöglicht haben. Aber seltsam - die Linke, die sonst weltweit gegen Diktaturen und für die Freiheit eintritt, hat sich diesmal anders entschieden. Sie steht gegen die Befreier. Daß sie auf der Seite der Terroristen steht, wird man nicht behaupten können. Aber es gibt doch ein sehr ähnliches moralisches Engangement wie beim Vietnam-Krieg; ein Engangement gegen die USA.
Was ist da los? Ist es einfach der antiamerikanische Reflex, der auch schon dazu führte, daß deutsche Linke (nicht nur der Kommunist Gysi) sich im Balkan-Krieg auf die Seite von Milosevic stellten? Vielleicht. Ich möchte aber eine Hypothese zur Diskussion stellen, die darüber hinausgeht. Ich weiß nicht, ob sie stimmt. Aber sie erscheint mir bedenkenswert:
Das Ende des Sozialismus in Osteuropa, und nun auch in Asien, hat die Linke weltweit tief getroffen. Nicht einfach nur als eine politische Niederlage. Sondern das, was den Kern linken Denkens ausmacht - daß man "gut" ist, für das Moralische eintritt, "Humanist" ist, Erbe der Aufklärung -, das war durch das, was nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus für alle offensichtlich zutage trat, vollkommen diskreditiert.
Alle Rechtfertigungsversuche, alle Illusionen auch über die Verhältnisse im Sozialismus hatten sich erledigt. Was vom Sozialismus blieb, das waren Unterdrückung, Unrecht, Armut. Zugleich erwiesen sich die sozialdemokratischen Modelle in Europa als unfähig, mit den Herausforderungen der Globalisierung zurechtzukommen.
Da war also eine große Leere entstanden. Und diese wurde - so die Hypothese - durch den Irak-Krieg zumindest partiell wieder gefüllt. Der Grundzustand linken Denkens - das Sich-Empören wider Unrecht - hatte wieder einen Gegenstand gefunden. Etwas, woran sich die Affekte heften konnten: Ein Präsident, der angeblich gelogen hat, um einen Krieg´entfachen zu können, der - so 2003 eine Spiegel-Titelgeschichte - "Blut für Öl" opfert. Eine amerikanische Besatzungsmacht, der "Widerstandskämpfer" entgegentreten. Amerikaner, die foltern. Das ist der Stoff, aus dem linke Träume sind.
Die Welt ist wieder in Ordnung, man kann sich wieder engagieren - für das Gute, gegen das Böse, das Altböse, also die USA.
Man muß freilich sehen, daß der Irak-Krieg für ein derartiges, moralisch überhöhtes Engagement gegen die USA nun wahrlich ungeeignet ist. Ein - in der Terminologie der Ethologen - unteroptimaler Auslöser. Aber das Bedürfnis, sich wieder "auf der richtigen Seite" zu engagieren, war halt nach 1989 auf der Linken sehr groß. In der Not frißt der Teufel Fliegen.