Die Geschichte wiederholt sich nicht. Ebenso wie diese triviale Wahrheit stimmt es, daß bestimmte historische Konstellationen sich sehr wohl wiederholen.
Die Möglichkeiten sind begrenzt. Ähnliche Ursachen tendieren dazu, ähnliche Wirkungen hervorzubringen. Es kann Einsichten befördern, wenn man sich klarmacht, was so ähnlich schon einmal dagewesen ist.
Die offensichtlichste Parallele zum jetzigen russischen Überfall auf Georgien ist das, was schon in dem Wort "Überfall" anklingt. Wir haben uns angewöhnt, im Zusammenhang mit dem Beginn eines Kriegs dieses Wort vor allem für den deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 zu verwenden. Er war die direkte Konsequenz der Appeasement- Politik gegenüber Hitler, die im Münchner Abkommen vom 30. September 1938 kulminierte.
In den Kommentaren zum russischen Überfall auf Georgien wird immer wieder auf die Politik des Appeasement hingewiesen. Beispielsweise schrieb am Montag John Barry in Newsweek:
Die Rolle Chamberlains spielte diesmal ein Deutscher, der Außenminister Frank- Walter Steinmeier.
Wenn wir in der Chronologie weitergehen, dann treffen wir als nächstes auf eine historische Parallele, die ich zum ersten Mal gestern Abend im Gespräch eines CNN- Moderators mit der Moskauer Korrespondentin von CNN, Jill Dougherty, gehört habe. Sie schilderte, wie jetzt die ersten amerikanischen Versorgungsflüge in Tiflis landen und meinte, es könnten hunderte werden.
Die Parallele, die man dabei besprach, war die zur Berliner Luftbrücke vom Juni 1948 bis zum Mai 1949.
In der Tat - auch damals wollten und konnten die USA als Antwort auf eine einseitige Aktion der Russen keine militärische Konfrontation riskieren. Sie entschieden sich für eine weiche, aber dennoch wirksame Antwort; die Versorgung Westberlins aus der Luft.
Auch jetzt könnten die USA durch eine Luftbrücke - vor allem, wenn sie, anders als im Fall Berlin, Waffen einschließt - die Georgier in die Lage versetzen, gegen den russischen Aggressor standzuhalten.
Das Kalkül Putins dürfte es sein, durch die Invasion das Land so zu destabilisieren, daß die gewählte Regierung stürzt und Rußland eine Vasallenregierung einsetzen kann. Eine massive nicht nur moralische, sondern auch materielle Unterstützung des demokratischen Georgien durch die USA könnte dem begegnen. Von Europa haben die Georgier augenscheinlich nichts zu erwarten.
1938, dann 1948. Wie es der Zufall will, ist das dritte historische Datum, das in diesen Tagen heraufbeschworen wird, 1968 - so, als würde Derartiges sich im Rhythmus von Dezennien wiederholen.
1968 also. Der russische Einmarsch in die damalige Tschechoslowakei. Der tschechische Außenminister hat diesen Vergleich gezogen:
Noch gibt es dazu kein Gegenstück, keine formulierte Putin- Doktrin. Daß aber Wladimir Putin entschlossen ist, ehemaligen russischen Kolonien künftig die Zuwendung zum Westen, also den Beitritt zur Nato zu verwehren, das liegt auf der Hand.
Wo liegt die vierte historische Parallele? Nicht bei einem späteren Datum, wieder um Dezennien verschoben. Sondern bei einem Ereignis, das der Vernichtung des "Prager Frühlings" vorausging, nämlich dem russischen Überfall auf Ungarn 1956.
In der Nacht vom 3. zum 4. November 1956 drangen russische Truppen so in Ungarn ein, wie das russische Truppen jetzt in der Nacht vom 7. zum 8. August in Georgien getan haben. Die ungarische Armee konnte nur sporadisch und unkoordiniert Widerstand leisten, so wie jetzt die Armee Georgiens. Der Premierminister Imre Nagy appelierte ähnlich verzweifelt an den Westen, dem Land zu helfen, wie das gestern den ganzen Tag über Präsident Saakaschwili getan hat. Die Reaktion des Westens war dieselbe: Schulterzucken.
So weit war das alles ähnlich wie 1968 in der Tschechoslowakei. (Nur daß die Führer der besiegten Ungarn gehängt wurden, während zwölf Jahre später Alexander Dubcek nur zur Bewährung in die Produktion geschickt wurde, nämlich in die Forstverwaltung. Da sieht man, wie der Humanismus der Kommunisten seine Fortschritte machte).
Es gibt aber eine mögliche Parallele - eine mögliche! -, die noch darüber hinausgeht. Die damalige "Ungarn- Krise" war nämlich so etwas wie eine Doppelkrise, deren zweiter Teil in der Suez- Krise bestand.
Damals erschien erstmals in seiner Geschichte der "Spiegel" derselben Woche mit zwei verschiedenen Titelbildern. Das eine zeigte den ungarischen Premier Imre Nagy, das andere, in einem anderen Teil der Auflage, den äyptischen General Amir.
In Osteuropa zwangen die Russen ein nach Freiheit strebendes Volk in ihren eisernen Griff zurück, und im Nahen Osten standen sich Israelis und Araber im Krieg gegenüber.
Es ist später viel darüber spekuliert worden, ob und wie die beiden Krisen zusammenhingen. Jedenfalls war die internationale Diplomatie bei der Bewältigung jeder der beiden Krisen dadurch belastet, daß sie es zugleich mit der anderen zu tun hatte.
Auch jetzt fällt die Georgien- Krise in eine Zeit, in der nicht nur in Osteuropa, sondern auch im Nahen Osten die Spannungen wachsen. Seit der syrische Präsident Assad den Iran besucht hat, ist eine Konfrontation zwischen Israel und dem Mullah- Regime, das sein Nuklearprogramm offenbar nicht aufzugeben bereit ist, eine reale Möglichkeit.
Die Möglichkeiten sind begrenzt. Ähnliche Ursachen tendieren dazu, ähnliche Wirkungen hervorzubringen. Es kann Einsichten befördern, wenn man sich klarmacht, was so ähnlich schon einmal dagewesen ist.
Die offensichtlichste Parallele zum jetzigen russischen Überfall auf Georgien ist das, was schon in dem Wort "Überfall" anklingt. Wir haben uns angewöhnt, im Zusammenhang mit dem Beginn eines Kriegs dieses Wort vor allem für den deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 zu verwenden. Er war die direkte Konsequenz der Appeasement- Politik gegenüber Hitler, die im Münchner Abkommen vom 30. September 1938 kulminierte.
In den Kommentaren zum russischen Überfall auf Georgien wird immer wieder auf die Politik des Appeasement hingewiesen. Beispielsweise schrieb am Montag John Barry in Newsweek:
As those of a certain age will recall, "appeasement" encapsulated the determination of British governments of the 1930s to avoid war in Europe, even if it mean capitulating to the ever- increasing demands of Adolf Hitler. (...) It is impossible to view the Russian onslaught against Georgia without these bloodstained memories rising to mind.Die Parallele ist vor allem deshalb beklemmend, weil es auch im Vorfeld dieses jetzigen Überfalls ein München gegeben hat, nämlich die Konferenz von Bukarest im April dieses Jahres, als die Nato es ablehnte, Georgien als Aspiranten aufzunehmen, d.h. ihm den Status Membership Action Plan (MAP) zu gewähren, den es beantragt hatte.
Wer ein gewisses Alter hat, der erinnert sich daran, daß "Appeasement" die Entschlossenheit der britischen Regierungen der 30er Jahre beinhaltete, einen Krieg in Europa zu verhindern, selbst wenn das bedeutete, gegenüber den sich immer mehr steigernden Forderungen Adolf Hitlers zu kapitulieren. (...) Es ist unmöglich, den russischen Angriff auf Georgien zu betrachten, ohne daß diese blutgetränkten Erinnerungen vor unserem Geist auftauchen.
Die Rolle Chamberlains spielte diesmal ein Deutscher, der Außenminister Frank- Walter Steinmeier.
Wenn wir in der Chronologie weitergehen, dann treffen wir als nächstes auf eine historische Parallele, die ich zum ersten Mal gestern Abend im Gespräch eines CNN- Moderators mit der Moskauer Korrespondentin von CNN, Jill Dougherty, gehört habe. Sie schilderte, wie jetzt die ersten amerikanischen Versorgungsflüge in Tiflis landen und meinte, es könnten hunderte werden.
Die Parallele, die man dabei besprach, war die zur Berliner Luftbrücke vom Juni 1948 bis zum Mai 1949.
In der Tat - auch damals wollten und konnten die USA als Antwort auf eine einseitige Aktion der Russen keine militärische Konfrontation riskieren. Sie entschieden sich für eine weiche, aber dennoch wirksame Antwort; die Versorgung Westberlins aus der Luft.
Auch jetzt könnten die USA durch eine Luftbrücke - vor allem, wenn sie, anders als im Fall Berlin, Waffen einschließt - die Georgier in die Lage versetzen, gegen den russischen Aggressor standzuhalten.
Das Kalkül Putins dürfte es sein, durch die Invasion das Land so zu destabilisieren, daß die gewählte Regierung stürzt und Rußland eine Vasallenregierung einsetzen kann. Eine massive nicht nur moralische, sondern auch materielle Unterstützung des demokratischen Georgien durch die USA könnte dem begegnen. Von Europa haben die Georgier augenscheinlich nichts zu erwarten.
1938, dann 1948. Wie es der Zufall will, ist das dritte historische Datum, das in diesen Tagen heraufbeschworen wird, 1968 - so, als würde Derartiges sich im Rhythmus von Dezennien wiederholen.
1968 also. Der russische Einmarsch in die damalige Tschechoslowakei. Der tschechische Außenminister hat diesen Vergleich gezogen:
In Prague on Sunday, Foreign Minister Karel Schwarzenberg compared Russia's incursion into Georgia to the Soviet invasion of Czechoslovakia in 1968. In a statement, Schwarzenberg said the Czech Republic supports Georgia and added that "it is a sad coincidence" that the fighting in Georgia takes place at the moment when the country is marking the 40th anniversary of the invasion of Warsaw Pact troops in August 1968.Der Angriff des Warschauer Pakts auf die Tschechoslowakei wurde damals mit der Breschnew- Doktrin gerechtfertigt, wonach die Mitglieder des Warschauer Pakts nur eine begrenzte Souveränität hätten und es ihnen insbesondere nicht erlaubt sei, diesen Pakt zu verlassen und sich dem Westen zuzuwenden.
The Soviet Union and other Warsaw Pact nations crushed the "Prague Spring" challenge to Soviet domination - bold pro-democracy reforms led by Alexander Dubcek. The last of the troops did not leave until 1991.
Am Sonntag verglich in Prag Außenminister Karel Schwarzenberg den russischen Einmarsch nach Georgien mit der sowjetischen Invasion der Tschechoslowakei im Jahr 1968. In einer Erklärung sagte Schwarzenberg, daß die Tschechische Republik Georgien unterstütze und daß "es ein trauriges Zusammentreffen" sei, daß der Kampf in Georgien zu einem Zeitpunkt stattfindet, zu dem das Land den vierzigsten Jahrestag der Invasion der Truppen des Warschauer Pakts im August 1968 begeht.
Die Sowjetunion und andere Staaten des Warschauer Paktes schlugen den "Prager Frühling" nieder, diese Herausforderung der Dominanz der Sowjetunion durch die mutigen Reformen, die Alexander Dubcek anführte. Die letzten dieser Truppen zogen erst 1991 ab.
Noch gibt es dazu kein Gegenstück, keine formulierte Putin- Doktrin. Daß aber Wladimir Putin entschlossen ist, ehemaligen russischen Kolonien künftig die Zuwendung zum Westen, also den Beitritt zur Nato zu verwehren, das liegt auf der Hand.
Wo liegt die vierte historische Parallele? Nicht bei einem späteren Datum, wieder um Dezennien verschoben. Sondern bei einem Ereignis, das der Vernichtung des "Prager Frühlings" vorausging, nämlich dem russischen Überfall auf Ungarn 1956.
In der Nacht vom 3. zum 4. November 1956 drangen russische Truppen so in Ungarn ein, wie das russische Truppen jetzt in der Nacht vom 7. zum 8. August in Georgien getan haben. Die ungarische Armee konnte nur sporadisch und unkoordiniert Widerstand leisten, so wie jetzt die Armee Georgiens. Der Premierminister Imre Nagy appelierte ähnlich verzweifelt an den Westen, dem Land zu helfen, wie das gestern den ganzen Tag über Präsident Saakaschwili getan hat. Die Reaktion des Westens war dieselbe: Schulterzucken.
So weit war das alles ähnlich wie 1968 in der Tschechoslowakei. (Nur daß die Führer der besiegten Ungarn gehängt wurden, während zwölf Jahre später Alexander Dubcek nur zur Bewährung in die Produktion geschickt wurde, nämlich in die Forstverwaltung. Da sieht man, wie der Humanismus der Kommunisten seine Fortschritte machte).
Es gibt aber eine mögliche Parallele - eine mögliche! -, die noch darüber hinausgeht. Die damalige "Ungarn- Krise" war nämlich so etwas wie eine Doppelkrise, deren zweiter Teil in der Suez- Krise bestand.
Damals erschien erstmals in seiner Geschichte der "Spiegel" derselben Woche mit zwei verschiedenen Titelbildern. Das eine zeigte den ungarischen Premier Imre Nagy, das andere, in einem anderen Teil der Auflage, den äyptischen General Amir.
In Osteuropa zwangen die Russen ein nach Freiheit strebendes Volk in ihren eisernen Griff zurück, und im Nahen Osten standen sich Israelis und Araber im Krieg gegenüber.
Es ist später viel darüber spekuliert worden, ob und wie die beiden Krisen zusammenhingen. Jedenfalls war die internationale Diplomatie bei der Bewältigung jeder der beiden Krisen dadurch belastet, daß sie es zugleich mit der anderen zu tun hatte.
Auch jetzt fällt die Georgien- Krise in eine Zeit, in der nicht nur in Osteuropa, sondern auch im Nahen Osten die Spannungen wachsen. Seit der syrische Präsident Assad den Iran besucht hat, ist eine Konfrontation zwischen Israel und dem Mullah- Regime, das sein Nuklearprogramm offenbar nicht aufzugeben bereit ist, eine reale Möglichkeit.
Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.