21. August 2008

Der 44. Präsident der USA (10): Obama eiert. Wackelt Obama?

Es wird spannend im Wahlkampf. Zum einen, weil die Conventions näher rücken, die Wahl- Parteitage. Derjenige der Demokraten beginnt am Montag in Denver. In der ersten Septemberwoche treffen sich dann die Republikaner in Minneapolis- Saint Paul.

Manchmal gibt es Conventions, auf denen wirklich noch um den Kandidaten für das Amt des Präsidenten gerungen wird. In diesem Jahr ist das, wie oft in letzter Zeit, bereits durch die Primaries entschieden. Trotzdem lohnt es, sich die Übertragung der Conventions (in Europa zum Beispiel bei CNN) anzusehen.

Zum einen, weil das große Inszenierungen sind. Mit vielen Emotionen, mit sehr viel Remmidemmi, mit Pathos und Peinlichkeiten. Schon Alexis de Tocqueville hat das in seinem Buch über die Demokratie in Amerika ("De la démocratie en Amérique"; zwei Bände 1835 und 1840) halb bewundernd, halb belustigt beschrieben.

Zweitens sind die Conventions auch große Wahlkampf- Veranstaltungen. Man erfährt, wenn man sie verfolgt, viel über den Zustand der beiden Parteien. Wie der Kandidat, wie sein Vize auftreten, wie das Ganze gelungen oder weniger gelungen ist - das kann den anschließenden Wahlkampf wenn auch sicherlich nicht entscheiden, so doch ihm einen Schub oder einen Dämpfer geben, je nachdem.



Und das könnte in diesem Jahr wichtig sein, weil die beiden Kandidaten jetzt, unmittelbar vor den beiden Conventions, Kopf an Kopf liegen.

Das war nicht unbedingt so zu erwarten gewesen.

Denn seit nach McCain auch Obama als Kandidat feststand, hatte es in den Umfragen so ausgesehen, als liege er zwar nicht weit, aber doch stabil vor McCain. Typische Umfragewerte waren ungefähr 46 oder 47 Prozent für Obama, 43 oder 44 Prozent für McCain.

Das ist nicht viel an Differenz; aber wenn es Woche für Woche so gemessen wird, wenn die meisten Institute ähnliche Werte ermitteln, dann ist es doch aussagekräftig. Die aggregierten Werte aller großer Institute (Poll of Polls) kann man sich zum Beispiel bei Pollster ansehen.

Man erkennt in dieser Abbildung, wie sich im Frühsommer die Schere zu öffnen begann und wie es dann diesen nicht großen, aber stabilen Abstand zugunsten von Obama gab.

Man sieht aber auch, wie in den letzten beiden Wochen sich der Trend umgekehrt hat. Bei Obama setzt sich eine schon etwas früher zu beobachtende Abwärtsbewegung fort; McCain zeigt jetzt eine Veränderung nach oben. Im Gallup Poll Daily Tracking, einer täglichen Befragung, ist der Vorsprung Obamas auf ein, zwei Punkte geschrumpft. Eines der großen Institute, Zogby für Reuters, sieht in seiner letzten, gestern publizierten Befragung McCain sogar mit 46 zu 41 Prozent vorn.

Das ist bisher ein isoliertes Datum; die anderen Institute geben immer noch Obama einen minimalen Vorsprung oder sehen beide gleichauf. Aber so ist das eben, wenn die wahren Werte zusammenrücken - der Stichprobenfehler bringt es mit sich, daß dann Differenzen mal in die eine, mal in die andere Richtung gemessen werden.



Was sind die Ursachen? Es gibt natürlich in den US-Medien viele Vermutungen. Es gibt aber auch Umfragen, die Rückschlüsse erlauben.

Eine der ersten Umfragen, die eine Trendwende andeutete, stammte von Rasmussen und wurde damals, am 6. August, als die Differenz zugunsten von Obama noch stabil zu sein schien, viel kritisiert. Man warf Rasmussen sogar Parteilichkeit zugunsten von McCain vor.

Denn Rasmussen fand, daß McCain auf den meisten Politikfeldern als kompetenter beurteilt wurde als Obama. Und fast durchweg waren seine Werte gestiegen.

Als kompetenter wurde McCain von der Mehrheit der Befragten zum Beispiel bei den Themen Irak, Einwanderung, Staatsausgaben, Steuern, Soziale Sicherheit, Nationale Sicherheit und Energie gesehen; also bei fast allen den Themen, die den Wählern besonders wichtig sind. Obama punktete bei eher weichen Themen wie Schulwesen, Umwelt und Regierungsethik.

Bei der Wahlentscheidung wurde das damals offensichtlich noch durch Obamas Charisma, seine Heilsversprechen, seine Attraktivität bei den Frauen, den Jungen, den Nichtweißen überlagert. Aber dieser Appeal scheint zu bröckeln. Und interessanterweise begann das just mit jenem Ereignis, das aus deutscher Sicht besonders triumphal für ihn zu sein schien: Seine Reise in den Orient und nach Europa; insonderheit sein Auftritt à la Kennedy in Berlin.

Als Obama wieder zu Hause war, begann das McCain- Team diese Reise mieszumachen, indem man Obama als einen Showstar à la Britney Spears und Paris Hilton darstellte.

Das saß. Man legte den Finger in Obamas Wunde: Er kann zwar blendend die Massen mitreißen, ja sie in Verzückung versetzen. Aber viele fragen sich: Ist das eigentlich das, was der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika können sollte? Qualifiziert ihn das dazu, Krisen durchzustehen und die mächtigste Streitmacht der Welt als Oberbefehlshaber zu führen?



Diese Zweifel nun wurden in den letzten Tagen vermutlich durch den Krieg in Georgien verstärkt. Er spielt zwar in den USA längst nicht dieselbe große Rolle wie bei uns, die wir dem Ort des Geschehens erheblich näher sind. Aber die Möglichkeit eines neuen Kalten Kriegs dürfte doch viele Amerikaner zu der Überlegung veranlaßt haben, ob McCain oder Barack Obama wohl der erfolgreichere Gegenspieler Wladimir Putins wäre.

Und dann war da noch das Saddleback Forum. Jene Veranstaltung, auf deren Auswirkungen auf den Wahlkampf Carla Marinucci gestern im San Francisco Chronicle ausführlich einging.

Jene Veranstaltung also, die von einem evangelikalen Pfarrer, Rick Warren, vergangenen Samstag in San Diego organisiert worden war und auf der die beiden Kandidaten frommen Zuhörern Rede und Antwort standen.

Carla Marinucci zitiert George Lakoff, einen höchst angesehenen Psycholinguisten, der den Demokraten nahesteht: McCain habe überzeugend gewirkt, weil er klare Auskünfte gegeben hätte. Obama hingegen sei "overconfident ... and certainly not prepared" gewesen, den Hörern ihre Fragen zur Zufriedenheit zu beantworten - zu selbstsicher und schlecht vorbereitet.

Auf die Frage, warum er Präsident werden wolle, sagte McCain zum Beispiel schlicht, weil er seinem Land dienen wolle. Obama hub zu einer langen und verwickelten Antwort an, in der es um Empathie ging und das Bauen von Brücken.

Und als das Thema Abtreibung zur Sprache kam, ein für die Evangelikalen besonders wichtiges Thema, leistete sich Obama eine unglaubliche Flapsigkeit. Auf die Frage, ab wann der Fötus den Schutz der Menschenrechte genieße, sagte er: "That's above my pay grade" - frei übersetzt: Das soll einer beantworten, der mehr verdient als ich. Oder auch: So schlau bin ich nicht, das zu beantworten.

Bei anderen Fragen ging Obama in die Tiefe und Breite, wo McCain seine Ansicht kurz und klar sagte. Ein Stratege der Republikaner, Patrick Dorinson, kommentierte das: "Obama felt he was sitting with Dr. Phil, and he was trying not to offend anybody"; Obama meinte, er säße bei Dr. Phil, und er wollte niemandem zu nahe treten.

Man kann es auch kürzer sagen: Er eierte herum.



Kurz, die Amerikaner hatten einen schönen Flirt mit Obama, diesem attraktiven, charismatischen Mann mit seinen Starqualitäten. Aber allmählich haben sie sich an ihm sattgesehen und sattgehört. ("Overexposure" nennen das die Soziologen - man hat irgendwann genug von dem, mit dem man ständig konfrontiert wird).

Jetzt reiben sie sich die Augen, die Amerikaner und fragen: Ist dieser nette, sympathische junge Mann, dieser Obama, der die Welt heilen und den Anstieg der Meere bremsen will, wirklich der Richtige, um dafür zu sorgen, daß die Steuern nicht steigen, daß wir Jobs bekommen oder bewahren, daß uns Leute wie Putin nicht den Schneid abkaufen?

Natürlich ist das plakativ gesagt. Natürlich wird es auch im November viele, sehr viele geben, die Obama für den besseren Präsidenten halten. Aber entschieden wird die Wahl durch die wenigen, die nicht festgelegt sind. Von diesen scheinen sich immer mehr von Obama abzuwenden und die Qualitäten von John McCain zu entdecken.



Ach so, heute oder in den kommenden Tagen wird Obama seinen Running Mate vorstellen; seinen Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten.

Lange Zeit war wohl offen, ob es einer werden würde, der die Botschaft des Wandels, des Change, noch unterstreicht, oder ob Obama jemanden nehmen würde, der anders als er selbst Erfahrung und Kompetenz verköpert. Es dürfte wohl das Letzere werden, also vielleicht der Senator Biden oder ein anderer alter Fahrensmann.

Jedenfalls ist Obama als Reaktion auf die momentane Situation offenbar dabei, einmal mehr eine Volte zu schlagen. Wie gestern Katharine Q. Seelye in der New York Times schrieb:
Instead of focusing on the promise of sweeping change that propelled him to the nomination, Mr. Obama this week has been echoing Bill Clinton’s 1992 promise to "fight for you every single day." The tightened message is part of a continuing effort since the primaries to bring his oratory down to a more human scale.

Statt das Versprechen eines allumfassenden Wandels in den Mittelpunkt zu stellen, das ihn zur Nominierung trug, gibt es bei Obama in dieser Woche Anklänge an Bill Clintons Versprechen von 1992, "jeden einzelnen Tag für euch zu kämpfen". Diese gestraffte Botschaft gehört zu dem seit den Vorwahlen anhaltenden Versuch, seinen Redestil auf eine menschlichere Größenordnung herunterzuschrauben.
Schön gesagt. Der Heiland steigt herab zu den Mühseligen und Beladenen.



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