15. August 2008

Zitat des Tages: Krieg zwischen der Nato und Rußland? Über eine seltsame Inkonsistenz im linken Denken

Eine künftige Pakt- Mitgliedschaft Georgiens will man allerdings noch nicht prinzipiell in Frage stellen. Obwohl diverse NATO- Staaten durchaus erleichtert scheinen, dass eine Entscheidung über den vor allem von Washington geförderten Beitritt auf dem Allianz- Gipfel im April in Bukarest verschoben wurde. Sähe man sich doch sonst heute in einer von Tbilissi gleichsam erpressten Beistandspflicht und stünde selbst im Krieg mit Moskau. Nur, bleibt der Nordatlantik-Pakt bei seiner Strategie der Umzingelung Russlands, ob durch Ostausdehnung oder Raketenstationierung, wäre wohl auch das nur eine Frage der Zeit.

Der Leiter des Auslandsressorts des "Neuen Deutschland", Dr. Olaf Standke, in dessen heutiger Ausgabe unter der Überschrift "Nato-Desaster".

Kommentar: Es ist nicht üblich, akademische Titel anzuführen, wenn man Journalisten als Autoren zitiert. Hier tue ich das einmal.

Denn daß ein promovierter Autor sich eine derartige Unlogik leistet, wie sie in dieser Passage zum Ausdruck kommt, das erscheint mir schon bemerkenswert. Natürlich befände sich die Nato jetzt nicht im Krieg mit Rußland, wenn sie Georgien im April den Status Membership Action Plan, also eine Aufnahmezusage, gewährt hätte. Sondern dann hätte es keine russische Invasion Georgiens gegeben.



Aber nicht, um diese Unlogik eines Altkommunisten zu bekritteln (Standke war auch zu DDR- Zeiten schon beim "Neuen Deutschland"), zitiere ich diese Passage. Sondern um auf eine andere, viel seltsamere Inkonsistenz aufmerksam zu machen, die er nicht nur mit anderen Kommunisten, sondern überhaupt mit vielen Linken teilt: Ausgerechnet Rußland genießt die Sympathie dieser Linken.

Es gibt im Augenblick keinen, im linken Sprachgebrauch, reaktionäreren Staat in Europa als Rußland. Kaum irgendwo sonst in Europa sind die sozialen Gegensätze so krass wie in Rußland. Rußland ist der einzige europäische Staat mit einer aggressiven Außenpolitik, wie es sie gerade in Georgien vorführt. Nirgendwo in Europa - mit Ausnahme vielleicht des mit Rußland verbündeten Weißrußland - herrschen so undemokratische Verhältnisse wie in Rußland.

Gegen den dortigen ungezügelten Frühkapitalismus sind die USA ein sozialdemokratisches Land; im Vergleich mit den autoritären Strukturen in Rußland herrscht im heutigen Irak eine mustergültige Demokratie. Kein Land in Europa außer Rußland führt seit Jahren Krieg.

Für demokratische Sozialisten - das zu sein beanspruchen ja die Mitglieder von "Die Linke" ebenso wie linke Sozialdemokraten - sollte Rußland folglich nahezu perfekt ihr Feindbild repräsentieren.

Das Gegenteil aber ist der Fall. Und eben nicht nur bei den Kommunisten.

In der "taz" zum Beispiel hat - ich habe das hier bereits zitiert - Jürgen Gottschlich sich die russische Version der Ereignisse in Georgien unkritisch zu eigen gemacht.

Und kaum war der Krieg in Georgien ausgebrochen, da hatte - die Meldung erschien am vergangenen Samstag - der SPD-Linke und Staatsminister im Auswärtigen Amt Gernot Erler bereits seine Bewertung fertig:
Im Konflikt um Südossetien hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, Georgien eine Verletzung des Völkerrechts vorgeworfen. (...) Er äußerte zugleich Verständnis für das russische Vorgehen in Südossetien. Aus Moskauer Sicht seien die in dem Kaukasus-Gebiet stationierten russischen Friedenstruppen angegriffen worden, so Erler zur Begründung.
Am Samstag letzter Woche wußte noch niemand, wie es gewesen war. Nur dieser Staatsminister im AA wuße es bereits. Er wußte es, weil er offensichtlich die Darstellung der Russen blind geglaubt und diejenige des möglichen künftigen Nato- Partners Georgien gar nicht zur Kenntnis genommen hat.



Warum ist das so? Woher diese nachgerade absurde Sympathie angeblich demokratischer Sozialisten für ein Land, das das Gegenteil von demokratisch und von sozialistisch ist?

Ich habe eine rationale und eine irrationale Motivation zur Erklärung anzubieten.

Die irrationale wäre, daß man als Linker Rußland nun einmal damals, zu jener Zeit, als dort die Kommunisten herrschten, ins Herz geschlossen hat, und daß man diese Sympathie einfach nicht loswird.

Falls wir annehmen wollen, daß Leute wie Olaf Standke, Jürgen Gottschlich und Gernot Erler so irrational nicht denken, dann sehe ich nur eine Erklärung, die rational wäre:

Ihre Sympathie ist bei Rußland, weil ihre Antipathie den USA gilt. Sie wollen, daß Deutschland, daß Westeuropa sich an Rußland anlehnt, weil das den Einfluß der USA in Europa mindern würde.

Und sie wissen, daß sie ein sozialistisches Europa erst dann aufbauen können, wenn Europa sich aus dem Bündnis mit den USA löst und einen "Dritten Weg" einschlägt.



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