29. August 2008

Zitat des Tages: "Die Nato ist ein Kriegsinstrument gegen Rußland". Sagt Peter Scholl-Latour. Aber nicht deshalb ist das zitierenswert

Die Nato ist, so wie es jetzt aussieht, wieder zu einem Kriegsinstrument gegen die So ... gegen Rußland geworden. Und das muß endlich mal aufhören, nicht wahr.

Peter Scholl-Latour gestern bei Maybrit Illner.

Kommentar: Nicht weil Peter Scholl-Latour das gesagt hat, ist es mein "Zitat des Tages". Sondern aus einem anderen Grund, auf den ich gleich komme. Aber zunächst zu Scholl- Latour:

Peter Scholl-Latour ist ein großer Journalist und eine beeindruckende Persönlichkeit. Ein Mann offenbar mit der Vitalität von Johannes Heesters, zugleich ein unermüdlicher Reporter wie Egon Erwin Kisch. Einer von den Journalisten, die sich vor Ort umsehen, statt ihr Bild von der Welt in der heimischen Redaktion zu formen.

Peter Scholl-Latour ist auch einer der letzten großen lebenden Gaullisten. Als Lothringer zugleich Deutscher und Franzose. Mit einem Doktorgrad in Politischer Wissenschaft des Eliteinstituts Institut d'études politiques de Paris. Und - man kann es kaum glauben - ein Veteran des Indochinakriegs!

Von 1945 bis 1947 kämpfte er als Soldat einer französischen Kommandoeinheit (des Fallschirmjäger- Kommandos von Pierre Ponchardier) in Indochina gegen die Kommunisten, die damals noch nicht Viet Cong hießen, sondern Viet Minh. Und aus dieser Zeit stammt eine prägende Erfahrung seines Lebens:

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs versuchte Frankreich, seine alte Kolonie Indochina wieder unter seiner Kontrolle zu bekommen. Die USA ließen es dabei schmählich im Stich; jedenfalls in den ersten Jahren, als Scholl- Latour dort kämpfte.

Die Viet Minh waren Verbündete der USA im Krieg gegen Japan gewesen; die Franzosen hingegen waren in amerikanischen Augen Imperialisten, die ihr Kolonialreich wieder errichten wollten. Also taten die USA nichts, um den gegen die Viet Minh kämpfenden Franzosen zu helfen. Erst einige Jahre später, mit dem Beginn des Kalten Kriegs, änderte sich das.

Diese Erfahrung hat Peter Scholl-Latour offensichtlich nie vergessen. So scharfsinnig oft seine politischen Analysen sind - sobald es um die USA geht, lassen sie die übliche Klarheit und Qualität vermissen.

Im Irak- Krieg beispielsweise hat er den USA schon vor dem Krieg "massive Propaganda" vorgeworfen ("Daß unsere Politiker die massive Propaganda der USA als Tatsache akzeptieren, offenbart den Zustand der Abhängigkeit, in dem sie sich gegenüber den USA befinden"; Interview mit der "Jungen Freiheit" vom Januar 2003) und ihnen dann eine vernichtende Niederlage vorhergesagt ("Der Krieg im Irak ist verloren, das kann man in aller Deutlichkeit sagen"; Scholl- Latour im März 2007 gegenüber der österreichischen Wochenzeitung "Zur Zeit"). Das eine so falsch wie das andere; aber als Äußerung eben verständlich aus der Weltsicht Scholl- Latours.



Daß er also jetzt die Osterweiterung der Nato nicht als den freiwilligen Beitritt von Ländern sieht, die sich von Rußland bedroht fühlen und sich nach Westen orientieren wollen, sondern als das Schmieden eines "Kriegsinstruments" gegen Rußland - geschenkt. Von Scholl- Latour ist keine andere Sichtweise zu erwarten. Es ist halt die persönliche Perspektive eines großen alten Mannes mit seinen ihn prägenden Lebenserfahrungen.

Daß er also die zitierten beiden Sätze geäußert hat - das wäre mir kein "Zitat des Tages" wert gewesen. Wohl aber etwas anderes: Das Publikum im Mainzer Studio quittierte diese Äußerung mit starkem Beifall.

Daß jemand im Jahr 2008 die Nato als ein Kriegsinstrument gegen Rußland bezeichnet und fordert, daß das "endlich mal aufhören" müsse, und daß der Betreffende dafür von einem deutschen Publikum - keine Kommunisten, keine Rechtsextremen, sondern ganz normale Bürger - ebenso spontanen wie kräftigen Beifall bekommt, das ist die Nachricht. Das ist eine Nachricht über den Stand des deutschen öffentlichen Bewußtseins im Jahr 2008.



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