Nicht nur im Wahlkampf gibt es die Konkurrenz um das Master Narrative, das Rahmenschema, das bestimmt, wie die Auseinandersetzung interpretiert wird, wie die Protagonisten gesehen werden. Im wirklichen, im blutigen Kampf des Kriegs ist es nicht anders. In der Weltöffentlichkeit eine bestimmte, nämlich die eigenen Sicht auf den Krieg zu verbreiten, ist unter Umständen nicht weniger wichtig als der militärische Erfolg.
Im Irak-Krieg wollten die USA das Rahmenschema vermitteln "Saddam Hussein bedroht mit seinen WMDs, die er an Terroristen weitergeben kann, die Welt und muß deshalb gestürzt werden". Die Gegner der USA verbreiteten - weitaus erfolgreicher - das Master Narrative "Die imperialistischen USA greifen den Irak an, um dessen Öl in ihren Besitz zu bringen und den Nahen Osten zu beherrschen".
Jetzt, wo der Krieg in Georgien kaum vier Tage alt ist, wird bereits ebenso heftig um die Herrschaft über seine Interpretation gerungen. Zwei Master Narratives stehen sich gegenüber. Und es gibt noch ein drittes, das von niemandem beworben wird, weil es niemandem nützt, wenn die Menschen es für das richtige halten. Mit ihm beginne ich.
Erstes Master Narrative: Man ist in diesen Krieg geschliddert.
Die Metapher vom Schliddern in den Krieg wurde bekanntlich in Bezug auf den Ersten Weltkrieg geprägt. Unter Historikern hat sie nur wenige Anhänger, wie überhaupt Historiker Zufälle nicht mögen; kein Wissenschaftler mag sie. Sie suchen lieber nach Ursachen, nach Hintergründen, nach Plänen, die die eine oder die andere Seite schmiedete und die den Krieg zumindest als Option einschlossen; etwa den "Griff nach der Weltmacht".
Vielleicht gab und gibt es diese Pläne auch für den jetzigen Krieg. Aber sehen wir zunächst die Möglichkeit eines Hineinschlidderns an.
Die Vorgänge, die am vergangenen Freitag zur offenen militärischen Konfrontation zwischen Rußland und Georgien führten, habe ich in der Nacht zum Samstag so zusammengestellt, wie sie (mir) damals bekannt waren. Inzwischen gibt es eine detaillierte Chronologie im Nouvel Observateur. Hier die wichtigsten Ereignisse seit Juli:
Zweites Master Narrative: Georgien hat gepokert und verloren.
Dieses Interpretationsschema wird von den Russen vertreten. Wer den Sender Russia Today einschaltet, der bekommt es rund um die Uhr nahegebracht. Auch in den deutschen Medien ist dieses Master Narrative weit verbreitet. Eine der klarsten Darstellungen hat Jürgen Gottschlich gestern in der taz publiziert:
Nach dieser Master Narrative ist man in den Krieg nicht hineingeschliddert, sondern er wurde von Tiflis geplant. Geplant allerdings nur als ein Krieg in Südossetien, der aber ungeplant ein Eingreifen Rußlands nach sich zog.
Eine dritte Interpretation nimmt dagegen an, daß der Krieg von Anfang an von Moskau beabsichtigt wurde und das Vorgehen der Georgier lediglich den Vorwand für seinen Beginn lieferte.
Auf diese Möglichkeit gehe ich im zweiten Teil ein, in dem ich auch eine Bewertung der konkurrierenden Erklärungen versuchen werde.
(Fortsetzung folgt)
Im Irak-Krieg wollten die USA das Rahmenschema vermitteln "Saddam Hussein bedroht mit seinen WMDs, die er an Terroristen weitergeben kann, die Welt und muß deshalb gestürzt werden". Die Gegner der USA verbreiteten - weitaus erfolgreicher - das Master Narrative "Die imperialistischen USA greifen den Irak an, um dessen Öl in ihren Besitz zu bringen und den Nahen Osten zu beherrschen".
Jetzt, wo der Krieg in Georgien kaum vier Tage alt ist, wird bereits ebenso heftig um die Herrschaft über seine Interpretation gerungen. Zwei Master Narratives stehen sich gegenüber. Und es gibt noch ein drittes, das von niemandem beworben wird, weil es niemandem nützt, wenn die Menschen es für das richtige halten. Mit ihm beginne ich.
Erstes Master Narrative: Man ist in diesen Krieg geschliddert.
Die Metapher vom Schliddern in den Krieg wurde bekanntlich in Bezug auf den Ersten Weltkrieg geprägt. Unter Historikern hat sie nur wenige Anhänger, wie überhaupt Historiker Zufälle nicht mögen; kein Wissenschaftler mag sie. Sie suchen lieber nach Ursachen, nach Hintergründen, nach Plänen, die die eine oder die andere Seite schmiedete und die den Krieg zumindest als Option einschlossen; etwa den "Griff nach der Weltmacht".
Vielleicht gab und gibt es diese Pläne auch für den jetzigen Krieg. Aber sehen wir zunächst die Möglichkeit eines Hineinschlidderns an.
Die Vorgänge, die am vergangenen Freitag zur offenen militärischen Konfrontation zwischen Rußland und Georgien führten, habe ich in der Nacht zum Samstag so zusammengestellt, wie sie (mir) damals bekannt waren. Inzwischen gibt es eine detaillierte Chronologie im Nouvel Observateur. Hier die wichtigsten Ereignisse seit Juli:
Seit Anfang Juli kommt es in Südossetien zu Scharmützeln zwischen Rebellen und georgischen Truppen, an denen sich die Seiten gegenseitig die Schuld geben.Dieser Ablauf ist vereinbar mit einem Master Narrative, wonach keine Seite den Krieg plante, sondern dieser aus sich gegenseitig steigernden Gewaltakten schließlich hervorging. Der Krieg wäre danach die Folge des Versagens von Krisenmanagement.
9.-10. Juli: Condoleezza Rice besucht Georgien und fordert zur Einstellung dieser Kämpfe auf. Am 10. Juli überfliegen russische Kampfflugzeuge Südossetien. Georgien ruft daraufhin seinen Botschafter aus Moskau zurück.
15. Juli: Sowohl Rußland als auch Georgien beginnen mit Manövern im Grenzgebiet.
21. Juli: Georgische Truppen nehmen in Südossetien vier Personen fest. Laut Georgien sind es Drogenhändler. Südosseten sprechen von einer Entführung.
25. Juli: Bei der Explosion einer Autobombe in Südossetien kommt ein Mensch ums Leben.
1. August: Bei einem Gefecht mit georgischen Truppen kommen sechs Menschen ums Leben. Nach georgischen Angaben wurden die Georgier von ihnen angegriffen.
3. August: Rußland warnt vor einem "größeren Konflikt" und beschuldigt Georgien, Truppenbewegungen vorzunehmen.
4. August: Es findet ein Gespräch zwischen den stellvertretenden Außenministern Georgiens und Rußlands statt. Der Letztere äußert die russische "Besorgnis über unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt". Die Regierung der selbsternannten "Republik Südossetien" gibt bekannt, daß sie nach blutigen Zwischenfällen mit der Evakuierung von Kindern begonnen hätte. Tiflis bezeichnet das als Propaganda.
5. August: Rußland teilt mit, daß es sich nicht "abseits halten" könne, wenn die Spannungen weiter stiegen.
6. August: Die beiden Seiten beschuldigen sich gegenseitig, bei Zwischenfällen das Feuer eröffnet zu haben.
7. August: An diesem Tag kommen ein Dutzend Menschen bei Kämpfen ums Leben. Georgien und die "Republik Südossetien" vereinbaren ein Gespräch.
8. August: In der Nacht beginnt Georgien eine Offensive gegen Südossetien. Putin kündigt "Gegenmaßnahmen" an. Russische Panzer und LKW- Kolonnen werden von Wladikawkaz im russischen Nordossetien aus in Marsch gesetzt.
9. August: Der georgische Präsident erklärt, sein Land sei im Krieg. Das georgische Parlament beschließt einen Kriegszustand von 15 Tagen. Rußland meldet die Einnahme von Tschinwali.
Zweites Master Narrative: Georgien hat gepokert und verloren.
Dieses Interpretationsschema wird von den Russen vertreten. Wer den Sender Russia Today einschaltet, der bekommt es rund um die Uhr nahegebracht. Auch in den deutschen Medien ist dieses Master Narrative weit verbreitet. Eine der klarsten Darstellungen hat Jürgen Gottschlich gestern in der taz publiziert:
Michail Saakaschwili hat sich verspekuliert. Der am Freitag letzter Woche begonnene Versuch, die seit 1992 abtrünnige Provinz Südossetien mit Waffengewalt wieder unter georgische Kontrolle zu bringen, ist blutig gescheitert. (...) Was also hat den georgischen Präsidenten getrieben und worauf hat er spekuliert? (...)Rußland tat aber, so wäre diese Interpretation fortzusetzen, Saakaschwili diesen Gefallen nicht, sondern schuf seinerseits mit seinem Eingreifen neue Fakten.
Noch gibt es dazu keine verlässlichen Informationen, aber offensichtlich ist Saakaschwili davon ausgegangen, dass seine US-Unterstützer, allen voran US-Präsident George W. Bush, dafür Sorge tragen würden, dass Russland so lange stillhält, bis die von den USA aufgerüsteten und trainierten georgischen Truppen in Südossetien neue Fakten geschaffen haben.
Nach dieser Master Narrative ist man in den Krieg nicht hineingeschliddert, sondern er wurde von Tiflis geplant. Geplant allerdings nur als ein Krieg in Südossetien, der aber ungeplant ein Eingreifen Rußlands nach sich zog.
Eine dritte Interpretation nimmt dagegen an, daß der Krieg von Anfang an von Moskau beabsichtigt wurde und das Vorgehen der Georgier lediglich den Vorwand für seinen Beginn lieferte.
Auf diese Möglichkeit gehe ich im zweiten Teil ein, in dem ich auch eine Bewertung der konkurrierenden Erklärungen versuchen werde.
(Fortsetzung folgt)
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