Wer seine Informationen nur aus den deutschen Medien, vor allem dem deutschen TV bezieht, der wird vermutlich einem der beiden im ersten Teil beschriebenen Master Narratives über die Hintergründe des Kriegs in Georgien zuneigen: Daß er von Georgien durch den Versuch begonnen wurde, Südossetien zurückzuerobern; oder daß man in einer Eskalation der Gewalt in diesen Krieg geschlittert ist.
Wer seine Informationen aus internationalen Medien bezieht, der wird vermutlich die dritte Möglichkeit zumindest ernsthaft in Betracht ziehen:
Drittes Master Narrative: Rußland will einen Beitritt Georgiens zur Nato verhindern und das Land unter seine Kontrolle bringen
Dieses Interpretationsschema ist in der angelsächsischen Presse weit verbreitet; ja seine Richtigkeit wird nachgerade als selbstverständlich vorausgesetzt, wie zum Beispiel gestern von William Kristol in der New York Times, der nur noch fragt: "Will Russia Get Away With It?", wird Rußland damit davonkommen?
Beispiele für dieses Master Narrative habe ich schon in früheren Beiträgen zitiert:
In einem Editorial vom Sonntag schrieb die Washington Post, das Vorgehen Rußlands sei eine Reaktion auf die Weigerung der Nato im April, Georgien den Status eines Aufnahme- Aspiranten (Membership Action Plan) zu gewähren.
Rußland wolle jetzt der Nato klarmachen, daß Georgien für eine Mitgliedschaft zu instabil sei, hieß es in dem Editorial, und das Land damit wieder unter seinen Einfluß bringen. Auch eine vollständige Eroberung Georgiens und den Sturz der Regierung schloß die Washington Post als Moskaus Kriegsziel nicht aus.
In dieselbe Richtung geht das, was gestern hier an Stimmen aus dem UK zu lesen war:
Der ehemalige britische Europaminister Denis MacShane sieht wie William Kristol in dem Angriff auf Georgien den Versuch, an die imperiale Politik der Sowjetunion anzuknüpfen: "Once again, Russia threatens peace, stability, the rule of law and the rights of sovereign democracies on its border"; wieder einmal bedrohe Rußland den Frieden, die Stabilität, die Gesetzlichkeit und die Rechte souveräner Demokratien an seinen Grenzen.
Und der Rußlandexperte Owen Matthews meinte, von jetzt ab werde Moskau jede weitere Verstärkung des westlichen Einflusses an seinen Grenzen unterbinden und seinerseits sein Einflußgebiet auszuweiten versuchen.
Einzelheiten, die diese Interpretation stützen, berichtete Helene Cooper am Sonntag in der New York Times. Condoleeza Rice habe Putin aufgefordert, die territoriale Integrität Georgiens zu respektieren:
Was ist von diesen drei Master Narratives zu halten? Wirklich klären wird sich das allenfalls dann, wenn weitere Informationen vorliegen, vor allem solche aus den Berichten von Geheimdiensten. Solange das nicht der Fall ist, kann man nur Erwägungen zur Plausibilität anstellen. Hier sind einige:
Audiatur et altera pars. Im Wall Street Journal hat Präsident Saakaschwili gestern den Beginn des Kriegs aus georgischer Sicht geschildert:
Nachtrag: Inzwischen hat im Blog "The Outside of the Asylum" Califax den Ablauf der Ereignisse penibel rekonstruiert.
Das Beste, das ich dazu gelesen habe. Da leistet ein Blogger das, was man von den professionellen Journalisten eigentlich erwarten sollte.
Wenn man sich diesen Ablauf ansieht, dann ist die dritte Master Narrative nicht nur die wahrscheinlichste, sondern sie erscheint als die überhaupt einzige, die mit den Details der Vorgänge im Einklang steht.
Wer seine Informationen aus internationalen Medien bezieht, der wird vermutlich die dritte Möglichkeit zumindest ernsthaft in Betracht ziehen:
Drittes Master Narrative: Rußland will einen Beitritt Georgiens zur Nato verhindern und das Land unter seine Kontrolle bringen
Dieses Interpretationsschema ist in der angelsächsischen Presse weit verbreitet; ja seine Richtigkeit wird nachgerade als selbstverständlich vorausgesetzt, wie zum Beispiel gestern von William Kristol in der New York Times, der nur noch fragt: "Will Russia Get Away With It?", wird Rußland damit davonkommen?
Beispiele für dieses Master Narrative habe ich schon in früheren Beiträgen zitiert:
In einem Editorial vom Sonntag schrieb die Washington Post, das Vorgehen Rußlands sei eine Reaktion auf die Weigerung der Nato im April, Georgien den Status eines Aufnahme- Aspiranten (Membership Action Plan) zu gewähren.
Rußland wolle jetzt der Nato klarmachen, daß Georgien für eine Mitgliedschaft zu instabil sei, hieß es in dem Editorial, und das Land damit wieder unter seinen Einfluß bringen. Auch eine vollständige Eroberung Georgiens und den Sturz der Regierung schloß die Washington Post als Moskaus Kriegsziel nicht aus.
In dieselbe Richtung geht das, was gestern hier an Stimmen aus dem UK zu lesen war:
Der ehemalige britische Europaminister Denis MacShane sieht wie William Kristol in dem Angriff auf Georgien den Versuch, an die imperiale Politik der Sowjetunion anzuknüpfen: "Once again, Russia threatens peace, stability, the rule of law and the rights of sovereign democracies on its border"; wieder einmal bedrohe Rußland den Frieden, die Stabilität, die Gesetzlichkeit und die Rechte souveräner Demokratien an seinen Grenzen.
Und der Rußlandexperte Owen Matthews meinte, von jetzt ab werde Moskau jede weitere Verstärkung des westlichen Einflusses an seinen Grenzen unterbinden und seinerseits sein Einflußgebiet auszuweiten versuchen.
Einzelheiten, die diese Interpretation stützen, berichtete Helene Cooper am Sonntag in der New York Times. Condoleeza Rice habe Putin aufgefordert, die territoriale Integrität Georgiens zu respektieren:
What did Mr. Putin do? First, he repudiated President Nicolas Sarkozy of France in Beijing, refusing to budge when Mr. Sarkozy tried to dissuade Russia from its military operation. "It was a very, very tough meeting," a senior Western official said afterward. "Putin was saying, 'We are going to make them pay. We are going to make justice.'"
Then, Mr. Putin flew from Beijing to a region that borders South Ossetia (...) The Russian message was clear: This is our sphere of influence; others stay out. (...)
"What the Russians just did is, for the first time since the fall of the Soviet Union, they have taken a decisive military action and imposed a military reality," said George Friedman, chief executive of Stratfor, a geopolitical analysis and intelligence company. "They’ve done it unilaterally, and all of the countries that have been looking to the West to intimidate the Russians are now forced into a position to consider what just happened."
Was tat Putin? Zunächst wies er den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy in Peking zurück. Als Sarkozy Rußland von seiner Militär- Operation abzubringen versuchte, bewegte er sich nicht: "Es war ein sehr, sehr hartes Zusammentreffen", sagte danach ein westlicher Sprecher. Putin sagte immer wieder: 'Wir werden sie bezahlen lassen. Wir werden Recht schaffen.' "
Danach flog Putin von Peking in ein Gebiet an der Grenze zu Südossetien (...) Die russische Botschaft war klar: Dies ist unsere Einflußsphäre; da hat niemand sonst etwas zu suchen. (...)
"Was die Russen jetzt getan haben, ist, daß sie erstmals seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine entscheidende Militäraktion durchgeführt und militärische Realität erzwungen haben", sagte George Friedman, der Leiter von Stratfor, einer Gesellschaft für geopolitische Analysen und Informationen. "Sie haben es unilateral getan, und alle die Länder, die damit gerechnet hatten, daß der Westen die Russen einschüchtern würde, werden jetzt gezwungen, zu bedenken, was gerade passiert ist."
Was ist von diesen drei Master Narratives zu halten? Wirklich klären wird sich das allenfalls dann, wenn weitere Informationen vorliegen, vor allem solche aus den Berichten von Geheimdiensten. Solange das nicht der Fall ist, kann man nur Erwägungen zur Plausibilität anstellen. Hier sind einige:
Plausibilitätsüberlegungen, gewiß. Nicht mehr. Ich habe mir die Freiheit genommen, sie zur Diskussion zu stellen, weil ich den Eindruck habe, daß viele Kommentatoren in Deutschland noch nicht einmal Plausibilitätsüberlegungen anstellen, sondern die russische Version blind übernehmen.Die drei Interpretationen schließen einander nicht völlig aus. Im Prinzip könnte es sein, daß der tatsächliche Ablauf Elemente von allen dreien enthielt. Daß beispielsweise beide Seiten zwar Pläne für diesen Krieg in ihren Schubladen hatten, daß aber eine unkontrollierte Eskalation dazu führte, daß diese Pläne jetzt umgesetzt wurden. Auch ein Plan von Tiflis, Südossetien jetzt zurückzuerobern, ist nicht unbedingt unvereinbar mit einem Plan Moskaus, Georgien zu demütigen und aus der Nato herauszuhalten. In einer Zeit der Satellitenaufklärung ist es unwahrscheinlich, daß nicht beide Seiten über den Aufmarsch der jeweils anderen voll informiert waren. (Ich setze jetzt voraus, daß Erkenntnisse der USA den Georgiern zur Verfügung gestellt wurden). Daß die Georgier darauf vertrauten, Rußland würde eine Rückeroberung Südossetiens unter dem Druck der USA tatenlos hinnehmen (wie es Jürgen Gottschlich unterstellt), ist also sehr unwahrscheinlich. Man mußte in der Nacht zum Freitag in Tiflis wissen, daß Teile der 58. Armee Rußlands einmarschbereit standen. Dann ist aber ein Hineinschliddern in den Krieg unwahrscheinlich. Als Micheil Saakaschwili den Befehl zum Einmarsch nach Südossetien gab, mußte er davon ausgehen, daß die Russen militärisch antworten würden. Warum tat er es dann aber? Warum tappte Saakaschwili in die Falle, wie es Owen Matthews formulierte? Das ist das große Rätsel dieses Kriegs. Daß Georgien gegen die russische Armee einen sehr schweren Stand haben würde, liegt auf der Hand. Hätte Saakaschwili die Auseinandersetzung mit Rußland dennoch gesucht, dann hätte er das gewiß nicht getan, solange noch 3000 Mann Elitetruppen Georgiens im Irak standen. Wahrscheinlicher erscheint es deshalb, daß dieser Einmarsch - der ja nach einem anfänglich angekündigten Waffenstillstand befohlen wurde - der Versuch war, für eine bevorstehende Auseinandersetzung mit der russischen Armee wenigstens günstige Voraussetzungen zu schaffen. Sinn würde das machen, wenn die Georgier Informationen gehabt hätten, daß der Angriff der Russen bevorstand. Für einen russischen Angriffsplan sprechen die mehrfachen Ankündigungen Rußlands (siehe den ersten Teil, dort unter dem 3. und 4. August genannt), es werde nicht tatenlos bleiben. Im Nachhinein erscheint das wie die vorbereitende Rechtfertigung eines Einmarschs. Auch das Timing spricht dafür, daß Rußland der Aggressor ist und Georgien ihm lediglich zuvorzukommen versuchte. Denn wenn Rußland die Erhebung Georgiens zum Nato- Aspiranten (Membership Action Plan) verhindern wollte, dann stand es wegen der für Dezember vorgesehenen Entscheidung unter Zeitdruck. Georgien dagegen hätte, falls es eine militärische Lösung in Südossetien suchte, warten können, bis seine Elitetruppen aus dem Irak zurück sind.
Audiatur et altera pars. Im Wall Street Journal hat Präsident Saakaschwili gestern den Beginn des Kriegs aus georgischer Sicht geschildert:
Our friends in Europe counseled restraint, arguing that diplomacy would take its course. We followed their advice and took it one step further, by constantly proposing new ideas to resolve the conflicts. (...)
Our offers of peace were rejected. Moscow sought war. In April, Russia began treating the Georgian regions of Abkhazia and South Ossetia as Russian provinces. Again, our friends in the West asked us to show restraint, and we did. But under the guise of peacekeeping, Russia sent paratroopers and heavy artillery into Abkhazia. Repeated provocations were designed to bring Georgia to the brink of war.
When this failed, the Kremlin turned its attention to South Ossetia, ordering its proxies there to escalate attacks on Georgian positions. My government answered with a unilateral cease-fire; the separatists began attacking civilians and Russian tanks pierced the Georgian border. We had no choice but to protect our civilians and restore our constitutional order. Moscow then used this as pretext for a full-scale military invasion of Georgia.
Unsere europäischen Freunde rieten zur Zurückhaltung und argumentierten, daß die Diplomatie ihren Gang nehmen werde. Wir folgten ihrem Rat und gingen noch einen Schritt weiter, indem wir regelmäßig neue Ideen vorschlugen, um die Konflikte zu lösen. (...)
Unsere Friedensangebote wurden zurückgewiesen. Moskau suchte den Krieg. Im April begann Rußland damit, die georgischen Regionen Abchasien und Südossetien als russische Provinzen zu behandeln. Wiederum baten uns unsere Freunde im Westen, Zurückhaltung zu üben, und wir folgten dem. Aber Rußland schickte unter dem Deckmantel von Friedenstruppen Fallschirmjäger und schwere Artillerie nach Abchasien. Wiederholte Provokationen dienten dem Zweck, Georgien an den Rand eines Kriegs zu bringen.
Als das scheiterte, wandte der Kreml seine Aufmerksamkeit nach Südossetien und befahl seinen Statthaltern dort, ihre Angriffe auf georgische Stellungen zu eskalieren. Meine Regierung antwortete mit einem einseitigen Waffenstillstand; die Separatisten begannen Zivilisten anzugreifen, und russische Panzer stießen zur georgischen Grenze vor. Wir hatten keine Wahl, als unsere Zivilisten zu schützen und die verfassungsmäßige Ordnung wieder herzustellen. Moskau benutzte das dann als Vorwand für eine breit angelegte militärische Invasion Georgiens.
Nachtrag: Inzwischen hat im Blog "The Outside of the Asylum" Califax den Ablauf der Ereignisse penibel rekonstruiert.
Das Beste, das ich dazu gelesen habe. Da leistet ein Blogger das, was man von den professionellen Journalisten eigentlich erwarten sollte.
Wenn man sich diesen Ablauf ansieht, dann ist die dritte Master Narrative nicht nur die wahrscheinlichste, sondern sie erscheint als die überhaupt einzige, die mit den Details der Vorgänge im Einklang steht.
Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen. - Siehe auch die Diskussionen in diesem Thread zum selben Thema.