20. August 2008

Kurioses, kurz kommentiert: Die besseren Argumente der Weicheier

Und trotz alledem haben die als "Weicheier" titulierten wie der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) die besseren Argumente, wenn sie mahnen, "den Dialog mit Russland nicht abreißen zu lassen". Der Nato- Russland- Rat, sagt Steinmeier, sei nicht als "Schönwettergremium" konzipiert. Er werde ganz im Gegenteil "gerade im schwierigen Fahrwasser gebraucht". Sobald Russland seine Truppen aus Georgien abgezogen habe, müsse über neue Treffen mit der Moskauer Führung nachgedacht werden.

Hans-Jürgen Schlamp, Brüsseler Korrespondent des "Spiegel", gestern in "Spiegel- Online" unter der Überschrift "Kampfansage der Kalten Krieger".

Kommentar: Steinmeier, das ist für Schlamp eine der löblichen Ausnahmen, kein "Kalter Krieger". "Sobald Rußland seine Truppen aus Georgien abgezogen habe", will Steinmeier über ein Treffen nachdenken, schreibt Schlamp. Und findet das prima, denn "... bei kühler und rationaler Abwägung gibt es keine Alternative zum Dialog mit dem Kreml".

Da wird er freilich eine lange Zeit warten müssen, der Steinmeier, bis er mit dem Nachdenken über einen Dialog beginnen kann. Eine Zeit, in der er sich noch einmal ganz kühl und ganz rational überlegen kann, was die Russen denn wohl in Georgien wollen.

Ist das ein Thema für "Kurioses, kurz kommentiert"? Ja, ich finde schon. Kurios ist es zwar nicht, daß Hans- Jürgen Schlamp, früher WDR, diejenigen zu "Kalten Kriegern" erklärt, die für eine realistische Rußland- Politik eintreten. Kurios ist es aber, daß der deutsche Außenminister - wenn Schlamps Bericht stimmt - meint, die Russen würden demnächst wieder aus Georgien abziehen.



Lesen wir einmal, was Vladimir Socor am Montag im Eurasia Daily Monitor zum Verhalten der Russen in Georgien geschrieben hat:
Russian troops and their local proxies now fully occupy South Ossetia and Abkhazia. Authorities loyal to Tbilisi, which operated in parts of those two regions, have been expelled, and the Georgian populations forcibly evicted. (...)

In addition, Russian forces have seized several districts inside Georgia beyond South Ossetia and Abkhazia, contiguous to them but never previously contested. Such areas include Zugdidi and Tsalenjikha near Abkhazia, and Gori and Akhalkagori near South Ossetia. The Russians seem to be turning these newly occupied areas into buffer zones that would separate South Ossetia and Abkhazia from the rest of Georgia. (...)

Moreover, the occupying forces seem intent on isolating certain remote districts from the rest of the country. Thus, the Russians have destroyed the crucial road bridge that connects the mountainous Svaneti district (adjacent to Abkhazia and Russia) from the rest of Georgia.

Deep inside Georgia, Russian forces have cut the country into an eastern half and a western half by blocking railway and highway traffic. (...)

Russische Truppen und deren lokale Stellvertreter halten jetzt Südossetien und Abchasien vollständig besetzt. Behörden, die loyal zu Tiflis stehen und die in Teilen von diesen beiden Regionen tätig gewesen waren, sind ausgewiesen worden. Die georgische Bevölkerung wurde mit Gewalt vertrieben. (...)

Des weiteren haben russische Truppen mehrere Distrikte innerhalb Georgiens über Südossetien und Abchasien hinaus in Besitz genommen. Sie grenzen an diese Gebiete an, waren aber bisher niemals umstritten. Dazu gehören Zugdidi und Tsalenjikha, die an Abchasien und Gori und Akhalkagor, die an Südossetien angrenzen. Die Russen wandeln diese neu besetzten Gebiete offenbar in Pufferzonen um, die Südossetien und Abchasien vom übrigen Georgien trennen würden. (...)

Zusätzlich dürften die Besatzungstruppen beabsichtigen, bestimmte abgelegene Distrikte vom übrigen Land zu isolieren. So haben die Russen die wichtige Verkehrsbrücke zerstört, die den Bergdistrikt Svaneti (mit Grenzen zu Abchasien und zu Rußland) mit dem übrigen Georgien verbindet.
Hier ist Socors Zusammenfassung:
In sum, Russia threatens to cut up Georgia, informally but methodically, on several levels: 1) in Abkhazia and South Ossetia; 2) through additional buffer zones (glacis) beyond the secessionist areas; 3) by isolating some remote chunks of territory (Svaneti); 4) by cutting off the country’s east and west from each other and isolating Tbilisi; and 5) by controlling the seaboard.

Zusammengefaßt: Rußland droht Georgien informell, aber methodisch auf verschiedenen Ebenen aufzuteilen: 1) in Abchasien und Südossetien; 2) durch weitere Pufferzonen (Glacis) über die abtrünnigen Gebiete hinaus; 3) durch die Isolierung bestimmter abgelegener Gebietsteile (Svaneti); 4) dadurch, daß der östliche und der westliche Landesteil voneinander abgeschnitten werden und Tiflis isoliert wird; und 5) durch Kontrolle der Küste.
Und wenn Putin so freundlich gewesen ist, das alles wieder aufzuheben oder rückgängig zu machen, dann darf der Minister Steinmeier sein Nachdenken über einen Dialog beginnen.



Wie so Vieles in meinen Kommentaren zum Überfall auf Georgien verdanke ich auch den Hinweis auf den Artikel von Socor dem Bloggerkollegen Califax, dessen Blog "The Outside of the Asylum" zum Lesenswertesten gehört, das es in der Blogokugelzone zu lesen gibt. Zum jetzigen Thema ist auf diesen dortigen Artikel über die Folgen der Sarkozy- Vereinbarungen hinzuweisen.



Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.