16. August 2008

Krieg in Georgien: Eine Zwischenbilanz in Zitaten

Anfang dieser Woche habe ich in einer kleinen Serie von Artikeln versucht, die verschiedenen Master Narratives, die allgemeinen Rahmen zur Erklärung der Vorgänge in Georgien, ein wenig zu beleuchten.

Jetzt, am Ende der Woche, möchte ich eine Zwischenbilanz ziehen; und zwar nicht in eigener Schilderung, sondern in Zitaten.

Meine Bewertung liegt in der Auswahl der Zitate. Inzwischen spricht aus meiner Sicht sehr viel dafür, daß es sich um eine geplante Aggression Rußlands handelte.




1. Die Vorgeschichte des Kriegs

18. Juli: Tschetschenische Separatisten teilen auf ihrem Portal mit, sie hätten Dokumente erhalten, die auf eine russische Invasion hindeuteten. Die Invasion solle zwischen dem 20. August und dem 10. September stattfinden. Die Operation sei mit abchasischen Separatisten koordiniert (...) Der Blitzkrieg [deutsches Wort im Original] solle 7 bis 10 Tage dauern.

Aus dem Artikel Wojna w Osetii Południowej 2008 (Krieg in Südossetien 2008) in der polnischen Wikipedia. Deutscher Text auf der Grundlage der Übersetzung von Kane.



... there is sufficient evidence that this massive invasion was preplanned beforehand for August (...). The swiftness with which large Russian contingents were moved into Georgia, the rapid deployment of a Black Sea naval task force, the fact that large contingents of troops were sent to Abkhazia where there was no Georgian attack all seem to indicate a rigidly prepared battle plan.

This war was not an improvised reaction to a sudden Georgian military offensive in South Ossetia, since masses of troops cannot be held for long in 24-hour battle readiness.


... es gibt genügend Indizien dafür, daß diese massive Invasion im Voraus für den August geplant gewesen war (...). Die Schnelligkeit, mit der große russische Kontingente nach Georgien verlegt wurden, der schnelle Aufmarsch der Schwarzmeer- Flotte, die Tatsache, daß große Truppen- Kontingente nach Abchasien entsandt wurden, wo es keinen georgischen Angriff gegeben hatte - das alles deutet auf einen genau ausgearbeiteten Schlachtplan hin.

Dieser Krieg war keine improvisierte Reaktion auf eine unerwartete militärische Offensive Georgien in Südossetien, denn Massen von Truppen können nicht auf Dauer rund um die Uhr in Kampfbereitschaft gehalten werden.


Die russische Novaya Gazeta; englische Übersetzung publiziert am 15. August im Blog Georgia & South Caucasus. (Den Hinweis auf diesen Artikel verdanke ich Califax).



Nach meiner Einschätzung hat man [Georgien] sich provozieren und in eine geschickt gestellte Falle locken lassen. (...) Das militärische Handeln Moskaus in Georgien war auch keineswegs sehr eindrucksvoll, legt allerdings den Verdacht nahe, dass es von langer Hand vorbereitet war.

General a.D. Klaus Naumann am 15. August in einem Interview mit "Spiegel- Online".



One senior U.S. diplomat, who is a good friend of mine, had lunch with [Russian Foreign Minister Sergei] Lavrov, and he said to Lavrov that he was planning to go to Georgia in September. And Lavrov replied, "Too late, there will be a war before then."

Ein hoher US- Diplomat, mit dem ich gut befreundet bin, aß mit [dem russischen Außenminister Sergej] Lawrow zu Mittag, und er sagte Lawrow, daß er für September eine Reise nach Georgien vorhätte. Und Lawrow antwortete: "Zu spät, davor wird es Krieg geben."

Der georgische Präsident Mikail Saakaschwili in einem am 12. August publizierten Interview mit Anna Nemtsova von Newsweek; siehe dazu diesen früheren Artikel.




2. Die Opfer des georgischen Angriffs auf Tschinwali

People from the capital Tskhinvali, which became a battlefield after being attacked by Georgia, are recovering from a nightmare. It’s hard to find a citizen who hasn't lost a relative in the conflict. (...) More than 1600 civilians and 74 peacekeepers have been killed in five days of violence. (...)The Chief Priest of the Province, Father Georgy, says 60% of his parishioners were killed.

Die Menschen aus der Hauptstadt Tschinwali, die nach dem Angriff Georgiens zum Schlachtfeld wurde, erholen sich von dem Alptraum. Man findet kaum einen Einwohner, der in dem Kampf nicht einen Verwandten verloren hat. (...) Über 1600 Zivilisten und 74 Angehörige der Friedenstruppe wurden in den fünf Tagen anhaltenden Kämpfen getötet. (...) Der höchste Priester der Provinz, Pater Georgij, sagte, 60 Prozent seiner Gemeindemitglieder seien ums Leben gekommen.

Der russische Propagandasender Russia Today am 14. August.



"Human Rights Watch" issued a report on Thursday that (...) seemed to indicate that early Russian accounts of casualties, which in the first days of fighting reached 2,000, were far too high. In Tskhinvali, where the heaviest fighting took place, the local hospital received 44 corpses and 273 wounded people from Aug. 6, after clashes between separatists and Georgians, to Aug. 12, the report said, citing a doctor.

"Human Rights Watch" veröffentlichte am Donnerstag einen Bericht, (...) der offenbar zeigt, daß die anfänglichen russischen Angaben über die Zahl der Opfer, die in den ersten Tagen 2.000 erreichten, weitaus zu hoch gewesen waren. In Tschinwali, wo die heftigsten Kämpfe stattfanden, wurden zwischen dem 6. August, als es zu Zusammenstößen zwischen Separatisten und Georgiern gekommen war, und dem 12. August 44 Tote und 273 Verwundete in das örtliche Krankenhaus gebracht. So besagt es der Bericht, der sich auf Ärzte beruft.

Sabrina Tavernise und Matt Siegel in der New York Times vom 15. August.




3. Die russischen Truppen ziehen sich aus Georgien zurück

Declaring that "the aggressor has been punished," President Dmitri Medvedev announced early Tuesday that Russia would stop its campaign. By 2 a.m. on Wednesday, he and his Georgian counterpart, Mikheil Saakashvili, had agreed to a plan that would withdraw troops to the positions they had occupied before the fighting broke out.

Am Dienstag erklärte Präsident Dmitri Medwedew, daß "der Aggressor bestraft worden" sei und daß Rußland seinen Feldzug beenden werde. Am Mittwoch um zwei Uhr nachts hatten er und sein georgischer Kollege Mikail Saakaschwili sich auf einen Plan verständigt, der den Rückzug der Truppen auf die Stellungen vorsah, die sie vor dem Ausbruch der Kämpfe innegehabt hatten.

Andrew E. Kramer und Ellen Barry in der International Herald Tribune vom 13. August.



A Russian military convoy advanced to a village 45 km (30 miles) from Tbilisi on Friday, in the deepest incursion since conflict with Georgia erupted last week. The advance of about 17 armored personnel carriers (APCs) and about 200 soldiers coincided with a visit by U.S. Secretary of State Condoleezza Rice (...).

Ein russischer Truppenkonvoi stieß am Freitag zu einem Dorf 45 km (30 Meilen) vor Tiflis vor. Dies war das tiefste Eindringen, seit der Konflikt mit Georgien letzte Woche ausbrach. Der Vormarsch der ungefähr 200 Soldaten mit 17 Schützenpanzern (APCs) traf mit einem Besuch der US- Außenministerin Condoleezza Rice zusammen (...).

James Kilner in einem Bericht von Reuters, publiziert am 15. August, 21.28 Uhr MEZ



Our ground forces never crossed the border of the conflict zone.

Unsere Bodentruppen haben niemals die Grenze der Konfliktzone überschritten.

Der stellvertretende russische Ministerpräsident Sergej Iwanow laut einem Bericht von Ian Traynor, Luke Harding und Helen Womack im Guardian, publiziert am 15. August, 21.16 MEZ.




4. Fazit

They were a big empire, and they fell, but they can’t stop acting like one.

Sie waren ein großes Imperium, und sie gingen unter, aber sie können es nicht lassen, sich wie eines zu benehmen.

Ein Mann, der nur seinen Vornamen Nukri nennen wollte, aus dem georgischen Dorf Karetezhvyari laut New York Times vom 15. August über die Russen, als er am Donnerstag in sein Dorf zurückkehrte und brennende Häuser vorfand.



From a legal point of view our actions are absolutely well- founded and legitimate and moreover necessary

In rechtlicher Sicht sind unsere Aktionen absolut gerechtfertigt und legitim und darüber hinaus notwendig.

Wladmir Putin, zitiert von Yahoo News am 10. August.



Wissen Sie, mein Problem ist - und das haben alle Kollegen, mit denen ich über den Konflikt spreche, für sich bestätigt -, dass wir wirklich zu wenig Informationen und ein unklares Bild haben.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Hans- Ulrich Klose, im Interview mit Marcel Burkhardt in der heutigen "Süddeutschen Zeitung".




5. Die beste Zusammenfassung

"Die sich auf Hintergrundberichte und Augenzeugen stützende Presse" geht davon aus, daß die Truppen aus Grosny mit einem StarTrek- Beamer via Raumschiff Enterprise direkt nach Tschinwali gebeamt wurden. Daß die russischen Landungsschiffe, die mehrere Tausend Fallschirmjäger in Ochamchira angelandet haben, einfach vom Himmel gefallen sind - oder von Raumschiff Enterprise an die Küste gebeamt wurden.

Daß die 58. Armee mit ihren ganzen Panzern, Schützenpanzern, Raketenwerfern, Panzerabwehrkanonen, etc. einen engen, steilen und gewundenen Passpfad, für den schnelle und wendige PKW mehrere Stunden brauchen, innerhalb weniger Minuten zurücklegt, bzw. mit einem Beamer von Raumschiff Enterprise direkt aus den Kasernen von Wladikafkas in den Norden von Tschinwali gezaubert wurden.

Komplett mit einem Spetznaz- Regiment aus Moskau, Kosakeneinheiten und Freiwilligen aus Kasachstan und aus Serbien, die nach eigenen Aussagen speziell für diesen Krieg angereist sind. (...)

Man mag den Russen einiges an Zauberei andichten. Aber weder Landungsschiffe noch Panzerkolonnen bewegen sich mit Überschallgeschwindigkeit.


Califax, dessen Blog "The Outside of the Asylum" ich bei dieser Gelegenheit noch einmal nachdrücklich empfehlen möchte, gestern in "Zettels kleinem Zimmer".



Mit Dank an Califax und Kane. Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.