8. August 2008

Peking 2008 (2): Die Eröffnungsfeier - eine Visualisierung des Totalitarismus

Massenchoreographie nannte man das früher, als die Kommunisten und die Nazis es in Perfektion präsentierten: Die Aufmärsche zum Nürnberger Reichsparteitag; diese Stadien, in denen die Menschen auf Befehl mit entsprechenden Gerätschaften mal Parolen, mal Bilder formten.

"Wie ein Uhrwerk" schnurrte das ab, so sagte man damals. Immer wieder geübt. Die Menschen hatte der Staat ja. Gehorsam waren sie ohnehin. Die Zeit, die auf das Drillen solcher Kunststückchen verwendet wurde, ihre Kosten spielten keine Rolle. Erstens, weil im Sozialismus Kosten ohnehin keine Rolle spielen. Zweitens, weil der Propaganda- Effekt solcher Inszenierungen als so bedeutend galt, daß sie beliebige Kosten wert waren.

Heute haben wir bei der Eröffnungsfeier zu den Olympischen Spielen die chinesische, die moderne, eine megalomane Variante eines solchen Schauspiels gesehen.

Menschen, die überhaupt nicht mehr als Menschen erkennbar waren. Die man zur Herstellung dieser bewegten Bilder einsetzte, so wie man auch Bühnentechnik hätte einsetzen können.



Eines dieser Bilder zeigte ein Karree, das aus zahlreichen quadratischen Elementen bestand. Mal hoben sich die einen Elemente, mal jene, und erzeugten so die Große Chinesische Mauer, Schriftzeichen oder was immer. Man hätte das ebenso hydraulisch realisieren können und computergesteuert. Aber unter jedem der Element befand sich ein Mensch, der mal hockte, mal sich unterschiedlich hoch erhob.

Daß Menschen drinsteckten, in den Elementen, das wurde zum Schluß gezeigt, als sie sich zeigten und winkten.

Das war wichtig. Denn würde man solche Bilder tatsächlich mechanisch und computer- gesteuert darbieten, dann wären sie ziemlich langweilig. Zum Effekt gehört, daß das alles von perfekt funktionierenden Menschen hinbekommen wird.

Der Reiz solcher Schauspiele speist sich wesentlich aus der Unterwerfung des Einzelnen. "Du bist nichts, dein Volk ist alles!", "Dem Volk dienen!" - derartige Parolen werden versinnbildlicht, wenn Hunderte, ja Tausende von Menschen "wie auf Knopfdruck" mechanische Bewegungen ausführen, um gemeinsam etwas zu erzeugen, das den Einzelnen nicht mehr erkennen läßt.

Bei dem Karree versäumten die deutschen Sprecher nicht die Anmerkung, wie lange diese Menschen geübt haben mußten, um auswendig zu lernen, wann sie sich wie zu erheben hatten. In der Tat; sie mußten programmiert werden, jeder einzelne. L'homme machine, der Mensch als Maschine oder die Mensch- Maschine; so heißt das Hauptwerk des materialistischen Philosophen LaMettrie. Dieser Titel ging mir durch den Kopf, als ich das sah.



War diese Eröffnungsfeier eine gelungene Inszenierung?

Aus der Sicht der chinesischen Führung bestimmt. Nichts ging schief. Keiner der Tausende von Gedrillten vergaß seinen Drill und lief dorthin, wo er nicht hingehörte, oder hob sein Schild, wenn er es hätte gesenkt halten sollen. Selbst die Kinder, die natürlich heutzutage zu einem solchen Spektakel gehören, funktionierten perfekt, wie kleine Marionetten mit einem ins Gesicht gemalten Lächeln.

Wie das weltweit aufgenommen werden wird, wage ich nicht zu prognostizieren. Ich kann nur meine eigene Reaktion schildern: Ich fand es abstoßend.

Ja, abstoßend. Eine Visualisierung des Totalitarismus, wie ich sie so perfekt noch nicht gesehen habe.



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