28. Juni 2008

Der 44. Präsident der USA (4): Barack Obama, der Opportunist

Angesichts der Begeisterung für Barack Obama, die noch immer hier in Deutschland grassiert, angesichts der freundlichen Beurteilungen, die Obama sogar in der Blogokugelzone erfährt - siehe die lebhaften Diskussionen in "Zettels kleinem Zimmer" -, könnte mein Urteil über diesen Kandidaten radikal erscheinen: Ich halte nicht viel von Barack Obama; das ist den Lesern dieses Blogs nichts Neues.

Ich halte ihn für einen Politiker, der mit den Mitteln des klassischen Populismus arbeitet - dem Versprechen, alle Schranken innerhalb des Volks niederzureißen und eine völlig andere Politik zu machen; der Verheißung gar, die "Welt zu heilen".

Ich halte ihn für einen Demagogen, der seine Wahlveranstaltungen wie baptistische Gottesdienste zelebriert, der gezielt sein Publikum in Verzückung versetzt, der mit seinem Kernslogan "Yes, we can" an den Stil von religiös verbrämtem Motivationstraining anknüpft.

Und ich halte ihn für einen Opportunisten, wie ihn die amerikanische Politik selten erlebt hat.

Besonders deutlich wurde dieser Zug von Obama, als seine Nominierung feststand und er sich, fast von einem Tag auf den anderen, vom Prediger in einen Staatsmann verwandelte. Ich habe das an dem Tag, an dem sich die Metamorphose abspielte, am 4. Juni, als er die kritische Zahl von Delegierten erreicht hatte, in einem längeren Artikel beschrieben, in dem es hieß:
Und nun, da er es geschafft hat? Nun wechselt Obama in ein anderes Rollenfach; mit einer Perfektion, angesichts derer ein Chamäleon vor Neid abwechelnd rot und blaß werden könnte. Er ist jetzt der zurückhaltende, realistische Politiker, der verantwortungsvolle Staatsmann. (...)

Er hat die Herzen der Naiven erobert. Jetzt wird er sich so von dieser Vergangenheit der Rolle des Heilsbringers lösen, wie er sich kürzlich von seinem alten Mentor, dem Pastor Jeremiah Wright, distanziert hat. Jetzt gilt es für ihn, auch den Verstand der Skeptischen für sich zu gewinnen.


Es ist jetzt gut drei Wochen her, daß ich das geschrieben habe. In welchem Umfang Obama in diesen drei Wochen seine opportunistische Wandlung vollzogen hat, das hat in der gestrigen Washington Post Charles Krauthammer, Pulitzer- Preisträger und laut "Financial Times" der einflußreichste amerikanische Kommentator, Punkt für Punkt aufgelistet:
  • Nach 9/11 hatte es rechtlich fragwürdige Abhöraktionen der National Security Agency (NSA) gegeben, mit denen Terroristen entdeckt werden sollten. Telefonfirmen hatten dabei geholfen und sich damit möglicherweise strafbar gemacht. Im Herbst 2007 lag dem Kongreß ein Gesetzeswerk vor, das u.a. rückwirkend Straffreiheit für diese Firmen vorsah.

    Damals hatte ein Sprecher Barack Obamas, Bill Burton, erklärt, Obama trete dafür ein, dieses Gesetz durch filibustering (Dauerreden im Senat) zu verhindern. Jetzt hingegen sagt Obama, er werde für ein Gesetz stimmen, das den Firmen Straffreiheit zusichert.

  • Während der Primaries trat Obama gegen das Freihandelsgesetz (North American Free Trade Agreement, NAFTA) auf und versprach, dessen Neuverhandlung zu erzwingen und Kanada und Mexiko eine unilaterale Aufkündigung des Vertrags anzudrohen. Jetzt bezeichnet er seine damaligen Äußerungen als "überzogen" ("overheated") und unterstützt den Vertrag.

    Nach Krauthammers Informationen hat ein leitender Berater Obamas den Kanadiern dazu gesagt, die früheren Stellungnahmen seien nur "populäre Plakatiererei" gewesen ("popular postering").

  • Während der Primaries hatte Obama versprochen, sich "ohne Vorbedingungen" mit Mahmud Ahmadinedschad zu treffen. Jetzt spricht er von "Vorbereitungen", aus denen, so Krauthammer, Obamas Berater De-facto- Vorbedingungen machen.
  • Baracks Obamas Langer Marsch habe begonnen, meint Krauthammer. Er habe die Wähler der Linken sicher und buhle jetzt um diejenigen der Mitte.

    Die Leitmedien ließen ihn, schreibt Krauthammer, damit davonkommen.

    Er habe zuerst in einer vielgelobten Rede versichert, er könne sich von dem Prediger Jeremiah Wright so wenig lossagen wie von seiner weißen Großmutter. Drei Monate später tat er genau das; er sagte sich von Wright los - und "not a word of reconsideration is heard from his media acolytes"; keiner seiner Gefolgsleute in den Medien habe das damalige Lob mit auch nur einem Wort in Frage gestellt.

    So wenig, wie man es in den Leitmedien Obama übelnehme, daß er erst für eine Finanzierung des Präsidentschafts- Wahlkampfs aus öffentlichen Mitteln gewesen sei und jetzt, wo er selbst reichlich Spendengelder habe, das genaue Gegenteil propagiere, nämlich den Verzicht beider Kandidaten auf solche öffentlichen Mittel.



    Charles Krauthammers Fazit:
    I have never had any illusions about Obama. (...) The truth about Obama is uncomplicated. He is just a politician (though of unusual skill and ambition). The man who dared say it plainly is the man who knows Obama all too well. "He does what politicians do," explained Jeremiah Wright.

    When it's time to throw campaign finance reform, telecom accountability, NAFTA renegotiation or Jeremiah Wright overboard, Obama is not sentimental. He does not hesitate. He tosses lustily. (...)

    Not a flinch. Not a flicker. Not a hint of shame. By the time he's finished, Obama will have made the Clintons look scrupulous.

    Über Obama habe ich mir nie irgendwelche Illusionen gemacht. (...) Die Wahrheit über Obama ist schlicht. Er ist einfach ein Politiker (wenn auch ein ungewöhnlich geschickter und ehrgeiziger). Der Mann, der das offen zu sagen wagte, ist der Mann, der Obama nur allzu gut kennt. "Er tut, was Politiker tun", erläuterte Jeremiah Wright.

    Wenn es an der Zeit ist, die Reform der Wahlkampf- Finanzierung, Strafbarkeit der Telefon- Unternehmen, Neu- Verhandlungen über die Freihandelszone oder Jeremiah Wright über Bord zu werfen, dann ist Obama nicht sentimental. Er zögert nicht. Er räumt munter weg.

    Kein Zurückzucken. Kein Fackeln. Kein Spur von Scham. Wenn er fertig sein wird, werden ihm gegenüber die Clintons als Leute mit Skrupeln dastehen.

    Starker Tobak. Als ich das las, schien mir, daß ich im Vergleich mit Charles Krauthammer ein geradezu freundliches Bild von Barack Obama habe. Keineswegs radikal. Allenfalls für deutsche, aber nicht für amerikanische Verhältnisse.



    Man kann nun allerdings argumentieren, was denn schlimm daran sei, einem Politiker zu bescheinigen, daß er eben wie ein Politiker agiert. Auch wenn man nicht die Lüge für ein Wesenselement der Politik hält, wird man einem Politiker doch zugestehen müssen, daß er taktiert und seine Positionen zu bestimmten Themen verändert.

    Dazu sollte man meines Erachtens zweierlei bedenken:

    Erstens hat Obama mit John McCain einen Gegenkandidaten, der sich eben nicht so schamlos opportunistisch verhält. Und zweitens präsentiert sich Obama ja gerade nicht als ein Politiker wie andere, sondern er verkündet, er werde mit dem politischen Geschacher in Washington aufräumen und den großen Wandel bringen.

    Er wird, falls er gewählt wird - was im Augenblick nicht unwahrscheinlich aussieht -, keinen Wandel bringen. Er wird nur eine Enttäuschung bringen; vermutlich eine der größten, die die Amerikaner jemals mit einem Präsidenten erlebt haben.



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