8. Juni 2008

Zitat des Tages: Warum noch die SPD wählen? Wie eine Partei an den Rand der Bedeutungslosigkeit geputscht wurde

Die Leute fragen: Warum sollen wir Euch wählen? Die Linke macht doch dasselbe wie ihr. Nur besser.

Einziger Diskussionsbeitrags eines der Delegierten auf einem Unterbezirks- Parteitag der SPD in Bottrop; mitgeteilt von Günther Lachmann in der heutigen "Welt am Sonntag". Überschrift des Artikels: "Die SPD kämpft ums Überleben".

Kommentar: Als Liberalkonservativer kann ich mich über den jämmerlichen Zustand der SPD nicht freuen; denn jede funktionierende Demokratie braucht eine starke linke Volkspartei.

Rund ein Jahrzehnt hat die SPD daran gearbeitet, in den jetzigen Zustand zu geraten; mit einer geradezu selbstzerstörerischen Konsequenz. Dreimal ließ eine Führungsfigur dieser Partei Zuverlässigkeit, demokratisches Denken und menschlichen Anstand vermissen und veranstaltete einen Putsch. Jeder der drei Putsche führte die SPD ein Stück weiter weg von ihrer Tradition und in Richtung Bedeutungslosigkeit:
  • Auf dem Mannheimer Parteitag im November 1995 hielt Oskar Lafontaine die vermutlich demagogischste Rede, die jemals auf einem SPD-Parteitag gehalten wurde. Danach stürzten die Delegierten den von dem Mitgliedern in Urwahl bestimmten Vorsitzenden Scharping und wählten Lafontaine.

    Mit diesem erfolgreichen Putsch eines Demagogen, getragen von der Mehrheit der Delegierten, hatte die SPD unter Beweis gestellt, daß ihr das verlorengegangen war, was sie bis dahin ausgezeichnet hatte: Verantwortungsbewußtsein, menschlicher Anstand, Respekt für die Basis.

  • Drei Jahre später, im Sommer und Herbst 1998, führte die SPD einen Wahlkampf, der noch einmal hoffen ließ, daß sie zu ihrer Tradition zurückfinden würde: Der Spitzenkandidat Schröder propagierte die "Neue Mitte". Als Kandidaten für das Amt des Wirtschaftsministers nahm er den Neoliberalen Jost Stollmann in sein Team auf. Die SPD schien auf dem Weg zu einer modernen linken Volkspartei nach dem Vorbild von "New Labour".

    Aber Schröder wäre nicht Schröder gewesen, wenn er nicht nach den Wahlen einen taktischen Schwenk um 180 Grad gemacht hätte, sich den neuen Machtverhältnissen in der rotgrünen Koalition anpassend. Statt der Neuen Mitte regierte von 1998 an die Alte Linke; verbündet mit Öko- Ideologen.

  • Als diese Linke innerhalb von fünf Jahren Deutschland in einen beispiellosen Niedergang geführt hatte, wurde wiederum per Putsch das Ruder herumgerissen. Nur putschte diesmal nicht ein Demagoge, indem er einen Parteitag besoffen machte, sondern es putschte ein taktisch versierter Opportunist, indem er seine Partei mit der "Agenda 2010" überrumpelte.

    Schröder tat damit programmatisch das Notwendige; aber er tat es in einer Art, die die Partei ruinieren mußte. Die Wende wurde nicht von ihr gewählt, sondern sie wurde ihr aufgezwungen. Sie beugte sich um des Machterhalts willen, aber ihr Rückgrat war gebrochen.

  • Der letzte Akt des Trauerspiels, wie sich die SPD selbst zerstörte, war wiederum ein Putsch. Fast auf den Tag zehn Jahre nach dem Putsch Lafontaines, als die SPD unter Franz Müntefering vielleicht wieder Fuß hätte fassen können, verweigerte im November 2005 Andrea Nahles Müntefering die Loyalität und fädelte ihre Wahl zur Generalsekretärin ein, gegen den von Müntefering nominierten Kandidaten Kajo Wasserhövel. Müntefering trat daraufhin zurück. Seither ist die SPD faktisch führungslos.
  • Sie ist nicht nur führungslos, sondern sie ist auch richtungslos.

    Sie hat es in den achtziger Jahren versäumt, sich auf die Globalisierung einzurichten und zu einer modernen, den Neoliberalismus akzeptierenden linken Partei zu werden.

    Sie hat in den neunziger Jahren den Demagogen Oskar Lafontaine zu ihrem Vorsitzenden und den substanzlosen Opportunisten Schröder zu ihrem Kanzlerkandidaten gewählt.

    Und sie hat es zugelassen - nein, mehr: viele in der Spitze haben daran mitgewirkt -, daß der einzige Mann von Format, der die SPD noch hätte auf einen vernünftigen Kurs führen können, Franz Müntefering, von einer linken Karrieristin gestürzt wurde.

    Sie ist für ihren Zustand selbst verantwortlich, die SPD. Sie hat ihn herbeigeführt, indem sie Putschisten geduldet und gewählt, indem sie ihre alten Werte verraten, indem sie Taktiererei an die Stelle von Entscheidungen über politische Grundfragen gesetzt hat.

    Die Partei von August Bebel, Friedrich Ebert, Kurt Schumacher, Willy Brandt und Helmut Schmidt wird heute durch Andrea Ypsilanti und Andrea Nahles personifiziert.



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