28. Juni 2008

Marginalie: Ingeborg-Bachmann-Preis für Tilman Rammstedt

Während ich dies schreibe, überträgt 3Sat die Abstimmung der Jury zum diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Preis.

Der Preisträger - er hätte auch meine Stimme bekommen - ist Tilman Rammstedt, der auch den via Internet vergebenen Publikumspreis erhalten hat.

Ein skurriler Text war das, den er vorgetragen hat: Die Erinnerung an einen Großvater, einen unerträglichen, einen egoistischen, einen auf der ganzen Familie lastenden Mann. Einen, der immer alles besser wußte, nachdem etwas schief gegangen war. Der gar versuchte, seinem Enkel die Freundinnen auszuspannen.

Von ihm also erzählt der Text, in einem witzigen, pointensprühenden, in atemlosem Stakkato gehaltenen Stil. Und genau so hat Rammstedt ihn vorgelesen. So schnell, so ohne Pause und sozusagen ohne Atemholen, daß das Publikum manchmal noch über eine Pointe lachte, wenn es schon von der nächsten überrollt wurde.

Also nur Humoristik? Als die Jury über den Text beriet (öffentlich, wie ihre gesamte Tätigkeit bis hin zu den Abstimmungen öffentlich war), gab es die unvermeidliche Diskussion: Solle man den Witz des Autors genießen oder nach tieferem Sinn bohren? Und es gab die unvermeidliche Stimme dessen - es war ausgerechnet der Vorsitzende der Jury, Burkhard Spinnen -, der meinte, das sei ja alles sehr brillant und witzig, aber irgendwie fehle ihm doch ... usw. usw.

Nein, Rammstedt hat sich mit diesem Text nicht als "Humorist" präsentiert. Er schreibt so doppelbödig wie Robert Gernhardt, der ja auch lange Zeit mit diesem herablassenden Etikett des Humoristen, allenfalls des "Satirikers" belegt wurde.

Man spürte durch den Text hindurch eine seltsame, eine abgründige Liebe zu diesem so erbarmungslos geschilderten Großvater. Es ist ein Text voller Ambivalenz. Dieser Großvater ist der Ahn, der nicht sterben will, der Revenant. Er ist das Überich, das dem Erzähler nicht nur im Hirn, sondern sozusagen im Nacken sitzt.

Ich freue mich darauf, den ganzen Text zu lesen.



Und noch ein Lob an die Wikipedia. Die Abstimmung der Jury ist noch kaum eine halbe Stunde her - und in dem Artikel steht Rammstedt bereits als Träger des Ingeborg- Bachmann- Preises 2008!



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