Ein Foto von Peter Rühmkorf habe ich das erste Mal Ende der fünfziger Jahre gesehen. Das Gesicht sah so seltsam, so irgendwie verrutscht aus, daß ich dachte, das sei gar kein Foto des realen Autors, sondern das, was man heute einen Avatar nennt; eine Art Collage.
Dazu paßte der eigenartige Name: Leslie Meier. Und der nicht minder seltsame Titel der Kolumne in "Konkret", das damals noch im Großformat erschien, auf grobem Papier gedruckt, mit einer meist wilden Fotomontage im Heartfield- Stil vorn drauf: "Leslie Meiers Lyrik- Schlachthof".
So hieß das, und es war für mich, den kulturbegierigen Schüler, eine zugleich fremde und begeisternde Lektüre. Ein etwas unordentlicher Leitfaden für meinen Versuch, mich in die "moderne Literatur" einzulesen, wie man das damals nannte; Abteilung Lyrik. So, wie es in "Konkret" für die Musik das "Platten- Ragout" von Hubert Fichte gab. Und in der Abteilung "moderne Prosa" manchmal etwas von Arno Schmidt.
Das war "Konkret", wie ich es damals wahrnahm. Eine freie, muntere, sehr progressive Zeitschrift, die ich ostentativ aus der Tasche gucken ließ, wenn ich, natürlich im Rollkragen- Pullover, mich als Schüler unter die Studenten mischte, die im dritten Semster Soziologie studierten und mit denen zu diskutieren ich mich deshalb natürlich nicht traute.
In "Konkret" hatte ich mich völlig geirrt. Wie fast alle seinerzeitigen Leser hatte ich keine Ahnung davon, daß es auch damals schon ein aus der DDR heraus finanziertes und gesteuertes Blatt war; 1955 von der FDJ als "Studenten- Kurier" gegründet und dann von der Abteilung "Jugend und Kultur" der illegalen KPD, die ihren Sitz in Ostberlin hatte, geführt und finanziert.
Und natürlich ahnte niemand, daß Klaus Rainer Röhl Mitglied der verbotenen KPD war und regelmäßig nach Ostberlin fuhr, um sich Instruktionen abzuholen.
Daß man sich das moderne, kulturbetonte Image gab, diente allein - Bettina Röhl hat das für ihr Buch "So macht Kommunismus Spaß" penibel recherchiert und akribisch darin aufgeschrieben - der Tarnung. Um die politische Agitprop, um die es eigentlich ging, unter die ahnungslosen Leute zu bringen, war Röhl sogar verpflichtet worden, regelmäßig DDR- kritische Artikel zu bringen. Die "Konkret"- Leute sollten als unabhängige linke Intellektuelle und damit als glaubwürdig erscheinen.
Und Peter Rühmkorf? Er war von Anfang an dabei gewesen, ganz von Anfang an. Schon beim "Studenten- Kurier", dem Vorläufer von "Konkret"; ja sogar schon bei "Plädoyer", dem Vorläufer des "Studenten- Kurier".
Als die ganze Verlogenheit von "Konkret" zum Vorschein kam (nicht erst durch das Buch Bettina Röhls; aber sie hat das mit Abstand am sorgfältigsten dokumentiert), habe ich mich natürlich gefragt, ob auch Peter Rühmkorf, den ich im Lauf der Jahrzehnte immer mehr schätzen gelernt hatte, zu denjenigen gehörte, die dieses Lügenspiel veranstalteten.
Er hat das immer bestritten. Eigentlich auf den ersten Blick wenig glaubwürdig; denn er war nicht nur Gründungs- Redakteur des "Studenten- Kurier", sondern auch seit gemeinsamem Studium mit Klaus Rainer Röhl eng befreundet. Keiner außer Röhl selbst hatte "Konkret" so lange begleitet. Und ausgerechnet er sollte nichts von den Machenschaften der Kommunisten gewußt haben, von denen er umgeben war?
Ich glaube, daß er das wirklich nicht gewußt hat. Und ich stütze diesen Glauben auf zwei Gesichtspunkte.
Erstens konnte es für ein konspiratives Unternehmen wie "Konkret" nur von Vorteil sein, wenn ein prominenter Redakteur ein völlig unverdächtiges Aushängeschild abgab; so überzeugend unverdächtig, weil er eben wirklich nicht eingeweiht war.
Und zweitens war Peter Rühmkorf dafür der ideale Mann. Ein Linker ja, aber nie ein linker Politiker. Ein Mann, dem nichts ferner lag als das Intrigieren, als der Machtkampf, als dieses ganze politische Theater. Er beobachtete das mit einer Mischung aus Unglauben und Ironie; man kann es in seinen Tagebüchern nachlesen. Aber mitgemacht hat er nie, der mich immer ein wenig an Don Quijote erinnert hat.
Und mehr noch an Dostojewskis Fürst Myschkin, den "Idiot", dessen Aufrichtigkeit ja nicht einfach naiv ist, sondern für die er sich bewußt entschieden hat, in einer Welt, die er durchaus durchschaut.
Ein naiver Realist, ein Naiver mit Durchblick - das war Peter Rühmkorf. Und damit der ideale Autor für zwei Literatur- Gattungen, die man oft zusammen antrifft: Die Lyrik und das Tagebuch/ den Essay. Ein Poeta Doctus mit dem Hang zugleich zur Subjektivität und zur Präzision des Denkens, den man bei diesem Typus oft findet.
Und von daher ein Geistesverwandter von Arno Schmidt. Das einzige Mal, daß ich Peter Rühmkorf bei einem öffentlichen Auftritt erlebt habe, war 1986 in Hamburg bei einer Podiums- Diskussion über Arno Schmidt, veranstaltet von der "Patriotischen Gesellschaft".
Ich hatte Erhellendes eigentlich vor allem von den ausgewiesenen Schmidt- Experten Hans Wollschläger und Lars Clausen erwartet; aber die mit Abstand besten Diskussionsbeiträge kamen von Peter Rühmkorf. Er hatte Schmidt schon in den fünfziger Jahren als "Konkret"- Redakteur kennengelernt; und wie der inzwischen zugängliche Briefwechsel zeigt, bestand zwischen den beiden ein Verhältnis großer gegenseitiger Wertschätzung.
Am 27. 12. 1957 schrieb Arno Schmidt an Peter Rühmkorf:
Anders als der scheue Arno Schmidt war Peter Rühmkorf freilich ein geselliger Mann; einer, den es durchaus juckte, gelegentlich sich der Politik nicht nur als ironischer Kommentator, sondern auch als teilnehmender Beobachter zu nähern.
Das brachte es mit sich, daß er in jungen Jahren einen internationalen studentischen Kongreß besuchte, zu dem sich auch ein unbekannter Palästinenser namens Jassir Arafat eingefunden hatte. Man schlief gemeinsam in einem Doppelbett, und Arafat erklärte Rühmkorf, wie er die Juden ins Meer treiben werde.
Dabei rückte er, während er immer mehr in nationale Begeisterung geriet, dem Bettgenossen, seine Worte sozusagen pantomimisch unterstreichend, immer mehr auf die Pelle, bis er ihn fast aus dem Bett geworfen hätte. Rühmkorf konnte sich, so schrieb er (eine Kurzfassung der Anekdote finde man hier) nur noch durch einen beherzten Griff an Arafats Kehle davor retten, Opfer dieses Aktes der Befreiung Palästinas zu werden.
So etwas mochte er, der Peter Rühmkorf: Ernstes und Skurriles ineinander verschränkt; die Absurdität des Lebens mit ihrer ganzen Ironie.
Wieder ist einer von denen tot, die mich geprägt haben, die geistigen Nachfahren Lichtenbergs; wie Arno Schmidt, wie Robert Gernhardt, wie Walter Kempowski, der erst vor einem halben Jahr starb.
Dazu paßte der eigenartige Name: Leslie Meier. Und der nicht minder seltsame Titel der Kolumne in "Konkret", das damals noch im Großformat erschien, auf grobem Papier gedruckt, mit einer meist wilden Fotomontage im Heartfield- Stil vorn drauf: "Leslie Meiers Lyrik- Schlachthof".
So hieß das, und es war für mich, den kulturbegierigen Schüler, eine zugleich fremde und begeisternde Lektüre. Ein etwas unordentlicher Leitfaden für meinen Versuch, mich in die "moderne Literatur" einzulesen, wie man das damals nannte; Abteilung Lyrik. So, wie es in "Konkret" für die Musik das "Platten- Ragout" von Hubert Fichte gab. Und in der Abteilung "moderne Prosa" manchmal etwas von Arno Schmidt.
Das war "Konkret", wie ich es damals wahrnahm. Eine freie, muntere, sehr progressive Zeitschrift, die ich ostentativ aus der Tasche gucken ließ, wenn ich, natürlich im Rollkragen- Pullover, mich als Schüler unter die Studenten mischte, die im dritten Semster Soziologie studierten und mit denen zu diskutieren ich mich deshalb natürlich nicht traute.
In "Konkret" hatte ich mich völlig geirrt. Wie fast alle seinerzeitigen Leser hatte ich keine Ahnung davon, daß es auch damals schon ein aus der DDR heraus finanziertes und gesteuertes Blatt war; 1955 von der FDJ als "Studenten- Kurier" gegründet und dann von der Abteilung "Jugend und Kultur" der illegalen KPD, die ihren Sitz in Ostberlin hatte, geführt und finanziert.
Und natürlich ahnte niemand, daß Klaus Rainer Röhl Mitglied der verbotenen KPD war und regelmäßig nach Ostberlin fuhr, um sich Instruktionen abzuholen.
Daß man sich das moderne, kulturbetonte Image gab, diente allein - Bettina Röhl hat das für ihr Buch "So macht Kommunismus Spaß" penibel recherchiert und akribisch darin aufgeschrieben - der Tarnung. Um die politische Agitprop, um die es eigentlich ging, unter die ahnungslosen Leute zu bringen, war Röhl sogar verpflichtet worden, regelmäßig DDR- kritische Artikel zu bringen. Die "Konkret"- Leute sollten als unabhängige linke Intellektuelle und damit als glaubwürdig erscheinen.
Und Peter Rühmkorf? Er war von Anfang an dabei gewesen, ganz von Anfang an. Schon beim "Studenten- Kurier", dem Vorläufer von "Konkret"; ja sogar schon bei "Plädoyer", dem Vorläufer des "Studenten- Kurier".
Als die ganze Verlogenheit von "Konkret" zum Vorschein kam (nicht erst durch das Buch Bettina Röhls; aber sie hat das mit Abstand am sorgfältigsten dokumentiert), habe ich mich natürlich gefragt, ob auch Peter Rühmkorf, den ich im Lauf der Jahrzehnte immer mehr schätzen gelernt hatte, zu denjenigen gehörte, die dieses Lügenspiel veranstalteten.
Er hat das immer bestritten. Eigentlich auf den ersten Blick wenig glaubwürdig; denn er war nicht nur Gründungs- Redakteur des "Studenten- Kurier", sondern auch seit gemeinsamem Studium mit Klaus Rainer Röhl eng befreundet. Keiner außer Röhl selbst hatte "Konkret" so lange begleitet. Und ausgerechnet er sollte nichts von den Machenschaften der Kommunisten gewußt haben, von denen er umgeben war?
Ich glaube, daß er das wirklich nicht gewußt hat. Und ich stütze diesen Glauben auf zwei Gesichtspunkte.
Erstens konnte es für ein konspiratives Unternehmen wie "Konkret" nur von Vorteil sein, wenn ein prominenter Redakteur ein völlig unverdächtiges Aushängeschild abgab; so überzeugend unverdächtig, weil er eben wirklich nicht eingeweiht war.
Und zweitens war Peter Rühmkorf dafür der ideale Mann. Ein Linker ja, aber nie ein linker Politiker. Ein Mann, dem nichts ferner lag als das Intrigieren, als der Machtkampf, als dieses ganze politische Theater. Er beobachtete das mit einer Mischung aus Unglauben und Ironie; man kann es in seinen Tagebüchern nachlesen. Aber mitgemacht hat er nie, der mich immer ein wenig an Don Quijote erinnert hat.
Und mehr noch an Dostojewskis Fürst Myschkin, den "Idiot", dessen Aufrichtigkeit ja nicht einfach naiv ist, sondern für die er sich bewußt entschieden hat, in einer Welt, die er durchaus durchschaut.
Ein naiver Realist, ein Naiver mit Durchblick - das war Peter Rühmkorf. Und damit der ideale Autor für zwei Literatur- Gattungen, die man oft zusammen antrifft: Die Lyrik und das Tagebuch/ den Essay. Ein Poeta Doctus mit dem Hang zugleich zur Subjektivität und zur Präzision des Denkens, den man bei diesem Typus oft findet.
Und von daher ein Geistesverwandter von Arno Schmidt. Das einzige Mal, daß ich Peter Rühmkorf bei einem öffentlichen Auftritt erlebt habe, war 1986 in Hamburg bei einer Podiums- Diskussion über Arno Schmidt, veranstaltet von der "Patriotischen Gesellschaft".
Ich hatte Erhellendes eigentlich vor allem von den ausgewiesenen Schmidt- Experten Hans Wollschläger und Lars Clausen erwartet; aber die mit Abstand besten Diskussionsbeiträge kamen von Peter Rühmkorf. Er hatte Schmidt schon in den fünfziger Jahren als "Konkret"- Redakteur kennengelernt; und wie der inzwischen zugängliche Briefwechsel zeigt, bestand zwischen den beiden ein Verhältnis großer gegenseitiger Wertschätzung.
Am 27. 12. 1957 schrieb Arno Schmidt an Peter Rühmkorf:
Mit immer neuer Lust lese ich Leslie Meiers 'Schlachthof'!: das ist eine Arbeit, gleichzeitig so spritzig & solide, daß der Verfasser sich damit das größte Verdienst um unsere ganze Lyrik erwirbt; wenn es überhaupt noch gelingt, dem karfunkelnden Gelalle Einhalt zu tun, dann auf diese Weise.Dem "karfunkelnden Gelalle" waren sie beide abhold; beide auf ihre eigene Art Meister der deutschen Sprache.
Anders als der scheue Arno Schmidt war Peter Rühmkorf freilich ein geselliger Mann; einer, den es durchaus juckte, gelegentlich sich der Politik nicht nur als ironischer Kommentator, sondern auch als teilnehmender Beobachter zu nähern.
Das brachte es mit sich, daß er in jungen Jahren einen internationalen studentischen Kongreß besuchte, zu dem sich auch ein unbekannter Palästinenser namens Jassir Arafat eingefunden hatte. Man schlief gemeinsam in einem Doppelbett, und Arafat erklärte Rühmkorf, wie er die Juden ins Meer treiben werde.
Dabei rückte er, während er immer mehr in nationale Begeisterung geriet, dem Bettgenossen, seine Worte sozusagen pantomimisch unterstreichend, immer mehr auf die Pelle, bis er ihn fast aus dem Bett geworfen hätte. Rühmkorf konnte sich, so schrieb er (eine Kurzfassung der Anekdote finde man hier) nur noch durch einen beherzten Griff an Arafats Kehle davor retten, Opfer dieses Aktes der Befreiung Palästinas zu werden.
So etwas mochte er, der Peter Rühmkorf: Ernstes und Skurriles ineinander verschränkt; die Absurdität des Lebens mit ihrer ganzen Ironie.
Wieder ist einer von denen tot, die mich geprägt haben, die geistigen Nachfahren Lichtenbergs; wie Arno Schmidt, wie Robert Gernhardt, wie Walter Kempowski, der erst vor einem halben Jahr starb.
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