22. Juni 2008

Arroganz der Macht: Wie man in Europas politischer Führung über die Öffentliche Meinung denkt

Eine erneute irische Abstimmung über Europa müsse man "so vorbereiten, daß sie zu gewinnen ist". Das sagte, so berichtet Boche in B.L.O.G., der luxemburgische Minister des Äußerern Asselborn.

Das könnte eine echte Herausforderung werden. Denn die Iren sind ein trotziges Völkchen. Sie könnten, je mehr man sie bedrängt, umso mehr in Reaktanz gehen. Schon vor der jetzt gescheiterten Abstimmung hatten 17 Prozent derer, die mit "nein" stimmten, als Grund genannt: "Ich mag nicht, daß man mir sagt, was ich tun soll".



Aber wenn doch ganz Europa für den Vertrag von Lissabon ist - wie können sich da die Iren auf Dauer wehren?

Ja, wenn. Nur kann keine Rede davon sein, daß ganz Europa für den Vertrag von Lissabon ist.

In Frankreich veröffentlicht am heutigen Sonntag die Zeitung Sud Ouest eine Umfrage des Instituts Ifop, über die der Nouvel Observateur vorab berichtet. Danach würden 53 Prozent der Franzosen, die sich an einer solchen Abstimmung beteiligen würden, mit "nein" stimmen. 33 Prozent der Befragten sagten, sie würden sich gar nicht beteiligen.

Die Neinstimmen sind bei den Arbeitern (73 Prozent "nein") und einfachen Angestellten (63 Prozent "nein") am zahlreichsten. Hingegen würden von den höheren Angestellten und Angehörigen Freier Berufe 57 Prozent mit "ja" stimmen.

Bei den Sympathisanten der Linken überwiegen deutlich (mit 64 Prozent) die Neinstimmen, bei den Anhängern der Rechten weniger eindeutig (54 Prozent) die Jastimmen. Dieser Rechts- Links- Differenzierung überlagert sich ein unterschiedliches Verhalten von Anhängern gemäßigter und extremer Parteien: Von den gemäßigt Linken (Anhängern der PS) würden nur 59 Prozent mit "nein" stimmen, von den gemäßigt Rechten (Sympathisanten der UMP) sogar 71 Prozent mit "ja".



In Frankreich sind also die Gegner des Vertrags von Lissabon vor allem in den unteren und mittleren Schichten zu finden, vor allem bei der Linken und ganz besonders bei den extremen Parteien, auf der Rechten wie auf der Linken. In Irland dürfte die Verteilung ähnlich gewesen sein. Aber zur Mehrheit konnten die Gegner des Vertrags von Lissabon hier wie dort nur dadurch werden, daß sie sich quer über das gesamte politische Spektrum finden.

Wie gehen die politischen Führern Europas mit solch einer Mehrheit um? Dazu hat der American Thinker, eine immer sehr lesenswerte Web- Publikation, eine Sammlung von Äußerungen zusammengestellt; eine erschreckende, eine entlarvende Sammlung von knapp dreißig Stellungnahmen führender Politiker Europas. Ich empfehle sie dringend zur Lektüre.

Selten hat man die Arroganz vieler Führer Europas, linker wie rechter, gegenüber ihren Wählern so unverhüllt lesen können.

Valéry Giscard d'Estaing zum Beispiel, dessen Kommission wir bekanntlich die gescheiterte Europäische Verfassung zu verdanken haben, erklärte unverhohlen, der Vertrag von Lissabon enthalte im wesentlichen dieselben Bestimmungen, nur habe man sie aufgespalten und in verschiedenen Verträgen, oft Ergänzungen zu bestehenden Verträgen, untergebracht:

"The public opinion would therefore unknowingly adopt the dispositions that it would not accept if presented directly." Die Öffentliche Meinung werde so, ohne es zu wissen, diese Bestimmungen akzeptieren, die sie ablehnen würde, wenn sie direkt darüber zu entscheiden hätte.

Der Luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker sagte: "Of course there will be transfers of sovereignty. But would I be intelligent to draw the attention of public opinion to this fact?" Natürlich werde es eine Übertragung von Souveränitätsrechten geben. "Aber wäre ich denn intelligent, wenn ich die Aufmerksamkeit der Öffentlichen Meinung auf diese Tatsache lenken würde?"

Der belgische Außenminister Karel de Gucht: "The aim of the Constitutional Treaty was to be more readable; the aim of this [Lisbon] treaty is to be unreadable... The Constitution aimed to be clear, whereas this treaty had to be unclear. It is a success." - "Das Ziel des Verfassungs- Vertrags war es gewesen, lesbar zu sein; das Ziel dieses Vertrags [von Lissabonn] ist es, unlesbar zu sein... Die Verfassung strebte nach Klarheit, während dieser Vertrag unklar sein mußte. Er ist ein Erfolg."

Den Vogel aber schoß Giorgio Napolitano ab: "Those who are anti-EU are terrorists. It is psychological terrorism to suggest the specter of a European superstate." Die Gegner der EU seien Terrorirsten. "Es ist psychologischer Terrorismus, das Gespenst eines europäischen Superstaats herauf zu beschwören".

Zu Superstaaten dürfte Giorgio Napolitano eine besondere Beziehung haben. Bevor er vor zwei Jahren von der damals in Italien regierenden Volksfront aus diversen kommunistischen Parteien, Sozialisten und Linksbürgerlichen zum Präsidenten gewählt wurde, hatte er die folgende politische Karriere hinter sich:

1945 Eintritt in die Kommunistische Partei Italiens. 1953 erstmals für die Kommunisten ins Parlament gewählt. Ab 1956 Mitglied des Zentralkomitees der PCI. 1956 gehörte er zu denjenigen innerhalb der PCI, die beim Ungarn- Aufstand das Vorgehen der Sowjettruppen verteidigten.

Von 1966 bis 1969 war Napolitano Koordinator des Sekretariats und des Politbüros der PCI, später der Verantwortliche für Kultur, dann für Wirtschaft und schließlich für Außenpolitik der Kommunistischen Partei Italiens. Der PCI gehörte Napolitano bis zu ihrer Auflösung 1991 an; seither ist er Mitglied der jeweiligen Nachfolgepartei, wie sie gerade heißt.



Nein, es sind nicht nur Kommunisten, die sich nicht um die Öffentliche Meinung in Europa scheren.

Nur haben Kommunisten halt darin, sich zynisch über die Meinung ihrer Untertanen hinwegzusetzen, etwas mehr Erfahrung als die Führer des demokratischen Westeuropa. Insofern paßt es schon, wenn Napolitano am lautesten das gesagt hat, was andere etwas leiser äußern.



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