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1. Juni 2009

Zitat des Tages: "Gegen Justiz als Empathie. Für eine blinde Justiz". Charles Krauthammer über zwei Konzepte von Gerechtigkeit

Sotomayor shares President Obama's vision of empathy as lying at the heart of judicial decision- making -- sympathetic concern for litigants' background and current circumstances, and for how any judicial decision would affect their lives.

Since the 2008 election, people have been asking what conservatism stands for. Well, if nothing else, it stands unequivocally against justice as empathy -- and unequivocally for the principle of blind justice.


(Sotomayor teilt Präsident Obamas Vision, daß es im Innersten von Gerichtsentscheidungen um Empathie geht - um eine sorgende Sympathie für den Hintergrund und die gegenwärtigen Verhältnisse derer, die vor Gericht stehen, und darum, wie die jeweilige Entscheidung des Gericht deren Leben beeinflussen würde.

Seit den Wahlen 2008 wurde die Frage gestellt, wofür Konservativismus steht. Nun, zumindest steht er eindeutig gegen Justiz als Empathie - und eindeutig für das Prinzip der blinden Justiz.)

Charles Krauthammer in seiner aktuellen Kolumne in der Washington Post zu der Diskussion um die von Präsident Obama für das Oberste Gericht nominierte Richterin Sonia Sotomayor.

Kommentar: Auf den Fall dieser Richterin habe ich bereits vergangene Woche aufmerksam gemacht, und zwar wegen ihrer Aussage, eine kluge Lateinamerikanerin könne aufgrund ihrer Lebenserfahrung besser urteilen als ein weißer Mann. Diese Aussage diskutiert auch Krauthammer. Er stellt sie aber in einen Kontext, den er so treffend herauspräpariert, daß ich das Thema noch einmal aufgreife.

Aus Krauthammers Sicht geht es um nicht weniger als das Verständnis von Gerechtigkeit. Bei Obama und Sotomayor sieht er ein Konzept von richterlicher Gerechtigkeit, in dem die Justiz eben gerade nicht blind ist: Vielmehr trete Sotomayor für eine emotionale Haltung gegenüber denen ein, die vor Gericht stehen.

Und darin, schreibt Krauthammer, drücke sich perfekt das aus, wofür die Partei der Demokraten mit ihrer "Identitätspolitik" steht; die Zuordnung der freie Bürger zu ethnischen und rassischen Gruppen, die unterschiedliche Ansprüche an die Gesellschaft stellen dürfen.

Krauthammer zitiert den Fall Ricci, in dem Frau Sotomayor als Richterin fungierte. Frank Ricci ist ein Feuerwehrmann in Connecticut, der sich in Abendkursen auf die Beförderung zum Leutnant vorbereitet hatte. Er bestand die Prüfung als Sechstbester. Dennoch wurde er nicht befördert, und zwar mit der Begründung, daß keiner der schwarzen Kandidaten die Prüfung bestanden hätte. Also wurden alle Beförderungen gestrichen.

Ricci klagte zusammen mit anderen Feuerwehrleuten, denen es genauso ergangen war. Er hatte das Pech, daß sein Fall vor eine Kammer kam, in der die Richterin Sotomayor saß. Sie wies seine Klage ab. Der Fall liegt jetzt beim Obersten Bundesgericht.

Offenbar hatte Ricci als ein Weißer, der aus rassischen Gründen benachteiligt worden war, nicht die Empathie der klugen Latina- Richterin Sotomayor gefunden.

In Krauthammers Kolumne steht ein bemerkenswerter Satz: "Everyone must stand equally before the law, black or white, rich or poor, advantaged or not". Alle müssen vor dem Gesetz gleich sein, ob Schwarze oder Weiße, ob Reiche oder Arme, ob begünstigt oder nicht.

Das Bemerkenswerte an diesem Satz ist nicht sein Inhalt. Dieser ist trivial. Das Bemerkenswerte ist, daß am Anfang des Einundzwanzigsten Jahrhunderts ein Publizist in den USA Anlaß hat, an diese triviale Wahrheit zu erinnern.



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3. Mai 2009

Barack Obamas Mann für's Grüne: "Umwelt- Evangelist" Van Jones als Schaltstelle für die Transformation der amerikanischen Wirtschaft

Kennen Sie den Herrn, der links abgebildet ist? Wahrscheinlich nicht. Und doch ist er seit dem 16. März einer der mächtigen Männer in der Regierung der USA.

Seit diesem Tag nämlich - so teilte es das Weiße Haus am 10. März mit - ist Van Jones Special Advisor for Green Jobs, Enterprise and Innovation des CEQ. Hinter diesem Kürzel verbirgt sich der White House Council on Environmental Quality, der "Rat des Weißen Hauses für Umweltqualität"; und dort also ist Van Jones jetzt "Sonderberater für Grüne Jobs, Firmen und Innovationen".

Grüne Jobs, werden die nicht eigentlich von der Wirtschaft geschaffen? Sind nicht Firmen, sind nicht Innovationen im kapitalistischen Amerika Angelegenheiten des freien Unternehmertums? Nicht mehr unter der Administration des Präsidenten Barack Obama.

Während wir alle noch rätseln, welche Außenpolitik dieser Präsident verfolgen wird und ob er es schafft, die Wirtschaftskrise in den Griff zu bekommen, hat er begonnen, die USA zu verändern. In der Person des Sonderberaters Van Jones bündeln sich die Ziele dieser Veränderung:
  • Erstens ist er wie Obama nicht nur ein Schwarzer, sondern er ist auch ein ehemaliger Berufskollege des Präsidenten: Wie dieser war er - man kann das zum Beispiel in der linken Zeitschrift The American Prospect nachlesen - in der Sozialarbeit in schwarzen Ghettos engagiert, nachdem er in Yale Jura studiert hatte.

  • Nachdem er sich zunächst der Prävention von Kriminalität gewidmet hatte, entdeckte Jones für sein Ella Baker Center for Human Rights sozusagen ein zweites Standbein: Die Umwelt. Die Idee, die er zwar nicht lancierte, aber die er wie kein anderer propagierte, brachte er auf die Formel: "Green Jobs, Not Jail" - statt Gefängnis grüne Jobs. Die Regierung sollte "grüne Jobs" für schwarze Jugendliche finanzieren; zwecks Prävention von deren Kriminalität. Jobs etwa bei der Sanierung von Altlasten, bei der Anlage neuer Gärten in den Städten; dergleichen.

    Jones wurde damit einer der bekanntesten amerikanischen Umwelt- Aktivisten. "He has emerged as a populist voice for environmental justice -- similar to Al Gore for global warming", schreibt der American Prospect; er sei zu einer populistischen Stimme für Umwelt- Gerechtigkeit geworden, so wie Al Gore für die Globale Erwärmung.

  • Das Ella Baker Center for Human Rights und diverse andere Organisationen und Initiativen, die Jones gegründet hat, sind NGOs, Nicht- Regierungs- Organisationen; was aber nicht im Gegensatz dazu steht, daß sie in großem Stil von der Regierung finanziert werden. Im Jahr 2004 zum Beispiel standen Jones eine halbe Million Dollar zur Verfügung, um grüne Jobs zu schaffen - freilich damals ohne erkennbaren Erfolg, wie The American Prospect schreibt. Jetzt aber geht es um eine andere finanzielle Größenordnung.

    Der Sonderberater Jones nämlich ist eine der Schaltstellen, um die Milliarden, die von der Regierung Obama zwecks Ankurbelung der Wirtschaft ausgegeben werden, in die politisch gewünschten Kanäle zu lenken. Van Jones hat jetzt die Macht und die Mittel, um das zu realisieren, was er letztes Jahr in seinem Bestseller The Green Collar Economy (Die Grüne- Kragen- Ökonomie) propagiert hat: Eine grüne Umgestaltung der US-Wirtschaft als eine "solution that both rescues our economy and saves the environment"; so der Verlag - als eine Lösung, die zugleich unsere Wirtschaft rettet und die Umwelt bewahrt.



  • Im Dezember 2008, als sich die Umrisse der Regierung Obama abzuzeichnen begannen, schrieb Charles Krauthammer eine Kolumne, über die ich in diesem Artikel berichtet habe. Wie oft erkannte Krauthammer früher als andere die Zeichen der Zeit: Als die meisten - auch ich - noch dachten, Obama werde seinen Wahlkampf vergessen und eine pragmatische Politik betreiben, sagte Krauthammer das Gegenteil voraus. Aus seiner damaligen Kolumne, in meiner Übersetzung:
    Das ist seine eine, große Chance, die Saat für das zu legen, das ihm wichtig ist: Eine neue, grüne Ökonomie, Krankenversicherung für alle, ein Wiedererstarken der Gewerkschaften, die Regierung als der fürsorgliche Partner des "privaten Sektors". (...)

    ... die Bühne ist bereitet für einen jungen, ehrgeizigen, über die Maßen selbstbewußten Präsidenten - der sich schon als eine Gestalt der Weltgeschichte sieht, bevor er auch nur seinen Amtseid geleistet hat -, die amerikanische Wirtschaft umzustrukturieren und ein neues Verhältnis zwischen Regierung und Volk zu schmieden.

    Er will Amerika transformieren. Und er hat das Geld, das Mandat und die Entschlossenheit, es anzupacken.
    Prophetische Worte damals, vor fünf Monaten. Inzwischen nimmt dieses Programm Gestalt an, nimmt es beängstigende Formen an.

    Dazu gehört die Ernennung von Van Jones. Der Titel Special Advisor kann leicht mißverstanden werden. Advisors sind, zumal, wenn sie im Weißen Haus angesiedelt, also direkt dem Präsidenten unterstellt sind, hochrangige Beamte. Henry Kissinger und später Condoleezza Rice haben als Security Advisors die amerikanische Außenpolitik wesentlich bestimmt.

    So ist auch für den Special Advisor Van Jones eine zentrale Funktion vorgesehen; eine mit sehr viel Macht und mit einem nachgerade unfaßbaren Finanz- Volumen ausgestattete Position. Dazu schreibt Chadwick Matlin im Internet- Magazin Slate über "Obamas Umwelt- Evangelisten":
    Jones is the switchboard operator for Obama's grand vision of the American economy; connecting the phone lines between all the federal agencies invested in a green economy. The $787 billion stimulus Congress authorized in February had at least $30 billion of green- jobs funding attached to it. It's Jones' responsibility to work within all the government agencies to make sure it gets doled out appropriately.

    Jones ist die Schaltstelle für Obamas Große Vision der amerikanischen Wirtschaft; er soll die Drähte zwischen allen Regierungs- Stellen knüpfen, die für eine Grüne Wirtschaft eingesetzt werden. Das Paket zur Ankurbelung der Wirtschaft in Höhe von 787 Milliarden Dollar, das der Kongreß im Februar billigte, umfaßte mindestens 30 Milliarden Dollar zur Finanzierung von grünen Jobs. Jones ist dafür verantwortlich, innerhalb von allen diesen Regierungsstellen zu arbeiten, um dafür zu sorgen, daß das Geld sinnvoll zugeteilt wird.
    Für seinen Artikel in Slate durfte Chadwick Matlin einen Tag lang Van Jones begleiten. Unter anderem fragte er Jones immer wieder nach dessen Selbstverständnis in seiner neuen Position. Am Tag danach erhielt er von Jones eine E-Mail mit einer Antwort, die dieser sich offenbar nachträglich überlegt hatte: "I'm a community organizer inside the federal family". Er sei ein Community Organizer innerhalb der Bundes- Familie (was man auf die Vereinigten Staaten beziehen kann oder auch auf das Federal Government, die Regierung in Washington).

    Wie treffend! Ein Community Organizer war bekanntlich Barack Obama im schwarzen Ghetto von Chicago gewesen. Einer, der Menschen hilft, ihr Leben zu meistern, weil sie allein dazu unfähig sind.

    Regieren als Sozialarbeit - das dürfte ziemlich genau das Selbstverständnis des Präsidenten treffen, und das von Mitstreitern wie Van Jones.



    Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Van Jones auf der Dream Reborn Conference in Memphis, Tennessee, 2008; Autor: Eclectek. Frei unter GNU Free Documentation License; bearbeitet.

    16. Dezember 2008

    Von Bush zu Obama (5): Mutmaßungen über Barack. Will Obama der große Transformator werden? Eine provokante These von Charles Krauthammer

    Streng genommen ist Barack Obama noch nicht zum 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt.

    Zwar waltete gestern das Electoral College seines Amtes; jenes Gremium, das man in Deutschland traditionell als dasjenige der Wahlmänner bezeichnet. Politisch korrekt müßte es natürlich "Wahlfrauen und - männer" heißen. Nennen wir es, da ein unnützes Fremdwort immer noch besser ist als politische Korrektheit, das Gremium der Elektoren.

    Diese 538 Elektoren also haben gestern ihre Stimmen abgegeben. Sie haben sich dazu nicht alle getroffen, sondern die Elektoren jedes Staats haben das in der jeweiligen Hauptstadt erledigt. Jetzt werden die Stimmzettel nach Washington geschickt und dort ausgezählt. Alles sehr traditionell, den Verkehrsverhältnissen im 18. Jahrhundert geschuldet.

    Vermutlich erhielt Barack Obama 365 dieser 538 Stimmen; so viele Elektoren jedenfalls sind aufgrund des Wahlergebnisses aus seinem Lager entsandt worden. Sicher ist das aber nicht, denn die Elektoren sind frei bei der Abgabe ihrer Stimmen; und gezählt wird erst im Januar.



    Welche Politik wird Präsident Obama verfolgen?

    Welches ist die wahre Farbe eines Chamäleons? Hat es überhaupt eine? Eher wohl nicht.

    Woran Barack Obama glaubt und welches seine Ziele als Präsident sind, weiß niemand. Dieser Mann hat sich in seinem ganzen Leben jeder neuen Situation perfekt angepaßt.

    Im Wahlkampf war er, solange er gegen die spröde Hillary Clinton antrat, der Künder des Wandels; derjenige, der die Nation heilen und die Welt gesund machen will. Am Tag seines Siegs über Clinton verwandelte er sich in einen nüchternen Staatsmann, gegen den der neue Kontrahent John McCain wie ein spontaner Hitzkopf wirkte.

    Er hat den Wandel versprochen, aber seine bisherigen Entscheidungen sind so ausgefallen, als wolle er ein Maß an Kontinuität wie kaum ein Präsident vor ihm.

    Er hat gegen "Washington" gewettert und holt jetzt, einen nach dem anderen, Leute aus dem Washingtoner Establishment in sein Team; von Rahm ("Rahmbo") Emanuel aus dem einstigen Stab von Bill Clinton über George W. Bushs Verteidigungsminister Robert Gates bis zu Paul Volcker, einst Präsident der Notenbank unter Ronald Reagan.

    Wie paßt das zusammen? Man kann, wie Robert Cohen kürzlich in der Washington Post schrieb, nach einer "höheren Warte" Ausschau halten, auf der sich das vereinen läßt. Ich kann allerdings diese Warte bisher nicht sehen und neige eher der Auffassung zu, daß der Präsident Obama schlicht das, was der Kandidat Obama versprochen hat, als Geschwätz von gestern betrachtet, das ihn nicht mehr schert.

    Und weil ich jetzt eine Alternative zu dieser Auffassung vorstellen möchte, zitiere ich diese zunächst einmal so, wie ich es in der letzten Folge dieser Serie geschrieben habe:
    Seine entstehende Regierung sieht immer mehr aus wie ein "Kabinett der nationalen Einheit". (...) Präsident Obama wird, das jedenfalls zeichnet sich schon jetzt ab, kein Neuerer sein, sondern ein Präsident der Kontinuität, vielleicht der Stagnation; der Verteidigung des Bestehenden und nicht des Wandels.

    Oder sagen wir es positiv: Er wird zum Glück wenig von dem einhalten, was er im Wahlkampf versprochen hat.
    Charles Krauthammer sieht das ganz anders. Und was Charles Krauthammer schreibt, sollte immer Anlaß zu ernsthaftem Nachdenken geben.



    In seiner aktuellen Kolumne in der Washington Post verspricht Krauthammer schon im Titel etwas, von dessen Existenz ich - siehe das Chamäleon - nicht überzeugt bin: "The real Obama", der wahre Obama, heißt die Kolumne.

    Krauthammer entwickelt eine Theorie, die etwas Bestechendes hat, weil sie die Fakten brillant unter einen Hut bringt. Was natürlich nicht heißt, daß sie richtig sein muß.

    Krauthammers Ausgangspunkt ist eine Deutung ähnlich der zitierten von mir: "Because Obama's own beliefs remain largely opaque, his appointments have led to the conclusion that he intends to govern from the center" - weil Obamas eigene Auffassungen im Dunklen blieben, würden seine personellen Entscheidungen als Hinweise auf eine Politik der Mitte verstanden werden.

    Krauthammer schlägt aber eine andere Interpretation vor. Eine Deutung, die darauf hinausläuft, daß Obama sehr wohl den radikalen Wandel realisieren will, den er im Wahlkampf - in dessen erster Phase - versprochen hat.

    Obama hat, so Krauthammer, die Außenpolitik in die Hände der Profis Hillary Clinton, Robert Gates und James Jones gelegt, damit sie ihm auf diesem Feld, das ihn wenig interessiert, den Rücken freihalten.

    Ebenso hat er Fachleute aus der politischen Mitte - Tim Geithner, Larry Summers und Paul Volcker - für die Wirtschaftspolitik ausgesucht, damit sie für ihn die jetzige Krise bewältigen. Für ihn und für das, was er eigentlich mit seiner Präsidentschaft anstrebt:
    ... to effect a domestic transformation as grand and ambitious as Franklin Roosevelt's. As Obama revealingly said just last week, "This painful crisis also provides us with an opportunity to transform our economy to improve the lives of ordinary people." Transformation is his mission. Crisis provides the opportunity. The election provides him the power.

    ... im Inneren eine Transformation herbeizuführen, so großartig und so ehrgeizig wie die von Franklin Roosevelt. Wie Obama bezeichnenderweise letzte Woche sagte: "Diese schmerzliche Krise gibt uns auch eine Gelegenheit, unsere Wirtschaft zu transformieren und das Leben der einfachen Leute zu verbessern". Transformation ist seine Mission. Die Krise bietet die Gelegenheit. Die Wahl liefert die Macht.
    Die Krise, schreibt Krauthammer, hat die Basis für ein Maß staatlichen Eingreifens geschaffen, wie es das seit dem New Deal nicht mehr gegeben hat. Niemand im Kongreß tritt mehr dafür ein, daß Mehrausgaben gegenfinanziert werden müssen. Die Öffentliche Meinung verlangt Handeln und nimmt dafür jede Ausgabe in Kauf.

    Obama habe für sein Ziel einer Transformation der amerikanischen Gesellschaft "undreamt-of amounts of money" zur Verfügung, Geldbeträge, von denen man nur hatte träumen können. Er habe zugleich das Mandat eines grandiosen Wahlsiegs, dazu noch breite Mehrheiten sowohl im Senat als auch im Repräsentantenhaus.

    Was wird er mit dieser Macht tun? Krauthammer:
    Obama was quite serious when he said he was going to change the world. And now he has a national crisis, a personal mandate, a pliant Congress, a desperate public -- and, at his disposal, the greatest pot of money in galactic history. (...)

    It is his one great opportunity to plant the seeds for everything he cares about: a new green economy, universal health care, a labor resurgence, government as benevolent private- sector "partner." (...)

    ... the stage is set for a young, ambitious, supremely confident president -- who sees himself as a world- historical figure before even having been sworn in -- to begin a restructuring of the American economy and the forging of a new relationship between government and people. (...)

    He intends to transform America. And he has the money, the mandate and the moxie to go for it.

    Es war Obama vollkommen ernst, als er sagte, daß er die Welt ändern werde. Und jetzt hat er eine nationale Krise, ein persönliches Mandat, einen willfährigen Kongreß, eine verzweifelte Öffentlichkeit - und einen Topf Geld zur Verfügung, den größten in der Geschichte der Galaxie. (...)

    Das ist seine eine, große Chance, die Saat für das zu legen, das ihm wichtig ist: Eine neue, grüne Ökonomie, Krankenversicherung für alle, ein Wiedererstarken der Gewerkschaften, die Regierung als der fürsorgliche Partner des "privaten Sektors". (...)

    ... die Bühne ist bereitet für einen jungen, ehrgeizigen, über die Maßen selbstbewußten Präsidenten - der sich schon als eine Gestalt der Weltgeschichte sieht, bevor er auch nur seinen Amtseid geleistet hat -, die amerikanische Wirtschaft umzustrukturieren und ein neues Verhältnis zwischen Regierung und Volk zu schmieden.

    Er will Amerika transformieren. Und er hat das Geld, das Mandat und die Entschlossenheit, es anzupacken.



    Gerade die Nominierung von Konservativen, von Leuten aus dem Establishment für die Felder der Außen- und der Wirtschaftspolitik soll also, so die provokante These Krauthammers, in diesen Bereichen für soviel Ruhe sorgen, daß Obama auf seinem eigentlichen Feld, demjenigen der Sozial- und Gesellschaftspolitik, Umwälzungen einleiten kann.

    Diese Analyse ist für den Konservativen Charles Krauthammer natürlich ein Szenario des Schreckens. Viele in Europa, sehr viele hier in Deutschland werden finden, daß das doch eine höchst erfreuliche Perspektive sei.

    Einleuchtend jedenfalls erscheint mir Krauthammers Analyse. So einleuchtend wie meine bisherige, entgegengesetzte Vermutung, daß Obama, nachdem die Wahl erst einmal gewonnen ist, das Gewand des Erlösers abgestreift hat wie der Saunabesucher seinen Bademantel, bevor er in die Kabine tritt.

    Werden die kommenden Monate zeigen, welche der beiden Interpretationen die richtige ist? Vielleicht. Aber vielleicht verblüfft das Chamäleon uns ja auch noch mit ganz neuen Farbtönen.



    Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu den bisherigen Folgen dieser Serie findet man hier.

    2. Dezember 2008

    Zettels Meckerecke: Vier Philosophen und ein Kolumnist. Zweimal Interdisziplinäres über die Finanzkrise. Geschwätz vs. Analyse

    Dem Inschenör ist nichts zu schwör. Und der Philosoph ist für nichts zu doof, ist man versucht weiter zu kalauern.

    Im ZDF läuft zu einer so nächtlichen Stunde, daß man vor allzu vielen Zuschauern einigermaßen sicher ist, immer einmal wieder die Sendung "Das Philosophische Quartett". Sie kann anregend und unterhaltsam sein, wenn Safranski einen guten Tag hat, also überraschende Perspektiven eröffnet, und wenn Sloterdijk einen schlechten Tag hat, sich also mit seinen Platitüden zurückhält. Und wenn - das vor allem - man sich durch intelligente Gäste zu einem Quartett komplettiert.

    Was ist Philosophie? Alles. Also gibt es nichts auf diesem weiten Erdenrund, das nicht Gegenstand dieses Quartetts sein könnte. Diesmal war die Ökonomie dran. Für die vorgestrige Sendung, hatte man sich einen wortverspielten Titel einfallen lassen: "Markt der Illusionen. Wie der Kredit seinen Kredit verlor".

    Die Redaktion hatte dazu eine Idee, wie sie einst den Reiz römischer Gladiatorenkämpfe ausmachte: Zwei Gegner aufeinander loszulassen, die mit ganz unterschiedlichen Waffen kämpfen.

    Bei den Gladiatoren waren das der Secutor, der gepanzert dastand, mit Schild und Schwert, und der Retiarius - ungeschützt, halbnackt, beweglich mit dem Dreizack und einem Fangnetz kämpfend. David gegen Goliath also, der Leichtfüßige gegen den Hopliten.

    Der Hoplit, der Secutor, das war in dieser Sendung Rüdiger von Rosen, ein Mann der Praxis, einst Chef der Deutschen Börse, derzeit Vorsitzender des Vorstands des Deutschen Aktieninstituts, des Verbands der börsennotierten AGs. Ein Praktiker, der aber auch an der Frankfurter Uni lehrt, der auch allerlei über Börsen und Aktien publiziert hat.

    Die Rolle des leichtfüßigen Retiarius war einem in der Tat beweglichen Geist zugedacht, einem wahren Tausendsassa: Albrecht Koschorke, der, so erfahren wir es, nicht weniger als sechs Wissenschaften studiert hat (Literaturwissenschaft, Philosophie, Kunstgeschichte, Kommunikationswissenschaft und Ethnologie) und den das ZDF folglich - solch ein Mann läßt sich nicht auf ein Fach reduzieren - als "Geisteswissenschaftler" vorstellte.

    Im Vorstellungstext des ZDF wird Koschorke ein "Verknüpfer vieler Wissensbereiche" genannt, der sich mit der Frage befasse, "wie soziale Strukturen, medizinische Menschenbilder, ökonomische Systeme, technische und mediale Erfindungen, Wahrnehmungsmöglichkeiten und Imaginationen miteinander verknüpft seien."

    Wow! In Konstanz allerdings hat Koschorke bloß einen germanistischen Lehrstuhl.



    Nun, das hätte spannend werden können, wie eben ein Kampf zwischen Secutor und Retiarius. Es war aber nur peinlich. Der Secutor stand da mit seinen schweren Waffen und fuchtelte ein wenig. Der Retiarius tänzelte um ihn herum und schlug mit seinem Dreizack zierliche Figuren in die Luft. Der eine schien so wenig wie der andere daran interessiert zu sein, den Kontrahenten auch nur zu berühren.

    Rüdiger von Rosen erklärte, wie es zu der jetzigen Krise gekommen war; er erläuterte, welche kurz- und welche langfristigen Maßnahmen er für erforderlich hielt, um wieder herauszukommen und eine Wiederholung zu verhindern. Koschorke ließ sich über Kultur und Gesellschaft als solche, über Illusionen und über den Kapitalismus vernehmen. Ebenso hätte man eine Diskussion zwischen dem Eisbären Knut und Donald Duck veranstalten können.

    Und die beiden Moderatoren? Safranski wirkte noch nilpferdhafter als sonst. Gelegentlich schien es, daß er ein wenig eingenickt war. Sloterdijk hatte mal wieder die Platitüde des Abends gefunden, die er als eine geistige Kostbarkeit in die Runde warf: Am Ende eines Jahrhunderts gehe es eben immer "frivol" zu; ein Tanz auf dem Vulkan. Diesmal habe sich das etwas in den Anfang des folgenden Jahrhunderts hinein verschoben.

    Na, dann wissen wir's ja, wie es zu dieser Krise gekommen ist. Spätrokoko, Fin de Siècle, Gier der Manager. Alles klar?



    Genug gemeckert. Wo bleibt das Positive? Auf Positives stoßen wir mal wieder, wenn wir das Medium wechseln und den Kontinent. Also in der amerikanischen Publizistik.

    Auch dort denkt man über die Implikationen der jetzigen Krise nach. Auch dort tut man das, wenn man so will, interdisziplinär. Wie beispielsweise Charles Krauthammer.

    In seiner aktuellen Kolumne in der Washington Post spannt Krauthammer zwar nicht den Bogen zu vergangenen Jahrhunderten und von der Wirtschaft zur Sprache und zur Kultur, aber eine interdisziplinäre Frage wirft auch er auf.

    "From Market Economy to Political Economy" lautet der Titel der Kolumne, von der Marktwirtschaft zur Politischen Wirtschaft. Ohne Fragezeichen; obwohl der Text doch eher darauf hinausläuft, ein Fragezeichen zu setzen.

    Political Economy würde man im allgemeinen mit "Politische Ökonomie" übersetzen. Aber just das meint Krauthammer nicht. Was er meint, das ist eine von der Politik abhängige Wirtschaft. Als Beispiel dienen ihm die Börsenkurse der vergangen Wochen: Sie waren "volatil", gingen also hektisch auf und ab. Warum? Nicht aufgrund von wirtschaftlichen Daten, sondern aufgrund der jeweils aktuellen politischen Verlautbarungen, Ankündigungen, Entscheidungen.

    Die Wirtschaft ist, so Krauthammer, als Folge der Krise extrem abhängig von der Politik geworden.

    Damit wird ausgerechnet unter dem Gegner des Lobbyismus Obama das Lobbytum eine nie gekannte Bedeutung erhalten: Es geht nicht mehr darum, sich den einen oder anderen kleinen Vorteil zu verschaffen, sondern die Arbeit der Lobbyisten entscheidet darüber, wen der Staat in welchem Umfang stützt und wen er fallenläßt.

    Ebenso könnte die Automobil- Industrie vor einem Umbruch stehen. Gerät sie unter staatliche Kontrolle, dann werden nicht mehr nur ökonomische, sondern auch politische Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Beispielsweise bei der Modellpolitik.

    Kurzum, die USA stehen vor einer Weichenstellung, meint Krauthammer: Wird das staatliche Eingreifen in die Wirtschaft eine vorübergehende Situation sein, oder entsteht hier eine - nun, eben eine "Politische Wirtschaft"? Er schreibt:
    The ruling Democrats have a choice: Rescue this economy to return it to market control. Or use this crisis to seize the commanding heights of the economy for the greater social good. Note: The latter has already been tried. The results are filed under "History, ash heap of."

    Die regierenden Demokraten stehen vor einer Wahl: Diese Wirtschaft retten, um sie dann wieder der Kontrolle durch den Markt zu übergeben. Oder diese Krise nutzen, um die Feldherren- Hügel der Wirtschaft an sich zu bringen, zum höheren Wohl der Gesellschaft. Man beachte: Das Letzere ist schon versucht worden. Die Ergebnisse sind unter "Geschichte, Müllhaufen der" archiviert.
    Das, so scheint mir, trifft den Kern der Sache. Wird der Kapitalismus, wie aus allen bisherigen Krisen, so auch aus der jetzigen wieder gestärkt, verbessert, reformiert hervorgehen - oder werden diejenigen, die jetzt ihre Rettungs- Aktionen unternehmen, ihn zu Tode therapieren?



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    18. November 2008

    Zitat des Tages: "Alter schützt nicht vor Tod". Über den Zustand der SPD. Nebst einer Anmerkung über Kolumnisten

    Die SPD befindet sich in einer existenzbedrohenden Krise. Sie redet sich gerne ein, dass sie schon deshalb immer weiter bestehen wird, weil sie doch anderthalb Jahrhunderte alt ist, mithin die älteste und ehrwürdigste Partei des Landes sei. Doch die Lebenserfahrung lehrt: Alter schützt nicht vor Tod. Im Gegenteil.

    Christoph Schwennicke, Redakteur im Hauptstadt- Büro des gedruckten "Spiegel", heute in "Spiegel- Online" über den Zustand der SPD.

    Kommentar: Auf diesen Artikel möchte ich aus drei Gründen aufmerksam machen.

    Erstens gibt er eine präzise, auch historisch fundierte Analyse des Zustands der SPD. Eines Zustands, der kein momentaner ist, sondern das Ergebnis des allmählichen Vormarschs der Linken, die heute in der SPD keine Minderheit mehr ist, sondern ungefähr die Hälfte der Partei ausmachen dürfte; auf der Funktionärsebene vermutlich mehr. Die SPD umfaßt heute zwei Parteien unter dem Dach einer gemeinsamen Organisation.

    Zweitens paßt Schwennickes Artikel zu dem, was ich gestern hier über den Zustand der französischen Bruderpartei der SPD, der Parti Socialiste, geschrieben und in "Zettels kleinem Zimmer" kommentiert habe. Eine sozialdemokratische Partei - das zeigt die Parti Socialiste exemplarisch - kann nicht zugleich zum Bündnis mit der Mitte und zu einer Volksfront gemeinsam mit den Kommunisten bereit sein. Sie kann nicht zugleich den Kapitalismus verbessern und ihn abschaffen wollen.

    Die SPD ist im Begriff, sich exakt in dasselbe Dilemma hineinzubegeben. Solange sich die deutschen, solange sich die französischen Sozialdemokraten nicht entschieden haben, ob ihre Partner die Kommunisten oder aber Parteien der Mitte sind, wird es auf beiden Seiten des Rheins mit der Sozialdemokratie weiter abwärts gehen. Ob danach wieder aufwärts, ist freiich eine andere Frage.



    Drittens möchte ich auf Schwennickes Aufsatz aus einem ganz anderen Grund hinweisen: Er ist ein Musterbeispiel für die Publikationsform der Kolumne, die in den USA weit verbreitet, bei uns aber unterentwickelt ist.

    Nicht ein Kommentar, wie man ihn in der deutschen Presse kennt, in dem jemand einfach seine Meinung aufschreibt. Kein um Objektivität bemühter (jedenfalls an diesem Anspruch zu messender) Artikel aus dem Nachrichtenteil. Sondern eine Analyse; eine Argumentation, meist um eine einzige zentrale Idee herum entwickelt und mit Fakten belegt, Fakten ordnend.

    In den USA haben alle großen Tageszeitungen, alle Nachrichtenmagazine Kolumnisten, die regelmäßig dort schreiben. Lesern von ZR sind zwei von ihnen bekannt, die ich immer wieder einmal zitiere: Jonah Goldberg, der in der Los Angeles Times heute über Obamas "experimentelle Regierung" schreibt und vor allem Charles Krauthammer, dessen aktuelle Kolumne in der Washington Post sich mit den Risiken einer Rettung der Autoindustrie befaßt.

    Solche Kolumnisten sind einflußreiche Leute, die gründlich für ihre Kolumnen recherchieren, die für die Politiker begehrte Partner für Hintergrund- Gespräche sind. Warum haben wir so etwas nicht in Deutschland?



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    30. September 2008

    Zitat des Tages: "Führt Sie in Ketten durch die Straßenschluchten von Manhattan! Hängt sie!"

    Was there misbehavior on Wall Street? The wheels of justice will grind. But why wait for justice? If a really good catharsis will allow a return of rationality to Capitol Hill -- yielding a clean rescue package that will actually save the economy -- go for it.

    Capping executive pay is piffle. What we need are a few exemplary hangings. Public hangings. On television. Pick a few failed investment firms, lead their CEOs in chains through the canyons of Manhattan and give the mob satisfaction. (...) Whatever it takes to clear our heads.


    (Gab es Fehlverhalten seitens der Wall Street? Die Mühlen der Justiz werden mahlen. Aber warum auf die Justiz warten? Wenn eine wirklich gute Katharsis auf dem Capitol Hill wieder Vernunft einkehren läßt - mit dem Ergebnis eines klaren Rettungspakets, das unsere Wirtschaft wirklich bewahren wird - dann auf!

    Die Managergehälter zu deckeln ist Kokolores. Was wir brauchen, das sind ein paar exemplarische Hinrichtungen. Öffentliches Hängen. Im Fernsehen. Nehmt ein paar pleite gegangene Investment- Firmen, führt ihre Vorstands- Vorsitzenden in Ketten durch die Straßenschluchten von Manhattan und stellt den Mob zufrieden. (...) Alles, was nötig ist, um uns den Kopf frei zu machen.)

    Charles Krauthammer in der Washington Post.

    Kommentar: Krauthammers Kolumne ist schon ein paar Tage alt; sie erschien am vergangenen Freitag. Damals schien es für die meisten Kommentatoren noch selbstverständlich, daß der Kongreß dem Bail-out zustimmen würde.

    Aber wie so oft lag Charles Krauthammer richtig; diesmal mit seiner Befürchtung, daß die Affekte gegen "die da oben", gegen Wall Street und die "Gierigen" rationales Entscheiden erschweren würde. Deshalb sein sarkastischer Vorschlag, ein paar CEOs öffentlich hinzurichten; zwecks Abfuhr der Affekte und Freimachens der Köpfe für eine rationale Entscheidung.

    Man ist seinem Rat nicht gefolgt; und nun haben wir den Kladderadatsch.



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    28. Juni 2008

    Der 44. Präsident der USA (4): Barack Obama, der Opportunist

    Angesichts der Begeisterung für Barack Obama, die noch immer hier in Deutschland grassiert, angesichts der freundlichen Beurteilungen, die Obama sogar in der Blogokugelzone erfährt - siehe die lebhaften Diskussionen in "Zettels kleinem Zimmer" -, könnte mein Urteil über diesen Kandidaten radikal erscheinen: Ich halte nicht viel von Barack Obama; das ist den Lesern dieses Blogs nichts Neues.

    Ich halte ihn für einen Politiker, der mit den Mitteln des klassischen Populismus arbeitet - dem Versprechen, alle Schranken innerhalb des Volks niederzureißen und eine völlig andere Politik zu machen; der Verheißung gar, die "Welt zu heilen".

    Ich halte ihn für einen Demagogen, der seine Wahlveranstaltungen wie baptistische Gottesdienste zelebriert, der gezielt sein Publikum in Verzückung versetzt, der mit seinem Kernslogan "Yes, we can" an den Stil von religiös verbrämtem Motivationstraining anknüpft.

    Und ich halte ihn für einen Opportunisten, wie ihn die amerikanische Politik selten erlebt hat.

    Besonders deutlich wurde dieser Zug von Obama, als seine Nominierung feststand und er sich, fast von einem Tag auf den anderen, vom Prediger in einen Staatsmann verwandelte. Ich habe das an dem Tag, an dem sich die Metamorphose abspielte, am 4. Juni, als er die kritische Zahl von Delegierten erreicht hatte, in einem längeren Artikel beschrieben, in dem es hieß:
    Und nun, da er es geschafft hat? Nun wechselt Obama in ein anderes Rollenfach; mit einer Perfektion, angesichts derer ein Chamäleon vor Neid abwechelnd rot und blaß werden könnte. Er ist jetzt der zurückhaltende, realistische Politiker, der verantwortungsvolle Staatsmann. (...)

    Er hat die Herzen der Naiven erobert. Jetzt wird er sich so von dieser Vergangenheit der Rolle des Heilsbringers lösen, wie er sich kürzlich von seinem alten Mentor, dem Pastor Jeremiah Wright, distanziert hat. Jetzt gilt es für ihn, auch den Verstand der Skeptischen für sich zu gewinnen.


    Es ist jetzt gut drei Wochen her, daß ich das geschrieben habe. In welchem Umfang Obama in diesen drei Wochen seine opportunistische Wandlung vollzogen hat, das hat in der gestrigen Washington Post Charles Krauthammer, Pulitzer- Preisträger und laut "Financial Times" der einflußreichste amerikanische Kommentator, Punkt für Punkt aufgelistet:
  • Nach 9/11 hatte es rechtlich fragwürdige Abhöraktionen der National Security Agency (NSA) gegeben, mit denen Terroristen entdeckt werden sollten. Telefonfirmen hatten dabei geholfen und sich damit möglicherweise strafbar gemacht. Im Herbst 2007 lag dem Kongreß ein Gesetzeswerk vor, das u.a. rückwirkend Straffreiheit für diese Firmen vorsah.

    Damals hatte ein Sprecher Barack Obamas, Bill Burton, erklärt, Obama trete dafür ein, dieses Gesetz durch filibustering (Dauerreden im Senat) zu verhindern. Jetzt hingegen sagt Obama, er werde für ein Gesetz stimmen, das den Firmen Straffreiheit zusichert.

  • Während der Primaries trat Obama gegen das Freihandelsgesetz (North American Free Trade Agreement, NAFTA) auf und versprach, dessen Neuverhandlung zu erzwingen und Kanada und Mexiko eine unilaterale Aufkündigung des Vertrags anzudrohen. Jetzt bezeichnet er seine damaligen Äußerungen als "überzogen" ("overheated") und unterstützt den Vertrag.

    Nach Krauthammers Informationen hat ein leitender Berater Obamas den Kanadiern dazu gesagt, die früheren Stellungnahmen seien nur "populäre Plakatiererei" gewesen ("popular postering").

  • Während der Primaries hatte Obama versprochen, sich "ohne Vorbedingungen" mit Mahmud Ahmadinedschad zu treffen. Jetzt spricht er von "Vorbereitungen", aus denen, so Krauthammer, Obamas Berater De-facto- Vorbedingungen machen.
  • Baracks Obamas Langer Marsch habe begonnen, meint Krauthammer. Er habe die Wähler der Linken sicher und buhle jetzt um diejenigen der Mitte.

    Die Leitmedien ließen ihn, schreibt Krauthammer, damit davonkommen.

    Er habe zuerst in einer vielgelobten Rede versichert, er könne sich von dem Prediger Jeremiah Wright so wenig lossagen wie von seiner weißen Großmutter. Drei Monate später tat er genau das; er sagte sich von Wright los - und "not a word of reconsideration is heard from his media acolytes"; keiner seiner Gefolgsleute in den Medien habe das damalige Lob mit auch nur einem Wort in Frage gestellt.

    So wenig, wie man es in den Leitmedien Obama übelnehme, daß er erst für eine Finanzierung des Präsidentschafts- Wahlkampfs aus öffentlichen Mitteln gewesen sei und jetzt, wo er selbst reichlich Spendengelder habe, das genaue Gegenteil propagiere, nämlich den Verzicht beider Kandidaten auf solche öffentlichen Mittel.



    Charles Krauthammers Fazit:
    I have never had any illusions about Obama. (...) The truth about Obama is uncomplicated. He is just a politician (though of unusual skill and ambition). The man who dared say it plainly is the man who knows Obama all too well. "He does what politicians do," explained Jeremiah Wright.

    When it's time to throw campaign finance reform, telecom accountability, NAFTA renegotiation or Jeremiah Wright overboard, Obama is not sentimental. He does not hesitate. He tosses lustily. (...)

    Not a flinch. Not a flicker. Not a hint of shame. By the time he's finished, Obama will have made the Clintons look scrupulous.

    Über Obama habe ich mir nie irgendwelche Illusionen gemacht. (...) Die Wahrheit über Obama ist schlicht. Er ist einfach ein Politiker (wenn auch ein ungewöhnlich geschickter und ehrgeiziger). Der Mann, der das offen zu sagen wagte, ist der Mann, der Obama nur allzu gut kennt. "Er tut, was Politiker tun", erläuterte Jeremiah Wright.

    Wenn es an der Zeit ist, die Reform der Wahlkampf- Finanzierung, Strafbarkeit der Telefon- Unternehmen, Neu- Verhandlungen über die Freihandelszone oder Jeremiah Wright über Bord zu werfen, dann ist Obama nicht sentimental. Er zögert nicht. Er räumt munter weg.

    Kein Zurückzucken. Kein Fackeln. Kein Spur von Scham. Wenn er fertig sein wird, werden ihm gegenüber die Clintons als Leute mit Skrupeln dastehen.

    Starker Tobak. Als ich das las, schien mir, daß ich im Vergleich mit Charles Krauthammer ein geradezu freundliches Bild von Barack Obama habe. Keineswegs radikal. Allenfalls für deutsche, aber nicht für amerikanische Verhältnisse.



    Man kann nun allerdings argumentieren, was denn schlimm daran sei, einem Politiker zu bescheinigen, daß er eben wie ein Politiker agiert. Auch wenn man nicht die Lüge für ein Wesenselement der Politik hält, wird man einem Politiker doch zugestehen müssen, daß er taktiert und seine Positionen zu bestimmten Themen verändert.

    Dazu sollte man meines Erachtens zweierlei bedenken:

    Erstens hat Obama mit John McCain einen Gegenkandidaten, der sich eben nicht so schamlos opportunistisch verhält. Und zweitens präsentiert sich Obama ja gerade nicht als ein Politiker wie andere, sondern er verkündet, er werde mit dem politischen Geschacher in Washington aufräumen und den großen Wandel bringen.

    Er wird, falls er gewählt wird - was im Augenblick nicht unwahrscheinlich aussieht -, keinen Wandel bringen. Er wird nur eine Enttäuschung bringen; vermutlich eine der größten, die die Amerikaner jemals mit einem Präsidenten erlebt haben.



    Links zu allen Folgen dieser Serie findet man hier. - Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.

    26. Mai 2008

    Marginalie: Obamas metastasierender Ausrutscher

    Einen "metastatic gaffe", einen metastatierenden Ausrutscher, nennt Charles Krauthammer in der Washington Post es. Man könnte auch sagen, daß Obama sich seine erste außenpolitische Eselei leistet, bevor der eigentliche Wahlkampf um die Präsidentschaft überhaupt begonnen hat.

    Es geht um Staaten wie den Iran, Nordkorea, Syrien und Venezuela. Staaten also, die sich in ihrer amerikafeindlichen Politik gegenseitig zu überbieten trachten. Mit den Führern dieser Staaten nun, so verkündet es Obama landauf, landab, werde er sich binnen eines Jahres nach Beginn seiner Amtszeit treffen.

    Warum verkündet er das? Weil er es einmal gesagt hatte, unbedacht; ein Ausrutscher. Es war am 23. Juli 2007 in einer Debatte, zu der Zuschauer Fragen stellen durften. Und da fragte einer:
    Would you be willing to meet separately, without precondition, during the first year of your administration, in Washington or anywhere else, with the leaders of Iran, Syria, Venezuela, Cuba and North Korea?

    Wären Sie willens, sich im ersten Jahr ihrer Amtszeit getrennt, ohne Vorbedingungen, in Washington oder irgendwo sonst mit den Führern des Iran, Syriens, Venezuelas, Cubas und Nordkoreas zu treffen?
    Worauf Obama mit einem schlichten "Ja" antwortete ("I would").

    Zuvor hatte sich Obama nie zu diesem Thema geäußert. Er sei, meint Krauthammer, gar nicht auf die Frage vorbereitet gewesen und habe einfach spontan "ja" gesagt.

    Nun verfolgt ihn das. Nun wachsen die Metastasen. Obama erklärte Kritik an seiner Ankündigung für "lächerlich". Er rechtfertigte sie damit, daß auch andere Präsidenten sich mit Feinden der USA getroffen hätten. Und je mehr er argumentiert und begründet, umso mehr zeigt er damit, wie wenig Ahnung er von Außenpolitik, wie wenig Ahnung er auch von der Geschichte der Vereinigten Staaten hat.

    Das weist Krauthammer in dem jetzigen Kommentar nach; und er tut das, wie immer, indem er auf die Fakten verweist.

    Gipfeltreffen, so belehrt er Obama, finden nicht statt, um Ergebnisse zu erzielen, sondern diese werden im Vorfeld durch die Arbeit der Dipomaten weitgehend vorgefertigt und beim Treffen der Chefs nur noch mit dem letzten Schliff versehen.

    Gipfeltreffen, so merkt Krauthammer an, finden zwischen verfeindeten Nationen mit gutem Grund nur selten statt, denn sie wecken Hoffnungen, die oft nicht erfüllbar sind. Sie sind nicht erfüllbar, weil keine Seite bereit ist, in für sie fundamentalen Fragen nachzugeben.

    Kurzum, Krauthammer macht deutlich, mit welcher Hypothek ein Präsident Obama in seine erste Amtszeit gehen wird:

    Entweder wird er eine Serie diplomatischer Niederlagen einstecken, wenn er innerhalb eines Jahres Ahmadinedschad, Castro den Zweiten, Assad, Kim und Chávez trifft. Oder seine Amtszeit damit beginnen, daß er eines seiner am öftesten bekräftigten Versprechen bricht.



    Soviel zur Zukunft. Auch zur Vergangenheit hat Krauthammer Anmerkungen. Obama hatte sich nämlich darauf berufen, daß auch Roosevelt und Truman sich mit Feinden der USA getroffen hätten. Sarkastisch meint Krauthammer, da müsse Obama wohl die Bilder der Konferenzen von Jalta und Potsdam vor Augen gehabt haben, als sich Roosevelt und dann Truman mit Stalin trafen.

    Vermutlich sei Obama entgangen, daß Stalin damals kein Feind, sondern ein Verbündeter der USA war.

    Ach ja, und das Treffen Kennedys mit Chruschtschow in Wien nennt Obama auch noch als sein Vorbild. Jenes Treffens also, bei dem Chruschtschow den jungen Mann im Weißen Haus "das Fürchten lehrte" und den Eindruck gewann, er könne gegen diesen Kennedy in der Berlinfrage und mittels Aufstellung von Raketen auf Cuba obsiegen.

    Das hätte damals fast zu einem Weltkrieg geführt.



    Die Aussicht auf einen Präsidenten Obama kann einen wirklich so das Fürchten lehren, wie Chruschtschow das in Wien im Junie 1961 mit Kennedy versucht hatte. Aus meiner Sicht ist das freilich nur eine der Gefahren, die von einem solchen Präsidenten ausgehen würde; oder sagen wir, es ist ein konkretes Beispiel für eine allgemeine Gefahr.

    Obama kündigt an, er werde die Amerikaner einen, ob schwarz oder weiß, ob arm oder reich, ob Republikaner oder Demokraten. Er kündigt den berühmten "Wechsel" zu einer völlig neuen Art von Politik an. Ja, er kündigt an, er wolle die Welt verändern ("change the world").

    Er weckt riesige Hoffnungen, vor allem bei seinen jungen Anhängern, die ihm zujubeln, als sei er Jesus und Leonardo DiCaprio in einer Person.

    Natürlich wird er weder die Politik in Washington ändern noch die Welt. Er wird das so wenig tun, wie er durch ein Treffen mit Ahmadinedschad diesen zu einem Freund Israels und durch ein Treffen mit Kim diesen zu einem Politiker machen wird, dem der Machterhalt seines Regimes egal ist.

    Er wird, wenn er realisiert, was er jetzt vollmundig verspricht, von einem Desaster ins nächste stolpern.

    Oder er wird, wenn er eines seiner Versprechen nach dem anderen bricht, das Vertrauen in die Politik, das gerade er mit seinem "Yes we can"- Wahlkampf neu zu begründen versucht hat, ein weiteres Mal enttäuschen.



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