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29. September 2009

Zitat des Tages: Steinmeier und die Sprache der Linken. Wieder wird die SPD einen Vorsitzenden verschleißen

Also muss die SPD nach den Sozialreformen womöglich eine weitere Kehrtwende vollziehen. (...) Denn wer die Linkswähler zurückholen will, muss rasch deren Sprache sprechen lernen. Steinmeier wird den Linken geben, oder andere werden ihn dazu drängen – ihn, der in der großen Koalition die Rente mit 67 oder die höhere Mehrwertsteuer mitbeschlossen hat und der noch im Sommer rot-rote Koalitionen selbst auf Länderebene ablehnte.

Nicht wahr, bis hierhin klingt das wie ein Kommentar aus der "Süddeutschen Zeitung", aber nicht wie ein Kommentar aus der "Welt".

So geht es aber weiter:

Wer soll ihm glauben? Und wie soll das gut gehen?

Schreibt Torsten Krauel in "Welt- Online".


Kommentar: Wie wahr. Die SPD wird sich jetzt nach links orientieren. Sie wird in der Opposition das Volksfront- Bündnis schmieden, das sie 2013 zurück an die Macht bringen soll.

Die beiden rivalisierenden Schmiede dieses Bündnisses, Andrea Nahles und Klaus Wowereit, haben freilich Grund, sich vorerst bedeckt zu halten. Sie wollen möglichst wenig mit der jetzigen Niederlage assoziiert werden. Sie brauchen Zeit, die Flamme zu erhitzen und das Schmieden vorzubereiten.

Also schieben sie Steinmeier nach vorn. Parole: Hannemann, geh du voran. Man wird ihn nicht nur zum Vorsitzenden der Fraktion machen, sondern auch noch zum Vorsitzenden der Partei.

Man wird ihn verschleißen, so wie diese Partei eine ganze Riege von Vorsitzenden verschlissen hat. Zuletzt den noblen Platzeck, der die Flucht ergriff, als er einen Blick in das Haifischbecken geworfen hatte, und den biederen Beck, der sich täppisch in der Beteiligung am Intrigenspiel versuchte.

Steinmeier wird nie Kanzler werden. Er wird auch nicht noch einmal Kanzlerkandidat werden. Die SPD-Linke wird ihn absägen, sobald er seine Funktion erfüllt hat.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.

27. September 2009

Wahlen '09 (21): Krisenwahlen. Schicksalswahlen. Erinnerung an 1949

Angela Merkel wird auch nach diesen Wahlen Kanzlerin bleiben. Dennoch sind sie Schicksalswahlen. Das liegt an der Situation, in der wir zur Wahl gehen.

Die deutsche Befindlichkeit ähnelt derjenigen des Reiters über den Bodensee, der furchtlos über das vereiste Gewässer galoppiert, weil er sich auf festem Land wähnt. Dieser Wahlkampf fand mitten in der schwersten Wirtschaftskrise statt, die uns seit Bestehen der Bundesrepublik getroffen hat. Aber seltsam - wir taten so, als sei dies gar nicht die Lage.

Die Krise hätte das beherrschende Thema des Wahlkampfs sein müssen; stattdessen wurde über die Rente ab 67, über Afghanistan, gar über die Nutzung der Kernenergie gestritten. Der Dienstwagen einer Ministerin hat uns mehr beschäftigt als die Frage, ob es mit unserem Wohlstand demnächst vorbei sein wird.

Statt der Metapher des Reiters über den Bodensee könnte man auch an das Bild eines schwer leck geschlagenen Dampfers denken, dessen Besatzung sich damit beschäftigt, die Passagiere bei Laune zu halten, statt daß man etwas gegen die Havarie tut.



In Krisen werden die Karten neu gemischt. Schon jetzt ist absehbar, daß China aus der gegenwärtigen Krise als eine ökonomische Weltmacht hervorgehen wird. Ob die USA diesen Status nach der Bewältigung der Krise noch werden beanspruchen können, ist zweifelhaft.

Wie wird Europa aus der Krise herauskommen, wie insbesondere Deutschland? Das hätte die zentrale Frage dieses Wahlkampfs sein müssen. So, wie wie bei den Wahlen zum ersten Bundestag 1949 die zentrale Frage gewesen war, wie Deutschland aus dem Elend der Nachkriegszeit herauskommt; ob mittels einer Planwirtschaft, wie die SPD sie wollte, oder durch Ludwig Erhards Soziale Merktwirtschaft.

Auch damals wurden die Karten neu gemischt.

England, das nicht den Sieger Churchill wiedergewählt hatte, sondern sich für den Sozialisten Clement Attlee entschied, stieg wirtschaftlich ab; spiegelbildlich zum Aufstieg des besiegten Deutschland.

Das Vereinigte Königreich konnte in den fünfziger Jahren mit dem ebenfalls links regierten Frankeich um den Titel "der kranke Mann Europas" konkurrieren. In der britischen Presse wurde damals gefragt, wer eigentlich den Krieg gewonnen hätte - Deutschland, in dem sich der Wohlstand ausbreitete, oder das niedergehende England.



Nein, ich will die jetzige Krise nicht mit der Nachkriegszeit gleichsetzen. Aber die Erinnerung an 1949 zeigt, daß es Wahlen gibt, in denen die Weichen gestellt werden; Schicksalswahlen.

Daß auch die heutige Wahl diesen Charaker hat, mögen Sie, lieber Leser, vielleicht als eine maßlose Übertreibung sehen. Das solle eine Weichenstellung sein, werden Sie fragen, wo es doch nur darum gehen wird, mit welchem kleineren Partner die Kanzlerin weiterregiert?

Ginge es nur darum, dann hätten Sie mit diesem Einwand vielleicht recht. Aber eine Weichenstellung entscheidet ja nicht nur darüber, wo der Zug auf den nächsten Metern fährt; sie bestimmt auch, wo er nach unter Umständen hunderten von Kilometern ankommt.

Regiert die Kanzlerin künftig zusammen mit der FDP, dann kann das der Beginn einer neuen Epoche des Wohlstands und des Aufstiegs sein. Setzt eine solche Koalition die richtigen Rahmenbedingungen, dann wird sich aus der jetzigen Krise heraus eine Dynamik entwickeln, die durchaus derjenigen in den Jahren des "Wirtschaftswunders" vergleichbar sein könnte.

In einer Koalition mit der SPD wird das kaum gelingen können; mit einer SPD, die zunehmend unter die Kontrolle ihres linken Flügels gerät und die - vom Gesundheitswesen bis zu Mindestlöhnen und Steuererhöhungen - noch einen ganzen Katalog unerfüllter Forderungen hat, die sie in der neuen Legislaturperiode als Regierungspartei durchzusetzen versuchen würde.

Aber das allein macht diese Wahl noch nicht zu einer Schicksalswahl Entscheidend ist, daß eine Neuauflage der Großen Koalition instabil wäre.

Die Kommunisten werden heute ein Ergebnis bekommen, das sie als einen großen Wahlsieg feiern werden. In der SPD wird man die (richtige) Analyse anstellen, daß ihre traditionelle Klientel immer mehr zu den Kommunisten überläuft, die sich als die eigentliche, die bessere SPD darzustellen wissen. Das funktioniert - werden die SPD-Analytiker folgern - so lange, wie sich die SPD in einer Koalition mit der Union befindet und deshalb Kompromisse schließen muß.

Aus der Sicht der SPD kann also eine Neuauflage der Großen Koalition nur eine Übergangslösung sein; eine Etappe auf dem Weg zur Volksfront. Sehr wahrscheinlich würde die SPD eine Große Koalition im Lauf der Legislaturperiode verlassen und die Führung einer Volksfront- Regierung übernehmen. Die Verfassung bietet dafür den einfachen Weg des Konstruktiven Mißtrauensvotums.

Die wirtschaftliche Dynamik, die Deutschland so dringend auf dem Weg aus der Krise braucht, wäre dann dahin.

Schon zusammen mit den Grünen hatte die SPD es zwischen 1998 und 2005 fertiggebracht, Deutschland jenen schon genannten Titel "der kranke Mann Europas" zu verdienen. Und das ohne den Hintergrund einer tiefen Wirtschaftskrise. Wie lange würde wohl in der jetzigen Krise eine linke Koalition dafür brauchen, in der auch noch die Kommunisten über die Wirtschafts- und Sozialpolitik mitbestimmen?

Gewiß, eine Volksfront- Regierung wird nicht gleich den Sozialismus ausrufen. Aber sie wird Maßnahmen ergreifen, die in der Summe darauf hinauslaufen, die Dynamik der Wirtschaft abzuwürgen. Deutschland wird dann einer der großen Verlierer der Krise sein.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: Der Reichstag. Vom Autor Norbert Aepli unter Creative Commons Attribution 2.5 - Lizenz freigegeben. Ausschnitt.

26. September 2009

Wahlen '09 (20): Der größte Verlierer ist der Wahlsieger. Der größte Gewinner ist der eigentliche Verlierer. Das könnte das paradoxe Ergebnis sein

Der zu Ende gehende Wahlkampf bestand aus drei Phasen.

In der ersten legte die SPD einen guten, professionellen Start hin, während die Union sich so benahm, als ginge sie das Ganze gar nichts an. Das war die Zeit, in der die erste Folge dieser Serie mit dem Titel erschien: "Kann Angela Merkel die Wahlen noch gewinnen? Es wird schwer werden". So war die Lage im April und im Mai.

Die zweite Phase reichte von ungefähr den Europawahlen Anfang Juni bis Mitte September. Das war die Zeit, in der dieser Wahlkampf seine ganze Langeweile entwickelte; siehe Yes, we gähn. Vier Gründe, warum dieser Wahlkampf solch ein öder Langweiler ist. Das war die Zeit, in der die Union und die FDP zusammen knapp, aber konsistent vorn lagen. Manche hielten damals die Wahl schon für gelaufen. In Wahrheit war alles in der Schwebe, weil ein richtiger Wahlkampf gar nicht stattfand. Es bestand ein, wie ich es damals genannt habe, indifferentes Gleichgewicht.

In der jetzt zu Ende gehenden "heißen" Phase - und so richtig erst in den vergangenen beiden Wochen - fand er statt, der Wahlkampf. Das lag daran, daß es der SPD nach mehreren vergeblichen Anläufen doch noch gelang, eine gewisse Selbstmotivierung hinzubekommen. Es lag auch daran, daß die FDP vor knapp einer Woche endlich Farbe bekannte und sich eindeutig einer Ampel verweigerte. Es lag drittens daran, daß das Thema Afghanistan in den Vordergrund rückte und damit sich die Kommunisten als "Friedenspartei" darstellen konnten.

Das brachte Schwung in den Wahlkampf dieser drei Parteien; einen Schwung, der sich morgen in einen Umschwung - einen last minute swing, einen Umschwung in letzter Minute - umsetzen könnte. Einen Umschwung hin zu diesen drei Parteien und weg von der Union, die es nicht verstanden hat, wenigstens in der Endphase des Wahlkampfs Themen zu setzen und ihre Wähler zu motivieren.

Am 1. September stand hier zu lesen:
Ob es aber auch in der jetzt beginnenden Endphase des Wahlkampfs noch richtig ist, auf eine Emotionalisierung der eigenen Anhänger zu verzichten, das darf füglich bezweifelt werden. Ob die Botschaft "Die Kanzlerin hat uns doch prima durch die Krise gebracht. Also weiter so!" ausreicht, um der heißen Phase des Wahlkampfs den Stempel der Union aufzudrücken, ist zumindest fraglich.
Heute ist es nicht mehr fraglich. Was ich damals befürchtet habe, ist eingetreten.



Der kleine, aber stabile Vorsprung für Schwarzgelb ist damit dahin. Eine gestern veröffentlichte letzte Umfrage von Forsa sieht die Union nur noch bei 33 und die SPD bei 25 Prozent. Ebenso bemerkenswert sind die 14 Prozent für die FDP und die 12 Prozent für die Kommunisten. Mit den 10 Prozent der Grünen liegen damit Schwarzgelb und die Volksfront gleichauf bei je 47 Prozent.

Eine Momentaufnahme, gewiß; und fehlerbehaftet wie jede Umfrage. Aber doch eine Illustration dessen, was sich in den vergangenen beiden Wochen entwickelt hat. Schwarzgelb kann es immer noch schaffen; vielleicht allerdings nur durch Überhangmandate. Aber die Gefahr, daß es nicht reicht, ist einen Tag vor der Wahl größer als irgendwann im letzten halben Jahr.

Und wenn es nicht reicht für eine Koalition aus der Union und der FDP, dann hätten wir sehr wahrscheinlich die im Titel genannte paradoxe Situation:

Die SPD hatte sich von Anfang an das Ziel gesetzt, in der einen oder anderen Koalition an der Regierung zu bleiben. Scheitert Schwarzgelb, dann hat sie dieses Ziel erreicht. Sie ist dann insofern der eigentliche Wahlsieger; denn weder Union noch FDP hätten dann ihr Wahlziel erreicht, und auch nicht die Grünen.

Zugleich wäre aber die SPD der Verlierer dieser Wahl. Denn mit großer Wahrscheinlichkeit wird sie ihr schlechtestes Ergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik noch unterbieten; dieses hatte sie mit 28,8 Prozent bei den Wahlen zum 2. Deutschen Bundestag am 6. September 1953 gehabt.

Genau umgekehrt würde es sich mit der FDP verhalten. Sie hat exzellente Aussichten, ihr bisher bestes Ergebnis (12,8 Prozent bei den Bundestagswahlen am 17. September 1961) noch zu übertreffen. Und dennoch wäre sie durch die Schwäche ihres Partners CDU/CSU zur Opposition verurteilt.

Sie wäre dann der große Gewinner und doch zugleich der große Verlierer. Die FDP ist seit 1998 in der Opposition; bis zum Ende der neuen Legislaturperiode werden es 15 Jahre geworden sein. Aus der Partei, die einmal auf das Regieren abonniert gewesen war - sei es zusammen mit Adenauer, Erhard und Kohl; sei es mit Brandt und Schmidt - , wäre dann eine Dauer- Oppositionspartei geworden.



Das ist, lieber Leser, die Lage, wie ich sie unmittelbar vor dieser historischen Wahl sehe. Welche Konsequenz daraus aus meiner Sicht folgt, habe ich vor einer Woche darzulegen versucht:

Wenn Sie nicht wollen, daß wir künftig - vielleicht nach der Übergangsperiode einer nochmaligen Großen Koalition - von der Volksfront regiert werden, dann sollten sie alle eventuellen Bedenken zurückstellen und Ihre Stimme der FDP geben; möglicherweise ihre Erststimme der Union.

Das wäre das, was die Franzosen voter utile nennen; nützlich wählen. Wenn Sie statt nützlich sich demonstrativ verhalten, indem Sie zu Hause bleiben, ungültig wählen oder ihre Stimme den Piraten oder einer anderen Splitterpartei geben - dann sollten Sie sich im Klaren darüber sein, daß Sie damit Mitverantwortung für einen möglichen erneuten Versuch tragen, in Deutschland den Sozialismus einzuführen.

Der Wahlkampf hätte eigentlich um diese zentrale Frage geführt werden müssen: Wollen wir das Weiterbestehen einer freien, demokratischen, rechtsstaatlichen Republik, oder soll Deutschland auf den Weg hinein in ein neues sozialistisches Experiment geschickt werden?

Guido Westerwelle hat diese Alternative in seiner Rede in Hannover klar beschrieben. Aber dieses Thema hat nicht den Wahlkampf der FDP geprägt; schon gar nicht denjenigen der Union. Das war der große Fehler beider Parteien. Hoffen wir, daß er sich morgen nicht rächen wird.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: Der Reichstag. Vom Autor Norbert Aepli unter Creative Commons Attribution 2.5 - Lizenz freigegeben. Ausschnitt.

22. September 2009

Zitat des Jahres: "... am 27. September um 18.01 Uhr"

Süddeutsche Zeitung: Wenn Westerwelle eine Ampel aus SPD, Grünen und FDP ausschließt...

Steinmeier: ...höre ich nicht auf, Wahlkampf zu machen. Ich weiß aus Erfahrung, dass auch die FDP frühestens am 27. September um 18.01 Uhr eine Bewertung des Wahlergebnisses vornehmen kann und wird.


Der Kanzlerkandidat der SPD im Interview mit Nico Fried und Wolfgang Krach von der "Süddeutschen Zeitung".


Kommentar: Vielleicht ist es ein wenig voreilig, schon Ende September das Zitat des Jahres zu küren. Ich glaube aber nicht, daß das, was Frank- Walter Steinmeier da ... tja, wie soll man sagen? ... hat fallen lassen, was er rausgelassen, was er preisgegeben hat -, daß das im letzten Quartal des Jahres noch übertroffen werden wird.

"Auch die FDP", sagt er. Auch sie werde erst am Wahlabend eine "Bewertung des Wahlergebnisses" vornehmen. Und zwar - das geht aus dem Kontext hervor - in Bezug darauf, ob sie eine bestimmte Koalition ausschließt.

Das verräterische "auch" besagt: So, wie beispielsweise auch die SPD. Die zwar versichert, sie werde im Bund nicht mit der Partei "Die Linke" zusammenarbeiten. Aber "auch" sie wird - so sagt es dem Kandidaten Steinmeier seine Erfahrung - die Situation nach Schließung der Wahllokale neu bewerten.

Interpretiere ich zu viel an unfreiwilliger Ehrlichkeit in Steinmeiers Aussage hinein?

Ich glaube nicht. Denn zum Thema einer Zusammenarbeit mit der Partei "Die Linke" sagt Steinmeier, der als Chef der deutschen Diplomatie seine Worte zu wägen weiß, in dem Interview diesen einen Satz: "Ich habe klar gesagt, was ich nicht will, nämlich eine Koalition mit der Linken".

Was er nicht will. Man tut vieles, was man nicht gewollt hat. Daß er für eine solche Koalition definitiv nicht als Kanzler zur Verfügung steht, hat Steinmeier nicht gesagt. Daß seine Partei sie eingehen könnte, hat er erst recht nicht ausgeschlossen.



Warum also Zitat nicht nur des Tages, sondern gleich des Jahres?

Weil es eine Rarität ist, daß ein Spitzenmann einer Partei es so deutlich macht - wenn auch unfreiwillig -, welche Distanz zwischen dem liegt, was seine Partei öffentlich verkündet, und den Entscheidungen, die zu treffen sie in Wahrheit willens ist.

Weil Steinmeiers Lapsus blitzartig den Zustand einer SPD beleuchtet, die sich noch antikommunistisch geriert, und die doch innerlich längst bei der Zusammenarbeit mit den Kommunisten angekommen ist.



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20. September 2009

Wahlen '09 (19): Ich rate, EfDePe zu wählen

Der Titel dieses Artikels ist ein Plagiat. "Ich rate, EsPeDe zu wählen" dichtete Günter Grass einst als Wahlkämpfer für Willy Brandt.

Wahlkampf habe ich in diesem Blog nicht gemacht, auch nicht für die FDP. Ich habe deren Wahlkampf allerdings mit kritischer Solidarität begleitet; vor allem, was die Möglichkeit - aus meiner Sicht: die Gefahr - einer Ampel- Koalition angeht. Am 18. Februar habe ich hier geschrieben:
Viel wird davon abhängen, ob die FDP sich entschließen kann, eine eindeutige Wahlaussage zu machen: Daß sie nur unter Führung der CDU in eine Regierung eintreten wird. Bevorzugt natürlich als deren einziger Partner. Falls das Ergebnis das nicht erlauben sollte, dann unter Einbeziehung der Grünen. Wenn die FDP sich so festlegt, dann hat sie am 27. September meine Stimme. Wenn sie in diesem Punkt wackelt, dann werde ich sie nicht wählen.
Die FDP hat für mein Verständnis viel zu lange mit ihrer Festlegung gewartet, nicht in ein Kabinett Steinmeier einzutreten. Heute endlich hat sie diese Entscheidung getroffen. Eindeutig.

Gewiß spielten bei der monatelangen Zögerlichkeit taktische Überlegungen eine ausschlaggebende Rolle: Man wollte es unter allen Umständen vermeiden, als "Anhängsel" der Union zu erscheinen.

Die FDP hat dafür auf einen entscheidenden Vorteil im Wahlkampf verzichtet; nämlich denjenigen, die SPD immer wieder zu fragen, mit wem ein Kanzler Steinmeier denn eigentlich regieren will, wenn nicht in einer Koalition mit den Grünen und den Kommunisten.

Eine auf Schwarzgelb festgelegte FDP hätte diesen Punkt glaubwürdig vertreten können; eine wackelnde konnte es nicht. Daß die SPD und die Grünen jetzt mit einem Anschein von Recht argumentieren können, eine so späte Festlegung sei nicht glaubhaft, ist die logische Folge der FDP- Taktik.



Die Wahrheit aber ist: Seit heute kann jeder, der die FDP wählt, sicher sein, damit seine Stimme nicht für einen Kanzler Steinmeier und für die Minister Trittin und Künast abzugeben. Einen Bruch des heutigen Versprechens kann sich die FDP nicht leisten.

Also wählen Sie, lieber Leser, am Sonntag mit Ihrer Zweitstimme die FDP?

Vielleicht sind Sie ja noch unentschlossen. Dann möchte ich, geradeheraus gesagt, mit diesem Artikel Ihre Überlegungen zugunsten der FDP zu beeinflussen versuchen.

Dazu stelle ich mir vor, welche Erwägungen Sie veranlassen könnten, sich gegen eine Stimmabgabe für die FDP zu entscheiden.

Daß jemand zwischen der FDP und einer extremistische Partei schwankt, halte ich für abwegig; jedenfalls für zu vernachlässigen. Von der NPD, der Partei "Die Linke", der DVU usw. wird also im Folgenden nicht die Rede sein.

Vorstellen kann ich mir aber, daß jemand zwischen der FDP und der SPD oder den Grünen schwankt; sehr gut vorstellen kann ich mir, daß er unschlüssig ist, ob er die FDP oder nicht lieber die Piraten oder die Union wählen soll. Und ebenfalls vorstellen kann ich mir die Erwägung, statt einer Stimmabgabe für die FDP lieber zu Hause zu bleiben oder ungültig zu wählen.



Sie erwägen das Nichtwählen oder eine ungültige Stimmabgabe? Es gibt nicht wenige politisch Interessierte, die sich für eine dieser beiden Optionen entscheiden, weil sie mit keiner der zur Wahl stehenden Parteien einverstanden sind; weil sie vielleicht überhaupt Zweifel an der Gedeihlichkeit des Zustands unserer Demokratie haben.

Ihnen möchte ich zu bedenken geben, daß ein solcher demonstrativer Akt schlicht nicht funktioniert.

Ungültige Stimmen werden als solche gezählt und dann kaum noch erwähnt. Niemand weiß ja, warum eine Stimme ungültig ist. Vielleicht hat ein Wähler aus Unwissenheit sein Kreuz bei zwei Parteien gemacht; vielleicht hat er "Heil Hitler" auf den Wahlzettel geschrieben.

Ungültigen Stimmen sieht man es nicht an, ob sie möglicherweise ernsthaften und respektablen Überlegungen entstammen. Sie fallen einfach unter den Tisch; oder vielmehr: Sie landen beim Zählen alle auf demselben Häufchen. Niemand interessiert sich für das, was auf ihnen steht.

Ebenso wirkungslos ist das demonstrative Nichtwählen. Denn auch da weiß man ja nicht, ob jemand wegen des schönen oder schlechten Wetters nicht zur Wahl ging; ob ihm die Politik schnuppe ist oder ob er mit der Wahlenthaltung irgend etwas ausdrücken wollte.

Immerhin erspart sich der Nichtwähler den nutzlosen Gang zur Wahlurne, den der demonstrativ ungültig Wählende auf sich nimmt; für nichts und wieder nichts.

Mein Rat ist also: Wenn Sie sich schon nicht zur Stimmabgabe für die FDP durchringen können, dann bleiben Sie zu Hause, statt sich der sinnlosen Mühe des Ungültig- Wählens zu unterziehen.

Sie sollten sich aber durchringen; denn die Taube in der Hand ist immer noch besser als der Fasan auf dem Dach.


Sie erwägen, die SPD oder die Grünen zu wählen? Sie wählen damit nicht die Ampel, sondern Sie wählen die Volksfront.

Die FDP hat heute eindeutig und per bindendem Parteitagsbeschluß die Ampel ausgeschlossen. Sprecher der Grünen und der SPD bezweifeln, daß das wirklich gilt. Besser können SPD und Grüne nicht dokumentieren, was von ihren eigenen Aussagen zu halten ist, sie würden nicht mit der Partei "Die Linke" zusammenarbeiten.

Sie trauen der FDP das zu, was zu tun sie selbst in ihrer großen Mehrheit längst bereit sind. Wenn Schwarzgelb scheitert, dann wird es die Volksfront geben. Vielleicht nicht sofort; aber es wird sie geben. Es wird sie geben, weil sie in einer zwingenden politischen Logik liegt, die der kluge Linke Erhard Eppler bereits vor zweieinhalb Jahren formuliert hat; siehe Marginalie: Erhard Eppler und die Volksfront; ZR vom 19. Januar 2007.


Sie erwägen, die Union zu wählen? Wenn Sie zwischen der FDP und der Union schwanken, dann stehen Sie vermutlich nicht den Linken und den Ökologen in dieser Partei nahe, sondern den Liberalkonservativen. Diese können Sie aber nicht besser stärken, als durch eine Stimmabgabe für die FDP.

In der Großen Koalition ist die Union nach links gerückt, so wie in der seinerzeitigen sozialliberalen Koalition die FDP nach links gerückt war. Koalitionen stärken in der Regel denjenigen Flügel einer Partei, der dem Koalitionspartner nahesteht. Wenn Ihre Partei die Union von Ludwig Erhard ist und nicht diejenige des Ministerpräsidenten Rüttgers, dann sollten Sie diesmal die FDP wählen.


Sie erwägen, die Piraten zu wählen? Tun Sie's nicht! Tun Sie's bittebitte nicht! Bei dieser Wahl steht zu viel auf dem Spiel, als daß ein rationaler, liberaler Wähler es sich leisten könnte, seine Stimme zu verschenken. Tun Sie's, wenn es denn sein muß, bei der nächsten Wahl, bei der wenig auf dem Spiel steht. Tun Sie's als Brandenburger von mir aus bei der Landtagswahl; Platzeck wird eh weiterregieren.

Aber jetzt wo die Entscheidung zwischen einer liberalkonservativen Regierung und der Volksfront fallen wird, muß ein Liberaler schon mit dem Klammerbeutel gepudert sein, wenn er der FDP seine Stimme verweigert.



Jeder Liberale sollte sich allerdings sehr genau überlegen, was er mit seiner Erststimme macht.

Hier kann die Entscheidung logischerweise nur unter Berücksichtigung der Verhältnisse in den einzelnen Wahlkreisen getroffen werden. Überall dort, wo ein Direktmandat für den Kandidaten der Union möglich, aber nicht sicher ist, sollten rational handelnde Liberale ihm ihre Erststimme geben.

Denn Überhangmandate der Union könnten am Ende darüber entscheiden, ob Guido Westerwelle Außenminister wird oder Jürgen Trittin. Und - wer weiß - Gregor Gysi Justizminister.

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17. September 2009

Wahlen '09 (18): Die Volksfront schon jetzt? Oder besser bis 2013 warten? Die Interessenlage der drei Partner

Angenommen, Schwarzgelb verfehlt die Mehrheit: Soll die Linke dann schon jetzt die Volksfront riskieren, oder wartet man besser bis 2013? Die strategische Lage in den drei Parteien ist verschieden.

Die Grünen haben kein Problem mit der Volksfront. Sie haben sich mit der Wahl von Trittin und Künast zu ihren beiden Spitzenkandidaten unzweideutig für diese Option entschieden. Nur die Volksfront kann die Grünen zurück an die Macht bringen; denn ein Bündnis mit der Union und den Liberalen würde diese Partei zerreißen.

Schwieriger ist die Situation für die SPD. Sie windet sich bei dieser Frage; ihre Position ist so unglaubhaft, wie es die einer Partei überhaupt nur sein kann.

In den Ländern - aktuell in Thüringen und im Saarland - möchte man die Zusammenarbeit mit den Kommunisten. Nicht nur die betreffenden Landespolitiker wollen sie, sondern ausdrücklich auch der Vorsitzende Müntefering will sie. Für den Bund schließt die SPD die Volksfront ebenfalls nicht aus, allerdings erst für 2013.

Man hat also keine grundsätzliche Scheu, als Demokraten den Kommunisten in die Regierung zu verhelfen. Wenn es in den Ländern ist. Wenn es 2013 ist.

Warum dann aber nicht 2009 im Bund? Natürlich deshalb, weil die Transformation der SPD von einer sozialdemokratischen Volkspartei zu der im Hamburger Programm beschlossenen Partei des Demokratischen Sozialismus noch nicht weit genug fortgeschritten ist.

Damit die Volksfront steht, müssen Leute wie der aufrechte Peer Steinbrück erst noch kaltgestellt werden. Kanzler der Volksfront können Wowereit, Nahles oder - wer weiß - Sigmar Gabriel erst dann werden, wenn die Entclementisierung der SPD zum Abschluß gekommen ist.

Das kann man den Wählern selbstredend nicht sagen. Man sagt, die Partei "Die Linke" sei nicht zuverlässig; es gebe unüberbrückbare Gegensätze, vor allem in der Außenpolitik. Vor allem, was Afghanistan angehe.

Damit begibt man sich freilich in die Hand der Kommunisten. Denn was, wenn diese einfach in Sachen Afghanistan ihre bisherige Position räumen?



Kommunisten nämlich interessiert nicht im Geringsten, ob sie ihr Programm durchsetzen können. Sie interessiert allein die Änderung des, wie sie es nennen, "Kräfteverhältnisses".

Nie haben Kommunisten eine Regierungsbeteiligung ausgeschlagen, die ihnen angeboten wurde. Nie haben sie eine Regierung verlassen, weil deren Kurs nicht mit ihrem Programm in Einklang zu bringen gewesen wäre.

1981 begannen die französischen Kommunisten zusammen mit den Sozialisten das bisher letzte sozialistische Experiment in Westeuropa. 1983 scheiterte es; Mitterand entschied, daß es beim Kapitalismus bleiben werde. Die Kommunisten verharrten in der Regierung - in einer Regierung, die mit ihrer Politik der austérité, also des schlanken Staats, das Gegenteil von dem machte, was die Kommunisten gewollt hatten. Erst als Mitterand sie wieder und wieder demütigte und als sie keine Hoffnung auf Einfluß mehr haben konnten, zogen sie später ihre Minister zurück.

Also wird auch jetzt in Deutschland Afghanistan kein Hindernis für die Volksfront sein. Jedenfalls nicht, was die Kommunisten angeht. In "Spiegel- Online" haben Veit Medick und Sebastian Winter diese neueste Wende der Kommunisten dokumentiert.



Die Grünen wollen es. Die Kommunisten wollen es um den Preis der Selbstverleugnung. Die Sozialdemokraten wollen es eigentlich auch. Nur noch nicht jetzt. Nur noch nicht im Bund.

Wie entwickelt sich eine solche Situation? Man gibt den Zögerlichen etwas Zeit. Man baut ihnen die eine oder andere Goldene Brücke. Und über die marschieren sie dann. Vielleicht nicht gleich; aber doch bald.



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10. September 2009

Wahlen '09 (16): Bei Forsa liegen die Kommunisten gleichauf mit der FDP bei 14 Prozent. Jetzt wackelt das Gleichgewicht. Kann die CDU noch reagieren?

In der letzten Phase eines Wahlkampfs geht es - das gehört zum politischen ABC - vorrangig um Mobilisierung. Die Argumente sind längst ausgetauscht, die meisten Wähler haben sich eine Meinung gebildet.

Genauer gesagt: Mehr oder weniger haben sie sich eine Meinung gebildet, die Wähler. Bei manchen ist ihre Entscheidung vorläufig; sie ist leicht umzustoßen. Diese Wähler sind anfällig für das allgemeine Klima, für die Stimmung in den letzten Wochen, den letzten Tagen vor der Wahl.

Weiterhin: Viele von denen, die sich eine relativ gefestigte Meinung gebildet haben, gehen vielleicht wählen, vielleicht auch nicht. So wichtig ist ihnen das Wählen nun auch wieder nicht, daß sie sich auf jeden Fall zum Wahllokal aufmachen.

Die Strategen in den Wahlkampf- Zentralen haben also zwei Aufgaben: Sie müssen erstens ihre Anhänger möglichst vollständig an die Urnen bringen. Sie müssen zweitens ein Diskussionklima erzeugen, in dem die Schwankenden, die leicht Beeinflußbaren sich auf ihre Seite schlagen.

Dazu braucht man in der Endphase ein Thema, das emotionalisiert; eines oder - noch besser - mehrere (siehe Wind ins Gesicht, Rückenwind. Die windigen Tricks der SPD könnten erfolgreich sein).

Solche Themen kann man sich nicht backen. Aber wenn sich eines anbietet, dann muß man es packen, es festhalten, es ausquetschen wie eine Zitrone.

Das tun die Kommunisten mit dem Thema "Afghanistan". Und es funktioniert. Es funktioniert beängstigend gut.



Gestern sind drei Umfragen publiziert worden; von Allensbach, Emnid und Forsa. Obwohl sie alle das Publikationsdatum 9. September haben, sind sie nicht im selben Zeitraum durchgeführt worden. Bei Wahlrecht.de findet man die in diesem Fall wichtigen Erhebungszeiträume angegeben.

Diese sind deshalb entscheidend, weil am vergangenen Freitag, dem 4. September, die Diskussion um den Afghanistan- Einsatz der Bundeswehr begann. (In der Nacht zum Freitag hatte die Bombardierung der Tank- Lastzüge stattgefunden).

Das ist ein ideales Mobilisierungsthema für die Kommunisten; denn einerseits sind sie die einzige größere Partei, die für einen umgehenden Abzug aus Afghanistan eintritt, andererseits teilt diese Meinung eine große Mehrheit der Bevölkerung. Ein Potential also, das nur darauf wartete, ausgeschöpft zu werden. Der Vorfall bei Kundus bot und bietet dazu eine exzellente Gelegenheit.

Allensbach sammelte die Daten für die gestern publizierte Erhebung vom 26.08. bis zum 02.09. Da konnten die Ereignisse in und um Afghanistan also keine Rolle spielen. Forsa befragte hingegen vom 1.09. bis zum 07.09; drei Tage also vor und vier Tage nach dem Vorfall von Kundus.

In der Allensbach- Umfrage lagen die Kommunisten bei 11,5 Prozent; am oberen Rand des Bereichs, in dem sie sich seit Monaten bewegen. Bei Forsa schnellte ihr Wert auf 14 Prozent hoch. Damit lagen sie gleichauf mit der FDP; etwas, das es in diesem Jahr noch nicht gegeben hatte. Die Umfrage von Emnid umfaßte vier Tage vor und vier Tage nach der Nacht zum 4. September. Hier erreichten die Kommunisten 12 und die FDP nur noch 13 Prozent.



Es ist also das eingetreten, was ich am vergangenen Samstag so beschrieben hatte:
Schwarzgelb hat einen hauchdünnen Vorsprung. Er ist so gering, daß er durch den kleinsten Stoß kippen kann - irgend ein emotionalisierendes Thema, das jetzt noch aufkommt; ein beliebiges Ereignis, das die Stimmung verändert. In der Physik nennt man das ein indifferentes Gleichgewicht. Solange keine Kraft einwirkt, bleibt das System stabil. Aber schon eine geringe Kraft genügt, um diese Stabilität zunichte zu machen.
Der Stoß ist erfolgt; das Gleichgewicht ist in akuter Gefahr.

Die Union und die FDP haben insofern noch Glück, als das emotionalisierende Thema nur den Kommunisten nützt, aber nicht der SPD und den Grünen, die nolens volens zu ihrer Afghanistan- Politik stehen müssen. Zumal Steinmeier muß das, der als Außenminister für diese Politik schließlich federführend ist.

Aber es ist zu vermuten, daß der erstaunliche Zuwachs der Kommunisten sich nicht ausschließlich aus dem rotgrünen Lager speist. Auch unter Bürgerlichen gibt es Menschen, denen - jedenfalls im jetzigen Zustand der Emotionalisierung - der Frieden so wichtig ist, daß sie eine vermeintliche Friedenspartei selbst dann wählen, wenn sie nicht allzu viel vom sonstigen Programm der Kommunisten halten.

Noch hat Schwarzgelb einen knappen Vorsprung vor der Volksfront; auch wenn in allen drei Umfragen die 50- Prozent- Marke unterschritten wird. Aber eine anhaltende Emotionalisierung durch das Afghanistan- Thema, vielleicht dazu noch ein Hochspielen des Themas "Atomkraft", wie das der Minister Gabriel gerade versucht, - und die Volksfront könnte an Schwarzgelb vorbeiziehen.

Es sei denn, die Union und die FDP finden ihrerseits ein Thema, das Wähler mobilisiert. Bisher ist davon nichts zu sehen.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: Der Reichstag. Vom Autor Norbert Aepli unter Creative Commons Attribution 2.5 - Lizenz freigegeben. Ausschnitt.

8. September 2009

Zitat des Tages: "Dieses Problem sollten wir lösen". Angela Marquardt (früher PDS, jetzt SPD) über die Zusammenarbeit der SPD mit "Die Linke"

Tagesspiegel: Gregor Gysi, der Fraktionschef der Linken, malt sich bereits ein Szenario für den 27. September aus: Die SPD bekommt eins auf die Mütze, die große Koalition wird fortgesetzt. Dann könnte es 2011, zur Mitte der Legislaturperiode, zur Rebellion in der SPD kommen, meint Gysi. Wie sieht Ihr Fahrplan aus?

Marquardt: Ich bin ja noch nicht lange in der SPD, doch bei meinen gemeinsamen Reisen mit Andrea Nahles und eigenen Veranstaltungen bekomme ich viel mit. Eine Rebellion im Sinne von "So kann es nicht weitergehen" gibt es doch in der SPD schon länger. Meine Partei ist in der Sackgasse, und die Zukunftsfähigkeit entscheidet sich an unserer inhaltlichen Ausrichtung. Dieses Problem sollten wir lösen, und darüber wird auch gesprochen.


Angela Marquardt in einem Interview, das im heutigen "Tagesspiegel" zu lesen ist.


Kommentar: Sie erinnern sich an Angela Marquardt? Sie wurde zu ihren PDS-Zeiten gern als "PDS-Punkerin" bezeichnet und geriet 2002 wegen Stasi- Vorwürfen, die sich allerdings auf ihre Zeit als Schülerin bezogen, ins Blickfeld der Öffentlichkeit.

Zeitweilig war sie im Parteivorstand der PDS und saß für diese im Bundestag. In "Spiegel- Online" beschrieb Holger Kulick sie als politisches "Ziehkind" von Gregor Gysi und Lothar Bisky. Nach Ende ihrer Abgeordnetenzeit stellte sie 2002 laut "Wikipedia" ihre Beitragszahlungen bei der PDS ein und wurde daraufhin 2003 aus der Partei ausgeschlossen.

Die somit parteilos Gewordene wurde 2006 von Andrea Nahles als Mitarbeiterin in deren Abgeordneten- Büro geholt. Immer noch parteilos, avancierte Marquardt 2007 zur Geschäftsführerin des Arbeitskreises "Denkfabrik" der SPD, eines - so die "Wikipedia" - "Zusammenschlusses von überwiegend jüngeren linken SPD- Abgeordneten". Erst im März 2008 trat sie dann auch in die SPD ein.

Angela Marquardt ist also sozusagen das fleischgewordene Bindeglied zwischen der PDS, die heute "Die Linke" heißt, und dem linken Flügel der SPD.

Ihre Antwort auf die Frage des "Tagesspiegel" ist scheinbar ausweichend, aber doch höchst aufschlußreich. Sie sieht die SPD in einer "Sackgasse", die - so darf man das wohl verstehen - darin besteht, daß sie bisher auf Bundesebene die Volksfront und damit eine konsequent linke Politik verweigert. Die "Lösung des Problems" besteht für Marquardt offensichtlich in einer Zusammenarbeit mit ihrer alten Partei.

Sie dürfte damit das zum Ausdruck bringen, was ihre Chefin Andrea Nahles denkt; gegenwärtig stellvertretende Vorsitzende der SPD und aussichtsreichste Kandidatin für den Vorsitz, sobald Franz Müntefering abtritt.



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30. August 2009

Wahlen '09 (13): Das gespaltene grüne Zünglein. Erste Analyse der Hochrechnungen zu den Landtagswahlen

Die Hochrecnungen von ARD und ZDF liegen eine knappe dreiviertel Stunde nach Schließung der Wahllokale bereits sehr nah beieinander. Eine erste Analyse:

Für die SPD besteht, was ihre eigenen Ergebnisse angeht, wahrlich kein Grund zum Jubeln. In Sachsen wird die einstige Volkspartei mit 10 Prozent wahrscheinlich sogar knapp hinter der FDP liegen. Im Saarland hat sie gerade noch ein Viertel der Stimmen. Nur in Thüringen hat sie sich verbessert; freilich nur, weil sie vor vier Jahren mit 14,5 Prozent ein Desaster erlebt hatte. Jetzt dürfte sie ihr zweitschlechtestes Ergebnis seit der Wiedervereinigung (18,5 Prozent 1999) ungefähr wieder erreichen.

Die Verluste der CDU wurden teilweise, aber nicht hinreichend, von der FDP aufgefangen; auch wenn die FDP ausgezeichnet abgeschnitten hat. Nur in Sachsen wird Schwarzgelb regieren; nur dort sind die Gewinne der FDP größer als die (minimalen) Verluste der Union.

Die großen Gewinner sind die Kommunisten und die Grünen. Die Kommunisten haben im Saarland sensationell gut abgeschnitten (um zwanzig Prozent) und liegen damit nur noch ungefähr vier Prozentpunkte hinter den Sozialdemokraten.

Die Grünen haben zwar eigentlich keine guten Ergebnisse erreicht (in allen drei Ländern um sechs Prozent), aber sie sind das, wie man so sagt, Zünglein an der Waage. Was freilich eine schiefe Metapher ist, denn das Zünglein zeigt ja Gewichte nur an; die Grünen aber werden über Gewichte entscheiden.

So, wie es im Augenblick aussieht, haben Sozialdemokraten und Kommunisten weder im Saarland noch in Thüringen eine Mehrheit (in Thüringen könnten sie diese im Lauf des Abends noch erreichen). In beiden Ländern könnten sie aber mit den Grünen eine Volksfront bilden. Andererseits könnten die Grünen zumindest im Saarland auch in eine Jamaika-Koalition gehen.



Das wird spannend. Denn die Grünen bestehen im Grunde aus zwei Parteien: Einer linken Partei, die vom alternativen Milieu gewählt wird, und einer bürgerlichen Partei mit Öko-Touch. Stark sind die Grünen infolgedessen zum einen in studentischen Wohngegenden, andererseits aber auch in Villenvierteln. Das Zünglein ist gespalten.

Wenn die Grünen jetzt in zwei Ländern zu entscheiden haben sollten, ob sie in eine bürgerliche Regierung oder eine Volksfront eintreten, dann ist das zugleich ein innerparteilicher Kampf zwischen diesen beiden Komponenten der Grünen.

Ob es allerdings in Thüringen dazu kommt, ist fraglich. Die SPD könnte eine Große Koalition ersprießlicher finden als eine Volksfront, in der sie auch dann nur die zweite Geige spielen würde, wenn ihr die Kommunisten das Amt des Ministerpräsidenten zugestehen sollten. Und für die Grünen hat Claudia Roth bereits erklärt, daß sie nicht in eine Regierung Ramelow eintreten würden.

Das hat freilich auch schon die SPD vor den Wahlen erklärt. Die Frage wird sein, welche wie großen Frösche die Kommunisten zu verzehren bereit sein werden, um doch noch einen Fuß in die Tür zur Regierungsmacht zu bekommen. Großzügige Angebote werden sie der SPD und den Grünen sicherlich machen. Vielleicht ein Angebot, das diese nicht ablehnen können.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: Der Reichstag. Vom Autor Norbert Aepli unter Creative Commons Attribution 2.5 - Lizenz freigegeben. Ausschnitt. Mit Dank an R.A.

28. August 2009

Wahlen '09 (12): Fällt am Sonntag endlich das Tor, das dem Ballgeschiebe ein Ende macht?

Bisher gleicht der Wahlkampf einem jener Fußballspiele, in denen eine Mannschaft, nachdem sie das 1:0 geschossen hat, nur noch auf Halten spielt. Auch der Gegner greift nur verhalten an, denn sein Ziel ist es, irgendwann mit einem Gegentor ein Unentschieden zu erreichen. Mehr als einen Punkt braucht er nicht; und ein 2:0 würde dieses Ziel in weite Ferne rücken.

Die einen beschränken sich also ganz aufs Verteidigen; die anderen sind ebenfalls defensiv, hoffen allerdings, aus ihrer Defensive heraus irgendwann einen erfolgreichen Angriff zu starten. Ein Ballgeschiebe also auf beiden Seiten. Langweiliger geht es nicht.

Ein solches Spiel erwacht oft schlagartig zum Leben, wenn ein Tor fällt. Ist es das 2:0, dann bleibt der zurückliegenden Mannschaft nichts anderes übrig, als jetzt doch volle Pulle anzugreifen. Fällt andererseits das 1:1, dann muß die bis dahin führende Mannschaft, die ihre drei Punkte braucht, auf Offensive umschalten.

Schwarzgelb liegt seit Juni in den Umfragen stabil bei 50 Prozent oder knapp darüber; genug für eine Mehrheit der Mandate. Wenn es so bleibt, hat man gewonnen. Also spielt man auf Halten.

Den Sozialdemokraten würde ein Unentschieden reichen. Es bestünde darin, daß erst einmal Schwarzgelb vermieden wird. Die SPD hätte dann alle Optionen, in der einen oder anderen Koalition weiter auf der Regierungsbank zu sitzen. Die Union bleibt ein möglicher Partner; also spielt man nicht voll auf Angriff gegen sie.

Wird sich an dieser Situation Sonntag Abend etwas ändern; was könnte sich ändern? Betrachten wir zunächst die Lage in den drei Ländern, in denen der Landtag gewählt wird (die Kommunalwahlen in NRW spielen vermutlich kaum eine Rolle).



Umfragen, die erst in dieser Woche abgeschlossen wurden, sind bisher für keines der drei Länder publiziert. An Umfragen, die in der vergangenen Woche (also der Woche ab 17.8.) abgeschlossen wurden, liegen für das Saarland zwei vor (Infratest Dimap und FG Wahlen); für Thüringen drei (FG Wahlen, Infratest Dimap und TU Ilmenau) und für Sachsen ebenfalls drei (FG Wahlen, Infratest Dimap und IfM Leipzig).

Die Daten der Institute liegen durchweg nah beieinander. Das muß freilich nicht heißen, daß sie dem Ergebnis am Sonntag nahekommen. Innerhalb von fast zwei Wochen könnte es noch bedeutsame Veränderungen gegeben haben. Bedeutsam vor allem deshalb, weil in zweien der drei Länder die Lage, so wie die Umfragen sie widerpiegeln, denkbar knapp ist:
  • Im Saarland liegt die Volksfront (SPD, Grüne, Kommunisten) knapp vor Schwarzgelb (48 zu 45 Prozent; FG Wahlen) oder gleichauf (beide 47 Prozent; Infratest Dimap). Die SPD hat einen deutlichen Vorsprung vor den Kommunisten (26 zu 16 bzw. 26 zu 15), so daß einer Volksfront- Regierung nichts im Wege stünde. Lafontaine wird nicht Ministerpräsident werden.

  • In Thüringen sieht die TU Ilmenau die beiden Lager nahezu gleichauf (Schwarzgelb 49 Prozent; Volksfront 48 Prozent). Bei der FG Wahlen und Infratest Dimap liegt die Volksfront vorn (48 zu 45 bzw. 49 zu 42 Prozent). Aber das muß keineswegs deren Sieg bedeuten; erstens wegen möglicher Verschiebungen bis zum Wahltag und dann vor allem auch deshalb, weil es nicht sicher ist, ob die Grünen überhaupt in den Landtag kommen (die FG Wahlen sieht sie bei 5 Prozent), und ob sie zum Einstieg in eine Volksfront bereit wären.

  • Die Lage in Sachsen erscheint auf den ersten Blick eindeutig: Alle drei Institute sehen Schwarzgelb (mit 51, 53 oder 49,5 Prozent) weit vor der Volksfront (zwischen 40 und 42 Prozent). Aber hier ist die NPD ein unbestimmter Faktor. Sie liegt zwischen 4,5 und 6 Prozent. Schafft sie es in den Landtag und verliert Schwarzgelb gegenüber den Umfragen ein paar Prozent, dann hätte zwar die Volksfront immer noch keine Chance, aber für Schwarzgelb könnte es dann vielleicht auch nicht ganz reichen. Erheblich wahrscheinlicher ist aber im Augenblick ein Sieg von Union und FDP.
  • Die Lage ist damit kaum anders, als sie schon vor sechs Wochen gewesen war; siehe Wahlen '09: Es ist alles offen; ZR vom 14.7. 2009. Damals hatte ich darauf hingewiesen, daß diese Landtagswahlen die Bedingungen für die Bundestagswahl massiv ändern könnten; daß möglicherweise die Karten am 30. August neu gemischt werden. Das gilt immer noch.



    Es gibt einen, und nur einen einzigen Wahlausgang, bei dem auch nach diesem Mischen die Spieler dasselbe Blatt haben wie zuvor: Wenn Schwarzgelb nicht nur in Sachsen, sondern auch in Thüringen und im Saarland eine Regierungsmehrheit erreichen sollte.

    Dann steht die SPD vor derselben Situation wie nach den verlorenen Europawahlen: Eine weitere Hoffnung, daß die Stimmung durch ein für sie gutes Wahlergebnis gedreht wird, wäre dahin. Dahin wäre die letzte kalkulierbare Hoffnung. Eine Wende könnte die SPD dann nur noch von einem unerwarteten Ereignis erwarten. Aber nicht immer schickt der Herr eine Elbeflut.

    Falls aber in Thüringen und/oder im Saarland die Union abgewählt werden sollte, dann wird das Spiel spannend. Wer dann freilich das spielentscheidende Tor schießt, ist durchaus offen.

    Die SPD hätte dann einerseits bewiesen, daß sie noch siegen kann. Noch dazu wären die möglichen Sieger zwei (relativ) junge Hoffnungsträger der Partei, Heiko Maas (42) und/oder Christoph Matschie (48). Sie würden gefeiert, sie hätten Medienpräsenz.

    Da könnte schon der berühmte Ruck durch die SPD gehen; zumal die Union aller Wahrscheinlichkeit nach gegenüber den letzten Landtagswahlen deutlich verlieren wird. Die gegenwärtigen ungefähr 23 Prozent schöpfen das Wählerpotential der SPD bei weitem nicht aus. Mit einem der beiden jungen Helden - oder gar beiden - auf hocherhobenem Schild könnte Steinmeiers bisher so müde Truppe den zweiten Atem gewinnen.

    Einerseits. Das für die SPD Dumme ist nur der Preis, den sie dafür zahlen müßte: Unversehens stünde die Frage nach einer Koalition mit den Kommunisten wieder im Mittelpunkt der Diskussion. Auf den Schild zu heben sind die beiden Helden ja nur, wenn die Kommunisten als Schildknappen kräftig mit stemmen.

    Die SPD hat diese Diskussion bisher unter dem Deckel zu halten versucht. Sie wird wieder aufbrechen, wenn Heiko Maas und/oder Christopher Matschie mit Stimmen der Kommunisten Ministerpräsident werden können.

    Seit Andrea Ypsilantis "Garantie", nicht mit den Kommunisten zusammenzuarbeiten, ist die SPD in diesem Punkt ihre Glaubwürdigkeit los.

    Zwar hat sie einen Damm zu errichten versucht, indem sie ganz ans Ende ihres Regierungsprogamms (auf die letzte von 95 Seiten) dies geschrieben hat:
    Ein Bündnis mit der Partei "Die Linke" schließen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten auf Bundesebene für die gesamte nächste Legislaturperiode aus. Wir werden auch keine Minderheitsregierung bilden, die von der Linkspartei geduldet wird. Unser Land braucht in der schwierigen Zeit, die vor uns liegt, Stabilität und Erfahrung. Beides kann die Linkspartei nicht gewährleisten.

    Wir sind für die kommenden Jahre gut gerüstet. Mit frischen Ideen und Mut zum Handeln.
    Nur - ist der vorletzte Absatz dieses Programms verbindlicher als der Satz, der den letzten ausmacht? Und wieso soll eine Partei, die vierzig Jahr ununterbrochen regiert hat, eigentlich keine "Erfahrung" im Regieren haben? Und wieso ist mit den Kommunisten, die im Land Berlin ein zuverlässiger Partner der SPD sind, eigentlich keine "Stabilität" zu erreichen?

    Jeder weiß, daß ein Regierungsprogramm nicht in allen Punkten umsetzbar ist. Was ein außerordentlicher Parteitag der SPD am 14. Juni als Regierungsprogramm beschlossen hat, das könnte ein neuer außerordentlicher Parteitag nach dem 27. September auch wieder ändern.

    Andrea Ypsilanti hat seinerzeit gesagt, sie hätte zwar einerseits versprochen, nicht mit "Die Linke" zusammenzuarbeiten, andererseits hätte sie aber auch versprochen, die Studiengebühren abzuschaffen usw. Nur eines der beiden Versprechen könne sie nun leider halten, und sie hätte das letztere gewählt. Ähnlich könnte die SPD nach den Wahlen argumentieren.

    Also, die Freude am Sieg in einem der beiden Bundesländer, oder in beiden, würde der SPD durch diese dann beginnende Diskussion vermiest werden. Was am Ende schwerer wiegt, ist kaum vorherzusagen.

    Vieles wird davon abhängen, wie entschlossen die Union und die FDP sich auf dieses Thema einschießen und wieweit die Medien das transportieren. Andererseits dürfte auch das Verhalten der Kommunisten eine entscheidende Rolle spielen.

    Sie könnten in dieser Diskussion ihre von der SPD abweichenden Standpunkte - etwa zu Afghanistan - in den Vordergrund spielen und es damit der SPD leicht machen, ein Bündnis mit ihnen als unmöglich darzustellen. Sie könnten aber auch deutlich machen, daß sie als der vermutlich kleinste von drei Koalitionspartnern natürlich nicht versuchen würden, alle ihre Positionen durchzusetzen.

    Sollte Schwarzgelb im Saarland und/oder in Thüringen verlieren, dann wären die Kommunisten in jedem Fall der große Gewinner. Sie hätten dann im Westen einen Durchbruch geschafft und/oder sie hätten gezeigt, daß sie auch im bisher schwarzen Süden der ehemaligen DDR regierungsfähig sind.



    Noch eine Bemerkung zur Terminologie: Ich weiche vom üblichen Sprachgebrauch ab, wenn ich die Partei, die im Augenblick "Die Linke" heißt, als die Kommunisten bezeichne und wenn ich von der Volksfront dort spreche, wo es meist Rot- Rot- Grün heißt, oder Dunkelrot- Rosa- Grün oder dergleichen.

    Daß "Die Linke" eine kommunistische Partei ist, geht nicht nur daraus hervor, daß sie von ihrer ersten Umbenennung in SED/PDS an bis heute niemals erklärt hat, keine kommunistische Partei mehr zu sein. Ein noch eindeutigerer Beleg ist es, daß der Vorsitzende von "Die Linke", Lothar Bisky, in Personalunion der Vorsitzende von fast allen europäischen Kommunisten ist; siehe Lothar Bisky, Vorsitzender von zwei Parteien; ZR vom 1.9.2008.

    Was die "Volksfront" angeht - das ist nun einmal die historisch korrekte Bezeichnung für ein Bündnis zwischen Sozialdemokraten, Kommunisten und weiteren linken Parteien.

    Die bekannteste Volksfront war der 1935 in Frankreich geschlossene Front Populaire, der es ein Jahr später an die Regierung schaffte; ebenfalls 1936 wurde in Spanien eine Volksfront gebildet. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg gab es Volksfront- Regierungen; zum Beispiel in Chile unter Allende und in Frankreich, wo die Sozialisten, die linksbürgerlichen Radikalen und die Kommunisten 1972 ein gemeinsames Regierungsprogramm beschlossen, das ab 1981 realisiert wurde. Es scheiterte freilich innerhalb von zwei Jahren; so wie alle Volksfront- Experimente bisher gescheitert sind.



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    26. August 2009

    Zitat des Tages: "Paradies der Arbeiter mit volkseigenen Sonnenblümchen drauf". Hubert Maessen zu den Aussichten für Volksfront- Regierungen

    Also Rot-Rot kommt, wenn’s geht. Das ist sicher, das muss der Wähler an den Wahlsonntagen jetzt wissen und bedenken. Zwar ist Rot-Rot nicht die SED, und die Bundesrepublik ist nicht die DDR, aber wären wir wirklich davor sicher, dass die das nicht Hand in Hand wieder schaffen mit einem Paradies der Arbeiter, Bauern und Opelarbeiter, mit Hartz-4-Armut für alle, bei Bedarf hübsch grün gestrichen und mit volkseigenen Sonnenblümchen drauf?

    Hubert Maessen heute unter der Überschrift "Rot-Rot hat Grünes Licht" in der Sendung "Zur Sache" des WDR 4.

    Kommentar: Hubert Maessen befaßt sich in diesem Beitrag mit Steinmeiers Ankündigung, die SPD werde nach den Wahlen am kommenden Sonntag gegebenenfalls auch mit der Partei "Die Linke" zusammenarbeiten. Steinmeier gegenüber der "Rheinischen Post" vom 24. August: "Die SPD muss den Anspruch haben, Regierungen zu führen".

    Maessen meint, die SPD werde auch im Bund mit der "Linken" zusammenarbeiten, falls das Wahlergebnis das ermöglichen sollte:
    Wenn der Wähler am Sonntag so wählt, dann werden Rosarot und Dunkelrot in Thüringen und im Saarland zusammengehen. Und sie werden das dann auch im Bund machen, wenn sie die Grünen ins Boot kriegen sollten. Die blödsinnige Ausrede, im Bund ginge das nicht wegen der linken Außenpolitik und Europaunfähigkeit, die muss Steinmeier nun auch noch lassen. Im Bundesrat, in der Ländervertretung wird diese Außen- und Europapolitik auch gemacht, und da ist die Linkspartei schon längst dabei.
    Recht hat er, der Redakteur Hubert Maessen. Zumal die Kommunisten, um einen Zipfel Macht zu erhaschen, über alle ihre überhaupt irgendwohin fallenden Schatten springen und notfalls der SPD garantieren werden, daß sie in Sachen Afghanistan und Europa keinen Mucks tun.

    Steinmeier hat es bisher vermieden, zu erklären, daß die SPD im Bund unter keinen Umständen mit den Kommunisten zusammenarbeiten wird. Aus dem Interview mit der "Rheinischen Post":
    Rheinische Post: In einer Woche könnten in Thüringen und dem Saarland rot-rote Regierungen an die Mehrheit kommen. Fürchten Sie eine neue Links-Diskussion?

    Steinmeier: Dazu ist alles gesagt. Die Landesverbände entscheiden in eigener Verantwortung. Es wird CDU/CSU nicht gelingen, Ergebnisse von Landtagswahlen als nationale Schicksalsfragen hochzustilisieren.
    Keine Festlegung also gegen die Volksfront auch im Bundestag.



    Bemerkenswert an dem Kommentar von Hubert Maessen sind nicht nur die klaren Worte, die er findet. Es ist vor allem der Umstand, daß er diese klaren Worte im WDR auch sprechen durfte.

    Maessen gehört zu den wenigen politischen Redakteuren des WDR, die noch nicht auf rotgrüner Linie sind.

    Er hat seine Nische in WDR 4, einem Programm, über das der Rest des WDR die Nase rümpfen dürfte: Rund um die Uhr Schlager, Operettenmelodien, gar Volksmusik. Eingestreut ganz wenige Wortbeiträge, wie eben die Sendung "Zur Sache", 3:30 Minuten lang zur Mittagszeit.

    Da darf ein Alibi-Liberaler wie Maessen offen seine Meinung sagen. In den politischen Programmen des WDR - WDR 2 und vor allem WDR 5 - wäre ein solcher Kommentar undenkbar.



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    21. August 2009

    Wahlen '09 (11): Mögliche, wahrscheinliche und denkbare Koalitionen nach dem 27. September. Versuch einer Analyse

    Eine einzige der Parteien, die Aussichten haben, wieder in den Bundestag einzuziehen, wird von niemanden danach gefragt, mit wem sie denn koalieren würde: Die Kommunisten. Sie werden in eine Volksfront mit der SPD und den Grünen gehen, falls ihnen diese angeboten wird; oder auch tolerieren.

    Eigene Forderungen werden die Kommunisten nach dem Prinzip stellen, das sie in Hessen demonstriert haben. Dort stiegen die Preise, wenn die Partei gute Aussichten hatte, mit der SPD ins Geschäft zu kommen; und sie fielen in denjenigen Perioden, in denen die SPD sich spröder zeigte (siehe Zitat des Tages: Nicht verlesen; ZR vom 29. 7. 2008).

    Bei allen anderen Parteien ist es derzeit weitgehend offen, unter welchen Bedingungen sie in welche Koalition gehen würden; eine in der Geschichte der Bundesrepublik vor einer Wahl noch nie dagewesene Situation. Welche Koalitionen sind möglich, welche wahrscheinlich und welche denkbar?

    Zunächst muß zwischen zwei möglichen Wahlergebnissen unterschieden werden; was in der bisherigen Diskussion oft nicht geschehen ist.



    Fall eins: Die Union und die FDP haben zusammen eine Mehrheit.

    Dann könnte die Union zwischen einer schwarzgelben und einer schwarzroten Koalition wählen. Alles andere wäre unrealistisch. Eine Jamaika- Koalition käme nicht in Frage, weil ja gemäß der Voraussetzung schon Union und FDP eine Mehrheit hätten.

    Die FDP könnte im Fall einer Mehrheit für Schwarzgelb möglicherweise zwischen Schwarzgelb und einer Ampel wählen; nämlich dann, wenn SPD, Grüne und FDP zusammen stärker sind als Union und Kommunisten.

    Das könnte durchaus der Fall sein. Nach der aktuellesten Umfrage (Infratest Dimap vom 21. August) hätten SPD (23 Prozent), Grüne (13 Prozent) und FDP (15 Prozent) genau dieselbe Mehrheit von 51 Prozent wie CDU/CSU (36 Prozent) und FDP (15 Prozent) zusammen. Die anderen aktuellen Umfragen bieten ein ähnliches Bild (Allensbach, 18.8.: Schwarzgelb 51, Ampel 50,5; Emnid 19.8.: Schwarzgelb 50, Ampel 49; Forsa 19.8: Schwarzgelb 50, Ampel 49).

    Bei ungefähr 5 Prozent für Sonstige würden diese Ergebnisse sowohl für eine schwarzgelbe Koalition als auch für eine Ampel ausreichen.

    Wie würden sich Union und FDP entscheiden? Daran besteht so gut wie kein Zweifel. Die Kanzlerin hat immer wieder gesagt, daß ihr eine Koalition mit der FDP lieber wäre als eine Fortsetzung der Großen Koalition; zuletzt gestern sehr klar im Gespräch mit der FAZ,

    Ebenso klar ist, daß die FDP eine Regierungsbildung mit der Union einer Ampel vorziehen würde. Guido Westerwelle hat das am vergangenen Sonntag noch einmal Gespräch mit der "Welt" bekräftigt.

    Viel spannender ist die Frage, welche Regierung gebildet werden wird, falls Union und FDP die Mehrheit verfehlen; ein Fall, der angesichts des knappen Vorsprungs für Schwarzgelb immer noch so wenig ausgeschlossen ist wie vor fünf Wochen (siehe Wahlen '09: Es ist alles offen; ZR vom 14.7. 2009).



    Fall zwei: Die Union und die FDP haben zusammen keine Mehrheit.

    Für diesen Fall halten sich alle Parteien weit mehr bedeckt als für den ersten Fall. Realistisch sind, gegeben die aktuellen Umfrageergebnisse, die folgenden Möglichkeiten:

    Erstens eine Neuauflage der Großen Koalition. Auf den ersten Blick spricht viel für diese Variante. Zum einen hätte diese Regierung eine stabile Mehrheit. Zweitens kennt man sich und hat leidlich gut - nach Ansicht der beiden Partner sogar erfolgreich - zusammengearbeitet.

    Es ist so gut wie sicher, daß die Große Koalition in diesem Fall die Präferenz der Kanzlerin wäre. Eine Jamaika- Koalition hat sie im Gespräch mit der FAZ als "nicht erstrebenswert" bezeichnet. Schwarzgrün hat sie ausgeschlossen.

    Trotzdem ist für den Fall, daß Schwarzgelb die Mehrheit verfehlt, eine Große Koalition alles andere als sicher. Das liegt an der SPD.

    Die SPD hat mindestens vier Gründe, sich sehr genau zu überlegen, ob sie wirklich als Juniorpartner der Union weitermachen will:
  • Erstens hat ihr das schon in der zu Ende gehenden Legislaturperiode, als man "auf Augenhöhe" gewesen war, einen massiven Einbruch bei den Wählern eingebracht. Wer mit der Arbeit der Regierung zufrieden war, der tendierte dazu, dies der Union zu attribuieren. Wer unzufrieden war, wandte sich oft ganz von der SPD ab und den Kommunisten zu.

    Links und rechts brachen der SPD die Wähler weg. Von dem Wahlergebnis 2005 bis zu den aktuellen Umfragewerten hat die SPD als Resultat ihrer Regierungsbeteiligung ziemlich genau ein Drittel ihrer Anhänger verloren. Wo würde sie 2013 nach weiteren vier Jahren Schwarzrot sein?

  • Zweitens wäre sie mit sehr großer Wahrscheinlichkeit diesmal nicht mehr "auf Augenhöhe", sondern eindeutig der Juniorpartner. Daß die SPD, gegenwärtig bei 22 bis 23 Prozent, in den verbleibenden fünf Wochen noch die CDU (36 bis 37 Prozent) einholt, wäre schon wundersam. Das verstärkt für die Genossen noch das im ersten Punkt genannte Problem; und zwar erheblich.

  • Drittens sind es eben Genossen.

    Man ist 2005 zähneknirschend in die Große Koalition gegangen. Aber das war eine andere Partei als die heutige SPD. Bis zum 22. November 2005 war Wolfgang Clement als Doppelminister für Wirtschaft und Arbeit das mächtigste SPD- Kabinettsmitglied nach dem Kanzler; man kann sich das heute kaum mehr vorstellen. Zeitweise galt er sogar als designierter Nachfolger Schröders. Die SPD war damals die Partei der "Agenda 2010", deutlich weiter rechts stehend als die heutige SPD.

    Diese heutige SPD wurde zeitweilig von ihrer Linksaußen- Frau Andrea Nahles geführt, unter der Kurt Beck den Vorsitzenden geben durfte. Sie hat sich auf ihrem Hamburger Parteitag ausdrücklich zum Sozialismus bekannt; dem "demokratischen", versteht sich. Die starken linken Kräfte in der SPD werden alles tun, um eine erneute Große Koalition zu verhindern.

  • Und viertens schließlich könnten die Landtagswahlen am übernächsten Sonntag dazu führen, daß die Karten neu gemischt werden (siehe Wahlen '09: Es ist alles offen; ZR vom 14.7. 2009). Nach einer gestern in den "Tagesthemen" der ARD publizierten Umfrage wird die Union wahrscheinlich bei allen drei Landtagswahlen kräftig verlieren. Sowohl im Saarland als auch in Thüringen könnte es zu Volksfront- Koalitionen kommen. Falls das eintritt oder auch nur möglich erscheint, würde es denjenigen in der SPD, die eine solche Option auch im Bund anstreben, Aufwind geben.
  • Falls sich die SPD einer erneuten Großen Koalition verweigern sollte (was sicherlich nur unter heftigen internen Kämpfen gelingen könnte; aber es könnte eben gelingen) - welche Möglichkeiten bleiben dann?



    Die Kanzlerin hätte, will sie weiter regieren, nur noch die Option einer Jamaika- Koalition. Sie hat diese - und sie ist in ihrer Wortwahl stets präzise - wie zitiert nicht ausgeschlossen, sondern nur als "nicht erstrebenswert" bezeichnet. Manchmal muß man sich zu etwas entschließen, auch wenn es nicht erstrebenswert gewesen war.

    Die FDP würde wahrscheinlich mit von der Partie sein, wenn auch nicht mit Begeisterung. Die Grünen aber werden sich auf eine solche Lösung allenfalls dann einlassen, wenn alle Versuche, gemeinsam mit der SPD zu regieren, endgültig gescheitert sein sollten.

    Die Grünen haben lange vor den Wahlen die Weichen für die Volksfront gestellt ("Die Linkspartei ist uns näher als die FDP"); siehe Rutsch, rutsch in die Volksfront, ZR vom 3. Mai 2008. Daß Hans- Christian Ströbele, der gegenwärtig mit dem Bild von Che Guevara für seine Kandidatur wirbt, Angela Merkel wählen würde, ist ebenso schwer vorstellbar, wie daß der Altkommunist Jürgen Trittin mit dem Freiherrn zu Guttenberg am selben Kabinettstisch Platz nimmt.

    Falls also die SPD nicht zur Fortsetzung der Großen Koalition bereit ist und die Grünen nicht willens sind, in eine Jamaika- Koalition zu gehen, dann bleiben die Optionen Ampel und Volksfront.

    Die Volksfront hätte für die SPD den Vorteil, in den Kommunisten einen willigen und pflegeleichten Partner zu bekommen; zumal, wenn es vorerst bei der Tolerierung bliebe. Aber die Nachteile dürften überwiegen. Zum einen ist mehr als fraglich, ob Steinmeier für eine solche Regierung zur Verfügung stehen würde. Sodann sind die beiden wahrscheinlichen Kanzler einer Volksfront, Andrea Nahles und Klaus Wowereit, noch nicht so weit. Beide setzen auf eine Volksfront 2013. Und drittens erinnert man sich natürlich an das hessische Debakel.

    Also wird die SPD auf die Ampel hinarbeiten. Also wird dann alles von der FDP abhängen. Und hier wird es nun wichtig, zwischen Fall eins und Fall zwei zu unterscheiden.

    Wenn sie die Wahl zwischen Schwarzgelb und Ampel hat, wird sich die FDP für Schwarzgelb entscheiden; selbst wenn die Mehrheit knapp sein sollte. Was aber, wenn sich die Optionen auf die Alternative Volksfront oder Ampel reduziert haben?

    Dann steht zum einen die FDP nicht vor der Frage, mit wem sie regiert, sondern vor der der Alternative, zu regieren oder weiter auf den harten Bänken der Opposition zu hocken. Das wird am Ende der kommenden Legislaturperiode dann 15 Jahre gedauert haben. "Opposition ist Mist" hat Franz Müntefering einmal gesagt. Vier Legislaturperioden Opposition sind ein Desaster; zumal für diejenigen Aspiranten auf ein Ministeramt, die danach nicht mehr ministrabel sein werden.

    Zweitens - und noch wichtiger - wird ein immenser Druck auf die FDP ausgeübt werden, zu verhindern, daß die Partei "Die Linke" regiert oder mindestens toleriert. Die Medien werden die FDP nachgerade beschwören, sich ihrer staatspolitischen Verantwortung nicht zu verweigern.

    Und so belastbar sind die bisherigen Festlegungen Guido Westerwelles nicht, daß sie nicht hinter die staatspolitische Pflicht zurücktreten könnten, die Volksfront zu verhindern; in Gottes Namen mittels der Ampel, wenn es denn gar nicht anders geht. Hier könnte nur eine formale und bindende Festlegung auf dem kommenden Wahlparteitag der FDP, unter keinen Umständen in ein Kabinett Steinmeier einzutreten, eine hinreichend hohe Hürde aufbauen.

    Ich hoffe, daß der Parteitag diese Hürde errichten wird. Denn eine solche Festlegung würde nicht nur sehr wahrscheinlich einen Kanzler Steinmeier verhindern, sondern sie würde auch manchem Wähler, der jetzt zwischen der FDP und der Union schwankt, die Stimmabgabe für die FDP erleichtern.



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    14. August 2009

    Wahlen '09 (9): Yes, we gähn. Vier Gründe, warum dieser Wahlkampf solch ein öder Langweiler ist

    Er ist es erstens, weil die beiden Protagonisten Langweiler sind. Angela Merkel ist eine ungemein tüchtige Kanzlerin; aber gegen ihre zurückhaltend- rationale Art, kühl bis ins Herz hinan, war Kurt- Georg Kiesinger ein mitreißender Populist. Frank- Walter Steinmeier läßt bei jedem Auftritt erkennen, wie gern er wieder die Graue Eminenz im Hintergrund wäre, statt den visionären Volkstribunen mimen zu müssen.

    Zweitens sind die beiden hauptsächlichen Gegner zugleich Partner. Wenn man gemeinsam Verantwortung in der Regierung trägt und Entscheidungen treffen muß, fällt es schwer, einander mit jener Verve zu attackieren, die erst einen spannenden Wahlkampf hervorbringt.

    Drittens wären die Deutschen vermutlich auch dann nicht im Wahlkampf- Fieber, wenn ein Franz- Josef Strauß gegen einen Oskar Lafontaine anträte.

    Wir waren seit vergangenem Jahr mit der Gefahr der schlimmsten Wirtschaftskrise seit der Währungsreform konfrontiert, und wir sind jetzt heilfroh, daß wir wahrscheinlich mit einem blauen Auge davongekommen sind.

    Die Regierung hat sich in dieser Krise in den Augen der meisten Bürger bedächtig und verantwortungsbewußt benommen. Jetzt geht es darum, das Beste aus der Lage zu machen und für den Aufschwung bereit zu sein. Das ist nicht die Zeit für die große ideologische Konfrontation, wie sie beispielsweise im vergangenen Jahr den US-Wahlkampf beflügelt hat.

    Und zwischen wem auch sollte sie stattfinden, diese Konfrontation? Womit wir beim wichtigsten Grund für diesen Wahlkampf im Land des Gähnens sind.



    Dieser vierte Grund ist, daß die politischen Fronten ganz und gar unklar verlaufen.

    Von Adenauer bis Schröder gab es in nahezu jedem Wahlkampf zwei Lager, zwischen denen der Wähler entscheiden mußte und durfte. Adenauers bürgerliches Lager oder die SPD? Die sozialliberale Koalition oder die CDU/CSU? Kohls bürgerliche Regierung oder Rotgrün? Schröders Rotgrün oder das schwarzgelbe Lager von Stoiber und drei Jahre später von Merkel?

    Selbst nach der ersten Großen Koalition, bei den Wahlen 1969, war es klar, daß niemand eine Fortsetzung dieser Koalition wollte und daß Willy Brandt mit Scheel und Genscher regieren würde, wenn es dazu eine Mehrheit geben sollte. Auch damals also eine Richtungsentscheidung.

    Aber diesmal? Keine klaren Fronten, also keine Konfrontation. Kein wirklicher Wettlauf um den Sieg; also keine Spannung.

    Die Union sagt, daß sie gern mit der FDP regieren würde. "Ganz gern" sollte es vielleicht besser heißen. Denn sie äußert es eher wie einen beiläufigen Wunsch. Sie verkündet es nicht so laut, nicht so überzeugt und nicht so überzeugend, daß vor dem geistigen Auge des Wählers das Bild eines angestrebten Neuanfangs, eines Richtungswechsels entstehen würde. Keine Phantasie, wie man an der Börse sagt. Ein Bündnis für eine Neugestaltung Deutschlands sieht anders aus.

    In "Spiegel- Online" haben Veit Medick und Christian Teevs gestern sogar vermutet, daß zumindest die CSU von einer schwarzgelben Koalition wohl nur "unter bestimmten Voraussetzungen" träume, nämlich einer gedeckelten FDP; und daß selbst "die Kanzlerin eine schwarz- gelbe Mehrheit mitnichten so herbeisehnt, wie das in den vergangenen Monaten offiziell den Anschein hatte".

    Dasselbe auf der Seite der Freien Demokraten.

    Auf dem Hannoveraner Parteitag im Mai hatte Guido Westerwelle in einer seiner besten Reden zwar das Bild eines Richtungswahlkampfs entworfen, in dem es darum gehe, "die Werte, die Deutschland groß gemacht haben, zu verteidigen" und dafür zu sorgen, "dass die geistige Achse nicht weiter nach links verschoben wird".

    Aber den Worten folgten keine Taten; die FDP hat sich bis heute nicht darauf festgelegt, mit wem sie nach den Wahlen koalieren wird und mit wem unter keinen Umständen. Gegen einen möglichen zukünftigen Koalitionspartner kann man natürlich keinen Richtungswahlkampf führen.

    Und die SPD, die Grünen? Auch die Grünen machen neuerdings koalitionspolitische Lockerungsübungen. Die SPD sagt, sie würde gern ampeln, also zusammen mit just jener FDP regieren, der sie die schlimmsten neoliberalen Verirrungen vorwirft. Wo soll da der Wähler eine Richtung sehen?

    Vor allem aber sagen die Sozialdemokraten nicht, was sie tun werden, falls Schwarzgelb keine Mehrheit erringt, die FDP aber partout nicht mitampeln will. Eine definitive und bindende Zusage, dann nicht mit den Kommunisten zu kooperieren, hat die SPD als Partei bisher nicht gegeben.

    Das hat sie offenbar aus dem hessischen Debakel gelernt, die SPD: Nicht, daß man eine Zusammenarbeit mit den Kommunisten ausschließen und sich dann daran halten soll; was sie vielleicht hätte lernen sollen. Sondern daß es am besten ist, nichts zu versprechen. Dann kann man auch kein Versprechen brechen.

    Und so stehen sie da in diesem Wahlkampf, die Parteien, und sagen nicht, was sie eigentlich wollen. Ja gewiß, das Vertrauen der Wähler wollen sie; möglichst viel davon. Und dann in diejenige Regierung gehen, in der sie "am meisten von ihren Inhalten durchsetzen" können. Das wollen sie, sagen sie.

    Mit anderen Worten: Der Wähler soll die Katze im Sack kaufen. Er soll einer Partei seine Stimme geben, ohne zu wissen, was diese damit anfangen wird. Begeisterung weckt das nicht. Ein Engagement der Bürger wie vergangenes Jahr in den USA ist bei solchen Aussichten undenkbar.

    Nur eine Partei macht eine Ausnahme: Die Kommunisten. Wer die Partei wählt, die im Augenblick "Die Linke" heißt, der weiß mit absoluter Sicherheit, daß sie jeden Zipfel Macht ergreifen wird, den man ihr offeriert; den ihr nach Lage der Dinge nur die SPD und die Grünen anbieten können.

    Sei es tolerierend, sei es vielleicht gar regierend: Auf die "Durchsetzung ihrer Inhalte" werden sie gern verzichten, die Kommunisten. Wenn sie nur einen kleinen Schritt in Richtung "Änderung des Kräfteverhältnisses" tun dürfen, wie das in klassischem KP-Deutsch heißt.



    Symptomatisch für diesen Wahlkampf ist es, daß Busen und Pos die Öffentlichkeit augenscheinlich mehr erregen als Pros und Contras. Kaum hat sich die Aufregung über Veras und Angelas Busen gelegt, da gibt es schon den nächsten Plakat- Skandal.

    Vielleicht war es mehr für die Kommunal- als für die Bundestagswahl gedacht, dieses Plakat der Grünen, das einen nackten Hintern zeigt. Aber das, was viele Wähler vermutlich von diesem Wahlkampf denken, visualisiert es sehr schön.



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: Der Reichstag. Vom Autor Norbert Aepli unter Creative Commons Attribution 2.5 - Lizenz freigegeben. Ausschnitt.

    22. Juni 2009

    Kurioses, kurz kommentiert: "Weder Verdienste noch Leistungen spielen eine Rolle". Wie sich der Berliner Bildungssenator Gerechtigkeit vorstellt

    Zöllner: Ganz allgemein garantiert das Los eine völlige Gleichbehandlung. Das ist die wissenschaftliche Umsetzung des Zufallsprinzips: Bei der Entscheidung spielen andere Faktoren keine Rolle, weder Verdienste noch Leistungen.

    SPIEGEL ONLINE: Ist es nicht ungerecht, wenn leistungsstarke Kinder, die sich angestrengt, aber wenig Losglück haben, nicht an ihre Wunschschule dürfen, weil weniger begabte oder faule mit mehr Glück ihnen den Platz wegschnappen?

    Zöllner: Ich halte es für gerecht, dass jeder die gleichen Chancen bekommt.


    Aus einem Interview von "Spiegel-Online" mit dem Berliner Bildungssenator Jürgen Zöllner. Es geht um den Beschluß der Volksfront- Regierung Berlins, dort künftig 30 Prozent der Plätze an Gymnasien unter allen Bewerbern zu verlosen.

    Kommentar: Als Califax vor zwei Wochen auf dieses Vorhaben aufmerksam machte, habe ich das zunächst für einen Witz gehalten. Es war aber keiner; und in "Zettels kleinem Zimmer" gab es dann über dieses für die Betroffenen gar nicht witzige Gesetz eine lebhafte Diskussion.

    Ich greife das Thema jetzt noch einmal auf, weil die Äußerungen des Senators Zöllner ein Schlaglicht darauf werfen, was die Volksfront unter Gerechtigkeit versteht. Nämlich das Gegenteil von dem, was wir normalerweise darunter verstehen.

    Wann sehen wir beispielsweise den Ausgang eines Fußballspiels als gerecht an? Wenn die bessere Mannschaft gewinnt.

    Nach dem Gerechtigkeitsbegriff des Senators Zöllner ist das aber überhaupt nicht gerecht. Gerecht wäre es, wenn der Schiedsrichter nach dem Spiel eine Münze werfen würde, um zu entscheiden, wer die Punkte bekommt. Bei Adler die Heimmannschaft, bei Zahl die Gäste. Und wenn die Münze auf der Kante stehen bleibt, dann werden die Punkte geteilt.

    So stellt sich dieser Senator, stellen sich offenbar die Sozialdemokraten und Kommunisten dieses Berliner Senats soziale Gerechtigkeit vor. Leistung soll keine Rolle spielen. Die wahre Gerechtigkeit ist erst dann erreicht, wenn es den Dummen und Faulen genauso gut geht wie denen, die begabt sind, die sich anstrengen und etwas leisten.

    Alle sollen sie dieselbe Chance haben, aufs Gymnasium zu gehen. Freilich ist das erst ein Anfang. Vorerst kommen nur 30 Prozent in den Genuß der wahren Gerechtigkeit. Die Kommunisten hatten - im Einvernehmen mit dem Gerechtigkeits- Theoretiker Zöllner - 50 Prozent gefordert. Und noch soll es nur beim Zugang zum Gymnasium gerecht zugehen. Konsequent wäre es, dort dann auch die Noten zu verlosen.

    Konservative und liberale Kritiker haben den Sozialisten und Kommunisten schon immer vorgeworfen, daß sie diesen egalitären Begriff von sozialer Gerechtigkeit haben. Aber daß einer von ihnen, noch dazu einer ihrer führenden Bildungspoltiker, es so ungehemmt sagt, das finde ich schon kurios.



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    18. Juni 2009

    "Bildungsstreik 2009": Wer sind eigentlich die Organisatoren und Unterstützer? Die Volksfront marschiert

    Während die SPD sich noch ziert, mit den Grünen und den Kommunisten eine Volksfront- Regierung zu bilden, ist die linke Einheitsfront auf der Straße längst Wirklichkeit geworden. Zu besichtigen am aktuellen Beispiel des "Bildungsstreiks 2009".

    "Jugendaufstand gegen das neue Bildungssystem" betitelt "Welt- Online" einen Bericht von Joachim Peter, in dem dies zu lesen ist:
    Ein Reporter einer Nachrichtenagentur wollte einen "Hauch von 68" in den Aktionen entdeckt haben. Doch mit den damaligen Studentenunruhen hat der sogenannte "Bildungsstreik 2009" nichts gemein. (...) Dem Gros der Demonstranten ging es dabei nicht – wie 1968 – um eine gesellschaftliche Umwälzung. Sondern schlichtweg um bessere Lernbedingungen an Schulen und Hochschulen. Allerdings versuchten radikale Gruppierungen, die Aktionen zu instrumentalisieren.
    Blauäugiger geht's nimmer.

    Denn "radikale Gruppierungen" versuchten keineswegs, diese "Aktionen zu instrumentalisieren". Sondern die gesamte Aktion wurde von radikalen Gruppen organisiert. Das erklärte Ziel ist eine "fortschrittliche Gesellschaftspolitik".

    Wer steht hinter diesem "Bildungsstreik"? Der Aufruf ist von einer "Projektgruppe Bildungsstreik 2009" unterzeichnet. Wes Geistes Kind diese Projektgruppe ist, geht aus dem Aufruf in aller wünschenswerten Deutlichkeit hervor:
    Weltweit sind Umstrukturierungen aller Lebensbereiche nicht mehr gemeinwohlorientiert, sondern den sogenannten Gesetzen des Marktes unterworfen. (...) Die Finanz- und Wirtschaftskrise zeigt deutlich, dass die Auswirkungen wettbewerbsorientierter Entscheidungskriterien verheerend sind. In vielen Ländern protestieren Menschen dagegen, so z.B. in Mexiko, Spanien, Italien, Frankreich und Griechenland. In diesem internationalen Zusammenhang steht der Bildungsstreik 2009. (...)

    Ziel des Bildungsstreiks ist es, eine Diskussion zur Zukunft des Bildungsystems anzuregen. Des Weiteren sollen Möglichkeiten einer fortschrittlichen und emanzipatorischen Bildungs- und Gesellschaftspolitik aufgezeigt und durchgesetzt werden.
    Wir haben es also mit der alten linken Strategie zu tun, gesellschaftliche Probleme aufzugreifen und sie zuzuspitzen, um damit "politisches Bewußtsein" zu befördern. Um, mit anderen Worten, der Linken Anhänger und Sympathisanten zuzuführen.

    Wer eigentlich die Mitglieder dieser "Projektgruppe" sind, bleibt im Dunkeln. Es gibt aber eine umfangreiche Liste von "UnterstützerInnen", die sich liest wie eine Inventarisierung der Volksfront.

    Sie reicht von der "Antifa Idar- Oberstein" über die "Assoziation marxistischer Studierender" und diverse Jugendorganisationen der Partei "Die Linke" (SDS; Linksjugend ['solid]) bis zur der der DKP nahestehenden "Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend" (SDAJ) und den "StipendiatInnen der Rosa- Luxemburg- Stiftung", der Stiftung der Partei "Die Linke".

    Dabei sind aber auch Jugendorganisationen der SPD oder aus ihrem Umfeld (Die Falken; Juso- Hochschulgruppen), der Grünen (Grüne Jugend; Grüne Hochschulgruppen) und Organisationen der Gewerkschaften (DGB-Jugend; auch ein Kreisverband des DGB). Und natürlich viele links beherrschte Asten und studentische Organisationen.

    Die Volksfront also. Eine Volksfront, die - wie meist - weit ins revolutionäre Lager hineinreicht. Zu den Unterstützern gehört beispielsweise auch die kommunistische, offenbar trotzkistische Jugendorganisation "Revolution", die für "revolutionären Internationalismus und den "gemeinsame[n] entschlossene[n] Kampf aller unterdrückten Klassen weltweit" eintritt.

    Besonders informativ wird es, wenn man von der Startseite der "Projektgruppe Bildungsstreik 2009" auf die Seite "Antirepression" geht. Dort erfahren wir:
    Die feindselige Haltung konservativer Gruppen sowie der bürgerlichen Presse gegenüber den emanzipatorischen Zielen des Bildungsstreiks sollte uns bewusst sein!

    In der aktuellen Krisensituation des Kapitalismus und angesichts der Verschärfung von Widersprüchen innerhalb der Gesellschaft, reagiert der Staat empfindlich auf soziale Proteste, zu denen auch die Forderung nach "freier Bildung für Alle" gehört.

    Als Reaktion auf die Kritik bzw. das Infragestellen herrschender Verhältnisse wird Protest kriminalisiert und Willens- sowie Meinungsäußerung durch Repressionen und Sanktionen unterdrückt. Damit wir unsere Forderungen gemeinsam und kämpferisch in die Öffentlichkeit tragen können, brauchen wir den eigenen Schutz gegenüber staatlichen Behörden, Polizei, (Hoch-)Schulen und Justiz.
    Und wer ist zuständig für diesen "Schutz"? Dreimal dürfen Sie raten:
    Wir arbeiten mit der Roten Hilfe e.V. (RH) zusammen, einer linken, strömungsübergreifenden Solidaritätsorganisation, bei der wir ein bundesweites Spendenkonto eingerichtet haben, denn Solidarität kostet Geld: Konto: Rote Hilfe e.V. Göttingen (...)

    Außerdem empfehlen wir Euch einen Beitritt zur RH, da diese bundesweite Solidaritätsorganisation kontinuierliche Rechtshilfearbeit ermöglicht und von Repression Betroffene finanziell, juristisch und politisch unterstützt.
    Was es mit dieser "Roten Hilfe" auf sich hat, die unter anderem einsitzende Terroristen betreut, habe ich wiederholt berichtet; zum Beispiel in diesem Artikel über Franziska Drohsel und hier, wo man lesen kann, nach welchen Kriterien die "Rote Hilfe" die Häftlinge aussucht, die sie zu betreuen bereit ist: "Wichtig ist, daß die Leute nicht mit Polizei oder Staatsanwaltschaft zusammenarbeiten und etwa durch ihre Aussagen andere belasten".



    Das also sind diejenigen, die diesen "Bildungsstreik" organisieren. In der Berichterstattung der Leitmedien erfahren wir über sie freilich wenig. Gestern hat beispielsweise in der "Süddeutschen Zeitung" Tanjev Schultz die Demonstrationen kommentiert. Die Organisatoren kommen in dem Kommentar überhaupt nicht vor. Stattdessen diese Bewertung:
    Die Schüler und Studenten ergehen sich nicht bloß in Aktionismus, sie reflektieren ihre Lage. Sie sind in einer Suchbewegung, ihr Protest ist Ausdruck und Anlass für Lernprozesse. Deshalb verdient der Bildungsstreik sogar das Prädikat "pädagogisch wertvoll".
    In der Zentrale der "Projektgruppe Bildungsstreik 2009" - wer immer da sitzt - dürfte man sich ob eines solchen Maßes an Naivität vor Lachen kringeln.



    Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Karl Marx. In der Public Domain, da das Copryright erloschen ist.

    22. Mai 2009

    Morgen wird Horst Köhler vermutlich wiedergewählt. Ein Rückblick auf die Kandidatur der unglücklichen Gesine Schwan

    Was für ein Tag morgen! Das Grundgesetz wird sechzig Jahre alt, und der Bundespräsident kämpft um seine Wiederwahl. Ach ja, und die Spielzeit der Bundesliga geht mit spannenden Kämpfen an der Spitze und im Keller zu Ende. Das wollen wir ja auch nicht vergessen.

    Damit, daß er um seine Wiederwahl kämpfen mußte - zumindest damit -, wird Horst Köhler in die Geschichte eingehen.

    Bisher wurden alle Bundespräsidenten, die sich für eine zweite Amtszeit zur Verfügung stellten, mit einer breiten Mehrheit wiedergewählt. Natürlich gibt es darauf keinen formalen Anspruch; aber es macht schon Sinn. Denn der Präsident soll sein Amt überparteilich ausüben. Ist ihm das gelungen, dann liegt es nahe, daß er auch überparteilich wiedergewählt wird.

    Ist Horst Köhler mit einer einvernehmlichen Wiederwahl gescheitert, weil er sein Amt schlechter, weil er es weniger überparteilich ausgeübt hätte als seine Vorgänger?

    Keineswegs. Er war in seiner jetzt zu Ende gehenden ersten Amtszeit ein selbständiger, ein den Politikern oft unbequemer Präsident. Daß er sein Amt politisch einseitig ausgeübt hätte, wird ihm selbst die SPD nicht vorwerfen können. Er hat die Wiederwahl ebenso verdient wie Theodor Heuß, wie Heinrich Lübke, wie Richard von Weizsäcker.

    Warum also muß er morgen um sein Amt kämpfen? Warum hat die SPD mit der bisherigen Tradition gebrochen, einen erfolgreichen Präsidenten über Parteigrenzen hinweg wiederzuwählen?



    Die Antwort ist einfach: Weil die SPD die Wahl des Bundespräsidenten für ihre politische Strategie einsetzen wollte.

    Die Entscheidung fiel vor gut einem Jahr, Anfang Mai 2008. Damals hatte eine Frau das Sagen in der SPD: Die Linksaußen- Politikerin Andrea Nahles, deren Büro im Augenblick damit beschäftigt ist, bisherige Kommunisten in die SPD zu holen.

    Zwar war der engere Vorstand (Kurt Beck und seine Stellvertreter Steinbrück, Steinmeier und eben Nahles) mehrheitlich keineswegs links. Aber der biedere, sich freilich durchaus auch in täppischem Machiavellismus versuchende Kurt Beck war im heimischen Mainz verwurzelt geblieben und hatte nie in Berlin Fuß gefaßt; er war ja auch hauptamtlich mit dem Regieren in Mainz beschäftigt. Auch Steinmeier und Steinbrück hatten große Ministerien zu verwalten. Andrea Nahles aber konnte sich voll der Partei widmen; sie wurde damit so etwas wie die geschäftsführende Vorsitzende.

    Und als diese fädelte sie den Coup ein, den ich damals, am 20. Mai 2008, im einzelnen beschrieben habe:

    Köhler hatte sich damals noch nicht geäußert, ob er eine zweite Amtszeit anstrebe. Wie bei Heuß, Lübke und Weizsäcker rechnete man damit, daß er das nur tun würde, wenn er des Vertrauens einer breiten Mehrheit in der Bundesversammlung würde sicher sein können.

    Also hatten die Mini- Machiavellis von der SPD sich, angeführt von Andrea Nahles, ein "Geheimtreffen" ausgedacht, das so geheim war, daß es sofort der Presse bekannt wurde. Man hatte sich auf die Kandidatin Gesine Schwan verständigt, teilte das aber nicht mit, weil man ja "Respekt vor dem Amt des Präsidenten" hatte.

    Durchsickern aber ließ man es; in einem breit sickernden Bach, sozusagen. Die Hoffnung war offensichtlich, damit Köhler zum Verzicht auf eine zweite Amtszeit zu bewegen. Gegen einen neuen Kandidaten der Union würde Schwan dann ausgezeichnete Chancen haben.

    Köhler aber reagierte nicht wie erwartet (wie auch ich es erwartet hatte): Er verkündete nun erst recht, daß er für eine zweite Amtszeit kandidieren würde. Er nahm es in Kauf, als erster deutscher Bundespräsident um sein Amt kämpfen zu müssen.



    Warum wollte Andrea Nahles den Präsidenten Köhler weghaben? Sie wollte nicht eigentlich den Präsidenten Köhler weghaben. Sie wollte eine Gegenkandidatin gewählt sehen, und zwar mit den Stimmen der Volksfront aus SPD, Grünen und Kommunisten.

    Damals sollten die Weichen für eine Volksfront- Regierung nach dem 27. September 2009 gestellt werden. Ein "Stück Machtwechsel"; so, wie bei der Wahl Gustav Heinemanns am 5. März 1969 erstmals auf Bundesebene eine sozialliberale Koalition agierte, die dann im Herbst auch die Regierung bildete.

    Kein Wunder, daß die Nominierung Gesine Schwans bei den Anhängern einer Volksfront auf begeisterte Zustimmung stieß; ich habe damals in zwei Artikeln diese Medienkampagne für Schwan kommentiert.

    Alles schien so schön zu laufen; Schwan benahm sich zunächst sehr geschickt, indem sie sich alsbald mit den Kommunisten anlegte. So konnte das Image einer Freundin der Kommunisten gar nicht erst aufkommen; und daß diese sie dennoch aus machtpolitischem Kalkül wählen würden, war der Kennerin des Kommunismus Schwan natürlich klar.

    Alles hätte so schön werden können - wenn nicht Beck gestürzt und damit Nahles entmachtet worden wäre. Wenn nicht damit in der SPD auf einmal nicht mehr die Volksfront für 2009 angesagt gewesen wäre, sondern die Ampel.

    Damit hing nun die Kandidatur Gesine Schwans in der Luft. Sie war unter diesen neuen Auspizien der SPD schon fast genierlich; würde doch eine Stimmabgabe der Kommunisten für die SPD- Kandidatin nur häßliche Befürchtungen nähren, daß die SPD am Ende doch auf eine Volksfront zusteuern könnte.

    Eine Woge der Begeisterung in der ganzen Linken hatte Gesine Schwan ins Amt tragen sollen. Jetzt rührte sich in der SPD kaum noch eine Hand für sie. Ich habe diesen Frust der Kandidatin Gesine Schwan Anfang des Jahres hier und hier kommentiert. Sie konnte einem nachgerade Leid tun, diese Kandidatin, die mit hoch erhobener Fahne vorneweg marschierte; nur folgte ihr kaum noch jemand.



    Und wie wird es nun morgen ausgehen? Ich halte es für wahrscheinlich, daß Horst Köhler schon im ersten Wahlgang gewählt werden wird.

    Gut möglich, daß auch einige aus der SPD für ihn stimmen, die es nicht darauf ankommen lassen wollen, daß am Ende die Kommunisten ihren Peter Sodann zurückziehen und erklären, sie würden für Schwan stimmen. Gut möglich sogar, daß auch die Kommunisten an einer solchen Konstellation nicht mehr interessiert sind. Warum sollen sie noch für eine Kandidatin der Volksfront stimmen, solange die SPD die Volksfront brüsk ablehnt?



    Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: The International Monetary Fund. In der Public Domain, bestätigt durch das Wikimedia OTRS system.