14. August 2009

Wahlen '09 (9): Yes, we gähn. Vier Gründe, warum dieser Wahlkampf solch ein öder Langweiler ist

Er ist es erstens, weil die beiden Protagonisten Langweiler sind. Angela Merkel ist eine ungemein tüchtige Kanzlerin; aber gegen ihre zurückhaltend- rationale Art, kühl bis ins Herz hinan, war Kurt- Georg Kiesinger ein mitreißender Populist. Frank- Walter Steinmeier läßt bei jedem Auftritt erkennen, wie gern er wieder die Graue Eminenz im Hintergrund wäre, statt den visionären Volkstribunen mimen zu müssen.

Zweitens sind die beiden hauptsächlichen Gegner zugleich Partner. Wenn man gemeinsam Verantwortung in der Regierung trägt und Entscheidungen treffen muß, fällt es schwer, einander mit jener Verve zu attackieren, die erst einen spannenden Wahlkampf hervorbringt.

Drittens wären die Deutschen vermutlich auch dann nicht im Wahlkampf- Fieber, wenn ein Franz- Josef Strauß gegen einen Oskar Lafontaine anträte.

Wir waren seit vergangenem Jahr mit der Gefahr der schlimmsten Wirtschaftskrise seit der Währungsreform konfrontiert, und wir sind jetzt heilfroh, daß wir wahrscheinlich mit einem blauen Auge davongekommen sind.

Die Regierung hat sich in dieser Krise in den Augen der meisten Bürger bedächtig und verantwortungsbewußt benommen. Jetzt geht es darum, das Beste aus der Lage zu machen und für den Aufschwung bereit zu sein. Das ist nicht die Zeit für die große ideologische Konfrontation, wie sie beispielsweise im vergangenen Jahr den US-Wahlkampf beflügelt hat.

Und zwischen wem auch sollte sie stattfinden, diese Konfrontation? Womit wir beim wichtigsten Grund für diesen Wahlkampf im Land des Gähnens sind.



Dieser vierte Grund ist, daß die politischen Fronten ganz und gar unklar verlaufen.

Von Adenauer bis Schröder gab es in nahezu jedem Wahlkampf zwei Lager, zwischen denen der Wähler entscheiden mußte und durfte. Adenauers bürgerliches Lager oder die SPD? Die sozialliberale Koalition oder die CDU/CSU? Kohls bürgerliche Regierung oder Rotgrün? Schröders Rotgrün oder das schwarzgelbe Lager von Stoiber und drei Jahre später von Merkel?

Selbst nach der ersten Großen Koalition, bei den Wahlen 1969, war es klar, daß niemand eine Fortsetzung dieser Koalition wollte und daß Willy Brandt mit Scheel und Genscher regieren würde, wenn es dazu eine Mehrheit geben sollte. Auch damals also eine Richtungsentscheidung.

Aber diesmal? Keine klaren Fronten, also keine Konfrontation. Kein wirklicher Wettlauf um den Sieg; also keine Spannung.

Die Union sagt, daß sie gern mit der FDP regieren würde. "Ganz gern" sollte es vielleicht besser heißen. Denn sie äußert es eher wie einen beiläufigen Wunsch. Sie verkündet es nicht so laut, nicht so überzeugt und nicht so überzeugend, daß vor dem geistigen Auge des Wählers das Bild eines angestrebten Neuanfangs, eines Richtungswechsels entstehen würde. Keine Phantasie, wie man an der Börse sagt. Ein Bündnis für eine Neugestaltung Deutschlands sieht anders aus.

In "Spiegel- Online" haben Veit Medick und Christian Teevs gestern sogar vermutet, daß zumindest die CSU von einer schwarzgelben Koalition wohl nur "unter bestimmten Voraussetzungen" träume, nämlich einer gedeckelten FDP; und daß selbst "die Kanzlerin eine schwarz- gelbe Mehrheit mitnichten so herbeisehnt, wie das in den vergangenen Monaten offiziell den Anschein hatte".

Dasselbe auf der Seite der Freien Demokraten.

Auf dem Hannoveraner Parteitag im Mai hatte Guido Westerwelle in einer seiner besten Reden zwar das Bild eines Richtungswahlkampfs entworfen, in dem es darum gehe, "die Werte, die Deutschland groß gemacht haben, zu verteidigen" und dafür zu sorgen, "dass die geistige Achse nicht weiter nach links verschoben wird".

Aber den Worten folgten keine Taten; die FDP hat sich bis heute nicht darauf festgelegt, mit wem sie nach den Wahlen koalieren wird und mit wem unter keinen Umständen. Gegen einen möglichen zukünftigen Koalitionspartner kann man natürlich keinen Richtungswahlkampf führen.

Und die SPD, die Grünen? Auch die Grünen machen neuerdings koalitionspolitische Lockerungsübungen. Die SPD sagt, sie würde gern ampeln, also zusammen mit just jener FDP regieren, der sie die schlimmsten neoliberalen Verirrungen vorwirft. Wo soll da der Wähler eine Richtung sehen?

Vor allem aber sagen die Sozialdemokraten nicht, was sie tun werden, falls Schwarzgelb keine Mehrheit erringt, die FDP aber partout nicht mitampeln will. Eine definitive und bindende Zusage, dann nicht mit den Kommunisten zu kooperieren, hat die SPD als Partei bisher nicht gegeben.

Das hat sie offenbar aus dem hessischen Debakel gelernt, die SPD: Nicht, daß man eine Zusammenarbeit mit den Kommunisten ausschließen und sich dann daran halten soll; was sie vielleicht hätte lernen sollen. Sondern daß es am besten ist, nichts zu versprechen. Dann kann man auch kein Versprechen brechen.

Und so stehen sie da in diesem Wahlkampf, die Parteien, und sagen nicht, was sie eigentlich wollen. Ja gewiß, das Vertrauen der Wähler wollen sie; möglichst viel davon. Und dann in diejenige Regierung gehen, in der sie "am meisten von ihren Inhalten durchsetzen" können. Das wollen sie, sagen sie.

Mit anderen Worten: Der Wähler soll die Katze im Sack kaufen. Er soll einer Partei seine Stimme geben, ohne zu wissen, was diese damit anfangen wird. Begeisterung weckt das nicht. Ein Engagement der Bürger wie vergangenes Jahr in den USA ist bei solchen Aussichten undenkbar.

Nur eine Partei macht eine Ausnahme: Die Kommunisten. Wer die Partei wählt, die im Augenblick "Die Linke" heißt, der weiß mit absoluter Sicherheit, daß sie jeden Zipfel Macht ergreifen wird, den man ihr offeriert; den ihr nach Lage der Dinge nur die SPD und die Grünen anbieten können.

Sei es tolerierend, sei es vielleicht gar regierend: Auf die "Durchsetzung ihrer Inhalte" werden sie gern verzichten, die Kommunisten. Wenn sie nur einen kleinen Schritt in Richtung "Änderung des Kräfteverhältnisses" tun dürfen, wie das in klassischem KP-Deutsch heißt.



Symptomatisch für diesen Wahlkampf ist es, daß Busen und Pos die Öffentlichkeit augenscheinlich mehr erregen als Pros und Contras. Kaum hat sich die Aufregung über Veras und Angelas Busen gelegt, da gibt es schon den nächsten Plakat- Skandal.

Vielleicht war es mehr für die Kommunal- als für die Bundestagswahl gedacht, dieses Plakat der Grünen, das einen nackten Hintern zeigt. Aber das, was viele Wähler vermutlich von diesem Wahlkampf denken, visualisiert es sehr schön.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: Der Reichstag. Vom Autor Norbert Aepli unter Creative Commons Attribution 2.5 - Lizenz freigegeben. Ausschnitt.