11. August 2009

Wahlen '09 (8): Kann Steinmeier noch gewinnen? Der Faktor Merkel

Es geht Frank- Walter Steinmeier im Augenblick wie einem jener gebeutelten Protagonisten antiker Tragödien, denen mißgünstige Götter vereiteln, was immer sie zu erreichen suchen. Er kann sich anstrengen, wie er will - immer ist da offenbar jemand im Olymp, der gegen ihn eine Intrige spinnt, der zu seinen Ungunsten in das Rad des Geschicks greift.

Der Vorwahlkampf hatte sich im Frühjahr noch gut angelassen. Die SPD begann energisch und professionell; ich habe das in den Folgen eins und zwei dieser Serie beschrieben. Die Umfragewerte gingen von Anfang März bis Ende Mai langsam, aber stetig nach oben. Extrapolierte man damals diesen Trend und den leichten Abwärtstrend der Union, dann hätten sich bis zum 27. September die beiden Kurven durchaus treffen, sich mindestens stark annähern können.

Damals hatten, so scheint es, im Olymp diejenigen Götter das Sagen, die ihre schützende Hand über den Kandidaten Steinmeier und seine SPD hielten. Dann aber begann eine Serie von Kalamitäten, die bis heute anhält.

Erst ging Anfang Juni die Europawahl völlig überraschend verloren. Sie sollte eigentlich den Übergang zur nächsten Phase des Wahlkampfs markieren, in der die SPD, durch ein gutes Ergebnis gestärkt, ihrem Kandidaten zu Glanz und Popularität verhelfen wollte.

Die Chancen für einen Erfolg schienen exzellent zu sein, denn vier Jahre zuvor hatte die SPD, damals mitten in der Debatte über die Agenda 2010, mehr als neun Prozentpunkte verloren und war bei einem Tiefstwert von 21,5 Prozent angekommen. Da konnte es, so dachte man wohl im Willy- Brandt- Haus, diesmal nur besser werden; ein gutes Signal also für den Wahlkampf.

Aber es wurde ein größeres Desaster als 2004; das Ergebnis der SPD sackte noch weiter auf 20,8 Prozent und damit auf ein erneutes historisches Tief.



Das war in der Tat ein Signal; nur nicht das erhoffte. Seither gehen die Umfragedaten der SPD kontinuierlich nach unten, und bei der Frage nach dem gewünschten Kanzler wird der Abstand Steinmeiers zu Merkel immer größer.

Man kann wirklich nicht sagen, daß die SPD nicht alles tun würde, um diesen Trend zu wenden. Aber es ist wie verhext - eben wie von mißgünstigen Göttern gelenkt - : Jeder neue Anlauf wird durch Negativ- Schlagzeilen verhagelt.

Da war die sorgsam vorbereitete Inszenierung des Medien- Ereignisses "Präsentation des Kompetenzteams". Vor malerischer Seekulisse, auf die sich das Team vor den Kameras sozusagen mit wehenden Rockschößen zubewegte, Dynamik signalisierend. Aber die Deutschen interessierten sich nicht für junge SPD- Talente, sondern für die alte SPD- Tante, die durch ihr Ungeschick beim Krisenmanagement aus einer harmlosen Anlegenheit eine "Dienstwagen- Affäre" hatte hervorwachsen lassen.

Als Nächstes sah das Drehbuch von Kajo Wasserhövel und Genossen die Vorstellung des "Deutschlandplans" vor. Nach dem Vorbild des Wahlkampfs von Barack Obama sollte bewußt ein sehr hohes, ein anspruchsvolles Ziel verkündet werden, nämlich nicht weniger als die Vollbeschäftigung. Das würde, so imaginierten es wohl die Strategen, zumindest für Gesprächsstoff sorgen. Es würde ein wichtiges Thema besetzen; die SPD als ideenreich und dynamisch erscheinen lassen. Kurz, es sollte die Phantasie beflügeln und damit den Wahlkampf der SPD in Schwung bringen.

Aber da hatten diese Strategen nicht mit der deutschen Mentalität gerechnet, die auf solche "Visionen" so reagiert wie seinerzeit Helmut Schmidt: Ein Fall für den Psychiater. Die überwältigende Mehrheit (je nach Umfrage zwischen 73 und 83 Prozent) hält Steinmeiers "Vision" für nicht realisierbar. Statt wie ein zweiter Obama steht er nun eher da wie ein aus Heinrich Hoffmanns Buch in die Wirklichkeit gehüpfter Hans- guck- in- die- Luft.

Das Debakel wurde perfekt dadurch, daß aufgrund von Vorabmeldungen dieser Punkt des Deutschlandplans schon kritisiert worden war, bevor die SPD den Plan überhaupt präsentiert hatte. Es war wie bei einem Vorstellungsgespräch, zu dem der Bewerber im Grunde gar nicht mehr erscheinen braucht, weil seine Bewerbungsunterlagen bereits einen miserablen Eindruck hinterlassen haben.

So wiederholte sich also der Reinfall mit dem "Kompetenzteam": Die Vorstellung des Schattenkabinetts vor dem Templiner See in Potsdam war buchstäblich ins Wasser gefallen; diejenige des "Deutschlandplans" löste sich in visionäre Schwaden auf.

Der dritte Punkt nach "Kompetenzteam" und "Deutschlandplan" sollte ein Reise des Kandidaten sein; dorthin, wo Aufbruch und Innovation herrscht. Schröders "Neue Mitte" von 1998 reloaded also. Steinmeier, unser Mann der Zukunft.

Was diesmal den Medienerfolg zunichte machte, beschreibt Markus Feldenkirchen im aktuellen gedruckten "Spiegel" (S. 29):
Wo immer Steinmeier aus dem Bus kletterte, stellten ihm die Reporter dieselbe Frage: "Was sagen Sie zu den 20 Prozent"? Niemand wollte etwas über seine Konzepte wissen oder warum er überhaupt da war.
Zwanzig Prozent, das ist der aktuelle Umfragewert für die SPD bei Forsa.

Feldenkirchen kritisiert, daß der Fokus der Medien sich nicht auf Inhalte richte. Aber was kann man an Innovationskraft von einer Partei erwarten, die sich auf dem Weg von der einstigen Volkspartei zu einer der kleineren Parteien befindet, demnächst vielleicht "auf Augenhöhe" mit den Grünen und der FDP? Ist es nicht vernünftig, daß die Deutschen einem Kandidaten, der so wenig Fortüne hat, nicht abnehmen, daß er Deutschland in eine glanzvolle, innovative Zukunft führen kann?



Ist also die Wahl schon gelaufen? Haben die Götter ihr Verdikt gefällt? Nein. Denn noch gar nicht ins Spiel gekommen ist der Faktor Merkel.

Angela Merkel ist eine schlechte Wahlkämpferin; ich habe darüber hier und hier geschrieben. In ihrer kühl- rationalen Art vermag sie nicht zu begeistern und zu motivieren; jeden Anflug von Emotionalität muß sie sich bei öffentlichen Auftritten mühsam abringen.

Darüber hinaus fehlt ihr das - wie man heute sagt - "Bauchgefühl", zu erkennen wie das Volk emotional reagiert. Den "Professor aus Heidelberg" 2005 in ihr Team aufzunehmen, war unter dem Blickpunkt einer künftigen Regierung eine vernünftige Entscheidung; im Hinblick auf die Reaktion der Wähler war es ein Desaster. Der Bauchmensch Schröder hat damals diesen Schwachpunkt sofort erkannt und gnadenlos ausgenützt.

Bisher hat Merkel in diesem Wahljahr ihrer Schwäche als Wahlkämpferin Rechnung getragen, indem sie einfach keinen Wahlkampf gemacht hat. Das funktioniert im Augenblick noch; sie steht in den Augen der Wähler fast schon über den Parteien. Aber irgendwann wird auch sie in die Bütt steigen müssen. Ihr gewissermaßen präsidiales Image wird dann schnell von demjenigen der Parteipolitikerin überlagert werden. Ihre Schwäche beim connecting to people, beim Herstellen eines emotionalen Kontakts mit den Leuten, wird dann offenbar werden.

Und wenn Steinmeier Glück hat, wenn er ganz großes Glück und also einen mächtigen Befürworter im Götterhimmel hat, dann macht Angela Merkel so wie 2005 einen kapitalen Fehler. Das könnte seine Chance sein; vielleicht die letzte.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: Der Reichstag. Vom Autor Norbert Aepli unter Creative Commons Attribution 2.5 - Lizenz freigegeben. Ausschnitt.