Wenn Sie am Hindukusch jemandem erzählen, Sie wollen in Afghanistan die Demokratie einführen, dann werden Sie ausgelacht".
Volker Rühe in einem Interview mit dem gedruckten "Spiegel" dieser Woche.
Kommentar: Den Wortlaut des Interviews können Sie auf Deutsch nicht im Web lesen, auch nicht bei "Spiegel- Online". In solchen Fällen hilft oft ein Blick in "Spiegel- Online International", wo man - wie viele Artikel aus dem gedruckten "Spiegel" - das Interview in englischer Übersetzung findet.
Es lohnt sich, dieses Interview, so knapp es ist, zu lesen.
Rühe ist ein kenntnisreicher Außen- und Verteidigungspolitiker mit langer Erfahrung. Von 1983 bis 1989 war er Vorsitzender des Bundesfachausschusses Außen- und Sicherheitspolitik der CDU; von 1992 bis 1998 Verteidigungsminister im Kabinett Kohl. Von 2002 bis zu seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik nach der Auflösung des Bundestags 2005 war er Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags.
Volker Rühe kennt wie wenige deutsche Politiker die Verflechtungen zwischen Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Position sollte man umso mehr beachten, als er in seiner heutigen Rolle als Elder Statesman keine Rücksicht mehr auf Parteiinteressen zu nehmen braucht.
Rühe zeigt sich in dem Interview weder als Taube noch als Falke.
Seine Beurteilung der momentanen Situation ist zwar vernichtend:
Für diesen zeitlich begrenzten Einsatz fordert Rühe eine bessere Ausrüstung der Truppe: "Wir können doch nicht auf Waffen verzichten, weil sie zu kriegerisch aussehen". Und er verlangt, daß deutsche Soldaten die Verbündeten auch im umkämpften Süden unterstützen, wenn das militärisch erforderlich ist.
Aber eben nur für eine begrenzte Zeit. Und dann soll der Abzug erfolgen.
Auf den ersten Blick mag das widersprüchlich erscheinen. Rühe scheint sich zwischen alle Stühle zu setzen. Er schließt sich weder der auf der Linken erhobenen Forderung nach sofortigem Abzug an, noch teilt er die Perspektive des Ministers Jung von einer zehnjährigen Fortsetzung des Einsatzes.
Ist Rühes Vorschlag also nur ein fauler Kompromiß zwischen diesen beiden klaren Alternativen? Nein. Um seine Position zu verstehen, muß man eine sicherheitspolitische Unterscheidung berücksichtigen, die ich in diesem Artikel im Anschluß an einen Beitrag von Fred Kaplan im Slate Magazine eim einzelnen beschrieben habe: Die Unterscheidung zwischen counterinsurgency (COIN) und counterterrorism (CT).
CT ist eine Strategie, die sich im wesentlichen auf die militärische Bekämpfung von Aufständischen beschränkt. Verfolgt werden damit meist begrenzte Ziele: Das Zurückdrängen der Aufständischen aus bestimmten Gebieten; ihre Schwächung, so daß sie nicht mehr in der Lage sind, das betreffende Land politisch zu destabilisieren oder die Macht zu an sich zu reißen.
COIN schließt CT ein, ist aber viel umfassender. Diese Strategie basiert auf der Überlegung, daß man politische und gesellschaftliche Verhältnisse schaffen muß, unter denen die Aufständischen keine Unterstützung mehr in der Bevölkerung finden. Erst dann, so wird argumentiert, kann man auch dauerhaft militärisch erfolgreich sein. COIN beinhaltet deshalb über militärische Aktionen hinaus Aufbauhilfe, Bekämpfung der Korruption, die Entwicklung demokratischer Strukturen.
Fred Kaplan analysierte damals, Ende März, die Rede Präsident Obamas zur Afghanistan- Politik und kam zu dem Ergebnis, daß Obama sich in einem Teil der Rede für CT und in einem anderen für COIN aussprach. Kaplan: ""Well, it's not clear what he'll do" - es sei halt unklar, was er tun werde.
Rühe aber ist in dem Interview glasklar: Er hält offensichtlich nichts von COIN und tritt für eine intensive Phase des CT ein. Vermutlich mit dem Ziel (Rühe entwickelt das in dem Interview nicht im einzelnen und benutzt Begriffe COIN und CT auch nicht), die Taliban so weit zu schwächen, daß sie nicht mehr in der Lage sind, noch einmal die Macht in Afghanistan zu übernehmen.
Ist das eine vernünftige Strategie? Ich denke, ja. Natürlich wäre es schön, ein demokratisches Afghanistan aufzubauen, so wie das im Irak zu gelingen scheint. Aber die Voraussetzungen sind völlig verschieden:
67 Prozent der Iraker gehören zur städtischen Bevölkerung. Nur 16 Prozent der Männer sind Analphabeten (36 Prozent der Frauen). Während der britischen Mandatszeit ist eine westlich orientierte Ober- und Mittelschicht entstanden. Und vor allem blickt das Land auf Jahrtausende der Hochkultur zurück.
Afghanistan ist ein Land, in dem Stammeskulturen dominieren. Es bestehen überwiegend feudale Strukturen; Loyalität empfinden die Menschen gegenüber ihrem Stamm und dessen Anführer, nicht gegenüber einer Staatsgewalt im fernen Kabul. Nur 24 Prozent der Bevölkerung leben in Städten. Nicht weniger als 72 Prozent sind Analphabeten.
In Afghanistan eine Demokratie aufbauen zu wollen, wird wohl in der Tat, wie Volker Rühe es drastisch ausdrückt, dort als eine Lachnummer wahrgenommen. Ein realistisches Ziel ist allein ein Afghanistan mit seinen traditionellen Strukturen, in dem aber die Taliban nicht noch einmal die Herrschaft ausüben.
Es ist schon ein wenig paradox, daß Präsident Obama, als er noch Senator war, den Irak auf dem Höhepunkt des Aufstands durch einen bedingungslosen Abzug der US-Truppen seinem Schicksal überlassen wollte; daß er sich aber - jedenfalls sprechen Passagen in seiner Rede vom 27. März 2009 dafür - das Ziel setzt, Afghanistan umzugestalten ("... to advance security, opportunity and justice -- not just in Kabul, but from the bottom up in the provinces"; Sicherheit, Chancen und Gerechtigkeit voranzubringen - nicht nur in Kabul, sondern von Grund auf in den Provinzen).
Da scheint mir die nüchterne Sicht Volker Rühes doch deutlich realistischer zu sein.
Volker Rühe in einem Interview mit dem gedruckten "Spiegel" dieser Woche.
Kommentar: Den Wortlaut des Interviews können Sie auf Deutsch nicht im Web lesen, auch nicht bei "Spiegel- Online". In solchen Fällen hilft oft ein Blick in "Spiegel- Online International", wo man - wie viele Artikel aus dem gedruckten "Spiegel" - das Interview in englischer Übersetzung findet.
Es lohnt sich, dieses Interview, so knapp es ist, zu lesen.
Rühe ist ein kenntnisreicher Außen- und Verteidigungspolitiker mit langer Erfahrung. Von 1983 bis 1989 war er Vorsitzender des Bundesfachausschusses Außen- und Sicherheitspolitik der CDU; von 1992 bis 1998 Verteidigungsminister im Kabinett Kohl. Von 2002 bis zu seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik nach der Auflösung des Bundestags 2005 war er Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags.
Volker Rühe kennt wie wenige deutsche Politiker die Verflechtungen zwischen Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Position sollte man umso mehr beachten, als er in seiner heutigen Rolle als Elder Statesman keine Rücksicht mehr auf Parteiinteressen zu nehmen braucht.
Rühe zeigt sich in dem Interview weder als Taube noch als Falke.
Seine Beurteilung der momentanen Situation ist zwar vernichtend:
Dieser Einsatz ist ein Desaster. Für die Nato, für Deutschland und für die Soldaten, die am Hindukusch sterben. Wenn Verteidigungsminister Jung und SP- Fraktionschef Peter Struck noch zehn Jahre in Afghanistan bleiben wollen, dann ist das ein Alptraum.Aber daraus zieht Rühe keineswegs die Konsequenz, wir sollten unsere Truppen so schnell wie möglich abziehen. Er tritt im Gegenteil dafür ein, daß wir uns noch zwei Jahre lang "mit voller Kraft engagieren" und dann den Rückzug einleiten sollten.
Für diesen zeitlich begrenzten Einsatz fordert Rühe eine bessere Ausrüstung der Truppe: "Wir können doch nicht auf Waffen verzichten, weil sie zu kriegerisch aussehen". Und er verlangt, daß deutsche Soldaten die Verbündeten auch im umkämpften Süden unterstützen, wenn das militärisch erforderlich ist.
Aber eben nur für eine begrenzte Zeit. Und dann soll der Abzug erfolgen.
Auf den ersten Blick mag das widersprüchlich erscheinen. Rühe scheint sich zwischen alle Stühle zu setzen. Er schließt sich weder der auf der Linken erhobenen Forderung nach sofortigem Abzug an, noch teilt er die Perspektive des Ministers Jung von einer zehnjährigen Fortsetzung des Einsatzes.
Ist Rühes Vorschlag also nur ein fauler Kompromiß zwischen diesen beiden klaren Alternativen? Nein. Um seine Position zu verstehen, muß man eine sicherheitspolitische Unterscheidung berücksichtigen, die ich in diesem Artikel im Anschluß an einen Beitrag von Fred Kaplan im Slate Magazine eim einzelnen beschrieben habe: Die Unterscheidung zwischen counterinsurgency (COIN) und counterterrorism (CT).
CT ist eine Strategie, die sich im wesentlichen auf die militärische Bekämpfung von Aufständischen beschränkt. Verfolgt werden damit meist begrenzte Ziele: Das Zurückdrängen der Aufständischen aus bestimmten Gebieten; ihre Schwächung, so daß sie nicht mehr in der Lage sind, das betreffende Land politisch zu destabilisieren oder die Macht zu an sich zu reißen.
COIN schließt CT ein, ist aber viel umfassender. Diese Strategie basiert auf der Überlegung, daß man politische und gesellschaftliche Verhältnisse schaffen muß, unter denen die Aufständischen keine Unterstützung mehr in der Bevölkerung finden. Erst dann, so wird argumentiert, kann man auch dauerhaft militärisch erfolgreich sein. COIN beinhaltet deshalb über militärische Aktionen hinaus Aufbauhilfe, Bekämpfung der Korruption, die Entwicklung demokratischer Strukturen.
Fred Kaplan analysierte damals, Ende März, die Rede Präsident Obamas zur Afghanistan- Politik und kam zu dem Ergebnis, daß Obama sich in einem Teil der Rede für CT und in einem anderen für COIN aussprach. Kaplan: ""Well, it's not clear what he'll do" - es sei halt unklar, was er tun werde.
Rühe aber ist in dem Interview glasklar: Er hält offensichtlich nichts von COIN und tritt für eine intensive Phase des CT ein. Vermutlich mit dem Ziel (Rühe entwickelt das in dem Interview nicht im einzelnen und benutzt Begriffe COIN und CT auch nicht), die Taliban so weit zu schwächen, daß sie nicht mehr in der Lage sind, noch einmal die Macht in Afghanistan zu übernehmen.
Ist das eine vernünftige Strategie? Ich denke, ja. Natürlich wäre es schön, ein demokratisches Afghanistan aufzubauen, so wie das im Irak zu gelingen scheint. Aber die Voraussetzungen sind völlig verschieden:
67 Prozent der Iraker gehören zur städtischen Bevölkerung. Nur 16 Prozent der Männer sind Analphabeten (36 Prozent der Frauen). Während der britischen Mandatszeit ist eine westlich orientierte Ober- und Mittelschicht entstanden. Und vor allem blickt das Land auf Jahrtausende der Hochkultur zurück.
Afghanistan ist ein Land, in dem Stammeskulturen dominieren. Es bestehen überwiegend feudale Strukturen; Loyalität empfinden die Menschen gegenüber ihrem Stamm und dessen Anführer, nicht gegenüber einer Staatsgewalt im fernen Kabul. Nur 24 Prozent der Bevölkerung leben in Städten. Nicht weniger als 72 Prozent sind Analphabeten.
In Afghanistan eine Demokratie aufbauen zu wollen, wird wohl in der Tat, wie Volker Rühe es drastisch ausdrückt, dort als eine Lachnummer wahrgenommen. Ein realistisches Ziel ist allein ein Afghanistan mit seinen traditionellen Strukturen, in dem aber die Taliban nicht noch einmal die Herrschaft ausüben.
Es ist schon ein wenig paradox, daß Präsident Obama, als er noch Senator war, den Irak auf dem Höhepunkt des Aufstands durch einen bedingungslosen Abzug der US-Truppen seinem Schicksal überlassen wollte; daß er sich aber - jedenfalls sprechen Passagen in seiner Rede vom 27. März 2009 dafür - das Ziel setzt, Afghanistan umzugestalten ("... to advance security, opportunity and justice -- not just in Kabul, but from the bottom up in the provinces"; Sicherheit, Chancen und Gerechtigkeit voranzubringen - nicht nur in Kabul, sondern von Grund auf in den Provinzen).
Da scheint mir die nüchterne Sicht Volker Rühes doch deutlich realistischer zu sein.
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