"Socialists in France wage civil war", die Sozialisten in Frankreich führen einen Bürgerkrieg, lautet eine Schlagzeile gestern in der International Herald Tribune, der in Paris erscheinenden internationalen Tageszeitung.
Nein, ganz so dramatisch ist die Lage noch nicht, wie das klingt. Die Barrikaden in Paris hat sie noch nicht errichtet, die französische Parti Socialiste, die sich immer noch als sozialistisch und nicht als sozialdemokratisch versteht.
Der "Bürgerkrieg", über den in dem Artikel berichtet wird, spielt sich vielmehr innerhalb dieser Partei ab. Vordergründig geht es um den neuen Vorsitzenden (in sozialistischer Tradition Generalsekretär genannt) oder, seit diesem Wochenende wahrscheinlicher, um die neue Vorsitzende.
In Wahrheit geht es um einen Richtungsentscheid. Die Partei ist so tief gespalten, daß ihr Zerfall nicht mehr ausgeschlossen ist.
Der populäre Bürgermeister von Paris, Bertrand Delanoë, hat gestern seinen Rückzug aus der Bewerbung um den Vorsitz erklärt, weil er - so kann man es beim Nouvel Observateur lesen - sich nicht an "la guerre des chefs", dem Krieg der Anführer, beteiligen wolle, "ou ce qui pourrait être ressenti comme une confusion ou un risque de division" - oder dem, was als eine Wirrnis empfunden werden könnte, oder als Risiko einer Spaltung.
Es geht um Personen; aber es sind Personen, die für unvereinbare politische Optionen stehen. Nachdem Delanoë vorerst aus dem Rennen ausgeschieden ist (in das er freilich irgendwann als Kompromiß- Kandidat zurückkehren könnte), bleiben noch drei Musketiere übrig:
Ségolène Royal ist eine seltsame politische Erscheinung; zumal in Frankreich. Eine Frau mit dem Charisma, sagen wir, eines halben Obama. Was für Frankreich sehr viel ist, wo man normalerweise nur als angepaßter Funktionär Karriere in einer Partei machen kann. Je grauer, umso besser.
Als Kandidatin gegen Bayrou und Sarkozy wurde Ségolène Royal allmählich demontiert, weil in dieser Contestation bei ihr eben außer dem Charisma nicht viel war. Sie war den beiden anderen argumentativ keinen Augenblick gewachsen.
Verloren hat sie die Stichwahl gegen Sarkozy vermutlich, als sie sich in der Debatte der beiden verbliebenen Kandidaten echauffierte; Kontrollverlust mögen die Franzosen gar nicht bei einem Staatspräsidenten. Auch wenn das vielleicht nur gespielt war - es wirkte würdelos.
Aber sie ist eine Sozialdemokratin, Ségo. Sie hat sogar zwischen dem Ersten und dem Zweiten Wahlgang versucht, einen Pakt mit dem Liberalkonservativen François Bayrou zu schließen.
Das ging zwar daneben; aber seitdem steht sie für eine moderne, eine moderate, eine zur Mitte hin orientierte Politik der französischen Sozialisten.
Nur steht die Partei damit nicht hinter ihr. Ganze 29 Prozent der Stimmen hat sie am Wochenende bekommen; die anderen allerdings noch weniger. Jetzt hat der Parteitag sein Scheitern erklärt, und man wird in der nächsten Woche die Mitglieder befragen.
Die Mitglieder, auf französisch les militants, was freilich in deutschen Ohren seltsam klingt. Aber es stimmt schon, sie sind "militant", die Mitglieder. In Frankreich wird ungleich mehr ideologisch gekämpft als bei uns (sieht man von den deutschen Kommunisten ab; und selbst die fressen ja Kreide).
Worüber sollen jetzt die Mitglieder entscheiden? Über nicht mehr und nicht weniger als die Wahl zwischen Sozialismus und Kapitalismus.
Denn darum geht es im Kern: Ein Teil der französischen Sozialisten glaubt immer noch an den Sozialismus. Für diese militants kommt kein anderes Bündnis in Frage als das mit den Kommunisten.
Sie haben als Ziel die Verstaatlichung der Produktionsmittel und eine von der Bürokratie kontrollierte Gesellschaft, in der alle glücklich sind, weil ihnen jede Entscheidung abgenommen wird. Bisher waren sie immer in der Mehrheit; und Anfang der achtziger Jahre sind sie nur knapp damit gescheitert, Frankreich auf den Weg in den Sozialismus zu bringen.
Ein anderer Teil der französischen Sozialisten - wie stark er ist, werden wir vielleicht am Ende dieser Woche wissen - hat seinen Frieden mit dem Kapitalismus gemacht. Er will ungefähr das, was die deutschen Sozialdemokraten seit dem Godesberger Programm wollen: Mehr von dem, was sie für soziale Gerechtigkeit halten, innerhalb einer freien Gesellschaft und einer Marktwirtschaft.
Diese Sozialdemokraten setzen auf ein Bündnis mit der politischen Mitte, also mit den Liberalen, den Zentristen, mit François Bayrou.
Man kann aber nicht zugleich mit ihnen und den Kommunisten paktieren. Man kann nicht zugleich den Kapitalismus reformieren und ihn abschaffen wollen. Also stecken die französischen Sozialisten jetzt, mit der Verspätung eines Jahrhunderts, in dem Revisionismus- Streit, den die deutschen Sozialdemokraten um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ausfochten.
Mir scheint, es gibt nicht nur diese historische, sondern auch eine aktuelle Parallele zur deutschen Sozialdemokratie.
Was bis zur Wiedervereinigung unmöglich schien, ist jetzt eingetreten: Auch die deutschen Sozialdemokraten stehen vor der Frage, ob sie mit den Kommunisten oder mit Demokraten paktieren werden.
Der Aufstieg der Kommunisten seit dem Scheitern Schröders hat diese Frage aktuell gemacht. Die Amtszeit des unglücklichen Kurt Beck, der das sicher nicht gewollt hatte, hat auch in der SPD die Sozialisten zum ersten Mal seit dem Ende des Ersten Weltkriegs in eine Position gebracht, in der sie mehrheitsfähig sind, aus der heraus sie also das Bündnis mit den Kommunisten wagen können. Hessen war ein Testlauf.
Auch die SPD könnte an dieser Frage zerbrechen. Sie wird sich entscheiden müssen.
Nein, ganz so dramatisch ist die Lage noch nicht, wie das klingt. Die Barrikaden in Paris hat sie noch nicht errichtet, die französische Parti Socialiste, die sich immer noch als sozialistisch und nicht als sozialdemokratisch versteht.
Der "Bürgerkrieg", über den in dem Artikel berichtet wird, spielt sich vielmehr innerhalb dieser Partei ab. Vordergründig geht es um den neuen Vorsitzenden (in sozialistischer Tradition Generalsekretär genannt) oder, seit diesem Wochenende wahrscheinlicher, um die neue Vorsitzende.
In Wahrheit geht es um einen Richtungsentscheid. Die Partei ist so tief gespalten, daß ihr Zerfall nicht mehr ausgeschlossen ist.
Der populäre Bürgermeister von Paris, Bertrand Delanoë, hat gestern seinen Rückzug aus der Bewerbung um den Vorsitz erklärt, weil er - so kann man es beim Nouvel Observateur lesen - sich nicht an "la guerre des chefs", dem Krieg der Anführer, beteiligen wolle, "ou ce qui pourrait être ressenti comme une confusion ou un risque de division" - oder dem, was als eine Wirrnis empfunden werden könnte, oder als Risiko einer Spaltung.
Es geht um Personen; aber es sind Personen, die für unvereinbare politische Optionen stehen. Nachdem Delanoë vorerst aus dem Rennen ausgeschieden ist (in das er freilich irgendwann als Kompromiß- Kandidat zurückkehren könnte), bleiben noch drei Musketiere übrig:
Sie ist da als die einzige Sozialdemokratin unter den verbliebenen drei Bewerbern.Der sehr linke und außerhalb Frankreichs kaum bekannte Benoît Hamon, Mitbegründer einer linken Strömung innerhalb der PS namens Parti Nouveau Socialiste (Neue Sozialistische Partei). Mit 41 Jahren sozusagen ein Jungsozialist. Die Altsozialistin Martine Aubry, Tochter des Ministers von Mitterand Jacques Delors. In den in Frankreich sehr linken Gewerkschaften verankert, seinerzeit als Ministerin verantwortlich für den gesetzlichen Zwang zur 35-Stundenwoche. Und Diejenige, die Sie mit Sicherheit kennen: Ségolène Royal. Nach ihrer Niederlage gegen Sarkozy geriet sie ein wenig in den Hintergrund; aber jetzt ist sie wieder da.
Ségolène Royal ist eine seltsame politische Erscheinung; zumal in Frankreich. Eine Frau mit dem Charisma, sagen wir, eines halben Obama. Was für Frankreich sehr viel ist, wo man normalerweise nur als angepaßter Funktionär Karriere in einer Partei machen kann. Je grauer, umso besser.
Als Kandidatin gegen Bayrou und Sarkozy wurde Ségolène Royal allmählich demontiert, weil in dieser Contestation bei ihr eben außer dem Charisma nicht viel war. Sie war den beiden anderen argumentativ keinen Augenblick gewachsen.
Verloren hat sie die Stichwahl gegen Sarkozy vermutlich, als sie sich in der Debatte der beiden verbliebenen Kandidaten echauffierte; Kontrollverlust mögen die Franzosen gar nicht bei einem Staatspräsidenten. Auch wenn das vielleicht nur gespielt war - es wirkte würdelos.
Aber sie ist eine Sozialdemokratin, Ségo. Sie hat sogar zwischen dem Ersten und dem Zweiten Wahlgang versucht, einen Pakt mit dem Liberalkonservativen François Bayrou zu schließen.
Das ging zwar daneben; aber seitdem steht sie für eine moderne, eine moderate, eine zur Mitte hin orientierte Politik der französischen Sozialisten.
Nur steht die Partei damit nicht hinter ihr. Ganze 29 Prozent der Stimmen hat sie am Wochenende bekommen; die anderen allerdings noch weniger. Jetzt hat der Parteitag sein Scheitern erklärt, und man wird in der nächsten Woche die Mitglieder befragen.
Die Mitglieder, auf französisch les militants, was freilich in deutschen Ohren seltsam klingt. Aber es stimmt schon, sie sind "militant", die Mitglieder. In Frankreich wird ungleich mehr ideologisch gekämpft als bei uns (sieht man von den deutschen Kommunisten ab; und selbst die fressen ja Kreide).
Worüber sollen jetzt die Mitglieder entscheiden? Über nicht mehr und nicht weniger als die Wahl zwischen Sozialismus und Kapitalismus.
Denn darum geht es im Kern: Ein Teil der französischen Sozialisten glaubt immer noch an den Sozialismus. Für diese militants kommt kein anderes Bündnis in Frage als das mit den Kommunisten.
Sie haben als Ziel die Verstaatlichung der Produktionsmittel und eine von der Bürokratie kontrollierte Gesellschaft, in der alle glücklich sind, weil ihnen jede Entscheidung abgenommen wird. Bisher waren sie immer in der Mehrheit; und Anfang der achtziger Jahre sind sie nur knapp damit gescheitert, Frankreich auf den Weg in den Sozialismus zu bringen.
Ein anderer Teil der französischen Sozialisten - wie stark er ist, werden wir vielleicht am Ende dieser Woche wissen - hat seinen Frieden mit dem Kapitalismus gemacht. Er will ungefähr das, was die deutschen Sozialdemokraten seit dem Godesberger Programm wollen: Mehr von dem, was sie für soziale Gerechtigkeit halten, innerhalb einer freien Gesellschaft und einer Marktwirtschaft.
Diese Sozialdemokraten setzen auf ein Bündnis mit der politischen Mitte, also mit den Liberalen, den Zentristen, mit François Bayrou.
Man kann aber nicht zugleich mit ihnen und den Kommunisten paktieren. Man kann nicht zugleich den Kapitalismus reformieren und ihn abschaffen wollen. Also stecken die französischen Sozialisten jetzt, mit der Verspätung eines Jahrhunderts, in dem Revisionismus- Streit, den die deutschen Sozialdemokraten um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ausfochten.
Mir scheint, es gibt nicht nur diese historische, sondern auch eine aktuelle Parallele zur deutschen Sozialdemokratie.
Was bis zur Wiedervereinigung unmöglich schien, ist jetzt eingetreten: Auch die deutschen Sozialdemokraten stehen vor der Frage, ob sie mit den Kommunisten oder mit Demokraten paktieren werden.
Der Aufstieg der Kommunisten seit dem Scheitern Schröders hat diese Frage aktuell gemacht. Die Amtszeit des unglücklichen Kurt Beck, der das sicher nicht gewollt hatte, hat auch in der SPD die Sozialisten zum ersten Mal seit dem Ende des Ersten Weltkriegs in eine Position gebracht, in der sie mehrheitsfähig sind, aus der heraus sie also das Bündnis mit den Kommunisten wagen können. Hessen war ein Testlauf.
Auch die SPD könnte an dieser Frage zerbrechen. Sie wird sich entscheiden müssen.
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