26. November 2008

Chávez' Doppelstrategie für Weg in den Sozialismus: An beiden Fronten gibt es Bewegung

Wo im Zwanzigsten Jahrhundert der Sozialismus siegte, da tat er das auf eine von zwei Weisen: Entweder durch einen Putsch oder durch einen Bürgerkrieg.

Beides war in der Oktoberrevolution angelegt, wo auf den Putsch der Bürgerkrieg folgte. Nur durch Putsch wurde der Sozialismus in den Ländern Osteuropas nach 1945 eingeführt; nur durch Bürgerkrieg zum Beispiel in China, Vietnam und Cuba.

Hugo Chávez versucht, unterstützt von intellektuellen Beratern wie dem deutschen Professor Heinz Dieterich (der inzwischen allerdings mit Kritik nicht spart) und dem Briten Paul Cockshott, einen dritten Weg in den Sozialismus zu beschreiten.

Dessen Kern ist eine Doppelstrategie: Im Inneren ein vorsichtiges Abwürgen der Freiheit; so vorsichtig, daß kein einzelner Schritt im Land selbst zu einem Aufstand führt oder international Empörung auslöst. Salami-Taktik also. Und dies nach außen abgesichert - vor allem gegen eine eventuelle US-Intervention abgesichert - durch eine "strategische Allianz" mit Rußland und mit China.

Die beiden Fronten sind voneinander abhängig: Nur mit der Rückendeckung Moskaus und Pekings kann Chávez den Weg in den Sozialismus wagen. Und andererseits: Weil er diesen Weg gehen will, ist Venezuela für diese beiden Länder so interessant. Von ihnen begehrt als ein Brückenkopf gegen die USA auf dem südamerikanischen Kontinent.

An beiden Fronten gab es in den vergangenen Tagen Neues. Es fanden Regional- und Kommunalwahlen statt, die ein weiterer Schritt innerhalb der Salami- Taktik sein sollten; und innerhalb der strategischen Zusammenarbeit mit Rußland erreichte ein russischer Flottenverband Venezuela, wo heute auch Präsident Medwedew eintreffen wird.



Wissen Sie, wie die Wahlen am vergangenen Sonntag ausgegangen sind? Sie dürften sehr gegensätzliches Wissen haben, je nachdem, welcher deutschen Quelle Sie vertrauen.

Überschrift und erster Satz der Meldung am Montag im "Deutschlandfunk" lauteten zum Beispiel "Venezuela: Chavez- Partei gewinnt Gouverneurswahlen in den meisten der 22 Bundesstaaten. Bei den Gouverneurswahlen in Venezuela haben sich die Anhänger von Präsident Chavez durchgesetzt".

Und "Spiegel- Online" titelte bündig: "Chávez entscheidet Regionalwahlen für sich". Hatten Sie hingegen am Montag mehr Vertrauen in die Berichterstattung zum Beispiel der "Welt", dann erfuhren Sie dort: "Schlappe für Hugo Chavez bei Kommunalwahlen".

Wie man sich denken kann, entstehen solche gegensätzlichen Schlagzeilen, wenn eine Wahl unklar ausgegangen ist. Wenn man also berichten kann, daß das Glas halb voll oder daß es halb leer ist. Den Kern der Sache getroffen hat der "Tagesspiegel": "Chávez verfehlt Ziel der Alleinherrschaft".

Seinen Plan, am Sonntag einen entscheidenden Schritt in Richtung auf einen Einparteien- Staat zu tun, hat Chávez nicht realisieren können. Wie immer zuverlässig, berichtet in der New York Times deren Venezuela- Korrespondent Simon Romero, was sich bei diesen Wahlen zugetragen hat:

Chávez Sozialistische Einheitspartei PSUV hat weiter das flache Land fest im Griff. Aber die Städte, die Industriegebiete sind in erstaunlichem Maß zur Opposition übergeschwenkt.

Die Städte - das sind nicht nur die bürgerlichen, freiheitlich gesonnenen Schichten, die schon immer in Opposition zu Chávez standen. Sondern zunehmend verliert er auch dort an Unterstützung, wo er früher einmal seine treuesten Anhänger hatte: In den Armenvierteln, in den Slums.



Der Hintergrund ist der beispiellose wirtschaftliche Niedergang Venezuelas, wie ihn Anfang dieses Jahres der Ökonom Francisco Rodríguez analysiert hat. Gerade den Ärmsten geht es keineswegs besser; es gab zum Beispiel 2006 in Venezuela mehr untergewichtige Kleinkinder, mehr Haushalte ohne Anschluß an die Wasserversorgung als im Jahr 1999. Zugleich hat sich die Lage bei den Menschenrechten dramatisch verschlechtert.

Eine Zeitlang kann eine Regierung eine solche Entwicklung mit Propaganda, mit Versprechungen, mit Druck und Repression auffangen. Irgendwann bricht sich die Unzufriedenheit Bahn.

Solange das noch möglich ist. Solange also das vorsichtige Abwürgen der Freiheit noch nicht so weit gediehen ist, daß solche Ausbrüche von Unzufriedenheit gar nicht mehr stattfinden können.

Auch dieser Dritte Weg zum Sozialismus wird irgendwann an dem Punkt ankommen, wo sich die "Machtfrage" stellt, ein Lieblingswort der Kommunisten. Dann wird Chávez das, was in Venezuela jetzt noch an Rechtsstaatlichkeit und Demokratie übrig ist, bei Strafe des Machtverlusts, des Endes seines Sozialismus, beseitigen müssen. Jedenfalls wird er das versuchen; vielleicht mit Hilfe Cubas, das schon jetzt in Venezuela seine Agenten mit polizeilichen Befugnissen hat.



Entscheidend wird dann die Unterstützung durch China und Rußland sein.

Heute trifft Präsident Medwedew zum Auftakt einer Lateinamerika- Reise in Venezuela ein. Zu Gesprächen zwischen zwei "freien, souveränen Ländern, die sich einander annähern", wie Chávez es am Montag genannt hat.

Angenähert haben sich jedenfalls vier russische Kriegsschiffe der Küste Venezuelas zwecks gemeinsamer Manöver mit der venezolanischen Kriegsmarine.

Der Zerstörer "Admiral Tschabanenko" liegt in einem Hafen in der Nähe von Caracas am Kai. "Wir werden Kommunikations- Übungen, taktische Manöver, Übungen im Kampf gegen Drogen und Terrorismus durchführen, aber auch Luftabwehr- Übungen mit Suchoi- Jagdflugzeugen" sagte dazu der venezuelanische Vizeadmiral Luis Marquez Marquez.

Wenn es in Venezuela hart auf hart kommt, dann steht Rußland an der Seite von Chávez; das ist die eine Botschaft dieses militärisch eskortierten Staatsbesuchs.

Die andere richtet sich an die USA, speziell an deren neuen Präsidenten. Unter der Überschrift "In Sea Exercises, A Sign for Obama" (In den Seemanövern ein Zeichen für Obama) schreibt dazu heute Juan Forero in der Washington Post:
The arrival of Russian President Dmitry Medvedev and a naval squadron in Venezuela this week is an unequivocal message to President-elect Barack Obama that his most nettlesome challenge in the Americas will be Venezuela's populist government and its oil-fueled crusade against U.S. influence, political analysts say.

Nach Aussagen politischer Beobachter ist die Ankunft des russischen Präsidenten Dmitri Medwedew und eines Flottenverbands diese Woche in Venezuela eine unmißverständliche Botschaft an den gewählten Präsidenten Barack Obama, daß seine unangenehmste Herausforderung auf dem amerikanischen Kontinent die populistische Regierung Venezuelas und ihr sich aus dem Erdöl speisender Kreuzzug gegen den Einfluß der USA sein wird.
So ist es wohl. Rußland wird den jungen Mann in Lateinamerika testen, so wie man ihn in Osteuropa testen wird.

Langfristig geht es aber um mehr: Um die politisch- militärische Rückkehr Rußlands in die westliche Hemisphäre. Um das erstmalige derartige Aufreten Chinas in der westlichen Hemisphäre.

Und vor allem darum, ob der Dritte Weg von Chávez mit deren Unterstützung zum Erfolg führt; als Vorbild für ganz Lateinamerika, als Hoffnung für den Sozialismus weltweit.




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