12. November 2008

Von Bush zu Obama (1): Warum hat Barack Obama gewonnen? Eine Wahlanalyse auf fünf Ebenen, Teil 4

Barack Obama hat gewonnen, weil er Charisma hat und weil sein Team einen ausgezeichneten Wahlkampf führte; das war der Inhalt von Teil eins. Er hat gewonnen, weil seine Kandidatur perfekt in den zeitgeschichtlichen Kontext paßte - er war sozusagen der rechte Mann zur rechten Zeit - und weil die Finanzkrise ihn begünstigte. Das war der Inhalt der Teile zwei und drei.

Das sind Erklärungen auf unterschiedlichen Ebenen der Analyse, die einander nicht ausschließen, sondern ergänzen. Im jetzigen, abschließenden Teil befasse ich mich mit einer Ebene der Analyse, die diese bisherigen überwölbt und die am weitesten von den aktuellen politischen Vorgängen entfernt ist: Der kulturellen.



5. Die kulturelle Ebene. Es gibt Begriffe, die man fast nur in ihrer übertragenen Bedeutung kennt. Dazu gehört der "Schmelztiegel". Was genau ein Schmelztiegel in einem Labor ist - falls es denn dergleichen noch gibt - , weiß ich bis heute nicht; aber daß Amerika ein Schmelztiegel ist, ein Melting Pot, das lernt man in der Schule. Es ist sozusagen ein Teil des Allgemeinwissens.

Ein Schmelztiegel sind die USA - so lernte man es -, der aus Einwanderern aus aller Herren Länder binnen zwei, drei Generationen gute, patriotische Amerikaner macht. Bürger, die noch die eine oder andere Eigenheit aus der alten Heimat bewahren mögen - die Deutschamerikaner in Wisconsin trinken noch gern Bier und feiern Deutsche Weihnacht -, die aber doch primär eine amerikanische Identität haben.

Ein amerikanischer Kollege hat mir einmal ein Buch gezeigt, das er dreisprachig gewidmet hatte: Auf Italienisch seiner aus Italien eingewanderten Mutter, auf Dänisch seiner Frau, Tochter dänische Einwanderer - und auf Englisch seinen Kindern.

Die Legierung, die in diesem Schmelztiegel entstand, hatte freilich eine dominierende Kompontente: Die traditionelle amerikanische Kultur der WASPs, der White Anglo- Saxon Protestants. Aus den Reihen dieser weißen Protestanten mit angelsächsischen Vorfahren kam die Elite, kamen fast alle Präsidenten der USA. Ein Jude ist bis heute nicht Präsident geworden. Als der erste Katholik trat im Januar 1961 John F. Kennedy sein Amt an. Und natürlich ist Barack Obama der erste Nichtweiße, der zum Präsidenten gewählt wurde.

Von wem wurde er in dieses Amt gewählt? Nach einer Analyse des National Journal erstens von den Jungen. Je jünger eine Wählergruppe, umso mehr tendierte sie zu Obama. Nur bei den Senioren über 65 Jahren hatte McCain eine Mehrheit.

Zweitens waren es die Nichtweißen, denen Obama seinen Sieg verdankte. Bei den weißen Wählern lag - gemittelt über alle Altersgruppen - John McCain vorn. Obama aber erhielt von allen anderen Gruppen einen sehr hohen Anteil der Stimmen. Von den Schwarzen stimmten 95 Prozent für ihn; und von allen anderen Nichtweißen - Hispanics, Asians, Indianer (Native Americans) - zusammengenommen erhielt er rund doppelt so viele Stimmen wie John McCain.

Ungefähr drei Viertel der US-Bevölkerung sind Weiße. Daß McCain bei ihnen vorn lag, wurde mehr als aufgewogen dadurch, daß bei dem Viertel der Nichtweißen Obama nicht nur führte, sondern ein gewaltiges Übergewicht über McCain hatte.



Man kann es auch anders sehen: Obama wurde gewählt von einer Koalition aus der großen Mehrheit der Nichtweißen und einer starken Minderheit der Weißen, unter denen wiederum die Jungen (und auch die Frauen, bei denen er 13 Prozentpunkte vor McCain lag) den Ausschlag gaben.

Noch anders gesagt: Es war eine Wahl gegen das Amerika der weißen Männer; also just derer, die in der klassischen amerikanischen WASP- Kultur führend gewesen waren. Gegen diese Kultur hat sich eine bunte Koalition durchgesetzt.

Darin spiegelt sich zweierlei:

Erstens die demographische Entwicklung. Durch die starke Einwanderung und aufgrund ihrer hohen Geburtenrate stellen die Hispanics einen wachsenden Anteil an der Bevölkerung. (Auch die indianische Bevölkerung wächst übrigens und ist jetzt mit mehr als vier Millionen kopfstärker als bei der Gründung der USA). In vier Staaten - Californien, Hawaii, New Mexico und Texas — sind die Weißen dadurch zur Minderheit geworden (es gibt dort eine Minority- Majority).

Der zweite, damit einhergehende Aspekt ist die Wandlung des politischen Klimas in den USA im vergangenen halben Jahrhundert. Erst sie schuf die Grundlage dafür, daß auch ein Großteil der weißen Bevölkerung für Obama stimmte.

Ähnlich wie in Deutschland die 68er ihren Langen Marsch durch die Institutionen damit abgeschlossen hatten, daß sie mit ihrem Denken das gesellschaftliche Klima bestimmten, erlebten auch die USA in diesem halben Jahrhundert fast so etwas wie eine Umwertung aller Werte.

An die Stelle des Melting Pot, der die Einwanderer mit unterschiedlichstem kulturellem Hintergrund zu einer Nation mit gemeinsamen Anschauungen und Werten gemacht hatte, trat immer mehr das Modell einer Gesellschaft der Communities; der Gemeinschaften - seien es ethnische, sexuelle, weltanschauliche oder religiöse.

Diversity, Vielfalt, wurde zu einem zunehmend positiv besetzten Begriff. Auf dem diesjährigen Wahlparteitag der Demokraten war durch den Delegiertenschlüssel festgelegt, wie stark die einzelnen Communities vertreten waren; die Delegierten trugen Anstecker, die sie als Vertreter der jeweiligen Gruppe auswiesen. Amerikanische Universitäten werben um Studenten mit dem Argument, daß sie besonders viel für die Diversity täten.

Diese Entwicklung brachte eine konservative Gegenbewegungen hervor, die aus europäischer Perspektive oft als eine Einheit wahrgenommen wurde, die tatsächlich aber sehr vielfältig war und ist; von den intellektuellen konservativen Aufklärern, die das Etikett Neocons bekamen, über das Rural America, das ländliche Amerika, bis zu fundamentalistischen "Wiedergeborenen Christen", die fest glauben, daß die Welt vor 6000 Jahren erschaffen wurde.

Die Präsidentschaftswahlen 2000 und 2004 waren von diesem Gegensatz geprägt. Der fromme Konservative George W. Bush konnte nur deshalb Präsident werden, weil diese konservative Gegenbewegung im Lauf der neunziger Jahre eine Stärke erreicht hatte wie nie zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg; der einzige ähnlich konservative republikanische Kandidat, Barry Goldwater, war 1964 von Lyndon B. Johnson mit 61 zu 39 Prozent der Stimmen vernichtend geschlagen worden.

Als sich 2000 Bush und Al Gore gegenüberstanden, waren das wirklich zwei Welten, die aufeinandertrafen - das multiethnische, politisch correkte Amerika der Diversity gegen das konservative Amerika des Melting Pot. Beide Lager waren damals fast genau gleich stark.

Auch jetzt war dies wieder der Gegensatz, der die Konfrontation zwischen John McCain und Barack Obama prägte. Daß jetzt Obama eindrucksvoll gewann, während Gore und Kerry knapp unterlegen waren, mag zu einem kleinen Teil an der demographischen Entwicklung liegen. Eher könnte es ein normales Ausschlagen des Pendels nach links sein, nachdem acht Jahre lang ein konservativer Republikaner regierte.

Entscheidend dürften aber die anderen, eingangs genannten und in den früheren Teilen untersuchten Faktoren gewesen sein, die sich diesem Grund- Gegensatz überlagerten und den Ausschlag für Obama gaben.



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