22. November 2008

Zettels Meckerecke: "Machtgeil!" "Abschaffung der Demokratie!" "Anschlag auf den Rechtsstaat!" - Nein. Schäuble will das Vernünftige

Der Bundestag faßt seine Beschlüsse in der Regel mit einfacher Mehrheit. Man kann das in Artikel 42, Absatz 2 des Grundgesetzes nachlesen:
Zu einem Beschlusse des Bundestages ist die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich, soweit dieses Grundgesetz nichts anderes bestimmt. Für die vom Bundestage vorzunehmenden Wahlen kann die Geschäftsordnung Ausnahmen zulassen.
Stimmenthaltungen sind keine abgegebenen Stimmen. Wer sich enthält, der stimmt nicht ab. Darin besteht ja eben die Enthaltung, daß man sich der Abstimmung enthält, daß man auf das Abstimmen verzichtet. (Siehe zum Beispiel den Wikipedia- Artikel "Mehrheit").

Die einfache Mehrheit ist folglich erreicht, wenn mehr "ja"- als "nein"- Stimmen abgegeben wurden. Enthaltungen werden ebensowenig berücksichtigt wie ungültige Stimmen.

Sind diese Regelungen demokratisch? Wenn wir der Fraktionsvorsitzenden der "Grünen" im Bundestag, Renate Künast, glauben wollen, dann sind sie das nicht.



Innenminister Schäuble hat, so berichtete es gestern Severin Weiland in "Spiegel- Online", einen Brief geschrieben. Verfaßt hat er ihn zusammen mit einem Parlamentarier der SPD, dem stellvertretenden Vorsitzenden der SPD- Fraktion im Bundestag Fritz Rudolf Körper.

Adressaten des Briefs sind die beiden Vorsitzenden der Föderalismus- Kommission II, der SPD- Fraktionsvorsitzende Peter Struck und der Ministerpräsdident von Baden- Württemberg Günther Oettinger. "Bekannt" wurde der Brief, so Severin Weiland, gestern "am Rande der Innenministerkonferenz in Potsdam". Mit anderen Worten, jemand hat geplaudert. Mit perfektem Timing, bestens abgestimmt auf die aktuelle Diskussion um das BKA- Gesetz.

In dem Brief schlagen die beiden Verfasser vor, bei Abstimmungen im Bundesrat künftig so zu verfahren wie im Bundestag. Weiland: "Enthaltungen im Bundesrat sollten künftig nicht mehr als Nein- Stimmen gewertet werden, für eine Mehrheit sollten nur die abgegebenen Ja- und Nein- Stimmen zählen. (...) 'Nicht- Entscheidungen' brächten die föderale Demokratie nicht voran, so Schäuble und Körper."



Schäuble und Körper wollen also eine Sonderregelung in der Geschäftsordnung des Bundesrats aufheben.

Sie mögen, lieber Leser, nicht glauben, daß Renate Künast diesen Vorschlag als undemokratisch bezeichnet hat? Lesen Sie, was sie laut dem Artikel in "Spiegel- Online" dazu gesagt hat:
Die Grünen gingen am Freitag am weitesten und forderten indirekt Schäubles Rücktritt. "Dieser Minister hat entweder die Demokratie nicht verstanden, oder er will sie abschaffen", sagte die Fraktionschefin im Bundestag, Renate Künast. In beiden Fällen sei er als Innenminister untragbar.
Ist da Renate Künast ein wenig durchgedreht? Vielleicht. Aber sie ist keineswegs allein. Der Bremer Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) gab zu Schäubles und Körpers Brief der "Neuen Osnabrücker Zeitung" ein Interview:
"Das ist ein heftiger Anschlag auf parlamentarische, rechtsstaatliche Prinzipien, die sich seit knapp 60 Jahren bewährt haben." Der Vorstoß werde sich als Schuss in den Ofen erweisen.
Den Vogel abgeschossen hat freilich nicht Künast und nicht Böhrnsen. Diese Ehre gebührt einmal mehr dem Meister der Feder und edlen Kämpfer gegen Tod und Schäuble Heribert Prantl. Dieser schreibt heute in der "Süddeutschen Zeitung" unter der Überschrift "Ein machtgeiler Plan":
Dies ist ein machtgeiler Plan (...) Schon der zeitliche Zusammenhang mit dem mutmaßlichen Scheitern des BKA-Gesetzes disqualifiziert das machtlüsterne Vorhaben.



Machtgeil? Machtlüstern? Ein Anschlag auf rechtsstaatliche Prinzipien? Der Versuch, die Demokratie abzuschaffen? Was ist in diese Politiker, was ist in Heribert Prantl gefahren?

Es geht, wie Prantl richtig erkennt, um die "Parteien, die im Bundestag in der Opposition sitzen, aber in den Ländern mitregieren (also derzeit FDP, Grüne, Linkspartei)". Aber Schäuble und Körper wollen keineswegs, wie Prantl unterstellt, daß diese Parteien "bundespolitisch marginalisiert" werden, daß ihre "Chance, via Bundesrat mitzuregieren", verloren wäre ("perdu" schreibt der allseitig gebildete Prantl).

Um Mitregieren geht es ja gerade nicht. Es geht um das Gegenteil - um Nichtregieren, um Blockieren.

Schäuble und Körper sind sich klar darüber, daß - bedingt durch den Aufstieg der Kommunisten - in den kommenden Jahren Landesregierungen immer wahrscheinlicher werden, in denen entweder Kommunisten sitzen oder bei denen es sich um eine unnatürliche Koalition handelt. Damit meine ich Koaltionen, die beispielsweise - wie jetzt in Hamburg - von der Union und den Grünen gebildet werden. Oder eine "Ampel". Oder "Jamaika". Oder eine Große Koalition. Koalitionen zwischen Parteien also, die im politischen Spektrum weit voneinander entfernt sind.

In solchen Fällen ist es wahrscheinlich, daß man sich innerhalb der Landesregierung nicht auf ein Abstimmungs- Verhalten im Bundesrat einigen kann. Die Koalitions- Vereinbarungen sehen dann regelmäßig die Enthaltung vor.

Solange Enthaltungen wie "nein"- Stimmen behandelt werden, wird das dazu führen, daß im Bundesrat immer mehr Gesetze überhaupt nicht mehr verabschiedet werden können.

Es droht die Gefahr einer Beeinträchtigung, ja einer Blockade der Gesetzgebungsarbeit, sofern der Bundesrat beteiligt ist. Denn die jeweilige Bundesregierung - wer immer sie stellt - hat dann nicht nur diejenigen Länder gegen sich, die von der bundespolitischen Opposition regiert werden, sondern zusätzlich alle, in denen die Kommunisten mitregieren oder in denen es eine unnatürliche Koalition gibt.

Nicht um "Machtgeilheit" geht es also, wenn Schäuble und Körper einer solchen Entwicklung rechtzeitig vorbeugen möchten. Nicht um eine Abschaffung der Demokratie geht es, wie die unsägliche Frau Künast der Öffentlichkeit einreden will, sondern im Gegenteil darum, daß unser demokratischer Rechtsstaat auch in Zukunft funktioniert.



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