9. November 2008

Von Bush zu Obama (1): Warum hat Barack Obama gewonnen? Eine Wahlanalyse auf fünf Ebenen, Teil 3

Am Anfang seiner zweiten Amtszeit im Januar 2005 konnte George W. Bush mit seinen Leistungen zufrieden sein. Die Amerikaner waren es auch; sonst hätten sie ihn ja nicht im Amt bestätigt.

Es ging ihnen wirtschaftlich nicht schlecht. Die terroristische Bedrohung schien gebannt; im Irak ging der Aufbau einer Demokratie voran. Damals hätte, so habe ich im zweiten Teil argumentiert, Barack Obama mit einem Ruf nach Change keine Chance gehabt.

Was ist passiert, daß sich die Stimmung in den USA seither so grundlegend geändert hat? Zum einen gab es eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage; dazu später. Vor allem aber gab es eine Wende im Irak- Krieg, die sich im Lauf des Jahres 2005 entwickelte und die im Anschlag auf die Askari- Moschee von Samarra im Februar 2006 ihr Symbol fand.

Den Aufständischen - El Kaida, bewaffnete Reste des Saddam- Regimes - war es bis dahin nicht gelungen gewesen, den Aufbau des neuen Irak ernsthaft zu gefährden. Jetzt konnten sie es; und die perfide Strategie (der El- Kaida- Führer Al Zarkawi hatte sie bereits im Februar 2004 formuliert) bestand darin, einen Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten herbeizubomben. Das schien erfolgreich; jedenfalls sah es ab dem Anschlag auf die Askari- Moschee so aus.



Der Adressat dieser Strategie war die amerikanische Öffentlichkeit. Asymmetrische Kriege können in der Regel von den Aufständischen militärisch nicht gewonnen werden. Ihre Chance für einen Erfolg liegt darin, daß sie in der Öffentlichkeit des Gegners den Eindruck erzeugen, der Krieg sei nicht gewinnbar oder die Kosten eines Siegs seien unverhältnismäßig hoch. Mit dieser Strategie haben die Nordvietnamesen aus einer Situation absoluter militärischer Unterlegenheit heraus den Vietnam- Krieg gewonnen.

Auch im Irak schien diese Strategie im Lauf des Jahres 2006 aufzugehen. Die Invasion stellte sich einem wachsenden Teil der US-Nation als Mißerfolg dar. Man hatte sich einen kurzen Befreiungskrieg vorgestellt; dafür wollte man gern Opfer bringen. Nun schien daraus ein Protracted War, ein sich hinschleppender Krieg mit ungewissem Ausgang zu werden, und die Hoffnung, daß am Ende ein stabiler, demokratischer Irak stehen würde, sank immer mehr. So hatte man nicht gewettet. Dafür wollte man nicht das Geld der Steuerzahler ausgeben und das Leben amerikanischer Soldaten riskieren.

Und nicht nur das: Man war in der Überzeugung in diesen Krieg gezogen, auf der Seite des Rechts zu stehen, gegen einen Diktator und gegen Terroristen. Nun sah man die USA auf der Anklagebank. Im Jahr 2004 waren die Mißhandlungen von Gefangenen im Gefängnis Abu Ghraib bekanntgeworden (einen ausgezeichneten, detaillierten Bericht zu dessen Hintergründen brachte der New Yorker im März dieses Jahres). Die Prozesse gegen die Täter zogen sich das ganze Jahr 2005 hin.

Die Berichte über Guantánamo, die internationale Anprangerung der USA taten ein übriges: Die normalerweise optimistische Grundstimmung in den USA schlug in Pessimismus, ja so etwas wie eine von Selbstzweifeln getragene Depression um.

Zunehmend sah man Bush als den Schuldigen, und bei den Mid Term Elections Ende 2006 wurde er mit einer vernichtenden Wahlniederlage abgestraft. Das war der erste Hinweis auf einen Ruf nach Wandel, der schließlich zur Wahl Obamas führte. Daß der Präsident Ende Januar 2007 den Mut gehabt hatte, entgegen der um sich greifenden pessimistischen, ja defätistischen Stimmung den Surge zu befehlen und daß dieser erfolgreich war, änderte nichts mehr an dieser Grundstimmung.

Vielleicht hätte sie sich noch einmal zugunsten von Bush gedreht, wäre nicht die Verschlechterung der Wirtschaftslage hinzugekommen.



4. Die wirtschaftliche Ebene. Während Bushs erster Amtszeit waren die Wirtschaftsdaten, alles in allem, positiv. Die Inflation war auf dem niedrigen Stand von 2 bis 3 Prozent pro Jahr; zugleich wuchs die Produktivität um jährlich knapp 5 Prozent. Die Zahl der Jobs erhöhte sich bis 2005 um fast fünf Millionen; die Arbeitslosigkeit lag 2005 ungefähr genauso hoch wie bei Bushs Amtsantritt.

Auch im Lauf des Jahres 2006 waren die Daten noch gut, aber eine Abflachung des Wachstums, wenn nicht eine Rezession begann sich anzukündigen. In der Pressemitteilung über einen Bericht der Vereinten Nationen vom 11. Januar 2007 mit dem Titel World Economic Situation and Prospects 2007 heißt es hellsichtig:
The UN report further warns that there is a possibility of a more severe downturn in the global economy should there be a more dramatic fall in US home prices of, say, by 15 per cent. Such a decline, the report says, would not only cut US growth to a pace below 1 per cent in 2007 but would also substantially reduce world economic growth by at least one percentage point. Such a decline in housing prices could provoke a crisis in mortgage markets and set in motion a deflationary adjustment in the global balances, enhancing the risk of a major upheaval in the financial markets.

Des weiteren warnt der Bericht, daß die Möglichkeit eines schwereren Abschwungs in der Weltwirtschaft besteht, wenn es einen dramatischeren Rückgang der Immobilien- Preise in den USA von beispielsweise 15 Prozent gäbe. In dem Bericht heißt es, daß ein solches Abfallen nicht nur das Wachstum in den USA auf unter ein Prozent vermindern, sondern auch das weltweite Wirtschafts- Wachstum um mindestens einen Prozentpunkt reduzieren würde. Ein derartiges Abfallen der Immobilien- Preise könnte eine Krise auf den Hypotheken- Märkten auslösen und eine deflatorische Anpassung der globalen Balance in Gang setzen. Dies würde das Risiko eine erheblichen Umbruchs in den Finanzmärkten vergrößern.
Verfolgte man die amerikanische Presse im Lauf des Jahres 2007 dann war zu sehen, wie die Angst vor einem Abschwung sich allmählich ausbreitete. Daß es zu einem Fast- Zusammenbruch der Finanzmärkte kommen würde, erwartete kaum jemand. Aber das Gespenst einer Rezession ging um.



Wenn das Thema "Wirtschaft" in den Vordergrund der politischen Diskussion tritt, dann nützt das eigentlich in den USA eher den Republikanern als den Demokraten; so wie auch bei uns die CDU bei diesem Thema als kompetenter gilt als die SPD. In beiden Ländern wählt man eher konservativ, wenn es wirtschaftlich aufwärts gehen soll, und eher links, wenn man meint, jetzt sollten die Früchte eines Aufschwungs verteilt werden.

Von Verteilen konnte nun allerdings in der Krise, die sich 2007 in der US-Wirtschaft vorbereitete und die in den vergangenen Monaten so dramatisch ausbrach, keine Rede sein. Trotzdem hat Barack Obama seine Wahl wesentlich dem Thema "Wirtschaft" zu verdanken. Nicht weniger als 62 Prozent der Befragten nannten am Wahltag die Wirtschaft als das für sie wichtigste Thema; erst an zweiter Stelle lag der Irak mit nur 10 Prozent.

Daß Barack Obama beim Thema "Wirtschaft" führt, hat sich erst in den letzten drei Monaten entwickelt. Noch Anfang August lagen McCain und er bei diesem Thema gleichauf; bei den Themen Steuern, Handels- Abkommen und Staats- Haushalt lag McCain sogar vorn. Das war vor dem vollen Ausbrechen der Finanzkrise.

Seither hat das Thema "Wirtschaft" für viele Amerikaner eine neue Bedeutung bekommen. Es geht ihnen nicht mehr darum, wer am besten die Wirtschaft ankurbelt, wessen Politik zum größten Zuwachs an Produktivität führt. Sondern sie haben denjenigen gewählt, von dem sie erwarteten, daß er sie besser schützen würde, wenn es ganz dick kommt. Daß er sie davor bewahren würde, ihr Haus zu verlieren und ohne Gesundheitsversicherung dastehen.

Anders gesagt: Das Thema "Wirtschaft" wurde für diese Amerikaner, die sich durch die Finanzkrise in ihrer Existenz bedroht sehen, im Grunde zum Thema "Soziale Sicherheit". Zu einem linken Thema also. Deshalb wählten sie Obama.

Welche kritische Rolle für den Sieg Obamas dieses Thema hatte, zeigen nicht nur die Umfragedaten über die wahltentscheidenden Themen, sondern es wird auch im Verlauf der Umfragewerte für die Kandidaten deutlich: Bis Ende September lagen sie nah beieinander; zeitweise war in der ersten Hälfte des September sogar McCain vorn. Die Schere begann sich erst mit dem vollen Ausbruch der Finanzkrise immer weiter zu öffnen.

Daß Obamas Sieg so deutlich ausfiel, dürfte also wesentlich dem Thema Wirtschaft zuzuschreiben sein.

Dabei war Obama ursprünglich keineswegs der ideale demokratische Kandidat für dieses Thema gewesen. Die Kandidatin des Kleinen Mannes war Hillary Clinton. Am meisten die soziale Trommel gerührt hatte von den drei Kandidaten der Demokraten, die zum Schluß noch übrig geblieben waren, John Edwards. Obama hatte nicht auf dieses Thema gesetzt; er galt geradezu als jemand, der bei den Kleinen Leuten Schwierigkeiten haben würde. Zu elitär, zu wenig vertraut mit dem, was der Mann auf der Straße denkt, welche Sorgen er hat.

Obamas thematische Stärke waren nicht die sozusagen altmodischen Themen Wirtschaft und Soziale Sicherheit gewesen, sondern die Erneuerung der Nation. Change, das bedeutete einerseits: "Schluß mit 'Washington', mit Bush und den Neocons". Andererseits und vor allem aber bedeutete es für viele Wähler Obamas, daß ein neues Denken Einzug in die Politik halten sollte.

Heute hat in CNN Larry King den Alt- Bürgerrechtler Senator Jesse Jackson gefragt, ob die Wahl Barack Obamas für ihn eine friedliche Revolution sei. Ja, gewiß, hat Jackson geantwortet.

Es war eine Revolution, aber keine soziale, sondern eine Kulturrevolution. Es war eine Revolution der Jugend, eine Revolution von Minderheiten. Mit dieser kulturellen Ebene des Erfolgs von Barack Obama befaßt sich der folgende, letzte Teil.

(Fortsetzung folgt)



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