Posts mit dem Label Sozialismus werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Sozialismus werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

29. August 2009

Zitat des Tages: "Die deutsche Einheit drückt der alt- bundesdeutschen Parteienlandschaft ihren Stempel auf".

Die Ost-Partei PDS ist nicht untergegangen, sondern Teil des mühsamen, spannenden, bislang erfolgreichen Abenteuers einer gesamtdeutschen Linkspartei geworden. Die Karten im Parteienpoker werden neu gemischt, politische Erbhöfe gelten nicht mehr viel. Die deutsche Einheit drückt der alt- bundesdeutschen Parteienlandschaft ihren Stempel auf, nicht umgekehrt. Das ist gut so.

Wolfgang Hübner, stellvertretender Chefredakteur der von Lothar Bisky herausgegebenen Sozialistischen Tageszeitung "Neues Deutschland", in deren heutiger Ausgabe über die Situation vor den bevorstehenden Landtagswahlen. Überschrift des Artikels: "Die schwarze Herrlichkeit geht zu Ende".

Kommentar: In keinem politischen Lager wird so sehr in historischen Prozessen gedacht wie bei den Kommunisten. Alles, was sich in der Politik ereignet, sehen sie unter dem Gesichtspunkt von Fortschritten oder Rückschlägen auf dem Weg zum Sieg des Sozialismus. Alles, was sie politisch tun, bestimmt sich danach, ob es das "Kräfteverhältnis" zugunsten der Kräfte des Sozialismus verändert oder nicht.

Als sich Ende 1989 der Untergang der DDR abzeichnete, dürften viele in der SED das als eine Niederlage angesehen haben, die sie auf dem Weg in den Sozialismus weit zurückwerfen würde. Aber es gab auch Weitsichtige wie den damaligen SED-Vorsitzenden Gregor Gysi, der auf dem Außerordentlichen Parteitag der SED am 8./9. Dezember 1989, fortgesetzt am 16./17. Dezember, die Auflösung der Partei verhinderte und erreichte, daß sie sich nur einen neuen Namen gab.

Vorerst nannte sie sich SED-PDS; auf dem Parteitag am 24./25. Februar 1990 wurde "SED" gestrichen, und die Partei hieß nur noch PDS (siehe die informative, wenn auch natürlich parteiliche Geschichte der PDS, die Wolfram Adolphi bei der Rosa- Luxemburg- Stiftung publiziert hat).

Mit diesen beiden Schachzügen war das Überleben der SED erst einmal gesichert; zumal es Gysi und seinen Finanz- Fachleuten in den Monaten danach gelang, erhebliche Teile des SED- Vermögens über die Wende hinweg zu retten (siehe dazu den Artikel im "Spiegel" 50/2001).

Manche Kleinmütige mögen in den ersten Jahren, in denen die umgetaufte SED sich unter demokratischen Verhältnissen behaupten mußte, gleichwohl erwartet haben, sie werde bald auf das Niveau ihrer Vorgängerpartei im Westen abrutschen, der in DKP umbenannten KPD. Zeitweise sah es auch danach aus; beispielsweise, als die Partei bei den Bundestagswahlen 2002 keine fünf Prozent mehr erreichte und nur noch mit zwei direkt gewählten Abgeordneten im Bundestag saß.

Damals hatte es wirklich den Anschein, daß die "alt- bundesdeutsche Parteienlandschaft" dem vereinten Deutschland "ihren Stempel aufgedrückt" hatte; und auf diesem Abdruck war die kommunistische Partei nur noch unter dem Mikroskop zu erkennen.

Aber wo die Not am größten ist, sagt Hölderlin, da wächst das Errettende auch. Eine Ironie der Geschichte wollte es, daß just das Scheitern der Linkspolitik der rotgrünen Koalition Gerhard Schröders einen Höhenflug der Kommunisten einleitete, der bis heute anhält.

Wie François Mitterands Volksfront- Koalition von 1981 scheiterte auch Rotgrün an den wirtschaftlichen Realitäten. Wie Mitterand 1983 mußte Schröder mit der "Agenda 2010" zwei Jahrzehnte später, im März 2003, das Ruder herumwerfen und eine liberale Wirtschaftspolitik einleiten. Der SPD brach damit ihr linker Flügel weg, samt den Wählern, die er an die Partei gebunden hatte.

Das war die Chance der Kommunisten. Damit begann der Prozeß, der dazu geführt hat, daß heute, wie Hübner richtig erkennt, "die deutsche Einheit ... der alt- bundesdeutschen Parteienlandschaft ihren Stempel" aufdrückt. Nur muß es statt "die deutsche Einheit" natürlich "die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands" heißen.

Kaum eine der anderen kommunistischen Parteien, die unter dem Vorsitz Lothar Biskys innerhalb der Europäischen Union zusammengeschlossen sind, ist derzeit so erfolgreich wie die deutschen Genossen.

"Die Ost-Partei PDS ist nicht untergegangen" schreibt Hübner. Fürwahr. Nach ihrer Umbenennung und später dann der Einverleibung der WASG hat sich die SED den neuen Kampfbedingungen in der Bundesrepublik bestens angepaßt. Heute spielt sie souverän auf der Klaviatur des demokratischen Rechtsstaats.

Freilich wird sie auch andere Instrumente wieder auspacken, wenn die Kampfbedingungen das in der Zukunft ermöglichen und verlangen sollten.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.

11. Juli 2009

Marginalie: Die Ausbreitung des Sozialismus und der Siegeszug des Kapitalismus. Beispiel Afrika

Es scheint, daß jede Weltgegend einmal den Sozialismus in seiner realen Form erlebt haben muß, um fortan gegen seine Versprechungen, seine Verlockungen, seine Illusionen immunisiert zu sein.

Zuerst war das in Europa der Fall. Hier begann der Aufbau und damit die Diskreditierung des Sozialismus 1917, und es dauerte gut 70 Jahre, bis es damit vorbei war. Heute ist es schwer vorstellbar, daß in Europa noch einmal ein sozialistisches Experiment versucht werden wird. Vestigia terrent.

In Asien begann es nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Errichtung sozialistischer Regimes in China, Nordkorea, Nordvietnam, dann im ganzen Vietnam sowie in Laos und Kambodscha. Ganz vorbei ist es dort noch nicht; aber China ist auf dem Weg in den Kapitalismus, Laos und Vietnam sind es. Nordkorea ist neben Cuba der letzte Hort eines real überlebenden Sozialismus.

Dann erreichte die Welle des Sozialismus Afrika. Fast überall folgten auf die Entkolonialisierung in den sechziger Jahre sozialistische Regimes. Manche vergleichsweise mild wie die Herrschaft von Sékou Touré in Guinea und die von Julius Nyerere in Tansania. Andere brutal wie das Schreckensregime von Mengistu Haile Mariam in Äthiopien. Im Kongo, in Angola, in Mosambik versuchten Sozialisten mit unterschiedlichem Erfolg, die Macht an sich zu reißen. Überall war das Ergebnis dasselbe: Mißwirtschaft, Armut, Unterdrückung.

Auch das ist Geschichte. Geblieben ist allein das sozialistische Simbabwe; einmal als Südrhodesien ein wohlhabendes Land, heute dank des Sozialismus eines der ärmsten Länder der Welt und - das geht unweigerlich mit der Armut im Sozialismus einher - eine brutale Dikatur.

Europa, Asien, Afrika haben den Sozialismus hinter sich; sie sind - mit schlimmsten Opfern - gegen ihn immun geworden. Jetzt hat der Virus, wie es scheint, Lateinamerika erreicht. Der Kontinent wird das durchstehen wie die anderen auch; und dann ist hoffentlich endgültig Schluß mit dem Glauben, man könne eine gerechte Gesellschaft auf dem Reißbrett schaffen und den Menschen aufzwingen.



Zurück zu Afrika. Nach der Entkolonialisierung lag es Jahrzehnte in den Fesseln des Sozialismus. Es schien, daß Afrika immer weiter hinter der weltweiten ökonomischen Entwicklung zurückbleibt - der Kranke Mann der Welt, der ewige Hilfsempfänger.

Das ist vorbei. Es ist dadurch vorbei, daß auch in Afrika der Sozialismus überwunden wurde. Ein kapitalistisches Afrika ist im Entstehen, das gute Chancen hat, zum Rest der Welt aufzuschließen.

Darüber schreibt Ethan B. Kapstein in der aktuellen Nummer von Foreign Affairs unter der Überschrift "Africas capitalist revolution" (die kapitalistische Revolution in Afrika):
It is still a well-kept secret that the African continent has been in the midst of a profound economic transformation. Since 2004, economic growth has boomed at an average level of six percent annually, on par with Latin America. (...) International trade now accounts for nearly 60 percent of Africa's GDP (far above the level for Latin America), and foreign direct investment in Africa has more than doubled since 1998, to over $15 billion per year.

Es ist immer noch ein wohlgehütetes Geheimnis, daß sich der afrikanische Kontinent mitten in einer tiefen ökonomischen Transformation befindet. Seit 2004 boomt das Wirtschaftswachstum auf einem durchschnittlichen Niveau von sechs Prozent pro Jahr, auf gleicher Höhe wie Lateinamerika. (...) Der internationale Handel macht jetzt 60 Prozent des afrikanischen Bruttosozialprodukts aus (weit über dem Niveau von Lateinamerika), und die ausländischen Direktinvestitionen haben sich seit 1998 auf mehr als 15 Milliarden Dollar mehr als verdoppelt.
Es ist vermutlich nicht damit zu rechnen, daß die Einführung des Kapitalismus in Afrika zu einem ähnlich stupenden Aufstieg führt wie in China; dazu fehlen wohl manche Voraussetzungen. Aber die Zeit, in der man Afrika als einen in Hoffnungslosigkeit versinkenden Kontinent ansah, dürfte mit dem Untergang des afrikanischen Sozialismus vorbei sein.



Für Kommentare bitte hier klicken.

11. Juni 2009

Zitat des Tages: "Kein Iota". Chávez schnippelt wieder

I do not care one iota what they say in the world

(Es kümmert mich kein Iota, was man in der Welt sagt.)

Der venezolanische Präsident Hugo Chávez laut der heutigen Washington Post über internationale Kritik am Vorgehen seiner Regierung gegen den letzten in Venezuela verbliebenen regierungskritischen TV-Sender, Globovisión.

Kommentar: Präsident Obamas "Politik der ausgestreckten Hand", deren bisherige Ergebnisse ich im April hier beschrieben habe, fand einen besonders hübschen Widerhall bei Hugo Chávez: Dieser reichte ihm zum Dank nicht nur die Hand, sondern auch noch ein Buch, nämlich jenes Werk von Eduardo Galeano, das als die Bibel der USA- Feinde in Lateinamerika gilt. Die historische Szene ist hier zu besichtigen.

Obama nahm das Buch kritiklos entgegen, so wie er jede Kritik an Chávez vermied. Das Signal war überdeutlich: An den USA würde der Aufbau des Sozialismus in Venezuela nicht scheitern.

Dieser nun geht munter weiter. Salamischeibe nach Salamischeibe wird abgeschnippelt. Vor noch nicht zwei Monaten habe ich darüber berichtet, wie einer der verbliebenen Oppositionspolitiker, Manuel Rosales, sich der Verhaftung nur durch die Flucht ins Ausland entziehen konnte. Jetzt geht es um den letzten TV-Sender, der noch regierungskritische Sendungen bringt.

Globovisión ist ein reiner Nachrichtensender, vergleichbar CNN oder N24. Nach bewährter Taktik geht die Regierung gegen ihn auf verschiedenen Ebenen vor:
  • Die Regierungspropaganda erhebt Vorwürfe, z.B. den, schon vor der offiziellen Verlautbarung der Regierung über ein Erdbeben berichtet zu haben, um Panik auszulösen. Chávez hat öffentlich in Bezug auf Globovisión gesagt, damit müsse "Schluß sein".

  • Mitarbeiter des Senders werden von der Berichterstattung ausgeschlossen; sie dürfen z.B. nicht an Pressekonferenzen teilnehmen. Ein Kameramann wurde von der Nationalgarde mit vorgehaltener Waffe gezwungen, Aufnahmen eines Gefängnisses zu löschen.

  • Letzte Woche führte die Polizei eine Razzia im Haus von Guillermo Zuloaga durch, des Präsidenten von Globovisión.

  • Der Sender wurde zur Zahlung von 2,3 Millionen Dollar verurteilt - weil er während eines Streiks Sprechern der Streikenden Sendezeit eingeräumt hatte!

  • Gegen den Sender laufen wegen seiner Berichterstattung drei Prozesse, die zu seiner Schließung führen können.
  • Sie finden, daß das doch alles nicht so schlimm ist? Immerhin existiert der Sender, immerhin kann er kritisch über Chávez berichten.

    Ja, gewiß. Das ist sie eben, die Salamitaktik. Ist ein dünnes Scheibchen abgeschnitten, sieht die Wurst eigentlich noch genauso lang aus wie zuvor. Bis sie, Scheibchen für Scheibchen, irgendwann weg ist.



    Für Kommentare bitte hier klicken.

    28. April 2009

    Zitat des Tages: "Neigung von Intellektuellen zur Gewaltsamkeit". Nebst einer Erinnerung an Pierre-Joseph Proudhon

    Or ce qui plaît tant aux intellectuels dans la révolution violente, ce n'est pas la révolution, c'est la violence. Comme s'ils voulaient échapper, grâce à leur préférence affichée pour l'extrémisme, à leur mauvaise conscience de travailler dans l'immatériel.

    (Was nun Intellektuellen so an der gewaltsamen Revolution gefällt, das ist nicht die Revolution, sondern die Gewaltsamkeit. Ganz so, also wollten sie mit ihrer ostentativen Neigung zum Extremismus ihrem schlechten Gewissen darüber entgehen, daß sie im Immateriellen arbeiten).

    Der stellvertretende Chefredakteur des Nouvel Observateur Jacques Julliard in seiner Kolumne in der aktuellen Ausgabe vom 23. April, die sich aus Anlaß von dessen zweihundertstem Geburtstag mit dem Frühsozialisten Pierre- Joseph Proudhon befaßt.

    Kommentar: Eine treffliche Beobachtung des Intellektuellen Jacques Julliard, scheint mir. Ich greife sie als Ergänzung zu dem auf, was vor fünf Wochen Califax in The Outside of the Asylum geschrieben hat und was ich in diesem Artikel kommentiert habe: Es gibt eine seltsame Neigung von ostentativ Friedfertigen zur Gewalt.

    Das ist nicht auf Intellektuelle beschränkt; aber bei Intellektuellen ist es besonders auffällig. Denn von ihnen sollte man ja eigentlich erwarten, daß sie diesen Widerspruch reflektieren und daß sie ihn aufzulösen versuchen.

    In dem damaligen Artikel hatte ich auf zwei Varianten dieses Phänomens aufmerksam gemacht:

    Da ist zum einen der Fall des extremistischen, oft kommunistische Intellektuellen - Beispiel Hans- Christian Ströbele -, der ein taktisch- strategisches Verhältnis zur Gewalt hat.

    Natürlich lehnt er sie ab, wenn sie dem demokratischen Rechtsstaat dient und ihn schützt; wie auch anders. Und natürlich ist er für diejenige Gewalt, die "aus den Gewehrläufen kommt", wenn es darum geht, Demokratie und Kapitalismus zu beseitigen. Vorausgesetzt natürlich, daß dies eben der strategisch gebotene Weg ist. Anderswo entscheidet man sich für den parlamentarischen Weg zur Machtergreifung. Da gibt es in Wahrheit keinen Widerspruch.

    Zweitens aber sind da die sozusagen ehrlichen Herzens Friedfertigen und Altruistischen, die ihre aggressiven Impulse verdrängen. Viele von ihnen sind geradezu erleichtert, wenn sie die Gewalt des Edlen Wilden, die Gewalt für die "gute Sache" erleben dürfen und ihr zustimmen können. Es ist die Haltung des Kleinbürgers, wie ihn Goethe im "Osterspaziergang" karikiert; er sitzt behaglich im Ohrensessel und delektiert sich daran, wie die Völker aufeinanderschlagen, "hinten weit, in der Türkei".



    Jacques Julliard macht nun auf ein Drittes aufmerksam: Den Intellektuellen, der sich aus einem Gefühl eigener Insuffizienz heraus am Rohen und Vitalen delektiert.

    Das nun freilich ist ein allgemeines, ein weit über das Thema "Gewalt" hinausreichendes Syndrom: Je weniger vital, je kultivierter, vielleicht dekadenter man selbst ist, umso mehr schätzt man oft das Prollige. Der stets kränkelnde, einzelgängerische Stubengelehrte Friedrich Nietzsche pries den brutalen Machtmenschen. Dem sanften Schöngeist Golo Mann, so las man es kürzlich, konnte es in seiner Phantasie gar nicht brutal genug zugehen; von ungehobelten Matrosen träumte er.

    Der Proletkult des linken Intellektuellen gehört hierher; der Kult des Völkischen beim rechten Intellektuellen.

    Da tippelt der altersschwache Jean- Paul Sartre hinein in die Zelle in Stammheim, um dem rotzigen Terroristen Andreas Baader seine Reverenz zu erweisen.

    Als der etwas erfolgreichere Terrorist Fidel Castro in Havanna die Macht erobert und als erste revolutionäre Tat ein Blutbad angerichtet hatte, wurde er zum Schwarm unzähliger europäischer und amerikanischer Intellektueller. Hans- Magnus Enzensberger siedelte 1968 aus Begeisterung für die Revolution gar nach Cuba über und berichtete aus Havanna:
    ... kann es keine Kultur geben ohne die reale Befreiung der Völker von der ökonomischen Ausbeutung und der politischen Unterdrückung durch die Metropolen, und das heißt heute in erster Linie: von der Herrschaft der Vereinigten Staaten. Diese Befreiung ist, wie die Geschichte der letzten fünfundzwanzig Jahre zeigt, nur durch den bewaffneten Aufstand zu erlangen.
    Da haben wir ihn, den Intellektuellen, der sich am "bewaffneten Aufstand" berauscht. Enzensberger war damals kein verführbarer Jugendlicher mehr, sondern 38 Jahre alt.



    Und was hat das nun mit Pierre- Joseph Proudhon zu tun?

    Ich gestehe, daß es mir wie vermutlich den meisten geht: Ich habe nie etwas von ihm gelesen, sondern kenne ihn nur via Marx, der ihn in "Das Elend der Philosophie" so heruntermachte, wie er jeden heruntergemacht hat, der nicht sein blinder und ergebener Anhänger war. Proudhon war Marx nicht materialistisch genug, zu anarchistisch, zu freiheitlich gesonnen.

    Julliard macht jetzt auf eine andere Seite dieses sehr widersprüchlichen Autors aufmerksam: Seinen Skeptizismus; seine libertäre Haltung. Er verabscheute den Staat in jeglicher, auch in der jakobinisch- sozialistischen Variante. Daß er in einer frühen Schrift Eigentum als "Diebstahl" bezeichnet hatte, weiß jeder. Aber er hat das Eigentum auch das "einzige Gegengewicht gegen den Staat" genannt; dies freilich in einer späteren, erst posthum veröffentlichten Schrift.

    Proudhon war keiner dieser die Gewalt verherrlichenden Intellektuellen. Er war überhaupt kein Intellektueller wie Marx, der verbummelte Student und dann Berufsschriftsteller. Proudhon war ein Handwerker - gelernter Schriftsetzer - und Autodidakt; einer, der, anders als Marx, das Leben kannte. Also ein Skeptiker. Julliard schreibt:
    La gloire immortelle de Proudhon, c'est de s'être dressé comme jamais personne avant lui contre le principe d'autorité et d'avoir tenté de lui substituer une formule contractuelle de la société dont le fédéralisme ou mieux encore le mutualisme sont l'expression politique.

    D'où ses sentiments mêlés à l'égard de la Révolution française, qui certes a eu raison d'abolir la souveraineté royale, mais a eu tort de lui substituer immédiatement la souveraineté populaire, qui ne vaut pas mieux puisque c'est la souveraineté elle-même qu'il s'agit d'abolir pour faire de nous des êtres libres. "L'exploitation de l'homme par l'homme, a dit quelqu'un, c'est le vol. Eh bien ! le gouvernement de l'homme par l'homme, c'est la servitude."

    Der ewige Ruhm Proudhons ist es, sich wie keiner vor ihm gegen das Prinzip der Autorität erhoben und versucht zu haben, an seine Stelle den Entwurf einer auf vertraglicher Basis ruhenden Gesellschaft zu setzen, deren politischer Ausdruck der Föderalismus und besser noch das Prinzip der Gegenseitigkeit sein sollten.

    Deshalb hegte er gemischte Gefühle in Bezug auf die Französische Revolution, die gewiß zu Recht die königliche Souveränität abgeschafft hatte, die sie aber zu Unrecht unmittelbar durch die Volksssouveränität ersetzte. Diese ist nicht besser, denn es ist die Souveränität als solche, die abgeschafft werden muß, um uns zu freien Wesen zu machen. "Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, hat jemand gesagt, sei Diebstahl. Ja nun! Die Regierung des Menschen durch den Menschen ist Sklaverei."
    Da war der sozialistische Nicht- Intellektuelle Proudhon einer liberalen Position näher als der staatssozialistische Intellektuelle Marx; auch er ja ein Befürworter der Gewalt.

    Daß der real existierende Sozialismus à la Sowjetunion und DDR "nicht im Sinn von Marx" gewesen sei, ist ein offenbar schwer auszurottender Irrtum. Wenn es denn jemals so etwas wie einen freiheitliche Idee von Sozialismus gegeben hat, dann fand sie sich gewiß nicht bei dem intellektuellen Tyrannen Marx, sondern bei von ihm (und von den heutigen Marxisten) Verachteten wie Bakunin. Oder eben Pierre- Joseph Proudhon.



    Für Kommentare bitte hier klicken.

    24. April 2009

    Zitat des Tages: "Ein weiterer Schritt in Richtung Diktatur". Venezuela auf dem Weg in den Sozialismus

    Die beständigen Angriffe auf die Opposition und die immer stärkere Beschränkung der Freiheitsrechte sind ein weiterer Schritt in Richtung Diktatur.

    Hans Blomeier, Lateinamerika- Beauftragter der Konrad- Adenauer- Stiftung, gestern gegenüber "Welt- Online" über die aktuelle Entwicklung in Venezuela.

    Kommentar: Den Lesern dieses Blogs ist vertraut, mit welcher Strategie Hugo Chávez den Weg in den "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" gehen will. Nicht durch einen Putsch, wie ihn die Kommunisten Ende der vierziger Jahre überall in Osteuropa veranstaltet haben; nicht durch einen Bürgerkrieg wie beispielsweise in China.

    Sondern Chávez originäre Strategie (bzw. die seiner kommunistischen Berater) ist - ich habe das im vergangenen November analysiert - diejenige des allmählichen Abwürgens der Freiheit; eine Salami- Taktik. Immer knapp unterhalb der Schwelle, bei der internationale Empörung ausgelöst, gar ein Eingreifen der USA provoziert werden könnte.

    Diese Schwelle freilich ist variabel. Ihre Lage hängt zum einen davon ab, wie stark sich Chávez innenpolitisch fühlt; zum anderen davon, ob er Widerstand aus dem Ausland erwartet.



    In beiden Hinsichten hat sich die Situation für Chávez in den vergangenen Monaten ausnehmend günstig entwickelt:

    Er hat sein Referendum gewonnen, ist jetzt de facto Präsident auf Lebenszeit und kann also seine Macht im Innereren auch militärisch weiter stabilisieren.

    Und zugleich erweist sich der neue amerikanische Präsident als so handzahm, wie das vermutlich weder Chávez noch sein Ziehvater Fidel Castro in ihren kühnsten Träumen erwartet hatten. Erst erteilte die Regierung der USA dem Referendum, das Chávez zum Herrscher auf Lebenszeit machen sollte, ausdrücklich den demokratischen Segen; jetzt hat Präsident Obama sich von Hugo Chávez ohne ein Wort der Kritik eine Schmähschrift gegen die USA überreichen lassen.

    Auch wenn Venezuela wirtschaftlich am Abgrund steht - politisch und vor allem miltärisch sitzt Chávez fester im Sattel als jemals zuvor. Von den USA hat er nichts mehr zu befürchten; das hat Obama überdeutlich gemacht. Militärisch kontrolliert er Venezuela inzwischen so weit, daß die Opposition kaum noch eine Chance hat, ihn aus dem Amt zu befördern.

    Also kann die Phase der politischen Säuberungen beginnen. Das obige Zitat stammt aus dem Artikel von "Welt- Online" über einen der verbliebenen bisherigen Führer der venezolanischen Opposition, Manuel Rosales, der 2006 der Gegenkandidat von Chávez um das Amt des Präsidenten gewesen war. Jetzt wollte ihn die Regierung wegen angeblicher "illegaler Bereicherung" vor Gericht stellen. Er tauchte unter, entkam nach Peru und hat dort jetzt politisches Asyl beantragt.



    Für Kommentare bitte hier klicken.

    25. März 2009

    Gedanken zu Frankreich (30): Wie teuer sind französische Restaurants? Jetzt ist es amtlich ...

    Zu den offenbar schwer ausrottbaren Vorurteilen über Frankreich gehört, daß man dort in den Restaurants teuer ißt. Ein wenig Überlegung zeigt, daß das eigentlich von vornherein eher unwahrscheinlich ist. Denn in Frankreich wird ungleich öfter in Restaurants gegessen als in Deutschland.

    Das zeigt erstens, daß viele Franzosen sich das offenbar leisten können, obwohl der durchschnittliche Verdienst ja keineswegs höher ist als in Deutschland. Zweitens sind diese Restaurants überwiegend gut besucht, können also günstiger kalkulieren als viele deutsche Betriebe, die froh sind, wenn sie am Abend vielleicht zwanzig Essen verkaufen. Auch das läßt nicht erwarten, daß das Essengehen in Frankreich teurer ist als in Deutschland.

    Vor der Einführung des Euro war der Preisvergleich mühsam. Heute kann jeder, der die Preise französischer Restaurants mit denen in Deutschland vergleicht, zwei Fakten konstatieren: Erstens, in Frankreich bezahlt man für etwas anderes als in Deutschland. Zweitens, wenn man gleiche Leistungen vergleicht, dann ißt man in Frankreich billiger.



    Man bezahlt für etwas anderes, weil man in Frankreich ein Menü bestellt und in Deutschland in der Regel ein einziges Gericht.

    Vielleicht haben Sie, lieber Leser, in Deutschland schon einmal die Erfahrung gemacht, die mir so geläufig ist, daß ich inzwischen auf sie verzichte: Wir gehen essen und wollen gern ein Menü haben. Das wird aber auf der Karte als solches nicht angeboten. Also bestellen wir eine Vorspeise, dann vielleicht ein Hauptgericht und dann Käse.

    Und machen schon bei diesem wahrlich bescheidenen Menü die Erfahrung, daß das betreffende Angebot gar nicht für ein Menü vorgesehen ist.

    Denn die "Vorspeise" entpuppt sich als so umfangreich, daß man sich allein von ihr den Bauch vollschlagen könnte. Und der Käse ist als eine kalte Mahlzeit gemeint, gern auf einem riesigen Holzteller serviert; nicht als der vorletzte Gang eines Menüs. Wer gar auf den Gedanken kommt, zwischen Vorspeise und Hauptgang noch das einzuschieben, was in Frankreich Entrée heißt, auf Englisch Starter und zu Deutsch "Zwischengericht", der wird feststellen, daß er ein weiteres Hauptgericht bekommt.

    Das alles ist logischerweise so teuer, wie es umfangreich ist. Bestellt man also in Deutschland in der mittleren bis gehobenen Gastronomie (ich rede jetzt nicht von der Spitzengastronomie) ein Menü, wie es in Frankreich üblich ist (oder vielmehr war - siehe unten), also Vorspeise, Zwischengericht, Hauptgang, Käse, Dessert, dann wird man entweder nur Bruchteile des Gebotenen essen können, oder man kann sich anschließend den Magen auspumpen lassen.

    Entsprechend teuer ist diese geballte Ladung an Eßbarem: Auch in einem alles andere als kulinarischen Restaurant wird man in Deutschland für ein solches Menü kaum weniger als fünfzig Euro pro Person zu berappen haben; vermutlich in der Regel mehr.



    Und in Frankreich? Da wissen wir es jetzt ganz genau. Es gibt nämlich dort im Rahmen der Versuche, die Krise zu bekämpfen, die Idee, die Mehrwertsteuer für Restraurants zu senken. Und zwar drastisch, von 19,6 Prozent auf 5,5 Prozent. Dafür sollen sich die Restaurants verpflichten, kein Personal zu entlassen und die Steuersenkung an die Gäste weiterzugeben.

    Gründlich, wie man in Frankreich ist, hat das Ministerium für Wirtschaft im Vorfeld der Gespräche über diese eventuelle Steuersenkung zunächst einmal die Preise in den Restaurants amtlich erhoben.

    Und ist dabei - der Nouvel Observateur berichtete gestern darüber - zu einer entwaffnenden Erkenntnis gekommen: Daß es nämlich eine "grande disparité entre les établissements" gibt, einen großen Unterschied zwischen den Betrieben. Wer hätte das gedacht! An den Champs Elysées in Paris ißt man deutlich teurer als im Café- Restaurant de la Paix in Evolène!

    Aber Spaß beiseite. Es wurden die Preise in knapp 2500 repräsentativ ausgewählten Restaurants erhoben; und zwar - in Frankreich ist es gesetzlich vorgeschrieben, das ganz genau mitzuteilen - vom 16. bis 18. März in 100 Départements bei 2470 Betrieben; davon 988 "traditionnellen" Restaurants, 741 "Pizzerien", 494 "Grills" und 247 "exotischen" Restaurants. Ergebnis: Das Tagesgericht kostete im Schnitt 9,67 Euro; die Spanne lag zwischen zwei Euro (in einer Pizzeria) und 39,90 Euro (in einem "exotischen" Restaurant). Das günstigste Menü kostete im Schnitt 12,95 Euro.

    Wenn ich in Deutschland im Imbiß um die Ecke ein Schnitzel mit Pommes Frites und Salat esse und dazu ein Bier trinke, bezahle ich rund zehn Euro.



    Also alles bestens in Frankreich? Leider nicht.

    Über die Veränderungen, die in der französischen Gastronomie stattgefunden haben, seit die sozialistische Regierung Jospin die 35- Stunden- Woche gesetzlich vorschrieb, habe ich vor knapp zwei Jahren hier und später noch einmal in diesem Artikel berichtet: Man kann sich seit dieser "Reform" weniger Personal leisten. Ein umfangreiches Menü ist zwar vom Materialeinsatz her nur unwesentlich teurer als ein Menü aus zwei oder drei Gängen mit entsprechend größeren Portionen. Aber man braucht mehr Köche, die es zubereiten, und mehr Kellner, die es servieren.

    Also sind in Frankreich die Menüs geschrumpft und die Portionen gewachsen. Man nähert sich, mit anderen Worten, Deutschland an. Heute hat das Standard- Menü nur noch drei Gänge, und man kann sogar eine Mini- Version mit zwei Gängen wählen (entweder Entrée und Hauptgericht oder Hauptgericht und Dessert). Manchenorts - zum Beispiel in Paris - ist das in den Restaurants der unteren und mittleren Preislage schon die Regel.

    Auch Madame Cornut, die Wirtin meines Pariser Stammlokals Chez Clovis, mußte notgedrungen diesen Weg gehen, bevor sie vor zwei Jahren ganz aufgab.

    Damit Sie sich ein Bild davon machen können, was man vor einigen Jahren mitten in Paris, im 1er Arrondissement, als Drei- Gänge- Menü für 25,50 Euro bekam, hier die vermutlich letzte Karte von Madame Cornut.



    Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen bisherigen Folgen dieser Serie findet man hier. Titelvignette: Ausschnitt aus dem Gemälde La Liberté guidant le peuple von Eugène Delacroix, Public Domain.

    22. März 2009

    Zitat des Tages: Chávez beginnt "den Zerfall der nationalen Einheit umzukehren". Neues über Venezuelas Weg in den Sozialismus des 21. Jahrhunderts

    Since this morning we began to reverse the disintegration of national unity. (...) We are reunifying the motherland, which was in pieces. This is a very important step.

    (Seit heute morgen haben wir begonnen, den Zerfall der Nationalen Einheit umzukehren. (...) Wir vereinen das Vaterland wieder, das zu Bruch gegangen war. Dies ist ein sehr wichtiger Schritt).

    Der venezolanische Staatspräsident Hugo Chávez laut AFP zur Erläuterung eines der jüngsten Schritte seiner Regierung: Am vorgestrigen Samstag hat das Militär die Kontrolle über alle Flugplätze und Häfen des Landes übernommen. Laut derselben Meldung kündigte Chávez an, daß oppositionelle Provinz- Gouverneure, die sich dieser Maßnahme widersetzen, verhaftet werden.

    Kommentar: Außer das Vaterland zu einen, indem er die Häfen und Flugplätze vom Militär übernehmen ließ, hat Chávez vorgestern Sparmaßnahmen der Regierung und zugleich einen neuen Schlag gegen das angekündigt, was in Venezuela noch von einer freien Wirtschaft übrig ist. Laut BBC sagte Chávez:
    We are preparing a decree to eliminate luxury costs - the acquiring of executive vehicles, redecorating, real estate, new headquarters, promotional material and unnecessary publicity, corporate gifts.

    Wir bereiten einen Erlaß zur Abschaffung von Luxusausgaben vor - den Kauf von Dienstwagen für Manager, Renovierungen, Grundstück- und Hausbesitz, neue Firmenzentralen, Artikel zur Verkaufsförderung und unnötige Werbung, Werbegeschenke.
    So sägt er weiter an der Demokratie und an der freien Wirtschaft, der Caudillo Hugo Chávez. Ritscheratsche voller Tücke in die Brücke eine Lücke, um einmal eine andere Metapher zu verwenden als diejenige der Salami- Taktik. Eine kleine Lücke nach der anderen, bis sie zusammenkracht, die Brücke.

    Und zur Absicherung dieses schrittweisen Abwürgens von Freiheit und Demokratie verfolgt Chávez weiter den anderen Teil seiner Doppel- Strategie: Immer festere Bindungen an Cuba, das bei der Niederschlagung eines Volksaufstands militärisch helfen könnte. Dazu das Bündnis mit China und vor allem mit Rußland, durch das die USA an einer Intervention in einem solchen Fall gehindert werden sollen.



    Für Kommentare bitte hier klicken.

    4. März 2009

    Marginalie: Wollen Sie den Sozialismus einmal hautnah erleben?

    Dann versuchen Sie doch einmal, bei dem französischen Staatsunternehmen SNCF ein Fahrt mit dem Thalys von Köln nach Paris zu buchen.

    Starten Sie hier. Und lernen Sie, wie Bürokraten mit ihren Kunden umgehen.

    Lernen Sie dabei, wie Staatsunternehmen ticken.

    Viel Spaß!

    Herzlich, Zettel



    Für Kommentare bitte hier klicken.

    15. Februar 2009

    Referendum in Venezuela: Vier Faktoren, von denen das Ergebnis abhängen wird

    Heute wird sich entscheiden - nein, nicht, ob Venezuela den Weg in den "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" geht. Diese Entscheidung ist längst gefallen. Chávez wird die Macht nur aus der Hand geben, wenn er gestürzt wird. Aber entscheiden wird sich im gestern durchgeführten Referendum, ob es mit dem Weg in den Sozialismus zügig vorangeht, oder ob es ein wenig länger dauert und ein wenig schwieriger werden wird.

    Als Ende 2007 Hugo Chávez sein Referendum verloren hatte, stand hier über die Lage nach dieser Niederlage zu lesen:
    Er ist gewählt bis zum Jahr 2012. (...) Bis dahin kann er in Ruhe die neue Taktik für den Übergang zum Sozialismus entwickeln: "... sólo los soldados bisoños creen la causa perdida ante los primeros obstáculos". Nur die noch nicht kampferprobten Soldaten glauben die Sache schon verloren, wenn die ersten Hindernisse auftauchen, sagte er dazu laut der cubanischen Nachrichtenagentur Prensa Latina.
    Hugo Chávez ist kein Bisoño, kein Greenhorn. Er hat, seit er das Referendum verlor, systematisch weiter am Aufbau des Sozialismus gearbeitet. Vom "Gegenangriff im zehnten Jahr" über Notverordnungen und die Salamitaktik schrittweiser Verstaatlichungen und die ebenfalls scheibchenweise Beschneidung der Menschenrechte bis zur Absicherung der Revolution nach außen mittels der wirtschaftlichen und militärischen Zusammenarbeit mit Rußland und China.

    Jetzt also fühlt er sich stark genug, es erneut mit einem Referendum zu versuchen. Über dessen Ausgang herrscht allgemein Unsicherheit. Die Latin American Herald Tribune nennt vier Faktoren, von denen er abhängen wird:
  • Die Wahlbeteiligung. Umfragen deuten darauf hin, daß viele Bürger noch kurz vor dem Referendum unentschlossen waren, ob sie teilnehmen sollten. Diese tendieren laut diesen Umfragen in ihrer Mehrheit zu einem "nein".

  • Ein zweiter Faktor sei, wie sich die "überwältigend asymmetrische" Kampagne für das Referendum auswirken wird. Noch nicht einmal der seinerzeitige Diktator Perez hätte, schreibt die Latin American Herald Tribune, die gesamte Macht des Staats in der Weise für den Ausgang eines Referendums mobilisiert, wie Chávez das tat:
    "All the branches of government, ministries, state governments, mayoralties, state- owned companies, and even educational establishments have been commandeered into the campaign in favor of the YES option defended by the government. The advertising deployed by these entities has been a case of savage overkill.

    Government employees, contractors, beneficiaries of the missions or any government program have been pressured into actively participating in the YES campaign, under the threat of losing their jobs, having their contracts cancelled or their benefits under the missions withdrawn.

    Alle Zweige der Regierung, Ministerien, Länderregierungen, Bürgermeister, Unternehmen in Staatsbesitz und sogar Einrichtungen des Bildungssystems wurden zugunsten des von der Regierung verlangten "ja" in den Wahlkampf beordert. Die Werbung durch diese Einrichtungen war ein Fall wüsten Overkills.

    Regierungsangestellte, Vertragspartner der Regierung, Nutznießer der Hilfsprogramme oder irgendeines Regierungsprogramms wurden unter Druck gesetzt, sich aktiv an der "ja"-Kampagne zu beteiligen; und zwar unter der Drohung, ihre Jobs, ihre Verträge oder die Vorteile eines Hilfsprogramms zu verlieren.
  • Der dritte Faktor sei der direkte Druck, der durch Polizei und Militär ausgeübt wurde. Diese hätten den Befehl gehabt, die Opposition zu bedrängen und zu unterdrücken. Allerdings hätte dies, meint die Latin American Herald Tribune, zu einem solchen Widerstand geführt, daß es möglicherweise kontraproduktiv wirken werde.

  • Als den vierten Faktor sieht die Zeitung es an, ob die Wähler noch überzeugt seien, daß die Wahl geheim ist. Viele würden in der jetzigen Atmosphäre allgemeiner Bedrohung der Freiheit nur dann zur Abstimmung gehen, wenn sie hinreichend sicher sein könnten, bei einer "nein"-Stimme nicht Repressionen ausgesetzt zu sein. Der geheime Charakter der Wahlen sei aber noch gewährleistet, meint die Latin American Herald Tribune.



  • Wie wird es nach der Auszählung weitergehen? Gewinnt Chávez, dann dürfte dies die letzte halbwegs freie Abstimmung in Venezuela gewesen sein. Er hat dann das Recht, sich unbegrenzt wiederwählen zu lassen, kann sich also auf eine lebenslange Regierungszeit à la Castro einrichten.

    Wenn er verliert, wird die Situation ähnlich sein wie 2007: Er wird - guter Demokrat, der er ja bekanntlich ist - das Ergebnis akzeptieren und bis zum Ende seiner Amtszeit im Jahr 2012 auf andere Weise den Fortgang seiner Revolution zu sichern versuchen. Vielleicht gibt ihm ja dann Wladimir Putin Ratschläge, wie man an der Macht bleibt, auch wenn die Amtszeit formal begrenzt ist.

    In jedem Fall wird - in meiner Sicht - der Augenblick näher rücken, wo Chávez Farbe bekennen muß.

    Chávez und seine Leute haben Venezuela mit ihrem Aufbau des Sozialismus in einem beispiellosen Maß heruntergewirtschaftet. Hinzu kommt, wie in der Washington Post Edward Schumacher- Matos schreibt, das Absacken des Ölpreises: "His is a chronicle of a political death foretold", seine Geschichte sei die Chronik eines angekündigten politischen Todes, meint Schumacher- Matos und empfiehlt Präsident Obama deshalb, nichts gegen Chávez zu unternehmen. Er solle ihn einfach den Venezolanern überlassen, die schon mit ihm fertig werden würden.

    Falls diese das noch können. Ich bin da skeptischer als Schuhmacher- Matos. Nachdem bei den letzten Kommunalwahlen der Oppositions- Politiker Antonio Ledezma das Amt des Bürgermeisters von Carácas gewonnen hatte, erschienen Chávez' bewaffnete Milizen in den inzwischen weltbekannten roten Hemden und besetzten in SA-Manier sein Büro und weitere Büros der Stadtverwaltung, konfiszierten Computer usw. Jetzt versucht er die Stadt von einem angemieteten Büro aus zu verwalten.



    Wer wie Chávez den Sozialismus einführen will, der sieht sich nicht als Regierung auf Zeit, vom Volk mit einem begrenzten Mandat ausgestattet, das dieses Volk auch irgendwann wieder kündigen wird. Sondern er sieht sich als ein Instrument der Geschichte.

    Ein Ende der Herrschaft von Chávez' Sozialistischer Einheitspartei wäre für diese gleichbedeutend mit ihrem Scheitern auf dem Weg in den Sozialismus. Sie wird das zu verhindern versuchen. Wenn es nicht mit eigenen Kräften reicht, dann gibt es ja noch Cuba.

    Bereits seit Ende 2004 haben cubanische Sicherheitsleute in Venezuela das gesetzlich verbriefte Recht, Ermittlungen durchzuführen, Venezolaner zu verhaften, sie in Gewahrsam zu halten und gegebenenfalls nach Cuba zu verbringen. Darauf wird Chávez aufbauen können, wenn es gelten wird, die Konterrevolution zu besiegen.



    Mit Dank an Reader und an Gorgasal. Für Kommentare bitte hier klicken.

    15. Januar 2009

    Zitat des Tages: "Es geht um die Freiheit des cubanischen Volks". Hillary Clinton vor dem Senat. Wandel durch Annäherung. Wie ist die Lage in Cuba?

    You know, our policy is, first and foremost, about the freedom of the Cuban people and the bringing of democracy to the island of Cuba. We hope that the regime in Cuba, both Fidel and Raul Castro, will see this new administration as an opportunity to change some of their typical approaches. Let those political prisoners out. Be willing to, you know, open up the economy and lift some of the oppressive strictures on the people of Cuba. And I think they would see that there would be an opportunity that could be perhaps exploited.

    (Also, in allererster Linie geht es bei unserer Politik um die Freiheit des cubanischen Volks und darum, der Insel Cuba die Demokratie zu bringen. Wir hoffen, daß das Regime in Cuba, sowohl Fidel als auch Raul Castro, diese neue Regierung als eine Chance sehen, einige ihrer typischen Ansätze zu ändern. Laßt diese politischen Gefangenen frei. Seid, nicht wahr, bereit, die Wirtschaft zu öffnen und einige der Strukturen aufzuheben, durch die das cubanische Volk unterdrückt wird. Und ich denke, daß sie sehen würden, daß es eine Gelegenheit gibt, die vielleicht genutzt werden könnte.)

    Die designierte US-Außenministerin Hillary Clinton vorgestern bei ihrer Anhörung vor dem Senat.

    Clinton hat außerdem in der Anhörung erklärt, daß die bisherigen Einschränkungen für Exilcubaner, nach Cuba zu reisen und Geld dorthin zu transferieren, aufgehoben werden würden. - Von dem Embargo gegen Cuba war nicht die Rede; Clinton wurde nicht danach gefragt und ging auch nicht von sich aus darauf ein.

    Kommentar: Kommt Ihnen das, was Clinton sagte, auch bekannt vor? Es ist offenkundig die Politik eines "Wandels durch Annäherung", die - wesentlich gestaltet von Egon Bahr - von der Regierung Willy Brandts gegenüber der DDR und dem Ostblock betrieben wurde.

    War diese Politik erfolgreich? Wie man es nimmt.

    Damals - in den siebziger und auch noch in den achtziger Jahren - hat sie den Sozialismus zunächst nur stabilisiert und seinen Zusammenbruch hinausgezögert. Herbeigeführt hat ihn nicht die weiche Politik à la Brandt und Bahr, sondern Reagans harte Politik, die Kommunisten zu stellen und herauszufordern.

    Daß dieser Zusammenbruch in Form einer größtenteils friedlich verlaufenen Implosion statt als eine gewaltsame Revolution gegen den Sozialismus stattfand, mag freilich mit das Verdienst dieser Politik sein.

    Während die Regimes wirtschaftlich und politisch stabilisiert wurden, wurden sie doch zugleich auch gesellschaftlich und ideologisch aufgeweicht: Der Eiserne Vorhang wurde immer durchlässiger für "Menschen und Meinungen", wie Rainer Barzel das damals formulierte. Es entstanden die Voraussetzungen für einen friedlichen Übergang zum freiheitlichen Rechtsstaat.



    Und jetzt in Cuba? Wenn man die Stellungnahme von Clinton genau liest, dann klingt sie reichlich naiv. Das Ziel der neuen Politik seien Freiheit und Demokratie in Cuba. Zugleich aber sollten die Führer Cubas " ... sehen, daß es eine Gelegenheit gibt, die vielleicht genutzt werden könnte".

    Ja, sie werden sehen, daß das vielleicht genutzt werden könnte: Um sie zu verjagen.

    Das Versprechen von Freiheit und Demokratie ist ja nichts anderes als das Versprechen, dem kommunistischen Regime ein Ende zu bereiten.

    Bisher waren es die USA, die durch Reise- Restriktionen einen freien Reiseverkehr nach Cuba verhinderten. Man darf gespannt sein, wie Raúl Castro reagiert, wenn diese Restriktionen tatsächlich fallen und ein massiver Reiseverkehr einsetzt. Seine Freude über den Besuch all der lieben Verwandten dürfte sehr gedämpft sein.



    Was das Embargo angeht, empfehle ich sehr den Artikel von Humberto Fontova im gestrigen American Thinker ("A Bailout for Castro Too?").

    Fontova schildert zum einen die desolate Wirtschaftslage Cubas: Bereits Ende 2006 hat die französische staatliche Export- Import- Bank COFACE Cuba wegen Zahlungsunfähigkeit den Kredit gesperrt; Cuba stand dort mit 175 Millionen Dollar in der Kreide. Dasselbe tat im selben Jahr die staatliche mexikanische Bancomex, der Cuba Schulden in Höhe von 365 Millonen Dollar nicht zurückzahlen konnte. 2008 hat sich Südafrika angeschlossen, bei dem Cuba ebenfalls mehr als 100 Millionen Dollar Schulden hat.

    Rating- Gesellschaften positionieren Cuba, was die Zahlungsfähigkeit angeht, an das untere Ende der Rangreihe; zusammen mit Ländern wie Weißrußland und Angola.

    Liegt das etwa am US-Embargo? Keineswegs, schreibt Fontova. Dieses sei seit 1998 faktisch so gut wie aufgehoben; es bestehe lediglich noch darin, daß von Cuba verlangt werde, alle Lieferungen cash zu bezahlen.

    Und diese Lieferungen - das ist (laut Fontova) im Umfang nicht wenig. Unter den Ländern, aus denen Cuba Waren importiert, liegen die USA an fünfter Stelle; bei den Importen von Lebensmitteln sogar an erster Stelle.



    Wie wird es also unter Obama weitergehen? Das kommunistische Cuba hat allein keine Überlebenschance. Es gibt drei mögliche Entwicklungen:

    Erstens die Implosion des Regimes à la Ostblock 1989; das ist offensichtlich das Ziel von Obama und Clinton. Zweitens eine Revolution, die mehr oder weniger blutig ausfallen kann.

    Und drittens - diese Möglichkeit wird oft übersehen - könnte das Regime sich zu retten versuchen, indem es eine staatliche Union, in welcher Form auch immer, mit Venezuela eingeht. Vieles spricht dafür, daß es solche Überlegungen gibt. Ich habe immer einmal wieder darüber berichtet; zum Beispiel im Oktober 2007, als Hugo Chávez durch Cuba reiste, als sei er bereits dessen Präsident.

    Die Vorteile für beide Seiten liegen auf der Hand: Venezuela würde Cuba wirtschaftlich stützen; dieses könnte mit seinem Geheimdienst und seiner Armee Chávez vor jedem Putsch gegen ihn bewahren.

    Nur muß für eine solche Lösung der Aufbau des Sozialismus in Venezuela weit genug vorangekommen sein. Und andererseits wird das Regime in Cuba vielleicht schon mit dem Tod Fidel Castros, spätestens mit dem Raúls - er wird im Juni auch schon achtundsiebzig - am Ende sein. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit.



    Für Kommentare bitte hier klicken.

    10. Dezember 2008

    Marginalie: Die Deutschen wollen keine "Konsumgutscheine". Warum wohl nicht?

    Im Auftrag des "Stern" hat Forsa eine Umfrage zu dem Vorschlag durchgeführt, jeden erwachsenen Deutschen mit einem "Konsumgutschein" im Wert von 500 Euro zu beglücken.

    Geld vom Staat. Staatsknete. Wer hätte das nicht gern? Wer will da nein sagen? Jubel überall, so könnte man es erwarten, wie bei Dittsche, als er jetzt im Lotto gewann.

    Pustekuchen. Kein Jubel: "78 Prozent der Befragten erklärten, sie hielten die Ausgabe von Konsumgutscheinen für nicht sinnvoll. Lediglich 19 Prozent begrüßten die Idee", so der "Stern".



    Es scheint, daß die Forsa-Leute es versäumt haben, weiter nachzuforschen, warum denn die Befragten so massiv gegen ein so schönes Geschenk von Vater Staat sind. Also sind sie auf Mutmaßungen angewiesen:
    "Ich glaube doch, dass die Menschen das nicht als konjunkturfördernde Maßnahme sehen, sondern als Strohfeuer", resümiert Forsa- Chef Manfred Güllner im stern.de-Interview im "Café Einstein". "Sie erwarten, dass etwas passiert, das die Konjunktur nachhaltig stärkt. Und es ist keine nachhaltige Stärkung, wenn man Geldscheine übers Land streut."
    Sollten also 78 Prozent der Deutschen mehr ökonomischen Sachverstand haben als Politiker wie Andrea Nahles und Karl Lauterbach von der SPD- Linken? Vielleicht. Schwer wäre das ja nicht.

    Ich bin aber nicht sicher, daß die von Forsa Befragten überhaupt über die ökonomischen Auswirkungen eines solchen neuen Bezugssschein- Systems nachgedacht haben. Ich vermute, es geht ihnen wie mir: Sie ärgern sich über die Unverschämtheit von Politikern, die ihnen erst ihr Geld in Form von Steuern wegnehmen und es ihnen dann gnädig wieder in Form von Bezugsscheinen zurückgeben wollen.

    "Schecks", die eben genau das nicht sind, nämlich nicht in Bargeld umwandelbar. Die man - so der Geistesblitz des Abgeordneten Karl Lauterbach - innerhalb einer bestimmten Frist für einen Kauf verwenden muß; auf die man auch noch eigenes Geld drauflegen muß, damit man überhaupt etwas mit ihnen anfangen kann.

    Durch solche Mätzchen fühlen sie sich verhohnepiepelt, die von Forsa Befragten, glaube ich. Sie merken, was Sozialisten wollen: Sie am Nasenring durch die Manege ziehen. Mit einem Futterchen an der Stange, in Gestalt eines "Konsumschecks".



    Für Kommentare bitte hier klicken.

    3. Dezember 2008

    Kurioses, kurz kommentiert: Ein Kotelett für den Bauern. "Konsumschecks" - die Schnapsidee des Jahres. Doch Sozialismus macht erfinderisch

    Da können Sie auch zu dem Bauern auf den Hof gehen, ihm die Sau wegnehmen und ein Kotelett zurückbringen und ihm sagen, er soll glücklich sein.

    FDP-Generalsekretär Dirk Niebel laut "Süddeutsche Zeitung" über den Plan von SPD-Linken, alle Bürger mit einem "Konsumscheck" zu beglücken.

    Kommentar: Recht hat er, der Dirk Niebel. Und der Bauer sollte die Mistgabel nehmen und damit den Unverschämten vom Hof jagen, der ihm mit dem Kotelett kommt.

    Es mag zur Ankurbelung der Konjunktur sinnvoll sein, Steuersenkungen dadurch schnell wirksam werden zu lassen, daß man allen Bürgern einen bestimmten Betrag sofort zurückerstattet. Das ist es, was in den USA dieses Jahr in Form von IRF Checks geschah, die jedem Berechtigten direkt zugeschickt wurden.

    Es handelte sich um ganz normale Schecks, die man sich auszahlen lassen oder seiner Bank zur Gutschrift einreichen konnte.

    Das aber ist es ja nicht, was Andrea Nahles und andere SPD-Linke im Sinn haben. Dann könnte der Bürger ja mit seinem Geld machen, was er will. Die "Konsum- Gutscheine", die sie vorschlagen, sind dagegen geradezu ein Musterbeispiel sozialistischer Gängelung, fast schon eine Karikatur davon:
  • Von den Steuern, die er zuvor dem Staat hatte zahlen müssen, wird dem Bürger etwas zurückerstattet. Er bekommt es aber nicht einfach - wie in den USA - zurück, sondern er bekommt es mit der faktischen Weisung zurück, es innerhalb eines bestimmten Zeitraums auszugeben; sonst verfällt der schöne Gutschein.

  • Und nicht nur das - der Bürger muß auch noch weiteres eigenes Geld drauflegen (von 200 Euro ist die Rede), wenn er den "Scheck", der keiner ist, einlösen will. Wenn er also sein eigenes Geld, das der Staat ihm genommen und wieder gegeben hat, ausgeben möchte.

  • Freilich bekommt er nicht das zurück, was er zuvor gezahlt hat, sondern nur einen Teil davon. Und dieser Teil ist unabhängig davon wieviel Steuern er gezahlt hat. Umverteilung pur also.

  • Das Ganze hat noch die für Sozialisten besonders erfreuliche Nebenwirkung, daß es ein Beschäftigungsprogramm ist. Denn die Behörden müssen ja die Ausgabe dieser Lebensmittelkarten Konsumschecks verwalten; die Geschäfte müssen ihre Annahme und Verrechnung verwalten usw.
  • Das Allerschönste für den Sozialisten ist an diesem Programm natürlich, daß der Bürger nicht selbst entscheiden kann, was er mit dem Geld macht - ob er es ausgibt, spart oder, sagen wir, seinem Opa auf Mallorca zu Weihnachten schickt. Er muß es konsumieren. Fristgemäß.

    Muß er wirklich? Wie meist bei solchen sozialistischen Ideen ist das Ganze nicht nur ein Monstrum der Gängelung und Bürokratie, sondern es liegt doch auf der Hand, daß jeder Bürger sich der Gängelung entziehen kann. Wer ohnehin etwas anschaffen wollte, der nimmt den Gutschein dafür. Wer nicht, der tauscht ihn mit einem Freund, der sich etwas anschaffen will, gegen Bargeld.

    Oder man denkt sich sonst irgend etwas aus, um nicht zu Anschaffungen getrieben zu werden, die man gar nicht tätigen wollte. Denn das ist das einzig Positive am Sozialismus: Er macht erfinderisch.



    Für Kommentare bitte hier klicken.

    26. November 2008

    Chávez' Doppelstrategie für Weg in den Sozialismus: An beiden Fronten gibt es Bewegung

    Wo im Zwanzigsten Jahrhundert der Sozialismus siegte, da tat er das auf eine von zwei Weisen: Entweder durch einen Putsch oder durch einen Bürgerkrieg.

    Beides war in der Oktoberrevolution angelegt, wo auf den Putsch der Bürgerkrieg folgte. Nur durch Putsch wurde der Sozialismus in den Ländern Osteuropas nach 1945 eingeführt; nur durch Bürgerkrieg zum Beispiel in China, Vietnam und Cuba.

    Hugo Chávez versucht, unterstützt von intellektuellen Beratern wie dem deutschen Professor Heinz Dieterich (der inzwischen allerdings mit Kritik nicht spart) und dem Briten Paul Cockshott, einen dritten Weg in den Sozialismus zu beschreiten.

    Dessen Kern ist eine Doppelstrategie: Im Inneren ein vorsichtiges Abwürgen der Freiheit; so vorsichtig, daß kein einzelner Schritt im Land selbst zu einem Aufstand führt oder international Empörung auslöst. Salami-Taktik also. Und dies nach außen abgesichert - vor allem gegen eine eventuelle US-Intervention abgesichert - durch eine "strategische Allianz" mit Rußland und mit China.

    Die beiden Fronten sind voneinander abhängig: Nur mit der Rückendeckung Moskaus und Pekings kann Chávez den Weg in den Sozialismus wagen. Und andererseits: Weil er diesen Weg gehen will, ist Venezuela für diese beiden Länder so interessant. Von ihnen begehrt als ein Brückenkopf gegen die USA auf dem südamerikanischen Kontinent.

    An beiden Fronten gab es in den vergangenen Tagen Neues. Es fanden Regional- und Kommunalwahlen statt, die ein weiterer Schritt innerhalb der Salami- Taktik sein sollten; und innerhalb der strategischen Zusammenarbeit mit Rußland erreichte ein russischer Flottenverband Venezuela, wo heute auch Präsident Medwedew eintreffen wird.



    Wissen Sie, wie die Wahlen am vergangenen Sonntag ausgegangen sind? Sie dürften sehr gegensätzliches Wissen haben, je nachdem, welcher deutschen Quelle Sie vertrauen.

    Überschrift und erster Satz der Meldung am Montag im "Deutschlandfunk" lauteten zum Beispiel "Venezuela: Chavez- Partei gewinnt Gouverneurswahlen in den meisten der 22 Bundesstaaten. Bei den Gouverneurswahlen in Venezuela haben sich die Anhänger von Präsident Chavez durchgesetzt".

    Und "Spiegel- Online" titelte bündig: "Chávez entscheidet Regionalwahlen für sich". Hatten Sie hingegen am Montag mehr Vertrauen in die Berichterstattung zum Beispiel der "Welt", dann erfuhren Sie dort: "Schlappe für Hugo Chavez bei Kommunalwahlen".

    Wie man sich denken kann, entstehen solche gegensätzlichen Schlagzeilen, wenn eine Wahl unklar ausgegangen ist. Wenn man also berichten kann, daß das Glas halb voll oder daß es halb leer ist. Den Kern der Sache getroffen hat der "Tagesspiegel": "Chávez verfehlt Ziel der Alleinherrschaft".

    Seinen Plan, am Sonntag einen entscheidenden Schritt in Richtung auf einen Einparteien- Staat zu tun, hat Chávez nicht realisieren können. Wie immer zuverlässig, berichtet in der New York Times deren Venezuela- Korrespondent Simon Romero, was sich bei diesen Wahlen zugetragen hat:

    Chávez Sozialistische Einheitspartei PSUV hat weiter das flache Land fest im Griff. Aber die Städte, die Industriegebiete sind in erstaunlichem Maß zur Opposition übergeschwenkt.

    Die Städte - das sind nicht nur die bürgerlichen, freiheitlich gesonnenen Schichten, die schon immer in Opposition zu Chávez standen. Sondern zunehmend verliert er auch dort an Unterstützung, wo er früher einmal seine treuesten Anhänger hatte: In den Armenvierteln, in den Slums.



    Der Hintergrund ist der beispiellose wirtschaftliche Niedergang Venezuelas, wie ihn Anfang dieses Jahres der Ökonom Francisco Rodríguez analysiert hat. Gerade den Ärmsten geht es keineswegs besser; es gab zum Beispiel 2006 in Venezuela mehr untergewichtige Kleinkinder, mehr Haushalte ohne Anschluß an die Wasserversorgung als im Jahr 1999. Zugleich hat sich die Lage bei den Menschenrechten dramatisch verschlechtert.

    Eine Zeitlang kann eine Regierung eine solche Entwicklung mit Propaganda, mit Versprechungen, mit Druck und Repression auffangen. Irgendwann bricht sich die Unzufriedenheit Bahn.

    Solange das noch möglich ist. Solange also das vorsichtige Abwürgen der Freiheit noch nicht so weit gediehen ist, daß solche Ausbrüche von Unzufriedenheit gar nicht mehr stattfinden können.

    Auch dieser Dritte Weg zum Sozialismus wird irgendwann an dem Punkt ankommen, wo sich die "Machtfrage" stellt, ein Lieblingswort der Kommunisten. Dann wird Chávez das, was in Venezuela jetzt noch an Rechtsstaatlichkeit und Demokratie übrig ist, bei Strafe des Machtverlusts, des Endes seines Sozialismus, beseitigen müssen. Jedenfalls wird er das versuchen; vielleicht mit Hilfe Cubas, das schon jetzt in Venezuela seine Agenten mit polizeilichen Befugnissen hat.



    Entscheidend wird dann die Unterstützung durch China und Rußland sein.

    Heute trifft Präsident Medwedew zum Auftakt einer Lateinamerika- Reise in Venezuela ein. Zu Gesprächen zwischen zwei "freien, souveränen Ländern, die sich einander annähern", wie Chávez es am Montag genannt hat.

    Angenähert haben sich jedenfalls vier russische Kriegsschiffe der Küste Venezuelas zwecks gemeinsamer Manöver mit der venezolanischen Kriegsmarine.

    Der Zerstörer "Admiral Tschabanenko" liegt in einem Hafen in der Nähe von Caracas am Kai. "Wir werden Kommunikations- Übungen, taktische Manöver, Übungen im Kampf gegen Drogen und Terrorismus durchführen, aber auch Luftabwehr- Übungen mit Suchoi- Jagdflugzeugen" sagte dazu der venezuelanische Vizeadmiral Luis Marquez Marquez.

    Wenn es in Venezuela hart auf hart kommt, dann steht Rußland an der Seite von Chávez; das ist die eine Botschaft dieses militärisch eskortierten Staatsbesuchs.

    Die andere richtet sich an die USA, speziell an deren neuen Präsidenten. Unter der Überschrift "In Sea Exercises, A Sign for Obama" (In den Seemanövern ein Zeichen für Obama) schreibt dazu heute Juan Forero in der Washington Post:
    The arrival of Russian President Dmitry Medvedev and a naval squadron in Venezuela this week is an unequivocal message to President-elect Barack Obama that his most nettlesome challenge in the Americas will be Venezuela's populist government and its oil-fueled crusade against U.S. influence, political analysts say.

    Nach Aussagen politischer Beobachter ist die Ankunft des russischen Präsidenten Dmitri Medwedew und eines Flottenverbands diese Woche in Venezuela eine unmißverständliche Botschaft an den gewählten Präsidenten Barack Obama, daß seine unangenehmste Herausforderung auf dem amerikanischen Kontinent die populistische Regierung Venezuelas und ihr sich aus dem Erdöl speisender Kreuzzug gegen den Einfluß der USA sein wird.
    So ist es wohl. Rußland wird den jungen Mann in Lateinamerika testen, so wie man ihn in Osteuropa testen wird.

    Langfristig geht es aber um mehr: Um die politisch- militärische Rückkehr Rußlands in die westliche Hemisphäre. Um das erstmalige derartige Aufreten Chinas in der westlichen Hemisphäre.

    Und vor allem darum, ob der Dritte Weg von Chávez mit deren Unterstützung zum Erfolg führt; als Vorbild für ganz Lateinamerika, als Hoffnung für den Sozialismus weltweit.




    Für Kommentare bitte hier klicken.

    17. November 2008

    Gedanken zu Frankreich (27) : Auf dem Weg in den Bürgerkrieg? Die französischen Sozialisten könnten vor der Spaltung stehen

    "Socialists in France wage civil war", die Sozialisten in Frankreich führen einen Bürgerkrieg, lautet eine Schlagzeile gestern in der International Herald Tribune, der in Paris erscheinenden internationalen Tageszeitung.

    Nein, ganz so dramatisch ist die Lage noch nicht, wie das klingt. Die Barrikaden in Paris hat sie noch nicht errichtet, die französische Parti Socialiste, die sich immer noch als sozialistisch und nicht als sozialdemokratisch versteht.

    Der "Bürgerkrieg", über den in dem Artikel berichtet wird, spielt sich vielmehr innerhalb dieser Partei ab. Vordergründig geht es um den neuen Vorsitzenden (in sozialistischer Tradition Generalsekretär genannt) oder, seit diesem Wochenende wahrscheinlicher, um die neue Vorsitzende.

    In Wahrheit geht es um einen Richtungsentscheid. Die Partei ist so tief gespalten, daß ihr Zerfall nicht mehr ausgeschlossen ist.

    Der populäre Bürgermeister von Paris, Bertrand Delanoë, hat gestern seinen Rückzug aus der Bewerbung um den Vorsitz erklärt, weil er - so kann man es beim Nouvel Observateur lesen - sich nicht an "la guerre des chefs", dem Krieg der Anführer, beteiligen wolle, "ou ce qui pourrait être ressenti comme une confusion ou un risque de division" - oder dem, was als eine Wirrnis empfunden werden könnte, oder als Risiko einer Spaltung.

    Es geht um Personen; aber es sind Personen, die für unvereinbare politische Optionen stehen. Nachdem Delanoë vorerst aus dem Rennen ausgeschieden ist (in das er freilich irgendwann als Kompromiß- Kandidat zurückkehren könnte), bleiben noch drei Musketiere übrig:
  • Der sehr linke und außerhalb Frankreichs kaum bekannte Benoît Hamon, Mitbegründer einer linken Strömung innerhalb der PS namens Parti Nouveau Socialiste (Neue Sozialistische Partei). Mit 41 Jahren sozusagen ein Jungsozialist.

  • Die Altsozialistin Martine Aubry, Tochter des Ministers von Mitterand Jacques Delors. In den in Frankreich sehr linken Gewerkschaften verankert, seinerzeit als Ministerin verantwortlich für den gesetzlichen Zwang zur 35-Stundenwoche.

  • Und Diejenige, die Sie mit Sicherheit kennen: Ségolène Royal. Nach ihrer Niederlage gegen Sarkozy geriet sie ein wenig in den Hintergrund; aber jetzt ist sie wieder da.
  • Sie ist da als die einzige Sozialdemokratin unter den verbliebenen drei Bewerbern.

    Ségolène Royal ist eine seltsame politische Erscheinung; zumal in Frankreich. Eine Frau mit dem Charisma, sagen wir, eines halben Obama. Was für Frankreich sehr viel ist, wo man normalerweise nur als angepaßter Funktionär Karriere in einer Partei machen kann. Je grauer, umso besser.

    Als Kandidatin gegen Bayrou und Sarkozy wurde Ségolène Royal allmählich demontiert, weil in dieser Contestation bei ihr eben außer dem Charisma nicht viel war. Sie war den beiden anderen argumentativ keinen Augenblick gewachsen.

    Verloren hat sie die Stichwahl gegen Sarkozy vermutlich, als sie sich in der Debatte der beiden verbliebenen Kandidaten echauffierte; Kontrollverlust mögen die Franzosen gar nicht bei einem Staatspräsidenten. Auch wenn das vielleicht nur gespielt war - es wirkte würdelos.

    Aber sie ist eine Sozialdemokratin, Ségo. Sie hat sogar zwischen dem Ersten und dem Zweiten Wahlgang versucht, einen Pakt mit dem Liberalkonservativen François Bayrou zu schließen.

    Das ging zwar daneben; aber seitdem steht sie für eine moderne, eine moderate, eine zur Mitte hin orientierte Politik der französischen Sozialisten.



    Nur steht die Partei damit nicht hinter ihr. Ganze 29 Prozent der Stimmen hat sie am Wochenende bekommen; die anderen allerdings noch weniger. Jetzt hat der Parteitag sein Scheitern erklärt, und man wird in der nächsten Woche die Mitglieder befragen.

    Die Mitglieder, auf französisch les militants, was freilich in deutschen Ohren seltsam klingt. Aber es stimmt schon, sie sind "militant", die Mitglieder. In Frankreich wird ungleich mehr ideologisch gekämpft als bei uns (sieht man von den deutschen Kommunisten ab; und selbst die fressen ja Kreide).

    Worüber sollen jetzt die Mitglieder entscheiden? Über nicht mehr und nicht weniger als die Wahl zwischen Sozialismus und Kapitalismus.

    Denn darum geht es im Kern: Ein Teil der französischen Sozialisten glaubt immer noch an den Sozialismus. Für diese militants kommt kein anderes Bündnis in Frage als das mit den Kommunisten.

    Sie haben als Ziel die Verstaatlichung der Produktionsmittel und eine von der Bürokratie kontrollierte Gesellschaft, in der alle glücklich sind, weil ihnen jede Entscheidung abgenommen wird. Bisher waren sie immer in der Mehrheit; und Anfang der achtziger Jahre sind sie nur knapp damit gescheitert, Frankreich auf den Weg in den Sozialismus zu bringen.

    Ein anderer Teil der französischen Sozialisten - wie stark er ist, werden wir vielleicht am Ende dieser Woche wissen - hat seinen Frieden mit dem Kapitalismus gemacht. Er will ungefähr das, was die deutschen Sozialdemokraten seit dem Godesberger Programm wollen: Mehr von dem, was sie für soziale Gerechtigkeit halten, innerhalb einer freien Gesellschaft und einer Marktwirtschaft.

    Diese Sozialdemokraten setzen auf ein Bündnis mit der politischen Mitte, also mit den Liberalen, den Zentristen, mit François Bayrou.

    Man kann aber nicht zugleich mit ihnen und den Kommunisten paktieren. Man kann nicht zugleich den Kapitalismus reformieren und ihn abschaffen wollen. Also stecken die französischen Sozialisten jetzt, mit der Verspätung eines Jahrhunderts, in dem Revisionismus- Streit, den die deutschen Sozialdemokraten um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ausfochten.



    Mir scheint, es gibt nicht nur diese historische, sondern auch eine aktuelle Parallele zur deutschen Sozialdemokratie.

    Was bis zur Wiedervereinigung unmöglich schien, ist jetzt eingetreten: Auch die deutschen Sozialdemokraten stehen vor der Frage, ob sie mit den Kommunisten oder mit Demokraten paktieren werden.

    Der Aufstieg der Kommunisten seit dem Scheitern Schröders hat diese Frage aktuell gemacht. Die Amtszeit des unglücklichen Kurt Beck, der das sicher nicht gewollt hatte, hat auch in der SPD die Sozialisten zum ersten Mal seit dem Ende des Ersten Weltkriegs in eine Position gebracht, in der sie mehrheitsfähig sind, aus der heraus sie also das Bündnis mit den Kommunisten wagen können. Hessen war ein Testlauf.

    Auch die SPD könnte an dieser Frage zerbrechen. Sie wird sich entscheiden müssen.



    Für Kommentare bitte hier klicken.

    17. September 2008

    Marginalie: Der wirtschaftliche Niedergang des Iran

    In die Schlagzeilen kommt der Iran meist wegen seines Atomprogramms oder wegen anti- israelischer Äußerungen von Ahmadinedschad. Wie steht es aber eigentlich mit der iranischen Wirtschaft?

    Schlecht, schreibt Patrick Clawson in der gerade erschienen Herbst- Nummer des Middle East Quarterly.

    Clawson ist der stellvertretende Forschungsdirektor des Washington Institute for Near East Policy. Sein Artikel ist vollgepackt mit Fakten und Belegstellen aus iranischen und internationalen Quellen. Man erfährt daraus nicht nur etwas über die momentane wirtschaftliche Lage des Iran, sondern auch über die Entwicklung seit der Zeit des Schah.



    Bis Mitte der siebziger Jahre hatte der Iran unter dem Schah eine wirtschaftliche Dynamik entwickelt, die der heutigen Situation in China vergleichbar ist.

    In den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren wuchs die Industrieproduktion mit einer Rate von jährlich zwanzig Prozent. Die Zahl der Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe verdoppelte sich von 1956 bis 1972. 1963 hatte der Iran weder eine Automobil- noch eine Elektronikindustrie. 1972 wurden bereits 71.000 KfZ und 406.000 Radios und TV-Geräte hergestellt.

    Zwischen 1960 und 1976 hatte das Land eine der höchsten Wachstumsraten der Welt. Die Wirtschaft wuchs - inflationsbereinigt - mit durchschnittlich 9,8 Prozent pro Jahr, die Realeinkommen um sieben Prozent jährlich. 1976 hatte sich das Bruttosozialprodukt - zu konstanten Preisen - gegenüber 1960 verfünffacht.

    In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre geriet das Land in eine Wirtschafts- und eine politische Krise, die zum Sturz des Schah im Januar 1979 und der Errichtung des Regimes der Mullahs führte. Im Jahrzehnt danach halbierte sich (nach iranischen Regierungs- Statistiken) das Einkommen pro Kopf der Bevölkerung. Die Wirtschaft schrumpfte um 2,4 Prozent pro Jahr.



    Die Aufs und Abs der wirtschaftliche Entwicklung seither zeichnet Clawson im einzelnen nach. Ich übergehe das (empfehle es aber sehr zur Lektüre) und komme gleich zur gegenwärtigen Lage. Die Arbeitslosigkeit liegt bei ungefähr 12 Prozent. Die Inflationsrate beträgt nach Regierungsangaben 24 Prozent; der wahre Wert liegt nach der Meinung von Experten höher.

    Am besten wird die ökonomische Inkompetenz des Mullah- Regimes vielleicht dadurch gekennzeichnet, daß einer der größten Ölproduzenten der Welt Benzin nicht nur rationiert, sondern sogar in großem Umfang importieren muß:
    In addition to the monthly 26-gallon ration at $.48 per gallon, motorists can purchase extra amounts at $1.91 per gallon. (...) With Iran's refineries uninterested in producing gasoline for which they receive such meager prices, the Iranian government has been forced to rely on imports. While these have oscillated, in 2006, for example, they amounted to 192,000 barrels per day.

    Autofahrer erhalten eine monatliche Ration von 26 Gallonen zu 0,48 Dollar pro Gallone und können weiteres Benzin für 1,91 Dollar pro Gallone hinzukaufen. (...) Da die iranischen Raffinerien nicht an der Produktion von Benzin interessiert sind, für das sie derart geringe Preise erhalten, war die iranische Regierung gezwungen, auf Importe zurückzugreifen. Sie gingen auf und ab; 2006 lagen sie bei 192.000 Barrel pro Tag.
    Dank der hohen Ölpreise funktioniert die iranische Wirtschaft noch einigermaßen. Aber insgesamt ist die Bilanz der Mullahs verheerend:
    ... there has been one Iranian constant: erratic financial policies which have frittered away the country's impressive economic potential. (...) Once in power, the revolutionary authorities implemented the worst aspects of Third World socialism with predictable results: The economy went downhill (...). The result is that the income of the average Iranian is not much higher than it was thirty years ago.

    ... es gibt eine iranische Konstante: Eine erratische Finanzpolitik, die das eindrucksvolle ökonomische Potential des Landes hat wegschmelzen lassen. (...) Erst einmal an der Macht, hat das Revolutionsregime die schlimmsten Aspekte des Dritte- Welt- Sozialismus in die Tat umgesetzt. Die Ergebnisse waren absehbar: Mit der Wirtschaft ging es abwärts (...). Die Folge ist, daß das Einkommen des durchschnittlichen Iraners kaum höher ist als vor dreißig Jahren.
    Des durchschnittlichen, wohlgemerkt. Denn wie jeder Sozialismus hat auch der iranische seine Nutznießer: Für ein Apartment in Teheran bezahlt man leicht 6.500 bis 11.000 Dollar pro Quadratmeter (Zum Vergleich: Ein Lehrer verdient im Iran ungefähr 300 Dollar im Monat). Eine ganze Industrie ist laut Clawson entstanden, die die Reichen mit der Ausstattung für ihre Paläste versorgt.



    Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.

    7. August 2008

    Marginalie: Wie der kampferprobte Hugo Chávez die Hindernisse auf dem Weg in den Sozialismus beiseiteräumt

    Als Hugo Chávez Ende vergangenen Jahres nicht die Zustimmung der Wähler zu seinem Ermächtigungsgesetz erhielt, da sprach er laut der cubanischen Agentur Prensa Latina den Satz: "... sólo los soldados bisoños creen la causa perdida ante los primeros obstáculos", nur die noch nicht kampferprobten Soldaten glauben die Sache schon verloren, wenn die ersten Hindernisse auftauchen.

    Kampferprobt ist er, der alte Soldat Chávez. Er hat ein halbes Jahr gewartet, bevor er jetzt die damals aufgetauchten Hindernisse wegräumt, auf seine Art. Und zu einem offenbar sorgsam gewählten Zeitpunkt.

    Am vergangenen Donnerstag, dem 31. Juli, liefen die Sonderrechte aus, die es ihm erlaubten, mit Notverordnungen à la Hindenburg zu regieren. Und just an diesem Tag hat er von diesem Recht noch einmal kräftig Gebrauch gemacht und einfach das per Notverordnung dekretiert, was die Wähler ihm als Verfassung nicht hatten zugestehen wollen.

    Er hat so lange gewartet, wie es ging. Offenbar sollte man sich nicht mehr so genau an das erinnern, was damals gescheitert war. Denn nun taucht es wieder auf; nur eben als eine Kaskade von 26 Notverordnungen des Präsidenten Chávez. Wie Simon Romero in der gestrigen New York Herald Tribune aus Caracas berichtet, stammen nicht weniger als ein Dutzend dieser Verordnungen aus der gescheiterten Verfassung:
    President Hugo Chávez is using his decree powers to enact a set of socialist- inspired measures that seem based on a package of constitutional changes that voters rejected last year. His actions open a new stage of confrontation between his government and the political opposition. (...) Some of the laws significantly increase Chávez's power.

    Präsident Hugo Chávez benutzt sein Recht auf Notverordnungen, um ein Bündel von sozialistisch inspirierten Maßnahmen anzuordnen, die offenbar auf einem Paket von Verfassungsänderungen basieren, das die Wähler letztes Jahr ablehnten. Sein Vorgehen leitet eine neue Stufe der Konfrontation zwischen seiner Regierung und der politischen Opposition ein. (...) Einige der Gesetze erweitern die Macht von Chávez erheblich.
    Was sich Chávez da alles an Maßnahmen ausgedacht hat, um den Weg in den Sozialismus zu ebnen, das liest man am besten in dem sehr informativen Artikel von Romero nach. Hier die wichtigsten Punkte:
  • Chávez kann in den Regionen und Kommunen eine Art persönliche Statthalter mit eigenem Budget einsetzen. Damit wird er den Sieg von Politikern der Opposition bei den im November bevorstehenden Regional- und Kommunalwahlen weitgehend neutralisieren können.

  • Nachdem vor einem Jahr die Armee schon weitgehend gleichgeschaltet wurde, hat Chávez jetzt durch eine seiner Notverordnungen parallel dazu noch eine Miliz geschaffen. Die Militarisierung der Gesellschaft und die Politisierung des Militärs nach cubanischem Vorbild schreiten damit weiter voran.

  • Unternehmen, die nicht den "Regeln zur Buchführung" folgen, dürfen gemäß einer weiteren Verordnung künftig vom Staat "besetzt und vorübergehend übernommen" werden. Mit diesem Gummiparagraphen kann, so fürchten es Geschäftsleute, das Recht auf Privateigentum ausgehebelt werden.

  • Jeder Unternehmer kann künftig mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden, wenn er "es ablehnt, Güter der Grundversorgung herzustellen oder zu vertreiben". Das ist, nach der Verstaatlichung wichtiger Industrien und kürzlich einer großen Bank, ein weiterer Schritt in die Planwirtschaft.
  • Seine Niederlage im vergangenen Dezember hat also Chávez keineswegs daran gehindert, mit seiner Methode der Salamitaktik weiter den Sozialismus aufzubauen. Ob es das Volk nun will oder nicht; das hat noch nie einen Sozialisten interessiert.

    Offenbar auf die dann im Sozialismus eintretenden Zustände ist eine weitere der Verordnungen zugeschnitten: Künftig wird in Venezuela neben der Geldwirtschaft der Tauschhandel eine zweite gesetzlich geregelte Form des Handels sein.



    Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.

    20. Juni 2008

    Zitat des Tages: Chávez droht Europa einen Öl-Boykott an. Nebst einem Blick auf die wirtschaftliche und soziale Situation in Venezuela

    We can't just stand by with our arms crossed. Any European country that applies this directive, we will -- well we won't cut off ties -- but it's simple, at the very least, our oil will not reach these countries

    (Wir können nicht einfach mit verschränkten Armen zusehen. Jedes europäische Land, das diese Direktive umsetzt, werden wir - also, wir werden die Beziehungen nicht abbrechen - aber es ist klar, zumindest werden diese Länder kein Öl mehr von uns erhalten.)

    Der venezolanische Präsident Hugo Chávez laut einer heutigen Reuters- Meldung auf einem Empfang zu Ehren des neu gewählten Präsidenten von Paraguay, Fernando Lugo.

    Worauf bezieht sich die Boykottdrohung von Hugo Chávez? Auf eine EU-Entscheidung vom vergangenen Mittwoch, wonach illegale Einwanderer für bis zu 18 Monate festgehalten werden dürfen und für fünf Jahre mit dem Verbot der Wiedereinreise belegt werden können.

    Kommentar: Chávez' Sorge um das Schicksal illegaler Einwanderer nach Europa steht in einem bemerkenswerten Kontrast zu dem Desinteresse, das er offenbar für die Lebensbedingungen in seinem eigenen Land Venezuela hat.

    Über diese konnte man kürzlich Instruktives in der März/April - Nummer von Foreign Affairs lesen. In einem Artikel mit dem Titel "An Empty Revolution - The Unfulfilled Promises of Hugo Chávez" (Eine leere Revolution - Hugo Chávez' nicht eingehaltene Versprechen) schildert dort Francisco Rodríguez die wirtschaftliche Situation in Venezuela.

    Rodríguez, Assistenzprofessor für Ökonomie an der Wesleyan University, kennt sich aus, denn er war von 2000 bis 2004 Chefökonom der venezolanischen Nationalversammlung. Eine (auszugsweise) deutsche Übersetzung ist im "Rheinischen Merkur" erschienen. Die folgenden Übersetzungen sind wie immer von mir.



    Rodríguez schildert zum einen den für "populistische Volkswirtschaften" typischen allgemeinen wirtschaftlichen Niedergang:
    The economists Rudiger Dornbusch and Sebastian Edwards have characterized such policies as "the macroeconomics of populism." Drawing on the economic experiences of administrations as politically diverse as Juan Perón's in Argentina, Salvador Allende's in Chile, and Alan García's in Peru, they found stark similarities in economic policies and in the resulting economic evolution.

    Populist macroeconomics is invariably characterized by the use of expansionary fiscal and economic policies and an overvalued currency with the intention of accelerating growth and redistribution. These policies are commonly implemented in the context of a disregard for fiscal and foreign exchange constraints and are accompanied by attempts to control inflationary pressures through price and exchange controls.

    The result is by now well known to Latin American economists: the emergence of production bottlenecks, the accumulation of severe fiscal and balance-of-payments problems, galloping inflation, and plummeting real wages. Chávez's behavior is typical of such populist economic experiments.

    Die Wirtschaftswissenschaftler Rudiger Dornbusch und Sebastian Edwards charakterisieren diese Politik als "die Volkswirtschaft des Populismus". Bei einer Untersuchung der ökonomischen Erfahrungen so politisch unterschiedlicher Regierungen wie derer von Juan Perón in Argentinien, Salvador Allende in Chile und Alan García in Peru fanden sie frappierende Ähnlichkeiten in der Wirtschaftspolitik und in der wirtschaftlichen Entwicklung, die diese nach sich zog.

    Eine populistische Volkswirtschaft zeigt als ihre typischen Merkmale eine expansive Fiskal- und Wirtschaftspolitik und eine überbewertete Währung; das Ziel ist es, Wachstum und Umverteilung voranzutreiben. Diese Politik wird durchgängig zusammen mit einer Mißachtung der fiskalischen und währungstechnischen Zwänge durchgesetzt; Hand in Hand damit gehen Versuche, den Inflationsdruck durch Preiskontrollen und eine Kontrolle der Wechselkurse aufzufangen.

    Das Ergebnis kennen lateinamerikanische Ökonomen inzwischen gut: Es entstehen Engpässe in der Produktion. Es kommt zu schwerwiegenden Problemen im fiskalischen Bereich und in der Handelsbilanz, zu einer galoppierenden Inflation und zu einem Absturz der Reallöhne. Das Verhalten von Chávez ist typisch für derartige populistische Wirtschafts- Experimente.


    Zum anderen weist Rodríguez anhand von sorgfältig recherchierten statistischen Daten nach, daß es gerade den Armen, denen angeblich Chávez Fürsorge gilt, in Venezuela zunehmend schlecht geht. Einige Beispiele:
    But again, official statistics show no signs of a substantial improvement in the well-being of ordinary Venezuelans, and in many cases there have been worrying deteriorations.

    The percentage of underweight babies, for example, increased from 8.4 percent to 9.1 percent between 1999 and 2006. During the same period, the percentage of households without access to running water rose from 7.2 percent to 9.4 percent, and the percentage of families living in dwellings with earthen floors multiplied almost threefold, from 2.5 percent to 6.8 percent. (...)

    Remarkably, given Chávez's rhetoric and reputation, official figures show no significant change in the priority given to social spending during his administration. The average share of the budget devoted to health, education, and housing under Chávez in his first eight years in office was 25.12 percent, essentially identical to the average share (25.08 percent) in the previous eight years. And it is lower today than it was in 1992, the last year in office of the "neoliberal" administration of Carlos Andrés Pérez.

    Auch hier wieder zeigen die offiziellen Statistiken keine Anzeichen für eine substantielle Verbesserung der Lebensbedingungen der breiten Schichten Venezuelas, und in vielen Fällen finden sich erschreckende Verschlechterungen.

    Der Prozentsatz untergewichtiger Kleinkinder stieg zum Beispiel zwischen 1999 und 2006 von 8,4 auf 9,1 Prozent. Im selben Zeitraum erhöhte sich der Prozentsatz der Haushalte ohne fließendes Wasser von 7,2 auf 9,4 Prozent, und der Prozentsatz der Familien, die in ihren Häusern auf dem nackten Erdboden leben, verdreifachte sich fast von 2,5 auf 6,8 Prozent. (...)

    Trotz der Beteuerungen von Chávez und trotz seines Rufs zeigen die offiziellen Zahlen bemerkenswerterweise keine Änderung in der Bedeutung, die während seiner Regierungszeit den Sozialausgaben zuerkannt wurde. Der durchschnittliche Anteil des Haushalts, der für Gesundheit, Erziehung und Wohnungsförderung bereitgestellt wird, lag in den den ersten acht Jahren der Regierung Chávez bei 25,12 Prozent; was fast genau mit dem Wert von durchschnittlich 25,08 Prozent in den davor liegenden acht Jahren übereinstimmt. Und dieser Anteil ist heute niedriger als im letzten Amtsjahr der "neoliberalen" Regierung von Carlos Andrés Pérez.



    Wie kommt es, daß diese Fakten außerhalb von Venezuela so wenig bekannt sind; daß weithin die Vorstellung herrscht, Chávez betreibe wenn schon eine freiheitsfeindliche, so doch wenigstens eine eine soziale Politik?

    Rodríguez meint, daß die Schuld daran bei den Fehlwahrnehmungen liege, wie sie für Intellektuelle und Politiker in den entwickelten Ländern typisch seien.

    Diese würden bereitwillig einer Darstellung glauben, "according to which the dilemmas of Latin American development are explained by the exploitation of the poor masses by wealthy privileged elites. The story of Chávez as a social revolutionary finally redressing the injustices created by centuries of oppression fits nicely into traditional stereotypes of the region".

    Einer Darstellung also, wonach die Schwierigkeiten Lateinamerikas von einer Ausbeutung der armen Massen durch reiche, privilegierte Eliten herrührten. Die Story, wonach der Sozialrevolutionär Chávez endlich diese in Jahrhunderten der Unterdrückung entstandenen Ungerechtigkeiten beseitige, passe bestens in die Stereotype über diese Region.

    Für eine Beseitigung der Armut werde damit aber nichts erreicht. Hierfür bedürfe es, meint Rodríguez, ganz anderer Maßnahmen; zum Beispiel einer Reform der Landwirtschaft, die diese exportfähig macht.



    Zurück zu den illegalen Einwanderern nach Europa. Man könnte ja auf den Gedanken kommen, den Präsidenten Chávez, der sich so rührend für sie einsetzt, aufzufordern, ihnen eine Heimstatt in Venezuela anzubieten.

    Aber angesichts der Fakten, wie Rodríguez sie schildert, dürften die meisten wohl dankend ablehnen.



    Mit Dank an Dr. Franz Hoffmann. Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.

    13. April 2008

    Überlegungen zur Freiheit (4): Der Traum vom freiheitlichen Sozialismus

    Jeder Bürger sollte vollständig sicher sein können, daß seine politischen Meinungen und Überzeugungen, sein persönlichen Auffassungen und Verhaltensweisen nicht Gegenstand der Überwachung durch staatliche Sicherheitsorgane sein können. Die Partei erklärt ausdrücklich, daß diese Organe weder die Aufgabe haben noch dazu eingesetzt werden, innere Fragen und Kontroversen der sozialistischen Gesellschaft zu lösen.

    Dies ist eine Passage aus dem Aktionsprogramm, das vor vierzig Jahren, am 11. April 1968, vom Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der CSSR verabschiedet wurde. Titel dieses Programms: "Der tschechoslowakische Weg zum Kommunismus".

    Der Verabschiedung des Programms, an dem seit Januar gearbeitet worden war, waren wochenlange öffentliche Debatten vorausgegangen. Allein in der Woche vor der Veröffentlichung hatte die zuständige Kommission dreitausend Änderungsanträge entgegengenommen.



    Ich gehörte damals zu denen, die große Hoffnungen in den "Prager Frühling" setzten. Wie viele hatte ich die Vorstellung, daß die Ideen für einen freiheitlichen Sozialismus, wie sie den (jedenfalls den französischen) Mai 1968 dominierten, irgendwie mit den Ideen des Prager Frühlings konvergieren würden. Daß wir uns sozusagen aufeinander zuarbeiteten wie Kolonnen von Arbeitern, die einen Tunnel von zwei Seiten her graben, um sich in der Mitte zu treffen.

    Wir im Westen - so dachen wir - hatten die Freiheit und brauchten noch den Sozialismus dazu. Die Genossen in der CSSR hatten den Sozialismus und waren jetzt dabei, ihm die Freiheit hinzuzufügen. Auf verschiedenen Wegen würden wir uns in dem treffen, was - so dachten wir damals, ganz zu Unrecht - Marx gewollt hatte: einem demokratischen Sozialismus. Der zitierte Satz drückt diese Hoffnung aus; jedenfalls einen zentralen Aspekt dieser Hoffnung.

    Das Offensichtliche - daß Sozialismus und Freiheit unvereinbare Gegensätze sind -, haben wir damals so wenig gesehen, wie es die Prager Reformer wahrhaben wollten.



    Sie wurden, als aus dem Prager Frühling der Prager Sommer geworden war, aus ihren Träumen in die Realität geholt. Im Juli wurde die Prager Führung zu einem Treffen mit den sowjetischen und den anderen Brüdern nach Cierna zitiert. Immerhin noch auf CSSR- Boden, wie auch das Treffen im August in Bratislava. Aber schon in Bratislava wurden Dubcek, Smrkovsky und Genossen faktisch zum Abschwören gezwungen.

    In der Nacht vom 20. zum 21. August war es dann endgültig vorbei mit dem Traum vom Demokratischen Sozialismus, vom "Sozialismus mit menschlichem Antlitz". Die Realität holte die Träumer von Prag ein, in Gestalt der Panzer des Warschauer Pakts. Und wie beim ersten deutschen Überfall im März 1939 (auch an diesem erneuten Überfall waren bekanntlich wieder deutsche Truppen beteiligt, nur unter Hammer und Zirkel statt unter dem Hakenkreuz) ließ der freie Westen das zu.

    Die dritte Verhandlungsrunde fand in Moskau statt; und die Führung der CSSR nahm daran mit dem Status von Gefangenen der Roten Armee teil, die nur noch die Kapitulation zu unterschreiben hatten.

    Der Sozialismus hatte sich gegen die Freiheit durchgesetzt.



    Daß Freiheit und Sozialismus unvereinbar sind, ist nicht allein ein empirischer Sachverhalt. Denn nicht nur sind alle Versuche, sie miteinander zu verbinden, auf die eine oder andere Art gescheitert; vom "Prager Frühling" bis zu dem aktuellen Experiment, in Venezuela den "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" zu errichten. Sondern es ist auch unschwer zu erkennen, warum man nicht zugleich den Sozialismus und die Freiheit haben kann: Weil man dieselbe Kompetenz nicht zweimal vergeben kann.

    Sozialismus bedeutet, daß der Staat (zum Wohl seiner Bürger, sagen die Sozialisten) Kompetenzen an sich zieht. Indem er das tut, nimmt er sie den Bürgern, und er beschneidet damit ihre Freiheit. Es ist derselbe Sachverhalt, nur aus zwei verschiedenen Perspektiven betrachtet.

    Alle modernen Staaten enthalten zwar Elemente des Sozialismus. Kompetenzen, die in einem freiheitlichen Staat eigentlich beim Bürger liegen sollten (zB die, für Alter und Krankheit vorzusorgen, im Einverständnis mit den Anwesenden zu rauchen, eine Buslinie parallel zu einer Eisenbahnstrecke zu betreiben), hat der Staat an sich gezogen.

    Aber das bedeutet keinen "freiheitlichen Sozialismus", sondern es bedeutet eine Einschränkung der Freiheit durch Elemente des Sozialismus. Das ist das Wesen der Sozialdemokratie, deren Konzept des Sozialstaats heute bis in die USA hinein längst zur Realität geworden ist. Vielleicht zum Wohl der Bürger; das will ich hier gar nicht diskutieren. Jedenfalls ist das nicht Sozialismus plus Freiheit, sondern weniger Freiheit durch, sagen wir, sektoralen Sozialismus.

    Ist es wirklich so einfach? Ja, im Kern ist es wirklich so einfach; so wie die meisten Wahrheiten ja einfach sind: Man kann zwar Freiheit und Sozialismus in nahezu beliebigem Mischungsverhältnis haben. Aber man kann nicht mehr Sozialismus und zugleich mehr Freiheit haben. So, wie man zwar Wein und Wasser zu einer Schorle mischen kann. Aber man kann darin nicht zugleich den Wein- Anteil und den Anteil von Wasser erhöhen.

    Je mehr sozialistisches Wasser unserer demokratischen Freiheit zugesetzt wird, umso mehr wird sie nun einmal verdünnt, unsere Freiheit. So, wie die Verwirklichung der Ideen des Prager Frühlings mit Notwendigkeit den Sozialismus verwässert hätte. Das hat damals Breschnew richtig erkannt.



    Das Zitat aus dem Aktionsprogramm habe ich einem Artikel in einer Serie in der Internet- Ausgabe des Nouvel Observateur entnommen, in der täglich die Nachrichten des betreffeden Tags von 1968 zusammengestellt werden; sehr lesenswert.

    Links zu den früheren Folgen dieser Serie "Überlegungen zur Freiheit" findet man hier



    Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.