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15. Januar 2009

Zitat des Tages: "Es geht um die Freiheit des cubanischen Volks". Hillary Clinton vor dem Senat. Wandel durch Annäherung. Wie ist die Lage in Cuba?

You know, our policy is, first and foremost, about the freedom of the Cuban people and the bringing of democracy to the island of Cuba. We hope that the regime in Cuba, both Fidel and Raul Castro, will see this new administration as an opportunity to change some of their typical approaches. Let those political prisoners out. Be willing to, you know, open up the economy and lift some of the oppressive strictures on the people of Cuba. And I think they would see that there would be an opportunity that could be perhaps exploited.

(Also, in allererster Linie geht es bei unserer Politik um die Freiheit des cubanischen Volks und darum, der Insel Cuba die Demokratie zu bringen. Wir hoffen, daß das Regime in Cuba, sowohl Fidel als auch Raul Castro, diese neue Regierung als eine Chance sehen, einige ihrer typischen Ansätze zu ändern. Laßt diese politischen Gefangenen frei. Seid, nicht wahr, bereit, die Wirtschaft zu öffnen und einige der Strukturen aufzuheben, durch die das cubanische Volk unterdrückt wird. Und ich denke, daß sie sehen würden, daß es eine Gelegenheit gibt, die vielleicht genutzt werden könnte.)

Die designierte US-Außenministerin Hillary Clinton vorgestern bei ihrer Anhörung vor dem Senat.

Clinton hat außerdem in der Anhörung erklärt, daß die bisherigen Einschränkungen für Exilcubaner, nach Cuba zu reisen und Geld dorthin zu transferieren, aufgehoben werden würden. - Von dem Embargo gegen Cuba war nicht die Rede; Clinton wurde nicht danach gefragt und ging auch nicht von sich aus darauf ein.

Kommentar: Kommt Ihnen das, was Clinton sagte, auch bekannt vor? Es ist offenkundig die Politik eines "Wandels durch Annäherung", die - wesentlich gestaltet von Egon Bahr - von der Regierung Willy Brandts gegenüber der DDR und dem Ostblock betrieben wurde.

War diese Politik erfolgreich? Wie man es nimmt.

Damals - in den siebziger und auch noch in den achtziger Jahren - hat sie den Sozialismus zunächst nur stabilisiert und seinen Zusammenbruch hinausgezögert. Herbeigeführt hat ihn nicht die weiche Politik à la Brandt und Bahr, sondern Reagans harte Politik, die Kommunisten zu stellen und herauszufordern.

Daß dieser Zusammenbruch in Form einer größtenteils friedlich verlaufenen Implosion statt als eine gewaltsame Revolution gegen den Sozialismus stattfand, mag freilich mit das Verdienst dieser Politik sein.

Während die Regimes wirtschaftlich und politisch stabilisiert wurden, wurden sie doch zugleich auch gesellschaftlich und ideologisch aufgeweicht: Der Eiserne Vorhang wurde immer durchlässiger für "Menschen und Meinungen", wie Rainer Barzel das damals formulierte. Es entstanden die Voraussetzungen für einen friedlichen Übergang zum freiheitlichen Rechtsstaat.



Und jetzt in Cuba? Wenn man die Stellungnahme von Clinton genau liest, dann klingt sie reichlich naiv. Das Ziel der neuen Politik seien Freiheit und Demokratie in Cuba. Zugleich aber sollten die Führer Cubas " ... sehen, daß es eine Gelegenheit gibt, die vielleicht genutzt werden könnte".

Ja, sie werden sehen, daß das vielleicht genutzt werden könnte: Um sie zu verjagen.

Das Versprechen von Freiheit und Demokratie ist ja nichts anderes als das Versprechen, dem kommunistischen Regime ein Ende zu bereiten.

Bisher waren es die USA, die durch Reise- Restriktionen einen freien Reiseverkehr nach Cuba verhinderten. Man darf gespannt sein, wie Raúl Castro reagiert, wenn diese Restriktionen tatsächlich fallen und ein massiver Reiseverkehr einsetzt. Seine Freude über den Besuch all der lieben Verwandten dürfte sehr gedämpft sein.



Was das Embargo angeht, empfehle ich sehr den Artikel von Humberto Fontova im gestrigen American Thinker ("A Bailout for Castro Too?").

Fontova schildert zum einen die desolate Wirtschaftslage Cubas: Bereits Ende 2006 hat die französische staatliche Export- Import- Bank COFACE Cuba wegen Zahlungsunfähigkeit den Kredit gesperrt; Cuba stand dort mit 175 Millionen Dollar in der Kreide. Dasselbe tat im selben Jahr die staatliche mexikanische Bancomex, der Cuba Schulden in Höhe von 365 Millonen Dollar nicht zurückzahlen konnte. 2008 hat sich Südafrika angeschlossen, bei dem Cuba ebenfalls mehr als 100 Millionen Dollar Schulden hat.

Rating- Gesellschaften positionieren Cuba, was die Zahlungsfähigkeit angeht, an das untere Ende der Rangreihe; zusammen mit Ländern wie Weißrußland und Angola.

Liegt das etwa am US-Embargo? Keineswegs, schreibt Fontova. Dieses sei seit 1998 faktisch so gut wie aufgehoben; es bestehe lediglich noch darin, daß von Cuba verlangt werde, alle Lieferungen cash zu bezahlen.

Und diese Lieferungen - das ist (laut Fontova) im Umfang nicht wenig. Unter den Ländern, aus denen Cuba Waren importiert, liegen die USA an fünfter Stelle; bei den Importen von Lebensmitteln sogar an erster Stelle.



Wie wird es also unter Obama weitergehen? Das kommunistische Cuba hat allein keine Überlebenschance. Es gibt drei mögliche Entwicklungen:

Erstens die Implosion des Regimes à la Ostblock 1989; das ist offensichtlich das Ziel von Obama und Clinton. Zweitens eine Revolution, die mehr oder weniger blutig ausfallen kann.

Und drittens - diese Möglichkeit wird oft übersehen - könnte das Regime sich zu retten versuchen, indem es eine staatliche Union, in welcher Form auch immer, mit Venezuela eingeht. Vieles spricht dafür, daß es solche Überlegungen gibt. Ich habe immer einmal wieder darüber berichtet; zum Beispiel im Oktober 2007, als Hugo Chávez durch Cuba reiste, als sei er bereits dessen Präsident.

Die Vorteile für beide Seiten liegen auf der Hand: Venezuela würde Cuba wirtschaftlich stützen; dieses könnte mit seinem Geheimdienst und seiner Armee Chávez vor jedem Putsch gegen ihn bewahren.

Nur muß für eine solche Lösung der Aufbau des Sozialismus in Venezuela weit genug vorangekommen sein. Und andererseits wird das Regime in Cuba vielleicht schon mit dem Tod Fidel Castros, spätestens mit dem Raúls - er wird im Juni auch schon achtundsiebzig - am Ende sein. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit.



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8. Dezember 2008

El Kaida '09: Verlagerung der Geschäftsaktivitäten aus dem Irak nach Afghanistan, Pakistan, Indien?

Wie ein global tätiger Konzern kann die Kaida ihre Geschäfts- Aktivitäten je nach Standort- Bedingungen verlagern. Es spricht einiges dafür, daß sie das im Augenblick tut.

Spätestens mit der Nominierung des für den Surge verantwortlichen Bob Gates zum Verteidigungsminister ist klar, daß Barack Obama nicht daran denkt, sein Versprechen aus dem Wahlkampf wahrzumachen und die US-Truppen binnen 16 Monaten restlos aus dem Irak abzuziehen.

Alles spricht dafür, daß er im Gegenteil die Politik von Präsident Bush fortsetzen und Soldaten nur in dem Maß abziehen will, in dem sie durch irakische Truppen ersetzt werden können. Zu der Metamorphose, die Barack Obama im Augenblick durchmacht, gehört, daß er sich vom Kriegsgegner zum Kriegsherren mausert.

Die Kaida hat dann die Option, die ich vor vier Wochen skizziert habe: Obama auf die blutige Art zur Einhaltung seines Wahlversprechens zu zwingen.

Eine neue Welle von Anschlägen könnte die Öffentliche Meinung in den USA so weit mobilisieren, daß im Frühjahr 2009 eine ähnliche Stimmung entsteht wie vom Frühjahr 2007 bis zum Frühjahr 2008, als eine Mehrheit der Amerikaner nur heraus aus dem Irak wollte, koste es, was es wolle. Die jetzige nominierte Außenministerin Clinton hat sich im Februar 2008 bereits konkrete Gedanken darüber gemacht, was bei dem bedingungslosen Abzug der USA aus den irakischen Fahrern und Übersetzern werden würde, die für die USA gearbeitet hatten; und aus den US-Zivilisten im Irak.

Die Kaida hatte damals mit ihren von den Medien breit publizierten Anschlägen und mit dem Versuch, im Irak einen Bürgerkrieg in Gang zu bringen, in den USA eine massive defätistische Stimmung erzeugt. Sie könnte das jetzt noch einmal probieren.

Es ist freilich fraglich, ob sie zu einem solchen letzten, verzweifelten Versuch, den Sieg doch noch zu erzwingen, überhaupt noch in er Lage ist. Mit der parlamentarischen Verabschiedung des Truppenabkommens zwischen Bagdad und Washington ist der demokratische Irak so gestärkt worden, daß der Sieg jetzt in greifbare Nähe gerückt ist (siehe hier im Blog den Artikel vom 27. November und die damit übereinstimmende Analyse von Charles Krauthammer in der Washington Post vom vergangenen Freitag).

Angenommen, sie muß sich im Irak geschlagen geben - was kann dann die Kaida noch tun? Sie kann den Standort Irak aufgeben und sich auf ein anderes, weitaus erfolgreicheres Geschäftsfeld konzentrieren, nämlich den Raum Afghanistan - Pakistan - Indien.



Die Washington Post brachte gestern einen Artikel von Richard A. Clarke, der unter den Präsidenten Clinton und George W. Bush im Weißen Haus für die Koordination der Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus zuständig war. Unter der Überschrift "Plans of Attack" (Angriffspläne) untersucht Clarke die momentane Strategie der Kaida.

Clarke teilt die Analyse, daß die Anschläge von Mumbai letztlich auf das Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan zielten: Indien wird als Reaktion auf die Anschläge Truppen an die Grenze zu Pakistan entsenden. Pakistan muß reagieren und seinerseits dort Truppen aufmarschieren lassen. Diese muß es aus dem Grenzgebiet zu Afghanistan abziehen, also aus dem Gebiet, in dem die Kaida bekämpft wird. Das zu erreichen war das eigentliche Ziel der Anschläge in Mumbai.

Clarke entwirft ein Doppel- Szenario - ein Treffen von Führern der Terroristen (Kaida, Taliban, Laschkar-i-Taiba) in Pakistan und eine Sitzung im Weißen Haus, in dem dann Präsident Obama residiert. Beide befaßt mit der Strategie für das Jahr 2009.

Die Kaida, so geht der eine Teil des Szenarios, wird parallel zwei Ziele verfolgen:

In Afghanistan die US-Truppen zu Luftangriffen auf Dörfer zu zwingen, welche Terroristen beherbergen. Das werde dort die Stimmung so beeinflussen, daß Präsident Karsai keinen Wahl haben werde, als einen Abzug der US-Truppen zu verlangen.

Präsident Obama werde sich dem widersetzen. Also bedürfe es eines zweiten, parallelen Vorgehens: Die USA durch geeignete Operationen der Kaida weich machen: "... we may have to increase their pain level. We have done that before"; man werde den Schmerz steigern müssen, wie schon früher.

Und die Sitzung im Weißen Haus?

Clarke läßt sie zu im wesentlichen denselben Folgerungen kommen: Zu erwarten seien neue Anschläge der Kaida auf der arabischen Halbinsel, in Europa und auch in den USA selbst; vermutlich ausgeführt von Europäern oder Asiaten, die sich der Kaida angeschlossen haben. Ab April werde es in Afghanistan eine Offensive der Terroristen geben; und zwar erstmals mit gemeinsamen Verbänden der Taliban und der Kaida.

Darauf werde man halt reagieren müssen - durch die Entsendung von weiteren Truppen nach Afghanistan, durch zivile Wiederaufbau- Maßnahmen, durch Druck auf die europäischen Verbündeten, sich ihrerseits in Afghanistan stärker militärisch zu engagieren. Und vor allem durch diplomatisches Einwirken auf Pakistan.



Clarkes Fazit ist ernüchternd:
Seven years after 9/11, the United States has neither eliminated the threat from al-Qaeda nor secured Afghanistan, where bin Laden's terrorists were once headquartered. To accomplish these two tasks, we must now eliminate the new terrorist safe haven in Pakistan. But that will require effective action from a weak and riven Pakistani government. It might also depend upon dealing with the long- standing India- Pakistan rivalry.

Sieben Jahre nach 9/11 haben die USA weder die Bedrohung durch die Kaida beseitigt noch Afghanistan gesichert, wo die Terroristen bin Ladens einst ihr Hauptquartier hatten. Um diese beiden Aufgaben zu bewältigen, müssen wir jetzt das neue sichere Rückzugsgebiet der Terroristen in Pakistan beseitigen. Dies aber wird wirksames Handeln seitens einer schwachen und gespaltenen pakistanischen Regierung erfordern. Es dürfte auch vom Umgang mit der alten Rivalität zwischen Indien und Pakistan abhängen.
Es könnte sich als einer der größten außenpolitischen Fehler der Regierung Bush erweisen, daß man Musharraf fallengelassen hat. Als ich vor knapp einem Jahr die Auffassung vertreten habe, daß der Westen nach dem Mord an Benazir Bhutto keine Wahl hätte, als Mushrarraf zu unterstützen, hat mir das heftige Kritik eingebracht. So, wie sich seither die Lage in Pakistan entwickelt hat, dürften inzwischen viele nicht nur in den USA sich Musharraf zurückwünschen.



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26. November 2008

Von Bush zu Obama (4): Erst Hillary Clinton, jetzt Robert Gates. Barack Obamas Kabinett der nationalen Einheit

Hand aufs Herz: Wie hoch hätten Sie vor einem halben Jahr dagegen gewettet, daß ein Präsident Obama ausgerechnet Hillary Clinton zu seiner Außenministerin machen würde und ausgerechnet Robert Gates zu seinem Verteidigungsminister?

Die Berufung von Robert Gates in dieses Amt wird, so meldet es heute US News and World Report mit Verweis auf zahlreiche Quellen, Anfang kommender Woche bekannt gegeben werden. Die Nominierung von Hillary Clinton steht, so berichtete die New York Times, seit Ende vergangener Woche fest.

Schwer zu sagen, welche der beiden Wahlen von Obama die Erstaunlichere ist: Die der Rivalin, mit der er sich den vermutlich erbittertsten Vorwahlkampf in der neueren Geschichte der USA geliefert hat? Oder die des Verteidigungsministers von George W. Bush?

Ausgerechnet des Mannes, der für die Truppenaufstockung - den Surge - im Irak verantwortlich ist. Der diesen Surge zu einem Zeitpunkt zu verantworten hatte, als Barack Obama zusammen mit vielen seiner Parteifreunde den bedingungslosen Abzug der USA aus dem Irak verlangte. Eines Ministers, der gerade einen Vertrag mit dem Irak ausgehandelt hat, der in krassem Gegensatz zu dem nach wie vor nicht widerrufenen Versprechen Obamas steht, die US-Truppen innerhalb von sechzehn Monaten nach seinem Amtsantritt vollständig aus dem Irak abzuziehen.

Man kann diese Entscheidungen unter das Chamäleonhafte Obamas subsumieren; diese Fähigkeit, die er sein ganzes Leben lang gezeigt hat, sich jeder neuen Lebenslage perfekt anzupassen.

Als im Juni seine Nominierung feststand, verwandelte sich der Erlöser Obama in den nüchternen Sachpolitiker Obama, der freilich linke Positionen vertrat - Abzug aus dem Irak, Treffen mit Ahmadinedschad, Steuererhöhungen für die Reichen. Jetzt, seit er der President Elect ist, scheint schon die nächste Häutung anzustehen: Obama bewegt sich mit atemberaubender Geschwindigkeit von links aus hinein in die politische Mitte.

Dieser Mann entscheidet ohne Emotionen, ohne Rücksicht auf das, was er zuvor gesagt oder vielleicht auch gedacht hatte; er ändert seine Positionen "ohne eine Spur von Scham", wie es Charles Krauthammer rücksichtslos formuliert hat.



Mutig freilich sind seine Entscheidungen für Gates und für Hillary Clinton. Nicht nur, weil sie viele seiner gutgläubigen Wähler ungläubig gucken lassen dürften. Sondern auch, weil es mit beiden Personen nicht so einfach werden wird. Gehorsame Minister sehen anders aus.

Über die Probleme, die Obama mit seiner Außenministerin Clinton und die diese Außenministerin mit ihrem Amt bekommen könnte, schrieb gestern Shmuel Rosner in Slate:
Only a true believer can envision Obama and Clinton making a good team. You have to believe in Obama's ability to control Clinton's independence, believe in Clinton's capacity to execute someone else's policies, believe in the ability of these two rivals to suddenly become close, believe that knowledge and experience are not crucial for the job, believe that the complicated Clinton family drama will not be a problem, believe that policy differences can always be bridged, and believe that it's possible to be both an ambitious politician and an honest-to-God civil servant.

Nur ein wahrhaft Gläubiger kann sich vorstellen, daß Obama und Clinton ein gutes Team abgeben. Man muß an Obamas Fähigkeit glauben, Clintons Drang zur Unabhängigkeit zu kontrollieren, an Clintons Bereitschaft glauben, die Politik eines anderen auszuführen, an die Fähigkeit dieser beiden Rivalen glauben, plötzlich eng zusammenzuarbeiten, glauben, daß Wissen und Erfahrung für das Amt nicht kritisch sind, glauben, daß das komplizierte Familiendrama der Clintons kein Problem sein wird, glauben, daß politische Gegensätze immer überwunden werden können, und glauben, daß man zugleich eine ambitionierte Politikerin und eine vor Gott pflichtgetreue Staatsdienerin sein kann.
Rosner erläutert in dem lesenswerten Artikel diese Punkte im Detail und stellt sie in ihren historischen Kontext.

Der letzte Punkt ist aus meiner Sicht besonders interessant. Anders als in parlamentarischen Systemen wie dem deutschen ist es unter dem amerikanischen Prinzip strikter Gewaltenteilung unüblich, daß jemand zwischen Legislative und Exekutive wechselt.

Schon gar nicht ist es für einen Amerikaner vorstellbar, daß jemand Minister wird und dennoch zugleich Abgeordneter bleibt - also als Mitglied der Legislative sich selbst als Mitglied der Exekutive kontrolliert; daß er sich selbst als Abgeordneter das Geld bewilligt, das er in seiner Eigenschaft als Minister beantragt.

Aber nicht nur eine solche Persönlichkeitsspaltung, sondern allein schon der Wechsel von der einen auf die andere Seite paßt nicht ins amerikanische System. Es handelt sich um sozusagen verschiedene Berufsgruppen mit einem unterschiedlichen Anforderungs- Profil: Als Abgeordneter ist man Politiker. Als Minister ist man das nicht, sondern Civil Servant.

Ich habe das bewußt mit dem etwas altmodischen "Staatsdiener" übersetzt, obwohl man üblicherweise "Beamter" oder "Angehöriger des Öffentlichen Dienstes" sagen würde. Denn nach amerikanischem Verständnis ist der Minister als Civil Servant eben ein Diener und kein Interessenvertreter. Seine Loyalität hat seinem Land zu gelten und nur ihm. Die Tätigkeit für eine Partei ist damit unvereinbar.

Schon das wird es der bisherigen Senatorin Clinton schwer machen, eine gute Außenministerin zu sein, schreibt Rosner, und weist auf die wenigen früheren Außenminister (Byrnes, Muskie) hin, die ebenfalls aus der Parteipolitik kamen. Hinzu kommt ihre geringe außenpolitische Erfahrung, ihre familiäre Bindung an den Geschäftsmann Bill Clinton, kommen die Querschüsse, die gegen sie aus dem Lager Obamas zu erwarten sind.



Warum also hat sich Obama ausgerechnet Clinton ausgesucht? Warum ausgerechnet Gates? Man kann da naturgemäß nur spekulieren.

Seine entstehende Regierung sieht immer mehr aus wie ein "Kabinett der nationalen Einheit". Er will - so scheint es mir - mit der Einbindung Hillary Clintons die Demokratische Partei in ihrer ganzen Breite hinter sich bringen. Er will mit der Übernahme von Bushs Verteidigungsminister seinen Willen zur Kontinuität deutlich machen und die Republikanische Partei, wenigstens in Teilen, hinter sich bringen.

Es würde mich nicht wundern, wenn er auch noch John McCain irgendwie in seine Regierung holen würde; vielleicht als Special Adviser to the President oder dergleichen.

Vielleicht ist das nicht falsch als Vorbereitung auf die Krisenjahre, auf die wir zusteuern. Gut möglich, daß Obama inzwischen zu der Überzeugung gekommen ist, daß er schon dann ein erfolgreicher Präsident gewesen sein wird, wenn es den USA in vier Jahren nicht schlechter geht als gegenwärtig.

Präsident Obama wird, das jedenfalls zeichnet sich schon jetzt ab, kein Neuerer sein, sondern ein Präsident der Kontinuität, vielleicht der Stagnation; der Verteidigung des Bestehenden und nicht des Wandels.

Oder sagen wir es positiv: Er wird zum Glück wenig von dem einhalten, was er im Wahlkampf versprochen hat.



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15. November 2008

Von Bush zu Obama (2): Drei Gründe, warum Hillary Clinton wahrscheinlich Außenministerin wird

Grund eins: Beide Seiten haben dafür gesorgt, daß das Treffen Obama- Clinton am Donnerstag in Chicago ungefähr so geheim geblieben ist wie der Tag, auf den dieses Jahr Sylvester fällt.

In der Berichterstattung von CNN wimmelt es geradezu von Personen aus beiden Teams, die off the record dazu etwas mitzuteilen hatten. Bei Larry King Live, das gestern von einer Ersatz- Moderatorin moderiert wurde, sagte die immer bestens informierte Candy Crowley, niemand hätte damit gerechnet, daß Leute mit Polizei- Eskorte durch Chicago kutschiert werden und daß das geheim bleibt.

Man wollte also auf beiden Seiten, daß die Sache an die Öffentlichkeit kommt. Das macht man nur, wenn hinreichend sicher ist, daß etwas daraus wird; und man macht es vor allem dann, wenn die Anhänger beider Lager schon einmal daran gewöhnt werden sollen, daß zwei, die bisher nicht gerade gut Freund gewesen waren, künftig miteinander arbeiten werden.

Den zweiten Grund hat gestern Marc Sheppard im American Thinker genannt: Obama hat seinen Wahlsieg den Frauen zu verdanken, von denen 56 Prozent für ihn gestimmt haben (Kerry hatte nur 51 Prozent, Gore 54 Prozent bekommen). Wenn Obama diesen Vorsprung bei den Wählerinnen halten will, tut er gut daran, eine prominente Frau in sein Kabinett zu berufen. Er wird nicht Hillary Clinton, nachdem sie nun einmal im Gespräch ist, vor den Kopf stoßen, indem er einen anderen beruft.

Der dritte Grund ist ein vermutlicher, und man konnte ihn am 28. August hier in diesem Blog lesen: Auf dem Wahl- Parteitag der Demokraten hatte Hillary Clinton den Sieger Obama zunächst nur lauwarm unterstüzt. Einen Tag später hielt Bill Clinton eine flammende Rede für Obama, und es war Hillary Clinton, die vorschlug, Obama per Akklamation zu nominieren.

Was diese Kehrtwende der Clintons motivierte, wird sich mit Sicherheit vielleicht nie klären lassen (es sei denn, einer ihrer Berater plaudert es aus). Eine plausible Vermutung war damals, daß es einen Deal gab: Die Clintons unterstützen Obama, und Hillary wird nach dessen Sieg mit einem hohen Amt belohnt.

Damals war ein Sitz im Obersten Gericht eine Möglichkeit. Jetzt könnte es das Außenministerium werden. Falls Hillary jetzt aber wider Erwarten absagt, darf man darauf gespannt sein, wen Präsident Obama als seine erste Richterin in den Supreme Court beruft.



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28. August 2008

Der 44. Präsident der USA (13): Surprise, surprise! Bill Clintons verwunderliche Rede. Was mag dahinterstecken?

Bill Clinton hat vergangene Nacht die Rede gehalten, die seine Frau am Tag zuvor nicht gehalten hatte.

Hillary hatte es peinlich vermieden, Barack Obama persönlich zu loben; ihm gar das Format eines Präsidenten zu bescheinigen.

Sie hat ihn unterstützt, gewiß. Aber aus fast jedem Satz ihrer Rede sprach, daß sie ihn nur um der Sache willen unterstützte, nicht als Person. Daß sie ihn deshalb unterstützte, weil sein Programm in weiten Teilen mit ihrem eigenen übereinstimmt.

Und ganz an erster Stelle deshalb, weil es an der Zeit sei, die Republikaner von der Macht zu vertreiben. Mit wem auch immer, das war der Subtext ihrer Rede. Nun halt in Gottes Namen mit Obama.

Im Vorwahlkampf hatte Bill Clinton meist einen Tick härter gegen Obama gespielt als die Kandidatin selbst; vor allem, was die versteckten Fouls anging. Deshalb hatten manche in den USA erwartet (hatte auch ich damit gerechnet), daß auf die lauwarme, die halbherzige Unterstützung durch Hillary Clinton nun eine noch einmal heruntergekühlte, eine sozusagen viertelherzige durch ihren Mann folgen würde.

Es kam ganz anders.

Als Hillary auf die Bühne kam, um zu verkünden, daß sie die auf sie verpflichteten Delegierten davon entbinde, für sie zu stimmen, da schien die Welt noch in Ordnung. Denn kaum hatte sie diesen Pflicht- Satz gesagt, da fügte sie auch schon hinzu, daß es jetzt jedem Delegierten überlassen sei, nach seinem eigenen Herzen abzustimmen. (In der Tat wurden dann mehrere hundert Stimmen für diese aussichtslose Kandidatin abgegeben).

Sie hätte auch sagen können, daß sie nun jedem empfehle, für Obama zu stimmen. Just das tat sie nicht. Also die Fortsetzung der Taktik vom Vortag: Unterstützung, weil es nun einmal sein muß. Aber kein Jota über das Notwendige hinaus.



Dann kam die Wende. Und zwar bei der Entscheidung über die Akklamation.

Die Abstimmung auf solchen US-Parteitagen funktioniert so ähnlich, wie das früher beim Grand Prix Eurovision de la Chanson der Fall war: Der Sprecher jeder Delegation gibt laut bekannt, wie sich deren Stimmen verteilen.

Das tut er aber nicht sofort, sondern nach der Väter Sitte beschreibt und lobt er erst einmal enthusiastisch und mitunter wortreich seinen "großartigen Staat" und dessen Repräsentanten. Was naturgemäß die Sache sehr in die Länge zieht und damit die Zuschauer von den TV-Geräten vertreibt oder zum Umschalten veranlaßt.

Die Geschäftsordnung erlaubt es nun, ein solches Verfahren durch Beschluß abzubrechen und die Wahl per Akklamation zu entscheiden. Es war durchgesickert, daß das geplant sei. Irgendwann mitten im Verfahren würde jemand den Antrag auf Akklamation stellen.

Und wer tat das? Hillary Clinton! Sie tat es, als ungefähr in der Mitte der Abstimmung ihr Staat New York aufgerufen wurde. Und sie tat es mit einer enthusiastischen Empfehlung für Obama. Das klang schon ganz anders als ihre Rede am Vortag.

Und dann also, nachdem man Obama gekürt hatte, kam Bill. Seine Rede kann man im Wortlaut zum Beispiel bei Fox News nachlesen. Er sagte:
Everything I learned in my eight years as president, and in the work I have done since in America and across the globe, has convinced me that Barack Obama is the man for this job.

Now, he has a remarkable ability to inspire people, to raise our hopes and rally us to high purpose. He has the intelligence and curiosity every successful president needs. (...)

He has shown — he has shown a clear grasp of foreign policy and national security challenges and a firm commitment to rebuild our badly strained military. His family heritage and his life experiences have given him a unique capacity to lead our increasingly diverse nation in an ever more interdependent world. (...)

And so, my fellow Democrats, I say to you: Barack Obama is ready to lead America and to restore American leadership in the world. Barack Obama is ready to honor the oath, to preserve, protect and defend the Constitution of the United States. Barack Obama is ready to be president of the United States.

Alles, was ich in meinen acht Jahren als Präsident gelernt habe und in der Arbeit, die ich seither in Amerika und überall in der Welt getan habe, gibt mir die Überzeugung, daß Barack Obama der Mann für den Job ist.

Sehen Sie, er hat eine bemerkenswerte Fähigkeit, Menschen zu inspirieren, uns Hoffnung zu geben und uns für hohe Ziele zu vereinen. Er hat die Intelligenz und die Neugier, die jeder erfolgreiche Präsident braucht. (...)

Er hat - er hat gezeigt, daß er die Außenpolitik und nationale Sicherheit klar beherrscht, und er bekennt sich entschieden dazu, unser schwer belastetes Militär zu erneuern. Das Erbe seiner Familie und die Erfahrungen seines Lebens geben ihm eine einmalige Fähigkeit, unsere immer vielfältiger werdende Nation in einer Welt zu führen, in der die gegenseitige Abhängigkeit immer größer wird.

Und darum, meine Parteifreunde, sagen ich Ihnen: Barack Obama hat die Voraussetzungen dafür, Amerika zu führen und Amerika wieder zur führenden Weltmacht zu machen. Barack Obama hat die Voraussetzungen dafür, gemäß seinem Amtseid die Verfassung der Vereinigten Staaten zu wahren, zu schützen und zu verteidigen. Barack Obama hat die Voraussetzungen dafür, Präsident der Vereinigten Staaten zu werden.
Also genau das, was Hillary Clinton in ihrer Rede nicht über die Lippen gekommen war.



Was steckt hinter dieser wundersamen Wende des Ehepaars Clinton? Bill Clinton gilt als der geschickteste, manche sagen: der gerissenste lebende Politiker der USA. Man darf also als Hintergrund einen wohlüberlegten Schachzug vermuten.

Im heutigen American Thinker hat Marc Shepard dazu eine Theorie vorgetragen.

Er vermutet, daß es zwischen den Reden von Hillary Clinton und Bill Clinton Verhandlungen mit Obama gegeben hat.

Noch wenige Stunden vor Hillarys Rede, schreibt Shepard, hätte sich Bill Clinton skeptisch über Politiker geäußert, die viel versprechen, aber wenig halten; eine offensichtliche Anspielung auf Obama. Noch gestern sei durchgesickert, daß er nicht zur großen Rede Obamas am heutigen Donnerstag kommen werde.

Hillarys Rede, diese negativen Nachrichten - das könnte dazu gedacht gewesen sein, den Obama- Leuten zu zeigen, daß sie nicht ohne Gegenleistung auf die volle Unterstützung der Clintons würden rechnen können.

Was also, spekuliert Shepard, mag Clinton an Zusagen herausgeholt haben? Das wisse natürlich niemand.

Aber "I suspect Hillary need no longer fret over her campaign debt and, should Obama prevail, the eventual nomination of Supreme Court Justice Hillary Clinton would likely be hers for the asking", Hillary brauche sich vermutlich nicht mehr über ihre Schulden aus dem Wahlkampf zu ärgern, und Oberste Bundesrichterin könnte sie, falls Obama gewinnt, werden, kaum daß sie den Wunsch äußern würde.



Nun ja, Spekulationen. Eine Überraschung war die Wende jedenfalls, die das Ehepaar Clinton da vorgeführt hat. Überraschend wie in einem der Shakespeare'schen Königsdramen.



Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.

27. August 2008

Der 44. Präsident der USA (12): Hillary Clintons vergiftete Gabe an Barack Obama. Ein Glanzstück politischer Rhetorik

"I am honored to be here tonight. A proud mother. A proud Democrat. A proud American. And a proud supporter of Barack Obama."

So begann Hillary Clinton ihre Rede gestern auf dem Parteitag der Demokratischen Partei, der Democratic National Convention.

Kommentar: Der geniale Anfang einer glänzenden Rede.

Mutter - Demokratin - Amerikanerin. Ach ja, und dann noch Unterstützerin von Obama.

Eine "stolze" Unterstützerin freilich. Was wunderbar doppeldeutig ist: Sie ist stolz darauf, diesen Obama unterstützen zu dürfen, so kann man es verstehen. Oder aber auch: Sie unterstützt ihn, nun gut. Aber ihren Stolz läßt sie sich nicht nehmen.

Es hätte ihr Parteitag werden sollen, der stolzeste Augenblick ihres Lebens, ihre Nominierung zur Kandidatin für das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika.

Wären die Vorwahlen nach dem Modus abgehalten worden, der McCain zum Sieger bei den Republikanern machte, dann wäre sie jetzt die Kandidatin. Aber unter den komplizierten, auf Ausgleich und Gerechtigkeit setzenden Regeln ihrer Partei wurde sie nun nur zweite Siegerin.

Ihre Rede mußte eine Gratwanderung sein.

Obama nicht zu unterstützen - das wäre unsolidarisch gewesen, das Ende ihrer Karriere in dieser Partei. Also mußte sie enthusiastisch zu seiner Wahl aufrufen, ihre Hilfe dazu versprechen.

Aber sich ihm zu beugen, sozusagen zu ihm überzulaufen - das hätte ihre Anhänger enttäuscht, das hätte ihren Stolz gekränkt. Den Stolz, den sie an den Beginn der Rede gestellt hatte.



Warum unterstützt sie also Obama? Darum:
I haven’t spent the past 35 years in the trenches (...) to see another Republican in the White House squander the promise of our country and the hopes of our people. And you haven’t worked so hard over the last 18 months, or endured the last eight years, to suffer through more failed leadership.

Ich habe nicht 35 Jahre geackert (...), um jetzt zuzusehen, wie wieder ein Republikaner im Weißen Haus das Versprechen unseres Landes un die Hoffnungen unseres Volks vergeudet. Und ihr habt weder über die vergangenen 18 Monate so hart gearbeitet, noch die vergangenen acht Jahre ertragen, um jetzt durch weitere verfehlte Führung zu leiden.
Wir brauchen den Wechsel im Weißen Haus, soll das heißen, und da denn nun Obama unser Kandidat sein wird, müssen wir ihn auch unterstützen.

Von ausgesuchter Doppeldeutigkeit auch diese Sätze: "Barack Obama is my candidate. And he must be our president". Obama sei ihr Kandidat - ungefähr so, wie die Queen ihren Prime Minister hat, so kann man das verstehen. Und er "muß" unser Präsident sein: Es muß halt sein, weil nicht sie selbst, die es viel besser könnte, nominiert werden wird.

Natürlich muß sie ihn anpreisen, den Kandidaten, der es nun mal sein wird. Aber sie verkneift sich jedes persönliche Lob. Das, was üblicherweise in einer solchen Rede gesagt werden würde - welch ein brillanter Führer der Kandidat sei, welch ein untadeliger Patriot, welch ein großer Amerikaner usw. - fehlt in dieser Rede, es ist "conspicuously absent", wie man im Englischen sagt - es fällt auf, weil es abwesend ist.

Ihr Lob gilt nicht dem Mann, sondern dem Programm, das er als Präsident realisieren wird - jedenfalls, sofern es mit ihrem eigenen identisch ist. Und auch da bringt sie noch eine subtile Spitze gegen Obama unter:
Barack Obama will make sure that middle- class families get the tax relief they deserve. And I cannot wait to watch Barack Obama sign into law a health care plan into law that covers every single American.

Barack Obama wird dafür sorgen, daß Familien aus der Mittelklasse die Steuererleichterungen bekommen, die sie verdienen. Und ich kann es kaum erwarten, mitzuerleben, wie Barack Obama einen Plan zur Krankenversicherung unterschreibt und damit zum Gesetz macht, der jeden einzelnen Amerikaner einschließt.
Als sie das sagte, ging ein triumphierendes, leicht maliziöses Lächeln über ihr Gesicht; und ein Teil des Publikums applaudierte. Man hörte Lacher.

Denn just um diese Frage hatte es im Vorwahlkampf einen heftigen Streit gegeben. Clinton will das, was sie jetzt sagte - eine Versicherung, der jeder beitreten muß, der bisher nicht versichert ist. Obama hingegen möchte zwar auch eine Volksversicherung, aber niemanden zum Beitritt zwingen.

Clinton sagte also in dieser Passage: Sie freue sich darauf, daß Obama das als Präsident unterschreiben werden müssen (nämlich weil vom Kongreß so beschlossen), was sie im Vorwahlkampf wollte. Und er nicht.

Nicht wahr, so preist man einen Kandidaten!

Die ganze Rede ist eine brillante Übung in Doppeldeutigkeit. Eine Rede, die an der Oberfläche die bedingungslose Unterstützung Obamas deklariert, und deren Subtext sagt: Es muß halt sein, aber die richtige Kandidatin wäre ich selbst gewesen.



Obama wußte schon, warum er es offenbar nicht einmal erwog, Hillary Clinton zur Kandidatin für die Vizepräsidentschaft zu machen. Da hätte er eine Natter an seinem Busen genährt.

Ich könnte mir denken, daß diese Rede einmal in die Politische Wissenschaft eingehen wird. In den Lehrbüchern direkt unter der Rede des Marc Anton behandelt; "... doch Brutus ist ein ehrenwerter Mann".



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11. Juni 2008

Zitat des Tages: Nach Hillarys Rückzug eine "unheimliche Stille". Und was wird jetzt aus der Voodoo-Garnitur?

Now ... an eerie silence has settled over the land. With Hillary Clinton out of the race, thousands of computer keyboards have been stilled, dozens of books have been abandoned in mid-chapter, and enormously influential bloggers, most of them unknown to me, have vanished from the Web. Some anti-Hillary obsessives ... must be feeling the sickening vertigo once experienced by Vaughn Meader, whose entire show business career was based on impersonating John F. Kennedy and who, in essence, died when Kennedy did.

(Es ... legt sich eine unheimliche Stille über das Land. Jetzt, da Hillary Clinton aus dem Rennen ist, liegen Tausende von Computer- Tastaturen still, sind Dutzende von Büchern mitten im Kapitel aufgegeben worden, und enorm einflußreiche Blogger, von denen ich die meisten nicht kenne, sind aus dem Web verschwunden. Manche zwanghaften Hillary-Feinde ... müssen wohl den widerwärtigen Schwindel verspüren, wie er einst Vaughn Meader erfaßte, dessen ganze Karriere im Schaugeschäft darauf basierte, daß er John F. Kennedy imitierte, und der praktisch mit Kennedy starb.)

Der Kolumnist Richard Cohen in der gestrigen Washington Post in einem halb amüsanten, halb nachdenkenswerten Artikel über die Folgen des Rückzugs von Hillary Clinton aus dem Wettbewerb um die Präsidentschaft.

Kommentar: Mir kommt die, sagen wir, personelle Besetzung im diesjährigen amerikanischen Wahlkampf ungewöhnlich stark psychologisch unterfüttert vor. Vielleicht resultiert ja daraus die große Emotionalität dieses Wahlkampfs:
  • Obama, der Erlöser für die einen, und für andere der Usurpator.

  • McCain, der Weise Alte; für andere hingegen die Figur des autoritär- cholerischen übermächtigen Vaters.

  • Und Hillary Clinton, die von ihren Anhängern als eine Art Jeanne d'Arc gesehen wird, während ihre Gegner an ihr etwas nachgerade Dämonisch- Hexenhaftes wahrnehmen.
  • Beispiele für das Letzere finden sich in der Kolumne von Richard Cohen. Bücher über Hillary Clinton tragen Titel wie "Hillary Clinton Nude: Naked Ambition, Hillary Clinton and America's Demise" (Hillary Clinton bloßgestellt: Nackter Ehrgeiz, Hillary Clinton und der Untergang Amerikas) und "Hillary's Secret War: The Clinton Conspiracy to Muzzle Internet Journalists" (Hillary Clintons geheimer Krieg: Die Clinton- Verschwörung, Internet- Journalisten mundtot zu machen).

    Und es gibt - man wird vermutlich bald sagen müssen: "es gab" - sogar ein Produkt namens "The Hillary Clinton Voodoo Kit: Stick It to Her Before She Sticks It to You!" (Die Hillary- Clinton- Voodoo- Garnitur: Stich in sie, bevor sie dich sticht!). Inhalt eine Clinton- Puppe, eine Nadel und eine Sammlung geeigneter Verwünschungen.



    Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.

    6. Juni 2008

    Der 44. Präsident der USA (2): Obama meets Hillary

    Soeben - es ist jetzt halb vier in der Nacht zum Freitag - meldet CNN, daß Barack Obama sich mit Hillary Clinton trifft, und zwar in deren Haus in Washington.

    Zuvor hatte er sich im Interview mit CNN wieder sehr positiv über Clinton geäußert und kräftig gemenschelt ("Wir müssen uns beide jetzt erst einmal von den Strapazen des Wahlkampfs erholen").

    In Teilen der deutschen Presse ist der Umstand, daß Clinton sich zierte, Running Mate von Obama zu werden, als strikte Absage interpretiert worden. "Jetzt steht es fest: Hillary Clinton will nicht als demokratische Bewerberin für das Vizepräsidentenamt unter Präsidentschaftskandidat Barack Obama antreten", schrieb zum Beispiel "Welt Online" gestern Abend um 21:58 Uhr unter der Überschrift "Hillary Clinton will nicht Vizepräsidentin werden".

    Vielleicht will sie wirklich nicht. Aber auch wenn sie wollte, wäre es nicht sehr klug, allzu laut "hier" zu rufen.

    Aus Obamas Sicht jedenfalls wäre sie die ideale Gefährtin auf dem Ticket. Er wird um sie werben. Vermutlich tut er es zur Stunde.

    Wie wird sich die Spröde entscheiden? Mein Tip: Sie wird sich bezirzen lassen. Vielleicht nicht heute; aber ich glaube nicht, daß sie jetzt definitiv die Tür zuschlägt.

    Wer weiß, vielleicht ist das heutige Treffen ja der Beginn einer wunderbaren Freundschaft?



    Links zu allen Folgen dieser Serie findet man hier. - Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.

    4. Juni 2008

    Der 44. Präsident der USA (1): Obama und Opa. Und nichts über Hillary

    Als "historisch" hat man bei CNN immer wieder die vergangene Wahlnacht bezeichnet. Und - Politik soll ja auch spannend sein - in einem Countdown jede Stimme eines Superdelegierten, die Obama zusätzlich ergattern konnte, als eine Breaking News gemeldet, eine Unterbrechung für eine Eilmeldung.

    Da war offenbar ein regelrechter Run auf Obamas Bandwagon im Gang; ein Kampf sozusagen um die letzten Plätze - wer würde, wenn einmal die Gunst eines Präsidenten Obama über alle scheint, zu denen gehören, die sich noch rechtzeitig zu ihm bekannt haben? (Die tapfere Cindy Nunley aus Wyoming nicht, die just gestern ihre Unterstützung für Hillary Clinton erklärte.)

    Und sozusagen als Parallelprogramm zu diesem Countdown wurden die drei großen Reden übertragen: Erst die von John McCain in Lousiana, dann die von Hillary Clinton in ihrem Heimatstaat New York, zuletzt als Höhepunkt die von Barack Obama, der sich in Saint Paul (Minnesota) von fast zwanzigtausend Anhängern in einer Arena feiern ließ; in just jener Arena, in der die Republikaner auf ihrem Parteitag im September John McCain nominieren werden.



    Clinton verhielt sich so, wie man es von ihr kennt. Statt ihre Rede zu kommentieren, lade ich dazu ein, diesen, diesen, und diesen Artikel darüber zu lesen, wie sie sich bei früheren Niederlagen verhalten hat. Genauso hat sie sich auch in der vergangenen Nacht verhalten.



    McCain und Obama - das ist der interessantere Vergleich. Nicht nur, weil seit dieser Nacht feststeht, daß sie die beiden sind, zwischen denen die Amerikaner am 4. November die Wahl haben werden. Sondern auch, weil man sich einen größeren Gegensatz gar nicht vorstellen kann.

    Obama ist ein rhetorisches Phänomen. Fast seinen ganzen Wahlkampf hat er in der Attitüde des Erlösers geführt; mit dem, wie Dennis Prager schrieb, "kindischen" Versprechen, alle Amerikaner zu einen; mit dem Versprechen, nicht nur die Nation zu "heilen", sondern gleich die ganze Welt zu verändern.

    Damit hat er den Bandwagon ins Rollen gebracht. Mit diesem Appeal vor allem an die Naiven - also vor allem die Jungen und die religiösen Schwarzen - wurde er zum Front Runner, den Hillary Clinton so wenig einholen konnte wie der Hase den Igel, so verbissen sie auch kämpfte.

    Und nun, da er es geschafft hat? Nun wechselt Obama in ein anderes Rollenfach; mit einer Perfektion, angesichts derer ein Chamäleon vor Neid abwechelnd rot und blaß werden könnte. Er ist jetzt der zurückhaltende, realistische Politiker, der verantwortungsvolle Staatsmann.

    Er lobte Hillary Clinton über den grünen Klee:
    Sen. Hillary Clinton has made history in this campaign not just because she's a woman who has done what no woman has done before, but because she's a leader who inspires millions of Americans with her strength, her courage, and her commitment to the causes that brought us here tonight.

    Senatorin Hillary Clinton hat in diesem Wahlkampf Geschichte geschrieben, nicht nur, weil sie eine Frau ist, die getan hat, was noch nie zuvor eine Frau getan hat, sondern weil sie eine Führerin ist, die mit ihrer Stärke, ihrem Mut und mit ihrem Einsatz für die Anliegen, für die wir uns heute Abend hier versammelt haben, Millionen von Amerikanern inspiriert.
    Nichts mehr von diesem im Stakkato wiederholten "Yes, we can". Barack Obama ist jetzt der Präsident in spe. Das Kinn noch immer hochgereckt, aber jetzt nicht mehr Erlösung signalisierend, sondern Entschlossenheit.

    Er hat die Herzen der Naiven erobert. Jetzt wird er sich so von dieser Vergangenheit der Rolle des Heilsbringers lösen, wie er sich kürzlich von seinem alten Mentor, dem Pastor Jeremiah Wright, distanziert hat. Jetzt gilt es für ihn, auch den Verstand der Skeptischen für sich zu gewinnen.



    Auch rhetorisch war McCain wieder einmal das fleischgewordene Gegenprogramm zu Obama.

    Er sprach nicht in einer Arena vor Tausenden, sondern vor sechshundert Zuhörern in einem Kongreßzentrum. Wie es seine Art ist, sprach er langsam, in einem Singsang, mit einer fast weich zu nennenden Stimme. Er hatte sich wohl vorgenommen, kämpferisch zu klingen. Aber das liegt diesem Mann der Bedachtsamkeit, der Ironie nicht.

    Der Beifall kam wie bestellt (was er vermutlich auch war). jedenfalls oft. Manchmal machte McCain auch eine für Klatschen vorgesehene Pause, und nichts kam. Denn die emotionale Wirkung seiner Rede dürfte etwa der eines Vortrags über die Entwicklung der Papierindustrie im 19. Jahrhundert entsprochen haben.

    Trotz aller Bemühungen, frisch und aggressiv zu wirken, erschien mir McCain, der dem alten Charlie Chaplin immer ähnlicher wird, wie ein weiser Opa, der aus dem Schatz seiner Erfahrung heraus seine Enkel belehrt. Sehr nett. Aber ob ihn das zum Liebling der Massen macht, der gegen den Populisten Obama bestehen kann, erscheint mir fraglich.

    Auch daß das Konzept für den Wahlkampf, das in dieser Rede durchklang, schon ausgereift ist, kann man bezweifeln. Es lautete: Ich, John McCain, bin der Mann des wahren Wechsels. Obama will zurück in die sechziger und siebziger Jahre mit ihrem Glauben an die Heilkraft des Staats. Ich, McCain, will das wirklich Neue, nämlich Vertrauen in die Kraft der Bürger statt der Allmacht des Staats.

    Eine mir außerordentlich sympathische Botschaft; unter anderem wegen seiner wirklich liberalen Überzeugungen habe ich Mccain schon favorisiert, als seine Kandidatur noch als fast aussichtslos galt.

    Aber trifft er damit die Stimmung einer Mehrheit der Amerikaner? Gerade die republikanisch gesonnene Mittelschicht sieht sich zunehmend in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. Gerade sie könnte für die Flötentöne Obamas anfällig sein; vor allem, falls er Hillary Clinton, die sozial Engagierte, auf sein Ticket nehmen sollte.

    McCains Erfolg wird sich daran entscheiden, ob es ihm gelingt, als wirtschaftspolitisch kompetenter wahrgenommen zu werden als Obama. Im Augenblick ist das noch nicht so.



    Nachdem seit heute die beiden Kandidaten feststehen, erscheinen dieser und künftige Beiträge zu den Präsidentschaftswahlen in den USA als Folgen einer Serie "Der 44. Präsident der USA". Links zu allen Folgen dieser Serie findet man hier. - Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.

    15. Mai 2008

    Zitat des Tages: Hillarys (Freud'scher?) Versprecher

    So I'm going to work my heart out for whoever our nominee is. Obviously, I'm still hoping to be that nominee. But I'm going to do everything I can to make sure that anyone who supported me, the 17 million people who have voted for me, understand what a great error it would be not to vote for Senator McCain -- Senator Obama and against Senator McCain.

    (Also werde ich mich abrackern für den Nominierten, egal, wer es ist. Natürlich hoffe ich immer noch, dieser Nominierte zu sein. Aber ich werde alles tun, was ich kann, um dafür zu sorgen, daß jeder, der mich unterstützt hat, die 17 Millionen Menschen, die für mich gestimmt haben, verstehen, was für ein großer Fehler es wäre, nicht für Senator McCain -- Senator Obama und gegen Senator McCain zu stimmen).

    Hillary Clinton gestern im Interview mit Wolf Blitzer von CNN; Hervorhebung von mir.



    Kommentar: Ob sich da nun, wie Freud für solche Fälle meinte, ein unterdrückter Gedanke von Hillary Clinton Bahn gebrochen hat, oder ob sie nur im Gestrüpp doppelter Verneinung hängengeblieben ist - passend war ihr Versprecher jedenfalls.

    Denn das Umschwenken von John Edwards, der noch vor vier Tagen eine Parteinahme abgelehnt hatte, macht den Sieg Obamas so gut wie sicher. Mit dem Coup, Edwards' Entscheidung für Obama in einer großen Show just am Tag nach dem Sieg Clintons in West Virginia anzukündigen, hat Obama, wie es Bill Schneider von CNN formulierte, Clinton den coup de grâce gegeben, den Gnadenstoß. (Siehe diesen Thread in "Zettels kleinem Zimmer", in dem ich den Ablauf der Ereignisse chronologisch verfolgt habe).

    Jetzt mag Clinton tief in ihrem Herzen schon wünschen, daß McCain gewinnt. (Vielleicht bekommt sie dann ja 2012 ihre Chance). Aber nach außen muß sie demnächst wohl Obama unterstützen, so schwer es fällt.

    Es sind just solche Konflikte zwischen dem, was man eigentlich denkt, und dem, was man sagen muß, die, wenn wir Freud folgen, zu Versprechern führen.



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    14. Mai 2008

    Marginalie: Kann Hillary Clinton aus ihrem Triumph in West Virginia noch Kapital schlagen?

    "Clinton crushes Obama across the board", also ungefähr "Clinton fegt Obama hinweg" titelt CNN im Augenblick.

    In der Tat: Clinton hat West Virginia nicht einfach nur gewonnen, sondern sie hat es mit 67 zu 26 Prozent überwältigend gewonnen. Und das, obwohl sie schon als erledigt abgetan worden war. Die Wähler in West Virginia sahen das anders; vielleicht drückt sich in ihrem Votum ja auch so etwas wie eine Trotzreaktion gegen die Großkopfeten in Washington und in den Leitmedien aus, die über Hillary Clinton bereits den Stab gebrochen hatten.

    Kann sie dieser Sieg noch retten? Ihr Strategie sieht, folgt man der amerikanischen Presse, so aus:
  • Erstens will sie erreichen, daß die Ergebnisse der Primaries in Michigan und Florida nachträglich doch noch anerkannt werden. Die Parteiführung der Demokraten hatte ihnen (schon im voraus) die Anerkennung verweigert, weil die örtlichen Parteiorganisationen sich nicht an den von der Zentrale vorgegebenen Zeitplan gehalten hatten. Werden diese Ergebnisse - es hatten sich immerhin 2,3 Millionen Wähler beteiligt - nachträglich legitimiert, dann schmilzt der Vorsprung Obamas bei den Delegierten.

  • Die Superdelegierten schwenken zwar im Augenblick zu Obama, aber Clinton versucht sie zurückzuholen. (Wenn ein Superdelegierter sich für einen Kandidaten ausspricht, dann ist das völlig unverbindlich. Er kann seine Meinung bis zum Augenblick der Nominierung jederzeit ändern). Clinton wiederholt immer wieder das Argument, daß sie selbst weit besser als Obama in der Lage sei, die swing states zu erobern; also diejenigen Staaten, die mal republikanisch und mal demokratisch wählen. Die Mehrheiten dort - und nicht der popular vote, also die Gesamtzahl der Stimmen - entscheiden bekanntlich, wer Präsident wird.
  • Die Bedeutung des Ergebnisses gestern in West Virginia liegt darin, daß es ein solcher swing state ist.

    In diesen Staaten waren in den achtziger Jahren viele traditionell demokratisch wählende Bürger aus der Arbeiterschicht zu Ronald Reagan übergelaufen (die sogenannten Reagan Democrats), weil sie die linksintellektuelle Führung der Demokraten ablehnten. Billy Clinton hatte sie wieder für die Demokraten gewonnen.



    Kann diese Doppelstrategie Clintons aufgehen? Viele - beispielsweise die Washington Post - meinen, daß es dafür zu spät sei.

    Warum kämpft Clinton so verbissen weiter? Eine immer wieder zu lesende Spekulation ist, daß sie damit ihre Attraktivität als Kandidatin für die Vizepräsidentschaft steigern möchte.

    Wird Obama nominiert, dann ist er völlig frei darin, wen er zu seinem running mate macht. Wenn aber Clinton eindeutig seine Wahlchancen bei gerade denjenigen Wählern verbessern würde, bei denen er selbst schwach dasteht, dann könnte das für ihn ein Argument sein, sich für Clinton als seine Nummer zwei zu entscheiden.

    In CNN hat vergangene Nacht ein Redakteur darauf hingewiesen, daß es just so nach der Nominierung von John F. Kennedy gelaufen ist. Dieser machte damals seinen schärfsten Konkurrenten in den Vorwahlen, Lyndon Johnson, zu seinem Vize, weil dieser genau die Stimmen (damals von Southern Democrats) holen konnte, die Kennedy allein nicht bekommen hätte.



    Siehe auch die immer lesenswerte Berichterstattung von Florian Heinhold in Pennsylvania Ave.



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    12. Mai 2008

    Zwei Meldungen zur Präsidentschaftswahl in den USA. Erkennen Sie Original und Fälschung? Und etwas über Muscheln auf Sylt

    Hier sind zwei ähnlich klingende Meldungen zu den Kandidaten McCain, Clinton und Obama. Allerdings besagt die eine das Gegenteil der anderen. Eine ist echt. Eine habe ich gefälscht:

    Meldung A:
    McCain würde gegen Obama und Clinton gewinnen

    Laut einer Umfrage der 'Los Angeles Times' vom Wochenende würde sich der bereits feststehende Kandidat der Republikaner, John McCain, sowohl gegen Obama als auch Clinton durchsetzen. Das Duell mit Clinton würde der Senator aus Arizona mit 49 zu 46 Prozent gewinnen. Gegen Obama würde er 48 Prozent erzielen, einen Punkt mehr als der Senator aus Illinois. Die Fehlerquote der Erhebung lag bei drei Prozentpunkten.
    Meldung B:
    McCain würde gegen Obama und Clinton verlieren

    Laut einer Umfrage der 'Los Angeles Times' vom Wochenende würden sowohl Obama als auch Clinton sich gegen den bereits feststehenden Kandidaten der Republikaner, John McCain, durchsetzen. Das Duell mit Clinton würde der Senator aus Arizona mit 38 zu 47 Prozent verlieren. Gegen Obama würde er 40 Prozent erzielen, sechs Punkte weniger als der Senator aus Illinois. Die Fehlerquote der Erhebung lag bei drei Prozentpunkten.
    Meldung B ist die echte. Sie stand gestern um 17:49 Uhr in "Welt Online". Überschrift: "McCain würde gegen Obama und Clinton verlieren". Grundlage des Berichts von "Welt Online" ist ein Artikel in der Los Angeles Times vom vergangenen Samstag, in dem über eine Umfrage im Auftrag der Los Angeles Times berichtet wurde. Erhebungszeitraum war der 1. bis 8. Mai.

    Meldung A habe ich gefälscht.

    Was soll das Spielchen? werden Sie fragen. Nun, das Spielchen soll illustrieren, wie problematisch derartige Meldungen sind.

    Gefälscht ist nämlich nur, daß es die Los Angeles Times war, die die Daten in Version A publizierte. Tatsächlich habe ich sie dem Wikipedia- Artikel "Nationwide opinion polling for the United States presidential election, 2008" entnommen, der, ständig aktualisiert, die Ergebnisse der Umfragen zu den Wahlen am 4. November bringt. Die Daten, die ich in die Meldung eingesetzt habe, wurden von Gallup im Aufrag von USA Today erhoben; Erhebungszeitraum 1. bis 4. Mai.



    Wie kommt es, daß zwei gleichermaßen renommierte Institute im gleichen Zeitraum zu so unterschiedlichen Werten kommen? Bedeutet das nicht, daß man der Demoskopie nicht trauen kann?

    Doch, man kann ihr trauen. Man muß aber verstehen, auf welcher Grundlage sie funktioniert.

    Im Vorspann zu der ausführlichen Auflistung der aktuellen Daten von Gallup schreibt USA Today etwas zur sogenannten Fehlermarge, in Deutschland seltsamerweise und sehr mißverständlich oft "Fehlerquote" genannt. Mißverständlich deshalb, weil es sich keineswegs um eine Quote, also einen Anteil handelt, sondern eben um eine Marge. Ein Intervall also, einen Bereich, eine Abstand:
    For results based on the total sample of national adults, one can say with 95% confidence that the margin of sampling error is ±3 percentage points.

    Für die Resultate, deren Grundlage die Gesamtstichprobe von Erwachsenen aus den gesamten USA ist, läßt sich mit einer Zuverlässigkeit von 95 Prozent aussagen, daß die Marge des Stichprobenfehlers plus minus drei Prozentpunkte beträgt.
    So ist es. Nur fürchte ich, daß viele ohne Ausbildung in Statistik, die etwas von einer "Fehlerquote von drei Prozent" lesen, das nicht richtig verstehen. Lassen Sie es mich an einem Beispiel erläutern:

    Nehmen wir an, am Strand von Sylt liegen 50 Prozent schwarze und 50 Prozent weiße Muscheln. Ich gehe an diesem Strand entlang, hebe völlig zufällig Muscheln auf und lege sie in meinen Korb. Wenn ich das oft genug getan habe, ist es wahrscheinlich, daß von den Muscheln im Korb ungefähr die Hälfte schwarz und die Hälfte weiß sind.

    Aber das ist nur wahrscheinlich; es ist keineswegs sicher. Möglich ist es auch, daß ich zufällig nur schwarze oder fast nur schwarze Muscheln gegriffen habe. Jede Proportion von schwarzen und weißen Muscheln in meinem Korb ist möglich.

    Warum sind nicht alle Proportionen von schwarz zu weiß gleich wahrscheinlich?

    Daß alle Muscheln, die ich aufgehoben habe, schwarz sind, ist sehr unwahrscheinlich, weil es nur eine einzige Sequenz gibt (ich muß jedesmal eine schwarze Muschel aufgehoben haben, also SSSSS usw.), die zu diesem Ergebnis führt.

    Daß die Hälfte schwarz und die Hälfte weiß sind, ist viel wahrscheinlicher, denn es gibt viele Sequenzen, die zu diesem Ergebnis führen (schon bei vier Muscheln, die ich aufhebe, zum Beispiel SSWW, SWSW, WWSS, WSWS, WSSW, SWWS).

    Allgemein: Je mehr Sequenzen es gibt, die zum selben Ergebnis führen, umso wahrscheinlicher ist dieses Ergebnis. Aber möglich ist auch jedes andere.

    Auf die Demoskopie übertragen bedeutet das: Wer US-Bürger nach ihrer Präferenz für Obama oder McCain fragt, der kann, wenn er Pech hat, in seiner Stichprobe 70 Prozent Zustimmung für Obama bekommen, obwohl in Wahrheit 60 Prozent McCain wählen wollen. Das ist möglich, es ist nur sehr unwahrscheinlich. Aber gegen einen solchen Fall gibt es für den Demoskopen keinen absoluten Schutz.

    Es gibt nur so etwas wie einen relativen Schutz. Der Demoskop kann ausrechnen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, daß ihm ein solches Malheur passiert. Und er kann dann Vorsorge dafür treffen, daß diese Wahrscheinlichkeit nicht größer ist, als er sie zu tolerieren bereit ist.

    Dazu muß der Demoskop erstens definieren, was er als ein Malheur betrachtet. Und er muß zweitens festlegen, welches Risiko er einzugehen bereit ist, daß ihm ein solches Malheur widerfährt.

    Für beides gibt es eine Konvention, auf die sich die Demoskopen geeinigt haben: Ein Malheur ist es, wenn der gemessene Wert um mehr als drei Prozentpunkte von dem wahren Wert abweicht. Und das Risiko eines solchen Malheurs sind sie einzugehen bereit, wenn die Wahrscheinlichkeit, daß es auftritt, bei nicht mehr als fünf Prozent liegt.

    Aus beiden Festlegungen zusammen ergibt sich daß man mindestens rund tausend Menschen befragen muß. Das kann man ausrechnen.



    Abweichungen zwischen den Ergebnissen der einzelnen Institute sind also etwas völlig Normales; auch größere Abweichungen. Erstens, weil auch ohne das Malheur damit gerechnet werden muß, daß die eine Umfrage um drei Prozentpunkte nach unten, die andere nach oben vom wahren Wert abweicht. Macht einen Unterschied von sechs Prozentpunkten zwischen den Daten der beiden Institute, ganz ohne ein Malheur. Und dann kann noch das Malheur passieren, in prinzipiell beliebiger Höhe.

    Kann man dennoch zu relativ sicheren Vorhersagen kommen? Ja, und zwar durch das Zusammenfassen (Aggregieren) von Daten.

    Das kann man entweder so machen, daß man die Daten mehrerer Institute zusammenfaßt (Poll of Polls). Oder ein einzelnes Institut kann seine Umfrage immer wieder - im Extremfall täglich - wiederholen und die Daten aus diesen einzelnen Durchgängen zusammenfassen.

    Das Letztere tut Gallup zu den Präsidentschaftswahlen. Die Umfrage wird täglich durchgeführt, und die Ergebnisse von jeweils fünf aufeinanderfolgenden Tagen werden in einem gleitenden Mittelwert zusammengefaßt. "Gleitend" (Englisch Running Average) deswegen, weil jeden Tag der neue Wert hinzukommt und dafür der älteste herausfällt; es gleitet also gewissermaßen ein Fenster über die Daten hinweg.

    Und was sagt nun dieser gleitende Mittelwert über McCain und Obama? Hier sind die Daten der letzten zehn Tage (1. bis 10. Mai) für die Frage, wen der beiden man gegenwärtig wählen würde:

    Obama: 42, 42, 42, 43, 45, 46, 46, 46, 46, 47

    McCain: 48, 48, 47, 47, 46, 45, 45, 45, 45, 44

    Es gibt einen Trend zugunsten von Obama. Am 1. Mai lag McCain noch mit 48 zu 42 vorn; am 10. Mai hatte Obama einen Vorsprung von drei Prozentpunkten.

    Die Fehlermarge beträgt bei diesen gleitenden Mittelwerten nur zwei statt der üblichen drei Prozent. Es wäre also kein Malheur für die Demoskopen von Gallup, wenn am 1. Mai der wahre Wert für Obama 44 und für McCain 46 Prozent betragen hätte, und am 10. Mai für Obama 45 Prozent und 46 Prozent für McCain.

    Wahrscheinlicher ist es aber, daß gegenwärtig Obama einen kleinen Vorsprung hat. Vor zwei Wochen war es noch anders. In zwei Wochen kann es wieder anders sein.

    Daraus irgend etwas über die Wahlaussichten abzuleiten wäre so, als würde man aus dem schönen Wetter am heutigen 12. Mai schließen, daß auch am 4. November die Sonne scheinen wird.



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    7. Mai 2008

    Marginalie: Was nun, Hillary?

    Einen "squeaker" nennt Dana Milbank den knappen Erfolg Hillary Clintons in Indiana in seiner heutigen Kolumne in der Washington Post, einen Piepmatz also.

    Wer die Wahlnacht verfolgt hat, der hat miterlebt, wie dieser Jungvogel mal kräftig gekräht hat und mal schon nur noch wimmerte, bevor dann am Ende doch ein leises Piepsen zu hören war.

    Denn anfangs, als die Daten aus den ländlichen Bezirken eintrafen, schien Clinton zweistellig vorn zu liegen. Dann wurde es immer knapper, als die Wahlbezirke in der Großstadt Indianapolis und aus der Gegend an der Grenze zu Obamas Heimatstaat Illinois ihre Ergebnisse lieferten. Der Trend schien in Richtung auf einen Sieg Obamas zu gehen. Am Ende reichte es ganz knapp für Clinton.

    Ein Triumph sieht anders aus. So beispielsweise, wie das Ergebnis Obamas in North Carolina, wo er mit einer Differenz von vierzehn Prozentpunkten gewann.

    Hätte er auch in Indiana gesiegt, dann wäre dieser Marathon gestern vielleicht zu Ende gegangen.



    So ist er es nicht. In der Wahlnacht trat Hillary Clinton auf und sagte, Pennsylvania habe sie gewonnen, North Carolina habe Obama gewonnen, und Indiana - das sei nun der Tie Break. Zu ihren Gunsten. Und sie hatte Recht, das zu sagen; denn Indiana als Tie Break - das war ein Formulierung Obamas gewesen.

    Es ist freilich auch wie verhext. Seit dem Super Tuesday wird von jeder neuen Runde von Vorwahlen erwartet, daß sie die Entscheidung bringen werden. Und immer geht es aus wie das Hornberger Schießen. Mal fühlt sich Obama als Sieger, mal erklärt sich Clinton zur Siegerin. Verlierer ist nie einer; jedenfalls ist die vernichtende Niederlage bisher ausgeblieben, die das Knockout bedeutet hätte.

    Also geht es weiter, Runde um Runde. Die Kämpfer werden immer schwächer, das Publikum beginnt zu gähnen. Aber das Ende der zwölften Runde ist noch nicht erreicht.

    Obama hat keinen Grund aufzugeben; denn er liegt vorn, was die auf ihn verpflichteten Delegierten angeht, was die Zahl der gewonnenen Staaten angeht, auch in der Zahl der Wählerstimmen. Hillary Clinton wird auch nicht aufgeben, denn das ist nicht ihre Art.

    Also zieht der Treck weiter, nach West Virginia, nach Oregon und Kentucky, nach Montana und nach South Dakota. Jedesmal wird man vorher sagen: Das ist jetzt die Entscheidung. Jetzt kippt das Spiel.

    Aber es sieht nicht aus, als ob es kippen würde. Und wer weiß - am Ende erweist sich das, was jetzt als Clintons Rigidität erscheint, vielleicht als die Tugend des Durchhaltens. Ein Wunder von Kunersdorf ist immer möglich. Die Affäre um den Pastor Wright scheint Obama leidlich überstanden zu haben. Aber eine weitere Erschütterung seiner Glaubwürdigkeit - und Clinton könnte am Ende doch noch ihre Chance bekommen.



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    24. April 2008

    Zitat des Tages: Barack Obama vs. Hillary Clinton - ein Generationskonflikt?

    But she won't leave. She will never leave. Ceding to someone younger is unthinkable to her. It's a form of death for her.

    (Aber sie wird nicht aufgeben. Sie wird niemals aufgeben. Einem Jüngeren zu weichen ist undenkbar für sie. Es ist für sie eine Form des Sterbens.)

    Andrew Sullivan in The Atlantic über Hillary Clinton.

    Und über Barack Obama schreibt er, ein begeisterter Anhänger Obamas:
    If Obama thinks he has a right to actually be nominated by the Clinton Democrats because he has won more votes, more states and more delegates, he is sadly mistaken. They will never let such a person win without a death struggle. And that is where the Democrats are now headed.

    Wenn Obama glaubt, daß er das Recht hat, von den Clinton- Demokraten auch tatsächlich nominiert zu werden, weil er mehr Stimmen, mehr Staaten und mehr Delegierte hat, dann unterliegt er einem bedauerlichen Irrtum. Sie werden so jemanden niemals ohne einen Kampf bis zum Letzten gewinnen lassen. Und darauf steuern die Demokraten jetzt zu.
    Kommentar: Was die Psychologie von Hillary Clinton angeht, kommt Sullivan zu einer ähnlichen Beurteilung, wie sie hier zu lesen war; wenn ich auch nicht sehe, daß die Frage des Alters so kritisch für Hillary Clinton ist. Zur Psychologie Clintons hat C. in "Zettels kleinem Zimmer" auf eine interessante (Psycho-)Analyse aufmerksam gemacht.

    Auch wenn ich nicht glaube, daß Clinton sich einem älteren Konkurrenten gegenüber anders verhalten würde als gegenüber Obama - daß der Kampf zwischen den beiden auch, vielleicht sogar in erster Linie, ein Generationskonflikt ist, wird mir immer wahrscheinlichlicher.

    Zum einen stimmten es mit den Wähleranalysen überein, die ich hier zusammengestellt habe und auf die auch Sullivan hinweist: In allen Altersgruppen bis 40 lag auch in Pennsylvania wieder Obama vorn, in allen Altersgruppen darüber Clinton.

    Zum anderen erklärt es mir (inzwischen) die Heftigkeit, mit der in der liberalen Blogokugelzone für Obama Partei ergriffen wird - überwiegend, wie ich zu vermuten Grund habe, von jüngeren Kollegen. Zwei Threads voll kontroverser Diskussionen in "Zettels kleinem Zimmer" geben davon einen Eindruck. Es scheint mir, daß auch in Deutschland diejenigen, die sich für Obama begeistern, die unter Vierzigjährigen sind, und daß bei Älteren wie mir die Skepsis überwiegt.

    Und drittens erklärt diese Vermutung ein Phänomen, für das ich noch keine andere Erklärung gefunden habe: Obama und Clinton unterscheiden sich in allen wichtigen politischen Fragen - Irak, Gesundheitswesen, Steuern, Einwanderung usw. - nur in Nuancen. Warum dann dieser heftige Antagonismus?

    Gut, daß die beiden aufeinander losgehen, mag daran liegen, daß beide einen unbedingten persönlichen Siegeswillen haben. Aber warum spaltet ihr Kampf auch die Demokratische Partei so tief, daß starke Minderheiten auf beiden Seiten inzwischen erklären, sie würden eher McCain wählen oder zu Hause bleiben, als den jeweils anderen, sollte er/sie nominiert werden?

    Es muß wohl um etwas sehr Emotionalisierendes gehen.

    Es muß wohl so sein, daß die einen Obamas Heilsversprechen mitreißend finden, und die anderen diese Pose verabscheuen.

    Es muß wohl so sein, daß die einen Hillary Clintons Selbstkontrolle und Erfahrung vertrauenerweckend finden, während gerade das die anderen mißtrauisch macht.

    Kurz, ein Generationskonflikt, ein generation gap, als Erklärung für den politischen Graben, das leuchtet mir ein.



    Nehmen wir einmal an, daß diese Erklärung stimmt. Wie kommt es dann, daß dieser Konflikt gerade jetzt ausbricht, daß er sich gerade an diesen beiden Personen entzündet?

    Mir scheint sich in den USA, vielleicht bald auch in Deutschland, eine Situation zu entwickeln, die eine gewisse Ähnlichkeit mit der von 1968 hat; freilich mit, wenn man so will, umgekehrten Vorzeichen.

    Damals gab es - ich werde darüber noch einen eigenen Artikel schreiben - das Zusammenprallen der Kriegsgeneration mit einer Generation, die nur Frieden und steigenden Wohlstand gekannt hatte. Verhaltensweisen, die den einen von der Realität eingebleut worden waren, erschienen den anderen spießig und vermufft, wenn nicht gar faschistisch. Die Wurzel der Unruhe Ende der Achtziger Jahre waren grundlegend verschiedene Lebenserfahrungen, die die Älteren und die Jüngeren gemacht hatten.

    Jetzt bewegen sich die USA auf Zeiten zu, in denen sie die Globalisierung mit voller Härte treffen wird. Die vielleicht bevorstehende Rezession könnte ein Vorbote sein. Die Jungen ahnen, daß das Land sich radikal ändern muß, wenn es bestehen will. Das macht sie empfänglich - ich würde sagen: anfällig - für das Heilsversprechen Obamas, der behauptet, er könne nicht nur die USA, sondern gleich die Welt verändern.

    Die Älteren andererseits hatten das Glück, in Zeiten wachsenden Wohlstands aufzuwachsen und ihr Leben aufzubauen. Das wollen sie halten. Für sie ist jemand wie Hillary Clinton, die Erfahrung und Kontrolle signalisiert, deshalb eine attraktive Kandidatin.



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    23. April 2008

    Kommt heute Hillarys Stunde der Wahrheit? Ich glaube nicht. Dazu ein wenig Hillary-Psychologie. (Mit einer aktuellen Ergänzung)

    Die Huffington Post hat im Augenblick als Aufmacher eine hübsche Fotomontage aus Zeitungs- Schlagzeilen zur heutigen Vorwahl in Pennsylvania: "Final push", "Democrats take final shot", "Moment of truth" oder "Her 11th hour" - "Letzter Vorstoß", "Die Demokraten vor dem Endkampf", "Augenblick der Wahrheit" oder "Ihre elfte Stunde".

    Stimmt es wirklich, daß es heute für Hillary um Alles oder Nichts geht? Nicht unbedingt.

    Wenn sie gegen Obama verliert, dann ist es aus für Hillary Clnton. Denn wenn sie nicht einmal in Pennsylvania siegen kann, dann ist das ungefähr so, als könne die CSU nicht mehr in Bayern siegen.

    Aber was, wenn sie halbwegs gut abschneidet, nur auch wieder nicht richtig gut? Wenn sie keinen großen Vorsprung schafft, aber eben doch gewinnt? Ich denke, dann wird sie weitermachen.



    Daß Hillary Clinton nach diesen Vorwahlen das Handtuch wirft, paßt nicht zu ihr. "She's a fighter", heißt es von ihr, sie sei eine Kämpferin.

    Ich habe einen anderen Verdacht: Mir scheint, daß diese übersteuerte Frau, die unbedingt immer perfekt sein muß, einfach nicht verlieren kann.

    Sie ist, wie die Psychologen das nennen, hoch mißerfolgsmotiviert. Will sagen: Sie hat eine ungeheure Leistungsmotivation, aber diese ist primär darauf gerichtet, um keinen Preis eine Niederlage zu erleiden. Sie haßt, so scheint mir, Niederlagen so sehr, daß sie diese, wenn sie doch passieren, einfach ausblendet.

    Das hat sie bewiesen, als sie die Lewinsky- Affäre scheinbar stoisch durchgestanden hat. War ihr Bill so egal? Oder hat sie ihn umgekehrt so sehr geliebt? Nein. Ich denke, sie wollte nicht die Verliererin der Affäre sein. Sie hat sie durchgestanden, um am Ende als diejenige dazustehen, die gewonnen hat.

    Sie wird, vermute ich, auch diesen Vorwahlkampf so zu Ende zu bringen versuchen, daß sie nicht als Verliererin dasteht. Sie wird zumindest, sollte sie denn verlieren, mit dem Etikett ausscheiden wollen: "Sie hat bis zuletzt alles gegeben".

    Würfe sie heute das Handtuch, dann würde das niemand sagen.




    Nachtrag: Aktuelle Ergänzung zum Wahlergebnis, Ergebnisse der exit polls und Kommentare findet man hier in "Zettels kleinem Zimmer".



    Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.

    9. April 2008

    Warum das Öl des Irak im US-Wahlkampf eine zentrale Rolle spielen könnte

    Öl und Irak-Krieg - was ist darüber nicht alles an Unsinn geschrieben worden!. Kurz vor dem Beginn des Kriegs, im Januar 2003, titelte beispielsweise der "Spiegel": "Blut für Öl. Worum es im Irak wirklich geht".

    Daß Öl ein maßgebliches Motiv für die Invasion des Irak gewesen sei, war immer eine Verschwörungs- Theorie, und eine dumme dazu.

    Denn das Öl des Irak war unter Saddam ebenso auf dem Weltmarkt zu dessen Preisen zu haben, wie das heute unter der Regierung Maliki der Fall ist. Daß Saddam, der auf die Öleinkünfte dringend angewiesen war, sich weigern würde, es zu verkaufen, war damals ebenso abwegig, wie daß Hugo Chávez das heute tun würde.

    Die Vorstellung, daß Kriege mit dem Ziel der "Kontrolle über Ölfelder" geführt werden, stammt aus dem Zwanzigsten Jahrhundert und paßt ins Zeitalter der Globalisierung ungefähr so gut wie der Glaube, der Reichtum einer Volkswirtschaft hänge davon ab, wieviel Ackerland der betreffende Staat hat.

    Wer auch nur mit einem Anschein an Plausibilität behaupten wollte, der Irak- Krieg sei wegen des irakischen Öls geführt worden, der mußte also schon zu so abenteuerlichen Behauptungen seine Zuflucht nehmen wie der, es sei um die privaten Ölinteressen der Familien Bush und Cheney gegangen.



    Da diese "Erklärung" für den Irak-Krieg so offensichtlich aus der Luft gegriffen und allein propagandistisch motiviert gewesen war, ist es bald still um sie geworden. Dennoch könnte das Öl des Irak noch eine politisch entscheidende Rolle spielen, und zwar unter zwei Aspekten, die beide etwas mit dem Ölpreis zu tun haben.

    Auf den ersten Gesichtspunkt hat kürzlich Michael Moran vom Council of Foreign Relations in MSNBC aufmerksam gemacht: Wie hoch die Gesamtkosten des Kriegs zu veranschlagen sind, hängt wesentlich davon ab, ob man den Anstieg des Weltmarkt- Preises für Öl in den letzten fünf Jahren (von rund 25 Dollar pro Barrel auf rund 100 Dollar) als Folge des Irak- Kriegs ansieht oder nicht.

    Und davon hängt natürlich auch die Prognose für die künftige Entwicklung des Ölpreises ab. War der Krieg für den Anstieg verantwortlich, dann ist mit der Verbesserung der Lage im Irak ein Rückgang des Ölpreises zu erwarten; nicht aber, wenn dessen Anstieg ganz andere Ursachen hatte, zum Beispiel die gestiegene Nachfrage aus China.

    Der zweite Gesichtspunkt ist gestern bei der Befragung von General Petraeus und Botschafter Crocker im US-Kongreß zur Sprache gekommen. CNN hat ausführlich darüber berichtet, und der Redakteur John King meinte, daran könnte sich sogar das Schicksal der Kandidatur von John McCain entscheiden: Die Öleinnahmen des Irak als Thema des US-Wahlkampfs.



    Die Kandidaten der Demokratischen Partei haben es mit dem Wahlkampf- Thema Irak schwer, seit sich abzeichnet, daß dort eine vernünftige Chance für einen Erfolg besteht und es also unverantwortlich wäre, jetzt abzuziehen. Was noch vor einem halben Jahr einen Sieg bei den Wahlen nachgerade sicherzustellen schien, das Versprechen eines alsbaldigen Abzugs aus dem Irak, hängt jetzt wie ein Klotz an beiden, Obama ebenso wie Clinton.

    Nun sieht es so aus, als hätten die Demokraten einen Ausweg aus diesem Dilemma gefunden: Sie werden vermutlich den amerikanischen Steuerzahler am Geldbeutel packen. Und ihm etwas Empörendes nahezubringen versuchen:

    Während er, der Steuerzahler, sein schwer erarbeitetes Geld für die Irakis opfert, schwelgen diese in Öldollars.

    Dazu zitierte gestern Karen DeYoung in der Washington Post den demokratischen Senator Lewin:

    "I think it's a very significant issue that has not had sufficient exposure (...) They're perfectly content to watch us spend our money while they build up these huge cash reserves from oil windfalls. It's a real stick in our eye, as far as I'm concerned."

    Es handle sich um ein sehr wichtiges Thema, das noch viel zu wenig beachtet worden sei: Die Irakis würden zufrieden zusehen, wie die Amerikaner im Irak Geld ausgeben, während sie sie selbst aus ihren Öleinkünften, die ihnen in den Schoß fallen, Geldreserven anhäuften. Er finde, sagte Lewin - übrigens Voritzender des Verteidigungs- Ausschusses des amerikanischen Senats -, das sei ein "Schlag in unser Gesicht".

    Wenn im Herbst gewählt wird, könnten die USA sich schon mitten in einer Rezession befinden.

    Wenn der Kandidat der Demokraten, ob nun Clinton oder Obama, den Wählern diese populistische Botschaft vermitteln kann "Während wir den Gürtel enger schnallen müssen, leben die Iraker auf unsere Kosten.obwohl sie dank des Öls in Geld schwimmen", dann dürfte, da hat John King wohl Recht, die Wahl für John McCain so gut wie verloren sein.

    Dann könnte die Parole "Nichts wie raus aus dem Irak!" am Ende doch noch verfangen. Vor allem dann, wenn Barack Obama, ohnehin ein Meister des populistischen Appels an Emotionen, der demokratische Kandidat sein sollte.

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    6. April 2008

    Marginalie: John McCains Sohn diente als Soldat im Irak

    Arianna Huffington ist die Herausgeberin einer vielgelesenen linken amerikanischen Web- Zeitung, der Huffington Post. Darin steht heute ein von ihr verfaßter Kommentar, dessen Haupt- Aussage den Lesern von ZR nicht neu ist, auch wenn ich mit Arianna Huffington politisch wenig gemeinsam habe: Der Irak- Krieg spielt eine zunehmend wichtige Rolle im US-Wahlkampf, und die Demokraten sehen dabei gegenüber McCain nicht gut aus:
    In short, Democratic candidates up and down the ticket are facing a message gap when it comes to Iraq. McCain's rah-rah pitch is very simple and upbeat: "Vote for me and I will win the war." Democrats have a tougher time trying to answer the question: "What are you going to do about Iraq?"

    Kurzum, die demokratischen Kandidaten, wo auch immer sie auf einer Liste stehen, sehen sich einer Erklärungs- Lücke gegenüber, wenn es um den Irak geht. McCains hurra- patriotischer Verkaufsslogan ist einfach und optimistisch: "Wählt mich, und ich werde den Krieg gewinnen." Die Demokraten haben es schwerer, die Frage zu beantworten: "Was werden Sie in Bezug auf den Irak tun?"
    Arianna Huffington schreibt das, um dann auf etwas zu verweisen, das sie als einen Plan für den Irak betrachtet, der diese Lücke schließen könnte; es ist freilich aus meiner Sicht - aber lesen Sie selbst - nur heiße Luft.

    Aber wie auch immer man diesen Plan beurteilt: Wenn man amerikanische Wähler fragt, wem von den Präsidentschafts- Kandidaten sie es am ehesten zutrauen, mit der Lage im Irak fertig zu werden, dann entscheiden sie sich mehrheitlich für McCain. Laut Gallup beträgt sein Abstand zu sowohl Obama als auch Clinton bei dieser Frage 14 Prozentpunkte. Laut Los Angeles Times liegt er 16 Prozentpunkt vor Clinton und 13 Punkte vor Obama.



    Noch vor einem Jahr hätte vermutlich niemand ein solches Ergebnis zugunsten eines republikanischen Kandidaten für möglich gehalten, der das militärische Engagement der USA im Irak geradezu personifiziert.

    Der Hauptgrund ist natürlich der Erfolg des surge. Aber eine vermutlich nicht weniger wichtige Ursache für das Vertrauen in die Irak-Politik von John McCaine liegt in dessen Person.

    Und zwar nicht nur darin, daß er Vietnam- Veteran ist und sich in der Gefangenschaft tadellos benommen hat. Sondern auch darin, daß man - unter anderem, weil er diese Erfahrung hinter sich hat - ihm abnimmt, kein Kriegstreiber zu sein.

    Es gibt dazu Standard- Sätze in seinen Wahlkampfreden, in denen er das deutlich macht. Hier findet man ein faktenreicher Artikel über McCains persönliches Verhältnis zum Krieg, und darin dieses Zitat, das das wiedergibt, was er so ähnlich im Wahlkampf sagt:

    "There is no one who understands more than the veteran that war is a horrible thing. There's nothing redemptive about it." Niemand wisse besser als ein Kriegsveteran, daß der Krieg eine entsetzliche Sache sei. Er habe nichts Erhebendes an sich.



    In der heutigen International Herald Tribune steht ein Artikel von Jodi Kantor, der mir den unmittelbaren Anlaß für diesen Beitrag gibt. Er enthüllt, daß McCains Sohn James als Soldat im Irak diente, und zwar vom Juli 2007 bis zum Februar dieses Jahres; zuerst als Gefreiter des Marine- Corps, dann als Obergefreiter.

    Er war in der Provinz Anbar eingesetzt; allerdings waren dort die schlimmsten Kämpfe schon vorbei, als seine Kompanie dorthin kam. Ihr Auftrag bestand meist darin, den Einwohnern durch ihre Anwesenheit und durch "soft knocks" (Hausbesuche) ein Gefühl der Sicherheit zu geben, nach Waffen und Bomben zu suchen, Lernmittel und Süßigkeiten an die Kinder zu verteilen und irakische Polizisten auszubilden.



    McCain hat - und das ist bezeichnend für ihn - diesen Einsatz seines Sohns im Irak niemals in seinem Wahlkampf angesprochen, obwohl er ihm vermutlich viele Sympathien eingebracht hätte.

    Als Jodi Kantor für den jetzigen Artikel recherchierte (und zwar gründlich, wie das die US-Medien tun - sie interviewte zum Beispiel mehr als ein Dutzend Kameraden von James McCain, Mitschüler, Lehrer), versuchte sie auch John McCain und seinen Sohn selbst dazu zu befragen. Beide lehnten ab, und die Wahlkampfleitung forderte Jodi Kantor ausdrücklich auf, den Artikel nicht zu bringen.

    Man vergleiche das mit der neuesten Peinlichkeit von Hillary Clinton, nämlich der erfundenen Geschichte, wie sie im Feuer von Heckenschützen 1996 auf dem Flughafen der bosnischen Stadt Tuzla gelandet sei. Nur stellte sich dummerweise heraus, daß von dieser Szene Filmaufnahmen existieren, die zeigen, wie sie friedlich dem Flugzeug entstieg und freundlich begrüßt wurde.

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