23. März 2009

Marginalie: Über die Gewaltneigung der Friedfertigen. Anmerkung zu einem Text von Califax. Nebst ein wenig Psychoanalytischem für den Hausgebrauch

In The Outside of the Asylum hat Califax einen lesenswerten Beitrag über den - so nennen ich es jetzt einmal - Kult der Friedfertigkeit geschrieben ("Wir müssen da mal über etwas reden"). Darin macht er auf einen interessanten Widerspruch bei denjenigen aufmerksam, die für eine, wie er es nennt, "verträumte Konsenspolitik" eintreten:
Ausgerechnet all diese gescheiterten Kindergarten- Erzieher, Grundschullehrer und Anwälte meinen, sie wären diejenigen, die entscheiden könnten, wie ihnen wildfremde Erwachsene leben dürfen, während man von ihnen automatisch Narrenfreiheit bekommt, wenn man nur eine genügend große Anzahl unschuldiger Menschen ermordet.
Das ist in der Tat ein seltsamer Widerspruch; einer, der mir auch schon lange zu denken gibt.

In den siebziger Jahren gab es den Typus des Wehrdienstverweigerers, der sich für Guerrillakriege in Lateinamerika begeisterte. Heute findet man bei Leuten, die als Pazifisten den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ablehnen, Sympathien für die Hamas und die Hisbollah. Es gibt Menschen, die in Deutschland vehement gegen die friedliche Nutzung der Atomenergie sind und die zugleich Verständnis für die Atomrüstung des Iran äußern.

Wie können sich so widersprüchliche Einstellungen im selben Kopf befinden? Wie kann man zugleich für und gegen Gewalt sein? Mir scheint, es gibt zwei Erklärungen, die auf zwei unterschiedliche Gruppen zutreffen. Zwei Syndrome. Es mag Mischformen geben; vielleicht auch Individuen, die beide Syndrome zugleich zeigen.



Das erste ist das Ströbele- Syndrom: Ein Mann, der sich als sanfter Moralist, als Anwalt der demokratiscnen Freiheitsrechte, als Pazifist stilisiert, fand nichts dabei, Terroristen zu unterstützen und Geld für Waffen für kommunistische Aufständische zu sammeln; Guerrillagruppen in El Salvador, die in den achtziger Jahren einen blutigen Krieg gegen eine gemäßigt linke, ab 1984 auch demokratisch legitimierte Regierung führten.

Hier liegt, so scheint mir, überhaupt kein Widerspruch vor. Viele Sozialisten, vor allem in den Kommunistischen Parteien und ihrem Umfeld, streben ihr Ziel der sozialistischen Gesellschaft je nach strategischer Situation mit den einen oder den anderen Mitteln an. Unter den heutigen Bedingungen in Deutschland sehen sie die besten Chancen im legalen Weg zur Machtergreifung; also sind sie Demokraten. Anderswo in der Welt setzen sie auf die Macht, die aus den Gewehrläufen kommt. Oder, wie aktuell in Venezuela, auf das allmähliche Abwürgen der Demokratie.

Anders dürfte es in der Regel bei den Grundschullehrern usw. sein, die Califax erwähnt. Sie sehen sich wohl überwiegend wirklich als friedliche Menschen und als Demokraten. Aber sie leiden unter einem anderen Syndrom, dem Der- Edle- Wilde- Syndrom.

Was sie hier bei uns nicht dulden würden, das dürfen aus ihrer Sicht die armen Ausgebeuteten jener Weltgegenden, wo einmal die "Dritte Welt" war: Morden, politische Gegner verfolgen, demokratischen Prinzipien in ihrer Herrschaft Hohn sprechen, wie Castro und zunehmend Chávez, wie der sogenannte "palästinensische Widerstand". Sie kann man dafür nicht tadeln, denn sie gehören doch zu jenen Völkern, die "wir" seit Jahrhunderten verfolgt und ausgebeutet haben.

Der Wahlspruch derer, die unter diesem Syndrom leiden, ist sozusagen, in Umkehrung des antiken Mottos: Quod licet bovi non licet Jovi.



Wenn man es psychoanalytisch deuten will, ist das so etwas wie die Wiederkehr des Verdrängten in Form von Projektionen.

Wir haben es mit Menschen zu tun, die sich selbst alle aggressiven Impulse verbieten; so wie sie ihren Kindern das Kriegsspielzeug verbieten. Die diese Friedfertigkeit auch noch mit Altruismus verbinden; denen es zum Beispiel ein Anliegen ist, daß die Kurden in der Türkei kurdisch sprechen dürfen, während sie sich zur Zeit des Kommunismus wenig für die Pflege der deutschen Sprache in Schlesien oder im Sudetenland interessierten.

Was machen aber Menschen, die sich so viel Friedfertigkeit, die sich so viel Altruismus verordnen, mit ihren aggressiven, mit ihren egoistischen Impulsen? Mir scheint, sie spalten sie ab und projizieren die betreffenden Phantasien in die Ferne; ganz so, wie es einst Karl May getan hat, nicht zufällig uns Deutschen so lieb und wert.

Was man sich selbst nicht erlaubt - für die eigenen Interessen einzutreten, sie gar mit der Waffe in der Hand durchzusetzen oder zu verteidigen -, das billigt man jenen in Asien, in Lateinamerika zu, mit denen man sich identifiziert; allen jenen "Freiheitskämpfern", vom Viet Cong und den Sandinisten einst bis heute zur Hisbollah und zur Hamas. So kann man der Gewalt, gegen die man in der Realität der eigenen vier Wände und ihres Drumherums ist, immerhin in der Phantasie Raum geben.

Es handelt sich ja nicht um erlebte, um selbst ausgeübte Gewalt. Es ist im Grunde ähnlich, wie die Bürgersöhnchen um die Wende zum 20. Jahrhundert in ihren Matrosenanzügen mit Zinnsoldaten spielen und dazu "bumm, bumm" rufen durften, während sie sonst brav zu gehorchen hatten.



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