28. April 2009

Zitat des Tages: "Neigung von Intellektuellen zur Gewaltsamkeit". Nebst einer Erinnerung an Pierre-Joseph Proudhon

Or ce qui plaît tant aux intellectuels dans la révolution violente, ce n'est pas la révolution, c'est la violence. Comme s'ils voulaient échapper, grâce à leur préférence affichée pour l'extrémisme, à leur mauvaise conscience de travailler dans l'immatériel.

(Was nun Intellektuellen so an der gewaltsamen Revolution gefällt, das ist nicht die Revolution, sondern die Gewaltsamkeit. Ganz so, also wollten sie mit ihrer ostentativen Neigung zum Extremismus ihrem schlechten Gewissen darüber entgehen, daß sie im Immateriellen arbeiten).

Der stellvertretende Chefredakteur des Nouvel Observateur Jacques Julliard in seiner Kolumne in der aktuellen Ausgabe vom 23. April, die sich aus Anlaß von dessen zweihundertstem Geburtstag mit dem Frühsozialisten Pierre- Joseph Proudhon befaßt.

Kommentar: Eine treffliche Beobachtung des Intellektuellen Jacques Julliard, scheint mir. Ich greife sie als Ergänzung zu dem auf, was vor fünf Wochen Califax in The Outside of the Asylum geschrieben hat und was ich in diesem Artikel kommentiert habe: Es gibt eine seltsame Neigung von ostentativ Friedfertigen zur Gewalt.

Das ist nicht auf Intellektuelle beschränkt; aber bei Intellektuellen ist es besonders auffällig. Denn von ihnen sollte man ja eigentlich erwarten, daß sie diesen Widerspruch reflektieren und daß sie ihn aufzulösen versuchen.

In dem damaligen Artikel hatte ich auf zwei Varianten dieses Phänomens aufmerksam gemacht:

Da ist zum einen der Fall des extremistischen, oft kommunistische Intellektuellen - Beispiel Hans- Christian Ströbele -, der ein taktisch- strategisches Verhältnis zur Gewalt hat.

Natürlich lehnt er sie ab, wenn sie dem demokratischen Rechtsstaat dient und ihn schützt; wie auch anders. Und natürlich ist er für diejenige Gewalt, die "aus den Gewehrläufen kommt", wenn es darum geht, Demokratie und Kapitalismus zu beseitigen. Vorausgesetzt natürlich, daß dies eben der strategisch gebotene Weg ist. Anderswo entscheidet man sich für den parlamentarischen Weg zur Machtergreifung. Da gibt es in Wahrheit keinen Widerspruch.

Zweitens aber sind da die sozusagen ehrlichen Herzens Friedfertigen und Altruistischen, die ihre aggressiven Impulse verdrängen. Viele von ihnen sind geradezu erleichtert, wenn sie die Gewalt des Edlen Wilden, die Gewalt für die "gute Sache" erleben dürfen und ihr zustimmen können. Es ist die Haltung des Kleinbürgers, wie ihn Goethe im "Osterspaziergang" karikiert; er sitzt behaglich im Ohrensessel und delektiert sich daran, wie die Völker aufeinanderschlagen, "hinten weit, in der Türkei".



Jacques Julliard macht nun auf ein Drittes aufmerksam: Den Intellektuellen, der sich aus einem Gefühl eigener Insuffizienz heraus am Rohen und Vitalen delektiert.

Das nun freilich ist ein allgemeines, ein weit über das Thema "Gewalt" hinausreichendes Syndrom: Je weniger vital, je kultivierter, vielleicht dekadenter man selbst ist, umso mehr schätzt man oft das Prollige. Der stets kränkelnde, einzelgängerische Stubengelehrte Friedrich Nietzsche pries den brutalen Machtmenschen. Dem sanften Schöngeist Golo Mann, so las man es kürzlich, konnte es in seiner Phantasie gar nicht brutal genug zugehen; von ungehobelten Matrosen träumte er.

Der Proletkult des linken Intellektuellen gehört hierher; der Kult des Völkischen beim rechten Intellektuellen.

Da tippelt der altersschwache Jean- Paul Sartre hinein in die Zelle in Stammheim, um dem rotzigen Terroristen Andreas Baader seine Reverenz zu erweisen.

Als der etwas erfolgreichere Terrorist Fidel Castro in Havanna die Macht erobert und als erste revolutionäre Tat ein Blutbad angerichtet hatte, wurde er zum Schwarm unzähliger europäischer und amerikanischer Intellektueller. Hans- Magnus Enzensberger siedelte 1968 aus Begeisterung für die Revolution gar nach Cuba über und berichtete aus Havanna:
... kann es keine Kultur geben ohne die reale Befreiung der Völker von der ökonomischen Ausbeutung und der politischen Unterdrückung durch die Metropolen, und das heißt heute in erster Linie: von der Herrschaft der Vereinigten Staaten. Diese Befreiung ist, wie die Geschichte der letzten fünfundzwanzig Jahre zeigt, nur durch den bewaffneten Aufstand zu erlangen.
Da haben wir ihn, den Intellektuellen, der sich am "bewaffneten Aufstand" berauscht. Enzensberger war damals kein verführbarer Jugendlicher mehr, sondern 38 Jahre alt.



Und was hat das nun mit Pierre- Joseph Proudhon zu tun?

Ich gestehe, daß es mir wie vermutlich den meisten geht: Ich habe nie etwas von ihm gelesen, sondern kenne ihn nur via Marx, der ihn in "Das Elend der Philosophie" so heruntermachte, wie er jeden heruntergemacht hat, der nicht sein blinder und ergebener Anhänger war. Proudhon war Marx nicht materialistisch genug, zu anarchistisch, zu freiheitlich gesonnen.

Julliard macht jetzt auf eine andere Seite dieses sehr widersprüchlichen Autors aufmerksam: Seinen Skeptizismus; seine libertäre Haltung. Er verabscheute den Staat in jeglicher, auch in der jakobinisch- sozialistischen Variante. Daß er in einer frühen Schrift Eigentum als "Diebstahl" bezeichnet hatte, weiß jeder. Aber er hat das Eigentum auch das "einzige Gegengewicht gegen den Staat" genannt; dies freilich in einer späteren, erst posthum veröffentlichten Schrift.

Proudhon war keiner dieser die Gewalt verherrlichenden Intellektuellen. Er war überhaupt kein Intellektueller wie Marx, der verbummelte Student und dann Berufsschriftsteller. Proudhon war ein Handwerker - gelernter Schriftsetzer - und Autodidakt; einer, der, anders als Marx, das Leben kannte. Also ein Skeptiker. Julliard schreibt:
La gloire immortelle de Proudhon, c'est de s'être dressé comme jamais personne avant lui contre le principe d'autorité et d'avoir tenté de lui substituer une formule contractuelle de la société dont le fédéralisme ou mieux encore le mutualisme sont l'expression politique.

D'où ses sentiments mêlés à l'égard de la Révolution française, qui certes a eu raison d'abolir la souveraineté royale, mais a eu tort de lui substituer immédiatement la souveraineté populaire, qui ne vaut pas mieux puisque c'est la souveraineté elle-même qu'il s'agit d'abolir pour faire de nous des êtres libres. "L'exploitation de l'homme par l'homme, a dit quelqu'un, c'est le vol. Eh bien ! le gouvernement de l'homme par l'homme, c'est la servitude."

Der ewige Ruhm Proudhons ist es, sich wie keiner vor ihm gegen das Prinzip der Autorität erhoben und versucht zu haben, an seine Stelle den Entwurf einer auf vertraglicher Basis ruhenden Gesellschaft zu setzen, deren politischer Ausdruck der Föderalismus und besser noch das Prinzip der Gegenseitigkeit sein sollten.

Deshalb hegte er gemischte Gefühle in Bezug auf die Französische Revolution, die gewiß zu Recht die königliche Souveränität abgeschafft hatte, die sie aber zu Unrecht unmittelbar durch die Volksssouveränität ersetzte. Diese ist nicht besser, denn es ist die Souveränität als solche, die abgeschafft werden muß, um uns zu freien Wesen zu machen. "Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, hat jemand gesagt, sei Diebstahl. Ja nun! Die Regierung des Menschen durch den Menschen ist Sklaverei."
Da war der sozialistische Nicht- Intellektuelle Proudhon einer liberalen Position näher als der staatssozialistische Intellektuelle Marx; auch er ja ein Befürworter der Gewalt.

Daß der real existierende Sozialismus à la Sowjetunion und DDR "nicht im Sinn von Marx" gewesen sei, ist ein offenbar schwer auszurottender Irrtum. Wenn es denn jemals so etwas wie einen freiheitliche Idee von Sozialismus gegeben hat, dann fand sie sich gewiß nicht bei dem intellektuellen Tyrannen Marx, sondern bei von ihm (und von den heutigen Marxisten) Verachteten wie Bakunin. Oder eben Pierre- Joseph Proudhon.



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