20. Februar 2009

Zitat des Tages: Eine "Karnevalsrede". Wie unsere Medien über die Rede des tschechischen Staatspräsidenten berichten. Und was er wirklich gesagt hat

Tschechiens Präsident sorgt für Eklat - "Karnevalsrede" im EU-Parlament

Überschrift des Berichts der Brüsseler Korrespondentin der ARD, Katrin Brand, im Internet- Auftritt der "Tagesthemen".

Kommentar: Der Staatspräsident des Landes, das gegenwärtig die Präsidentschaft der EU innehat, hat vor dem Europäischen Parlament eine Rede gehalten. Eine nachdenkliche, eine herausfordernde, eine kritische Rede. Am Ende dieses Artikels finden Sie die wichtigsten Passagen.

Nicht wahr, es wäre die Aufgabe eines öffentlich- rechtlichen, eines von unseren Gebühren finanzierten, eines zur Ausgewogenheit verpflichteten Senders, über den Inhalt einer so wichtigen Rede ausführlich zu informieren?

Tut das die Korrespondentin des WDR Katrin Brand? Sie tut das in einer nachgerade empörenden Weise nicht.

Der Bericht ist so abgefaßt, wie es die reißerische, den Staatspräsidenten herabsetzende Überschrift ankündigt: Über den Inhalt der Rede erfährt man fast nichts; umso mehr über das, was die Überschrift als einen "Eklat" bezeichnet - also die unhöfliche, respektlose Art, wie Angehörige des Parlaments, vor dem der Präsident sprach, auf dessen Rede reagiert haben.

Der Bericht hat fünf Absätze. Gerade einmal eineinhalb davon befassen sich mit dem Inhalt der Rede; der Rest mit Kritik daran.
Daniel Cohn Bendit von den Grünen reagierte eher amüsiert: "Die Grünen werden Vaclav Klaus einen Preis vergeben: Die beste Karnevalsrede, die je im Parlament gehalten wurde." Martin Schulz von der SPD kommentierte trocken: "Der Mann hat keine Ahnung!" Und Bernd Posselt von der CDU meinte, das sei die "Provinzposse eines begnadeten Selbstdarstellers" gewesen, der "leider nach dem nationalistischen Libretto aus dem 19. Jahrhundert" gespielt habe.
So beginnt Katrin Brand ihren Bericht. Der Leser erfährt diese negativen Kommentare, bevor er auch nur mit einem Wort über das informiert worden ist, was der Präsident eigentlich gesagt hat. Die Information darüber beschränkt sich auf ein paar Sätze.

Nicht besser sieht es in den übrigen Leitmedien aus. "Spiegel- Online" vermischt wie meist Bericht und Kommentar, wenn es schreibt (oder aus den Agenturen zusammenschustert):
Nachdem der deutsche Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering die Tschechen für ihre wichtige Rolle in Europa gelobt und dabei sogar bis ins 14. Jahrhundert zurückgegangen war, legte Klaus los. Zwar betonte er zunächst, dass es für Tschechien "keine Alternative zum EU-Beitritt gab und gibt". Dann aber fragte er die Abgeordneten, ob sie sich bei Abstimmungen immer sicher seien, dass diese Entscheidungen tatsächlich in Brüssel und nicht besser in den einzelnen Mitgliedstaaten getroffen werden müssten.
Das nenne ich "loslegen" - Klaus wagt es, an das Prinzip der Subsidiarität zu erinnern; bekanntlich ein Bestandteil der Verträge von Lissabon.

Ähnlich die meisten anderen Medien. "Ratspräsident Klaus provoziert EU-Abgeordnete" titelt "Zeit- Online"; "Der beste Provokateur - Tschechiens Präsident Klaus poltert in Brüssel" die "Frankfurter Rundschau"; "Tschechiens Präsident sorgt für Eklat im EU-Parlament" ist die Meldung der Bericht der "Deutschen Welle" überschrieben. (Ob es nicht eher die sich echauffierenden Abgeordneten waren, die für den Eklat sorgten?).

Sachliche Berichte, aus denen wenigstens ein wenig von dem hervorgeht, was Klaus eigentlich gesagt hat, findet man in der FAZ und in der "Welt".



Und was hat Vaclav Klaus nun gesagt? Hier ist der Text der Rede in der offiziellen deutschen Übersetzung. Auszüge (aus Gründen des Copyrights muß ich mich auf einige Zitate beschränken):
Ich möchte aber auch auf diesem Forum ganz eindeutig und – für diejenigen, die das entweder nicht wissen oder auch nicht wissen wollen – ganz deutlich und laut wiederholen, dass es für uns keine Alternative zum EU-Beitritt gab und gibt und dass in unserem Land keine relevante politische Kraft existiert, die diese Aussage in Frage stellen könnte oder möge. (...)

Verschiedene Barrieren und Hindernisse bestehen weiter und es gibt mehr Entscheidungen auf Brüsseler Ebene, als es optimal wäre. Sicherlich gibt es mehr davon, als die Menschen in den einzelnen europäischen Ländern verlangen. Dessen sind Sie sich – meine sehr geehrten Damen und Herren – sicher auch bewusst. Ich stelle hier daher die eher rhetorische Frage, ob Sie sich – bei jeder Ihrer Abstimmungen – sicher sind, dass Sie über Sachen entscheiden, die gerade hier in diesem Saal und nicht näher am Bürger, das heißt in den einzelnen europäischen Staaten, entschieden werden müssen? (...)

Wenn ich gesagt habe, dass es für uns keine Alternative zu einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union gab und gibt, ist das nur die Hälfte von dem, was dazu zu sagen ist. Die zweite Hälfte ist ganz logisch die Behauptung, dass es für die Methoden und Formen der europäischen Integration im Gegenteil eine Reihe möglicher und legitimer Varianten gibt, genauso wie es sie auch in der letzten Jahrhunderthälfte gegeben hat. Die Geschichte hat kein Ende. (...)

Außerdem ist offensichtlich, dass die eine oder andere institutionelle Anordnung der Europäischen Union kein Ziel zum Selbstzweck ist, sondern ein Instrument zu Erreichung tatsächlicher Ziele. Und diese Ziele sind nichts anderes als die Freiheit der Menschen und so eine wirtschaftliche Ordnung, die Prosperität mit sich bringt. Und diese wirtschaftliche Ordnung ist die Marktwirtschaft. (...)

Das heutige System des Entscheidens in der Europäischen Union ist etwas anderes, als das von der Geschichte geprüfte und in der Vergangenheit erprobte System der klassischen parlamentarischen Demokratie. In einem normalen parlamentarischen System gibt es einen Teil der Abgeordneten, der die Regierung unterstützt und einen oppositionellen Teil. Doch das ist im Europäischen Parlament nicht der Fall. Hier wird nur eine Alternative durchgesetzt und wer über andere Alternativen nachdenkt, wird als Gegner der europäischen Integration angesehen. In unserem Teil Europas lebten wir noch bis vor kurzem in einem politischen System, in dem jegliche Alternative unzulässig war und wo es aus diesem Grund auch keine parlamentarische Opposition gab. Wir haben die bittere Erfahrung gemacht, dass dort, wo es keine Opposition gibt, die Freiheit verkommt. Deshalb muss es politische Alternativen geben. (...)

Ich sage das alles aus einem Gefühl der Verantwortung für die demokratische und prosperierende Zukunft Europas. Ich möchte an die Grundprinzipien erinnern, auf deren Grundlage die europäische Zivilisation seit Jahrhunderten bzw. Jahrtausenden gebildet ist. Das sind Prinzipien von zeitloser und universeller Gültigkeit, die deshalb auch in der heutigen Europäischen Union gelten sollen. Ich bin davon überzeugt, dass sich die Bürger der einzelnen EU-Länder Freiheit, Demokratie und Prosperität wünschen. (...)
Falls Sie die Zeit erübrigen können, lesen Sie die Rede bitte ganz und sorgfältig. Es ist eine der großen Reden in der Geschichte der europäischen Integration; eine kluge und differenzierte Rede.

Daß die von Katrin Brand zitierten Abgeordneten sich so flegelhaft geäußert haben, wie sie es taten, sagt nichts über diese Rede, aber viel über diese Abgeordneten. Von denen einer - Daniel Cohn-Bendit - sich übrigens schon einmal gegenüber dem tschechischen Staatspräsidenten als ein Flegel benommen hat.



Nachtrag (20.2. abends): Erst jetzt habe ich gesehen, daß gestern schon Stunden, bevor ich diesen Artikel publiziert habe, bei den Kollegen von B.L.O.G. Boche auf das Thema eingegangen ist und dazu auch ein weiteres Beispiel für die agitatorische Berichterstattung zitiert hat, den Artikel in der FTD. - Siehe auch die Artikel von Daniel Fallenstein und von Jo@achim vom Antibürokratieteam.



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