27. Februar 2009

"So macht Kommunismus Spaß" (6): Zwei schlechte Bücher. Aus einem davon kann man viel lernen

Die Geschichte der "Rote Armee Fraktion" (RAF) ist überwiegend aus einer stark personalisierenden Perspektive erzählt worden; zentriert vor allem um Ulrike Meinhof. Auch die Bücher, mit denen ich mich vor zwei Jahren in den ersten beiden Folgen dieser Serie befaßt habe, waren so ausgerichtet: Klaus Rainer Röhls "Fünf Finger sind keine Faust", Stefan Austs "Der Baader- Meinhof- Komplex" und das Buch, das der Serie den Titel gegeben hat: "So macht Kommunismus Spaß" von Ulrike Meinhofs Tochter Bettina Röhl.

In dieser auf die Akteure der RAF, vor allem auf diejenigen der "ersten Generation" konzentrierten Betrachtungsweise erscheint der deutsche Terrorismus als die Kopfgeburt einer kleinen Gruppe von Personen, die - radikalisiert beispielsweise durch den Tod von Benno Ohnesorg - gewissermaßen "sich entschlossen, Terroristen zu werden".

Gewiß nicht ohne eine Vorgeschichte - aber diese wurde und wird eher in der Biografie der Protagonisten gesehen. Für Ulrike Meinhofs Weg in den Terrorismus habe ich diesen biographischen Hintergrund in der vierten Folge der Serie nachzuzeichnen versucht.

Gewiß, irgendwie war der Terrorismus auch aus dem zeitgeschichtlichen Kontext hervorgegangen; aus der Bewegung der "Achtundsechziger". Aber doch - so schien es auch mir, als ich die Serie "Wir Achtundsechziger" geschrieben habe - nicht als deren konsequente Fortsetzung, sondern als ihre Entartung.

Ich habe in dieser Serie beschrieben, wie aus den anarchistischen Politclowns die stalinistischen Kommissare und wie aus "begrenzter Regelverletzung" der Mord als Mittel der Politik wurden; wie damit die Terroristen der siebziger Jahre an die Tradition der Fememorde in den zwanziger Jahren anknüpften.

Die RAF, eine elitäre, ideologisch verbohrte, kalt mordende Kader- Organisation stand unverkennbar in der Tradition der SS. Und hatte damit - so erschien es mir bis vor kurzem - kaum noch etwas gemeinsam mit den zwar naiven, aber doch sympathischen Träumen von einer besseren Welt, die die "Studentenbewegung" beflügelt hatten.

Das war ein Irrtum.



Selten habe ich aus einem schlechten Buch so viel gelernt wie aus Götz Alys "Unser Kampf. 1968 - ein irritierender Blick zurück". Es ist vor gut einem Jahr erschienen. In den letzten Tage habe ich es gelesen, nachdem ich zuvor ein anderes Erzeugnis der 1968- Nostalgie hinter mich gebracht hatte, Jutta Ditfurths "Ulrike Meinhof. Die Biografie".

Sehr verschiedene Bücher sind das, und doch mit zwei Gemeinsamkeiten: Beide sind das Ergebnis fleißigen, beharrlichen Recherchierens. Und beide sind derart parteilich geschrieben, derart mit heißer Nadel gestrickt, daß sie sich selbst um ihre Wirkung bringen. Deshalb sind beides schlechte, sind es mißglückte Bücher.

Bei Ditfurth ist das so offensichtlich, daß über das Buch im Grunde weiter nichts zu sagen ist: Es ist nicht nur nicht "die" Biografie, sondern es ist überhaupt keine Biografie. Es ist eine Art Heiligenlegende; der Versuch, Ulrike Meinhof aufs Vorteilhafteste zu porträtieren.

Das Buch verdient es schon deshalb nicht, ernst genommen zu werden, weil kaum je Quellen genannt werden. So machten das schlechte Journalisten in den fünfziger Jahren, als der "Tatsachenbericht" in Mode war, der meist stufenlos in den "Tatsachenroman" überging.

Auf die Frage nach ihren Quellen hat Jutta Ditfurth geantwortet: "Die unzähligen Quellen, die ich im Buch aus rechtlichen Gründen nicht nennen kann, kann ich auch hier nicht nennen." Ja, dann müssen wir ihr halt vertrauen, dieser durch und durch parteilichen Autorin. Oder eben nicht; und das Buch zur Seite legen.

In dieser Hinsicht ist Götz Alys Buch ungleich seriöser. Aly hat im Bundesarchiv und in zahlreichen anderen Archiven recherchiert; er hat zeitgenössische Quellen und einen großen Teil der Literatur über die Achtundsechziger ausgewertet. Der Apparat umfaßt 348 Anmerkungen, das Literaturverzeichnis rund 150 Titel. Aly zitiert ausführlich, und jedes Zitat ist penibel belegt. Insofern ist das Buch eine Fundgrube; ich komme in der nächsten Folge auf das zu sprechen, was man darin finden kann.

Aber so viel Mühe sich Aly gemacht hat - er entwertet sein Buch selbst dadurch, daß er auch nicht einen Augenblick den Eindruck aufkommen läßt, er schreibe aus der Perspektive des um eine objektive, sachliche Darstellung bemühten Historikers.

Er schreibt vielmehr aus einer ähnlichen Perspektive wie Ditfurth, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Bei Ditfurth merkt man auf jeder Seite, daß es ihr darum geht, Ulrike Meinhof emporzuheben. Bei Aly ist ebenso das durchgängige Bestreben wahrzunehmen, die Achtundsechziger herabzusetzen.

Es ist das Werk eines Renegaten, der mit seiner eigenen Vergangenheit abrechnet. Aly kam im November 1968 als Student nach Berlin und engagierte sich sofort in der Studentenbewegung. Er kandidierte erfolgreich für die "Roten Zellen", war Redakteur der kommunistischen Zeitschrift "Hochschulkampf", dann Mitarbeiter der "Roten Hilfe".

Persönliche Erlebnisse aus dieser Zeit fließen in das Buch ein. Aber nicht das ist das ärgerlich Subjektive, sondern die Einseitigkeit, mit der Aly Negatives über seine damaligen Genossen zusammenträgt; bis hin zu ihrem späteren Lebensweg. ("Einer, der sich seinen Lebensunterhalt zuletzt als Masseur verdient hatte, ergatterte noch eine Professur in Erfurt"; S. 17 - in diesem hämischen Stil geht das über Seiten).

Man darf sich also von der Tendenz des Buchs nicht beeinflussen lassen. Als ich nach einigen Seiten Lektüre den Pamphlet- Charakter merkte, habe ich es sozusagen gegen den Strich gelesen: Die Wertungen, die einseitige Selektion der Themen ignorierend, nur interessiert an den Fakten, den Zitaten.

Und diese nun freilich sind erschreckend genug.



Es gibt nicht "die Achtundsechziger", die so etwas wie einen gemeinsamen politischen Willen gehabt hätten. Es gab - in der Serie über die Achtundsechziger habe ich das nachzuzeichnen versucht - sozusagen eine vertikale und dann zunehmend auch eine horizontale Differenzierung.

Die vertikale bestand darin, daß im chronologischen Ablauf aus einer diffus- antiautoritären, oft auch fröhlich- anarchistischen Bewegung Gruppen mit einen fest umrissenen politischen Programm hervorgingen. Die horizontale bestand darin, daß diese Gruppen sich immer mehr differenzierten und neben die politischen zunehmend auch lebenserformerische, ökologische, esoterische Gruppen traten.

Nicht von dieser ganzen Entwicklung, nicht von diesem ganzen Spektrum handelt Alys Buch, sondern überwiegend von einer bestimmten Gruppe in einem engen Zeitfenster: Der vom Berliner und Frankfurter SDS dominierten Gruppe um Anführer wie Rudi Dutschke, Bernd Rabehl, Wolfgang Lefèvre, Reimut Reiche, Frank und Reinhard Wolff in den Jahren zwischen 1967 und 1970.

Diese Gruppe bestimmte damals das Bild der "Studentenrevolte" in der Öffentlichkeit. Ihre Anführer traten in den Medien auf; über sie wurde überall an den Universitäten diskutiert. Das Buch "Rebellion der Studenten oder Die Neue Opposition" (1968) war - von Dutschke, Lefèvre und Rabehl zusammen mit einem gewissen Uwe Bergmann herausgegeben - ein großer Erfolg. Es steht noch in meiner Bibliothek; zusammen mit Werken wie "Die Linke antwortet Jürgen Habermas" und "Was wollen die Studenten?".

Was also wollten sie, "die Studenten" (dh. ihre Wortführer)? Darüber gibt Alys Buch Auskunft. Und es ist eine erschreckende Auskunft.

Eine Auskunft, die zeigt, daß der "bewaffnete Kampf" von diesen Ideologen und Anführern der Studentenbewegung keineswegs abgelehnt wurde. Sie wollten die Revolution - in den vor ihnen liegenden Jahren zunächst in Westberlin, wo sie eine Räteherrschaft errichten und aus dem sie unliebsame Personen deportieren wollten. Dann in Deutschland, schließlich in der ganzen Welt.

(Fortsetzung folgt)



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