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28. Februar 2009

"So macht Kommunismus Spaß" (7): Dutschke und Genossen als Revolutionäre. Räteherrschaft in Westberlin. "Dieser revolutionäre Kampf ist furchtbar"

Die meisten Versuche, die Geschichte der RAF aufzuarbeiten, konzentrieren sich, wie in der letzten Folge beschrieben, auf die Angehörigen dieser Gruppe und ihre persönliche Vorgeschichte. Das wäre gerechtfertigt, wenn der Weg zur gewaltsamen Revolution in Deutschland das Ergebnis eines sozusagen einsamen Entschlusses dieser Gruppe gewesen wäre.

Das ist aber nicht der Fall. Was die Angehörigen der RAF von Dutschke, Semler und den anderen Anführern der "Studentenbewegung" unterschied, war nicht die Entschlossenheit zur Revolution, sondern die Bereitschaft, diesen Entschluß auch in die blutige Tat umzusetzen.

Wie sehr aber bereits die nach außen hin alles in allem friedlich auftretenden Anführer vor allem aus dem SDS auf Revolution und Gewalt setzten, kann man erst ermessen, wenn man interne Dokumente heranzieht - Rudi Dutschkes Tagebuch zum Beispiel; Papiere, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren; Protokolle von Besprechungen, auch Spitzelberichte darüber.

Dieses Material aufgearbeitet zu haben ist das Verdienst von Götz Aly mit seinem Buch "Unser Kampf. 1968 - ein irritierender Blick zurück". Auf die Schwächen dieses Buchs habe ich in der vergangenen Folge hingewiesen. Sein Verdienst, dieses Material erschlossen und zusammengestellt zu haben, ist davon unberührt. Wenn nicht anders angegeben, stütze ich mich auf sein Buch.



Die Rede ist im folgenden nicht von "den Studenten" oder "den Achtundsechzigern". Da gab es viele Gruppen und Strömungen, wie in der letzten Folge beschrieben. Es geht um die Pläne, die in der Gruppe der Anführer kursierten - von Leuten wie Rudi Dutschke, Bernd Rabehl, Wolfgang Lefèvre, Christian Semler.

Welches war deren politisches Ziel? Wie wollten sie es erreichen?

Laut Johannes Agnoli, etwas älter als diese Studenten, aber auf ihrer Linie, war das Ziel "die Organisation des Klassenkampfs und die Desintegration der Gesellschaft [als der] erste Schritt zur Verwirklichung der Demokratie".

Wie das politische System der "Demokratie" aussehen sollte und wie man dahin kommen wollte, erläuterten im Jahr 1968 Rudi Dutschke, Bernd Rabehl und Christian Semler in einem Gespräch mit Hans- Magnus Enzensberger, das im "Kursbuch" abgedruckt wurde.

Aly zitiert kurz daraus. Ich habe jetzt - zum ersten Mal wieder seit vierzig Jahren - die betreffende Nummer des "Kursbuchs" (14/1968) in die Hand genommen. Beim Beginn des Gesprächs auf Seite 146 hatte ich ein Lesezeichen eingelegt; ich muß es also damals für wichtig gehalten haben.

Enzensbergers Gesprächspartner sind sich völlig einig darüber, daß es um nichts weniger als "die Revolution" geht; und sie verstehen darunter einen gewaltsamen Umsturz. Bernd Rabehl (S. 154):
Wir sollten die Frage stellen, welche gesellschaftlichen Schichten bereit sind, bis zur radikalen Gewalt zu gehen; das System zu beseitigen. Wir sollten z.B. die Versuche der amerikanischen Liberalen sehr hoch einschätzen, wir sollten uns darüber nicht erheben, wir sollten aber wissen, daß sie unfähig sind, den letzten Schritt zu tun, die Sprache der Gewalt zu sprechen.
Man war sich in der Runde offenbar einig, daß es bei Studenten, überhaupt allgemein der Intelligenz, an Bereitschaft zur revolutionären Gewalt hapert und diskutierte folglich darüber, was man dagegen tun könne. Dutschke trat (S. 156) für die Schaffung eines "Gegenmilieus" durch den Kampf ein, so daß
aus Gruppen, Individuen, Schichten, daß aus diesem ganzen Brei durchaus - nicht durch Selbstbewegung, sondern durch kämpferische Auseinandersetzung mit der staatlichen Exekutive - eine Basis ... in Gestalt von Gegenmilieu entstehen kann.
Semler dagegen setzte (S. 157) eher auf die Gewaltbereitschaft des Proletariats:
Der Vergleich zwischen Demonstrationsformen von Studenten und Arbeitern in anderen Ländern zeigt uns ganz deutlich, daß für die Arbeiter im Grunde jede Demonstration den Keim des Bürgerkrieges in sich trägt.
Man kam dann (S. 161) auf die Illegalität zu sprechen, die sowohl Dutschke ("den Schritt zu tun zum Widerstand, zur Desertion, zur Unterstützung der Desertion, zur illegalen Arbeit") als auch Rabehl ausdrücklich befürworteten. Rabehls Kommentar dazu liest sich fast wie das Konzept der RAF:
Illegalität, wenn sie nicht dilettantisch bleiben will, bedeutet, daß man gegen den Staatsapparat operiert, daß also gerade das psychische Moment des Friedens zurückgenommen wird und eine streng disziplinierte Organisation entsteht. Eine illegale Organisation bedeutet aber auch die Entwicklung neuer Bedürfnisse: direkte Solidarität, direkte Freundschaft zu den einzelnen Mitgliedern dieser Organisation (...) Insofern glaube ich, daß sich in einer illegalen Organisation Ansätze zu einer neuen Gesellschaft bilden können.



Waren das Spinnereien für den Sankt- Nimmerleinstag? Keineswegs. Beabsichtigt war die Revolution zunächst in Westberlin, und zwar innerhalb der nächsten Jahre (siehe unten). Das Ziel war eine Räteherrschaft in der Art der Pariser Commune, die dann sowohl in die DDR als auch die Bundesrepublik ausstrahlen und auch dort Revolutionen in Gang setzen sollte

Es gab auch schon ganz konkrete Überlegungen für Ausübung der Herrschaft nach der Revolution. Rabehl (S. 166): "Aber nun noch eine andere Frage: Was machen wir mit den Bürokraten? (...) Ein Großteil der Bürokraten wird nach Westdeutschland emigrieren müssen". Dutschke widersprach: "Niemand darf weggeschickt werden, sondern alle sind produktive Kräfte".

Und Semler steuerte (S. 170) die Idee bei: "Zum Beispiel darf es nie mehr Richter geben, darf es nie mehr einen Justizapparat geben". Auch Dutschke ging (S. 171) davon aus, "daß die Juristerei und die Polizei abgeschafft wird".

Das waren, wie gesagt, nicht Utopien für eine ferne Zukunft. Es war das, was man in Westberlin nach der Revolution machen wollte, die man dort unmittelbar vorbereitete.

Unter dem Pseudonym R.S. beschrieb Rudi Dutschke am 12. Juni 1967 in einer Publikation namens "Oberbaumblatt" im Detail, wie er sich die Revolution in Westberlin vorstellte: Die staatlichen Institutionen sollten einer "kontinuierlich gesteigerten Belastung ausgesetzt" und "tief erschüttert" werden.

Mit welchen Mitteln, notierte er in seinem Tagebuch: "Gegengewalt demonstrieren und praktizieren (Schutztruppe - Karateausbildung - bei Knüppeleinsatz - Molotowcocktails)".

Das Ergebnis sollte sein, daß "Parlament, Parteien und Exekutive" abgeschafft sind.

Die Westalliierten würden sich dieser Revolution nach Dutschkes Ansicht nicht in den Weg stellen, weil sie vor einem Blutbad zurückscheuen würden. Allerdings sollten sie für die Revolution sehr wohl eine Rolle spielen, nämlich "einige Sondermaschinen für den Abtransport der funktionslos gewordenen Politiker und Bürokraten" zur Verfügung stellen. Ein Jahr später, in dem Gespräch mit Enzensberger, hatte Dutschke in diesem Punkt seine Meinung offenbar geändert.

Am 24. und 25. Juni 1967 fand im Metaller- Heim Berlin- Pichelsdorf so etwas wie eine Strategie- Tagung der Revolutionäre statt; zu den Teilnehmern gehörten Dutschke, Rabehl, Semler und Lefèvre.

Und es nahm Dietrich Staritz teil, ein Spitzel des Verfassungsschutzes (und auch der Stasi). In seinem Bericht werden die Maßnahmen aufgelistet, die zur Machtergreifung führen sollten.

Man einigte sich auf eine Revolution in fünf Stufen. Sie reichten von einer "Verstärkung der politischen Unruhe durch studentische Demonstrationen und Willenskundgebungen" über den "Versuch, wilde Streiks zu organisieren, in deren Verlauf sich spontan Räte bilden könnten" bis zu einer "Massenbewegung, die in der Lage sein könnte, den Senat, sprich die bisherige politische Obrigkeit aus den Angeln zu heben". Das alles sollte in einem Zeitraum von fünf bis zehn Jahren zur Machtergreifung führen.

Ja, zur Machtergreifung. Zwei Tage nach dieser Konferenz notierte Dutschke in seinem Tagebuch: "In der Kneipe 'Machtergreifungsplan' 'ausgepackt". Riesige Überraschung".



Eine "riesige Überraschung" hätte vermutlich auch viele der protestierenden Studenten erfaßt, wenn sie gewußt hätten, daß es ihren Anführern - jedenfalls dieser dominierenden Gruppe - nicht um eine Reform der Universität ging (diese sollte abgeschafft werden) und auch nicht um eine Reform der Gesellschaft. Es ging ihnen um die Revolution.

Gewalt wurde dabei ausdrücklich nicht ausgeschlossen.

In seinem Tagebuch schwärmte Dutschke geradezu von der Gewalt in der Dritten Welt ("Che lebt und arbeitet in Bolivien. (...) Kämpfen schon mit Raketenwaffen!! Vietcong erst vor kurzem erhalten!")

Und in einem Brief, den Dutschke zusammen mit Gaston Salvatore 1967 an das Exekutivsekretariat einer internationalen linken Organisation namens OSPAAL richtete, heißt es:
Der Kampf allein bringt die Herstellung des revolutionären Willens. Dieser revolutionäre Kampf ist furchtbar, aber furchtbarer würden die Leiden der Völker sein, wenn nicht durch den bewaffneten Kampf der Krieg überhaupt von den Menschen abgeschafft wird.


Das bisher Zitierte könnte man wohlwollend noch so interpretieren, daß die Revolutionäre zwar Gewalt in der Dritten Welt befürworteten, daß sie aber meinten, in Westberlin und dann in ganz Deutschland die Machtergreifung auch ohne unmittelbare physische Gewalt hinzubekommen - als eine friedliche Revolution, wie sie zwanzig Jahr später in der DDR Wirklichkeit werden sollte.

Aber die Dokumente besagen etwas anderes. Wie Dutschke, Rabehl und Semler offen über Gewalt diskutierten, habe ich schon zitiert. 1968 forderte ein anonymer Autor im "FU-Spiegel", dem Berliner Studentenblatt, das damals fest in der Hand des SDS war, "Psychoterror gegen Richter und Staatsanwälte".

Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes wurden im selben Jahr auf einer Delegiertenkonferenz des SDS Flugblätter mit Anleitungen zur Herstellung von Sprengmitteln verteilt.

Am 1. November desselben Jahres wurden Brandbomben gegen das Frankfurter Justizgebäude geworfen. Im April 1969 fand eine Delegiertenkonferenz des SDS in Frankfurt statt, auf der auch eine "Gruppe Technologie" auftrat. Deren Thesenpapier begann mit einer Anleitung zum Bau von Molotow- Cocktails.



Gewiß gab es bei Dutschke und Genossen keine Pläne zur gezielten Ermordung von Menschen. Sie ließen offen, wie sich die "revolutionäre Gewalt" in Deutschland entwickeln würde. Aber Gewalt hielten sie für erforderlich.

Die beiden Strategie- Papiere der RAF - "Das Konzept Stadtguerilla" und "Über den bewaffneten Kampf in Westeuropa" - waren radikalere Konkretisierungen dessen, was Dutschke und Genossen wollten. Die Strategie der RAF basierte auf der ja nicht falschen Erkenntnis, daß "die Macht aus den Gewehrläufen kommt", wie ein damals vielzitiertes Mao-Wort lautete.

Dutschke und Genossen hatten das für Asien und für Lateinamerika akzeptiert und das dortige Blutvergießen befürwortet. Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und ihre Genossen zogen die logische Konsequenz, es auf Westeuropa auszudehnen, nachdem sie zu der Einsicht gekommen waren, daß anders die sozialistische Revolution nicht würde gelingen können.

Die Revolution, die sie ebenso wollten wie Dutschke und Genossen. Als dieser am Grab von Holger Meins sein berühmtes "Holger, der Kampf geht weiter!" sprach, haben sich viele gewundert, wieso Dutschke sich derart mit einem Terroristen solidarisieren konnte.

Es war aber ein- und derselbe Kampf, den Dutschke und Meins geführt hatten. Nur mit verschiedenen Mitteln.



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27. Februar 2009

"So macht Kommunismus Spaß" (6): Zwei schlechte Bücher. Aus einem davon kann man viel lernen

Die Geschichte der "Rote Armee Fraktion" (RAF) ist überwiegend aus einer stark personalisierenden Perspektive erzählt worden; zentriert vor allem um Ulrike Meinhof. Auch die Bücher, mit denen ich mich vor zwei Jahren in den ersten beiden Folgen dieser Serie befaßt habe, waren so ausgerichtet: Klaus Rainer Röhls "Fünf Finger sind keine Faust", Stefan Austs "Der Baader- Meinhof- Komplex" und das Buch, das der Serie den Titel gegeben hat: "So macht Kommunismus Spaß" von Ulrike Meinhofs Tochter Bettina Röhl.

In dieser auf die Akteure der RAF, vor allem auf diejenigen der "ersten Generation" konzentrierten Betrachtungsweise erscheint der deutsche Terrorismus als die Kopfgeburt einer kleinen Gruppe von Personen, die - radikalisiert beispielsweise durch den Tod von Benno Ohnesorg - gewissermaßen "sich entschlossen, Terroristen zu werden".

Gewiß nicht ohne eine Vorgeschichte - aber diese wurde und wird eher in der Biografie der Protagonisten gesehen. Für Ulrike Meinhofs Weg in den Terrorismus habe ich diesen biographischen Hintergrund in der vierten Folge der Serie nachzuzeichnen versucht.

Gewiß, irgendwie war der Terrorismus auch aus dem zeitgeschichtlichen Kontext hervorgegangen; aus der Bewegung der "Achtundsechziger". Aber doch - so schien es auch mir, als ich die Serie "Wir Achtundsechziger" geschrieben habe - nicht als deren konsequente Fortsetzung, sondern als ihre Entartung.

Ich habe in dieser Serie beschrieben, wie aus den anarchistischen Politclowns die stalinistischen Kommissare und wie aus "begrenzter Regelverletzung" der Mord als Mittel der Politik wurden; wie damit die Terroristen der siebziger Jahre an die Tradition der Fememorde in den zwanziger Jahren anknüpften.

Die RAF, eine elitäre, ideologisch verbohrte, kalt mordende Kader- Organisation stand unverkennbar in der Tradition der SS. Und hatte damit - so erschien es mir bis vor kurzem - kaum noch etwas gemeinsam mit den zwar naiven, aber doch sympathischen Träumen von einer besseren Welt, die die "Studentenbewegung" beflügelt hatten.

Das war ein Irrtum.



Selten habe ich aus einem schlechten Buch so viel gelernt wie aus Götz Alys "Unser Kampf. 1968 - ein irritierender Blick zurück". Es ist vor gut einem Jahr erschienen. In den letzten Tage habe ich es gelesen, nachdem ich zuvor ein anderes Erzeugnis der 1968- Nostalgie hinter mich gebracht hatte, Jutta Ditfurths "Ulrike Meinhof. Die Biografie".

Sehr verschiedene Bücher sind das, und doch mit zwei Gemeinsamkeiten: Beide sind das Ergebnis fleißigen, beharrlichen Recherchierens. Und beide sind derart parteilich geschrieben, derart mit heißer Nadel gestrickt, daß sie sich selbst um ihre Wirkung bringen. Deshalb sind beides schlechte, sind es mißglückte Bücher.

Bei Ditfurth ist das so offensichtlich, daß über das Buch im Grunde weiter nichts zu sagen ist: Es ist nicht nur nicht "die" Biografie, sondern es ist überhaupt keine Biografie. Es ist eine Art Heiligenlegende; der Versuch, Ulrike Meinhof aufs Vorteilhafteste zu porträtieren.

Das Buch verdient es schon deshalb nicht, ernst genommen zu werden, weil kaum je Quellen genannt werden. So machten das schlechte Journalisten in den fünfziger Jahren, als der "Tatsachenbericht" in Mode war, der meist stufenlos in den "Tatsachenroman" überging.

Auf die Frage nach ihren Quellen hat Jutta Ditfurth geantwortet: "Die unzähligen Quellen, die ich im Buch aus rechtlichen Gründen nicht nennen kann, kann ich auch hier nicht nennen." Ja, dann müssen wir ihr halt vertrauen, dieser durch und durch parteilichen Autorin. Oder eben nicht; und das Buch zur Seite legen.

In dieser Hinsicht ist Götz Alys Buch ungleich seriöser. Aly hat im Bundesarchiv und in zahlreichen anderen Archiven recherchiert; er hat zeitgenössische Quellen und einen großen Teil der Literatur über die Achtundsechziger ausgewertet. Der Apparat umfaßt 348 Anmerkungen, das Literaturverzeichnis rund 150 Titel. Aly zitiert ausführlich, und jedes Zitat ist penibel belegt. Insofern ist das Buch eine Fundgrube; ich komme in der nächsten Folge auf das zu sprechen, was man darin finden kann.

Aber so viel Mühe sich Aly gemacht hat - er entwertet sein Buch selbst dadurch, daß er auch nicht einen Augenblick den Eindruck aufkommen läßt, er schreibe aus der Perspektive des um eine objektive, sachliche Darstellung bemühten Historikers.

Er schreibt vielmehr aus einer ähnlichen Perspektive wie Ditfurth, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Bei Ditfurth merkt man auf jeder Seite, daß es ihr darum geht, Ulrike Meinhof emporzuheben. Bei Aly ist ebenso das durchgängige Bestreben wahrzunehmen, die Achtundsechziger herabzusetzen.

Es ist das Werk eines Renegaten, der mit seiner eigenen Vergangenheit abrechnet. Aly kam im November 1968 als Student nach Berlin und engagierte sich sofort in der Studentenbewegung. Er kandidierte erfolgreich für die "Roten Zellen", war Redakteur der kommunistischen Zeitschrift "Hochschulkampf", dann Mitarbeiter der "Roten Hilfe".

Persönliche Erlebnisse aus dieser Zeit fließen in das Buch ein. Aber nicht das ist das ärgerlich Subjektive, sondern die Einseitigkeit, mit der Aly Negatives über seine damaligen Genossen zusammenträgt; bis hin zu ihrem späteren Lebensweg. ("Einer, der sich seinen Lebensunterhalt zuletzt als Masseur verdient hatte, ergatterte noch eine Professur in Erfurt"; S. 17 - in diesem hämischen Stil geht das über Seiten).

Man darf sich also von der Tendenz des Buchs nicht beeinflussen lassen. Als ich nach einigen Seiten Lektüre den Pamphlet- Charakter merkte, habe ich es sozusagen gegen den Strich gelesen: Die Wertungen, die einseitige Selektion der Themen ignorierend, nur interessiert an den Fakten, den Zitaten.

Und diese nun freilich sind erschreckend genug.



Es gibt nicht "die Achtundsechziger", die so etwas wie einen gemeinsamen politischen Willen gehabt hätten. Es gab - in der Serie über die Achtundsechziger habe ich das nachzuzeichnen versucht - sozusagen eine vertikale und dann zunehmend auch eine horizontale Differenzierung.

Die vertikale bestand darin, daß im chronologischen Ablauf aus einer diffus- antiautoritären, oft auch fröhlich- anarchistischen Bewegung Gruppen mit einen fest umrissenen politischen Programm hervorgingen. Die horizontale bestand darin, daß diese Gruppen sich immer mehr differenzierten und neben die politischen zunehmend auch lebenserformerische, ökologische, esoterische Gruppen traten.

Nicht von dieser ganzen Entwicklung, nicht von diesem ganzen Spektrum handelt Alys Buch, sondern überwiegend von einer bestimmten Gruppe in einem engen Zeitfenster: Der vom Berliner und Frankfurter SDS dominierten Gruppe um Anführer wie Rudi Dutschke, Bernd Rabehl, Wolfgang Lefèvre, Reimut Reiche, Frank und Reinhard Wolff in den Jahren zwischen 1967 und 1970.

Diese Gruppe bestimmte damals das Bild der "Studentenrevolte" in der Öffentlichkeit. Ihre Anführer traten in den Medien auf; über sie wurde überall an den Universitäten diskutiert. Das Buch "Rebellion der Studenten oder Die Neue Opposition" (1968) war - von Dutschke, Lefèvre und Rabehl zusammen mit einem gewissen Uwe Bergmann herausgegeben - ein großer Erfolg. Es steht noch in meiner Bibliothek; zusammen mit Werken wie "Die Linke antwortet Jürgen Habermas" und "Was wollen die Studenten?".

Was also wollten sie, "die Studenten" (dh. ihre Wortführer)? Darüber gibt Alys Buch Auskunft. Und es ist eine erschreckende Auskunft.

Eine Auskunft, die zeigt, daß der "bewaffnete Kampf" von diesen Ideologen und Anführern der Studentenbewegung keineswegs abgelehnt wurde. Sie wollten die Revolution - in den vor ihnen liegenden Jahren zunächst in Westberlin, wo sie eine Räteherrschaft errichten und aus dem sie unliebsame Personen deportieren wollten. Dann in Deutschland, schließlich in der ganzen Welt.

(Fortsetzung folgt)



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21. April 2008

Wir Achtundsechziger (4): Entmischung in den siebziger Jahren. Warum es "die Achtundsechziger" eigentlich nicht gibt

In den ersten Folgen dieser Serie habe ich meine Erinnerungen an drei Phasen der "Bewegung" geschildert: Die frühe Vorgeschichte in der Zeit Adenauers und Ludwig Erhards; den fröhlichen, antiautoritären Aufbruch, der 1966/67 stattfand; das Abgleiten ins erst Lächerliche und dann Brutale.

Auch in diesen ersten Jahren gab es natürlich verschiedene Strömungen und Tendenzen; von den mehr oder weniger anarchistischen Bohémiens, den Schwabinger Krawallen entsprungen, unter denen Andreas Baader sich herumgetrieben hatte, bevor er die Knarre schicker fand, über die schon zuvor kommunistisch unterwanderten Atomgegner bis zum christlichen Sozialismus, dem Rudi Dutschke entstammte.

Aber damals, bis zum Ende der Sechziger, überwog doch das Gemeinsame aller dieser Tendenzen. Es hatte diese Gemeinsamkeit in der Oppostion gegen den Adenauer- Staat gegeben, gegen die "atomare Gefahr" (die man damals als die eines Atomkriegs sah; nicht als Super- Gau eines AKW), überhaupt gegen die Gesellschaft der fünfziger Jahre. Als es dann 1967 begann mit der Aufmüpfigkeit, war man nur gemeinsam stark. Das Verbindende war mehr der Stil als das Ziel.

Zumal das Ziel ja unklar war und im Lauf der "Bewegung" in den ersten Jahren keineswegs klarer wurde. Man wollte "irgendwie" - das Wort kam bald darauf in Mode - das Ganz Andere. Raus aus dem alten Stiebel, das war das gemeinsame Lebensgefühl. Wo hinein man stattdessen die Füße stecken wollte, das blieb im Vagen. Irgendwie halt ganz frei und ganz, ganz gerecht sollte es zugehen.

High sein, frei sein, überall dabeisein. Das war ein Spruch im Geist der Sprüche des Mai 1968 in Paris. Es brodelte; es war die Zeit einer zuerst fröhlichen, dann zunehmend ins Hektische umschlagenden diffusen Aufbruchstimmung. Dergleichen schafft Gemeinsamkeit. Seid umschlungen, Millionen!

Dann kam die Ernüchterung. Erst hatte es den Tod Benno Ohnesorgs im Juni 1967 gegeben, dann den Anschlag auf Rudi Dutschke im April 1968. Das hatte die "Bewegung" zunächst noch nicht behindert, sie im Gegenteil angefacht. Aber dann, ungefähr ab 1970, wurde immer deutlicher, daß diese Ereignisse symbolisch für etwas Generelles gestanden hatten: Es war Schluß mit lustig.

Die Zeit, in der man sich sozusagen über die Realität lustig gemacht hatte, war vorbei. Jetzt mußte man sich ihr stellen, der Realität.



Und indem sie das tat, zerbrach die "Bewegung". Das passierte nicht plötzlich. Sie krachte nicht zusammen, sondern es war eher ein Zerbröseln. Das Zurück in die Realität ging nicht nur auf verschiedenen Wegen, sondern in verschiedene Richtungen.

Vier Hauptrichtungen lassen sich unterscheiden; in jeder fand sich eine der Komponenten der "Bewegung". Und jede verwies zugleich zurück auf eine viel weiter in die Vergangenheit reichende deutsche Tradition:
  • Aus Seminarmarxisten wurden Stalinisten und Maoisten.

    Nirgends sonst, auch nicht in Italien und Frankreich, hatten Teile der "Bewegung" sich derart verbissen in die Schriften von Marx und Engels vertieft wie in Deutschland, waren sie dann mit einer solchen Gründlichkeit nicht nur zu Lenin fortgeschritten, sondern auch zu Hegel zurückgegangen.

    Das unglückselige Erbe dieser spekulativen deutschen Philosophie schlug wieder einmal durch. Es hub ein Streit um die wahre Lehre an wie im 19. Jahrhundert zwischen den diversen Hegelianern und später zwischen all den Richtungen des Sozialismus.

    Am Ende hatte jede dieser Diskussionsrunden ihre eigene "Partei", die die anderen in kommunistischer Radikalität zu übertrumpfen trachtete. Die blassen, bebrillten Studenten aus den Seminaren gebärdeten sich nun wie die leibhaftigen Kommissare. Diejenigen, die noch einige Jahre zuvor gar nicht genug nach Freiheit rufen konnten, orientierten sich jetzt an so großen Freiheitsfreunden wie Mao Tse Tung und dem Albaner Enver Hodscha, wenn nicht gar Pol Pot.

  • Aus kulturrevolutionären Anarchisten und Spontis wurden Terroristen.

    Neben den Seminarmarxisten hatte es von Anfang an diejenigen gegeben, die sich mehr um ihr Outfit, ihr Sexualleben und das Provozieren der Spießer kümmerten als um die "Kritik der Hegel'schen Rechtsphilosophie". Praktischere, kreativere, witzigere, aber auch aggressivere, destruktivere Leute als die Seminarmarxisten.

    Anfangs stießen sie mit der Staatsgewalt zusammen, weil sie "begrenzte Regelverletzung" übten. Dann sollte es mehr sein und Demonstrativeres, wie die Kaufhaus- Brandstiftung in Frankfurt im April 1968. Man glitt ab ins Verbrechen und erhob schließlich das Verbrechen zu seiner "Politik".

    Auch das stand in einer deutschen Tradition: Derjenigen der Fememorde in der Weimarerer Republik, der Brutalität der SA, mehr noch der SS. Die RAF war eine Organisation im Geist der SS - erbarmungslos, elitär, ihre Morde aus hehren Idealen herleitend und sie mit einem Auftrag der Geschichte rechtfertigend.

    Auch hier also ein Umschlagen: So, wie die freiheitlichen Seminarmarxisten am Ende im Totalitarismus ankamen, kippte der fröhliche Anarchismus der "Kommune 1" um in kaltblütige politische Kriminalität.

  • Aus Freizeit-Revoluzzern wurden linksliberale Akademiker.

    Das ist die sicherlich zahlenmäßig größte Entwicklung aus der Gemeinsamkeit der Achtundsechziger heraus. Für viele - vermutlich die meisten -, die in Berlin, die in Frankfurt und auch in Tübingen oder Freiburg sich in "Sit Ins" und "Besetzungen" übten, war das ja nicht ein Schritt hin zum Revolutionär.

    Es war, pointiert gesagt, die übliche studentische Aufmüpfigkeit, dem Geist der Zeit angepaßt. Studenten schlagen immer gern einmal über die Stränge. Auch das hat eine Tradition in Deutschland, bis hin zu gelegentlichen derben Übergriffen gegen "Philister". Gott, man ist doch jung und genießt seine akademische Freiheit.

    Diejenigen, die in dieser Weise bei der "Bewegung" mitmachten, ließen sich dadurch nicht daran hindern, ihr Studium, wenn auch vielleicht ein wenig verbummelt, hinter sich zu bringen. Sie wurden Professoren, Rechtsanwälte. Viele wurden Journalisten, die uns heute die Welt zu erklären versuchen. Auch unter den Politikern der demokratischen Parteien finden wir sie. Die Titelvignette dieser Serie zeigt ein Gespräch unter solchen Achtundsechzigern.

  • Aus Hippies wurden Grüne.

    Neben der seminarmarxistischen Verschrobenheit war ein zweiter Zug der Achtundsechziger spezifisch deutsch gewesen: Ihre Neigung zur Romantik. Man suchte zwar nicht die Blaue Blume, sondern das Rote Paradies. Aber die Neigung zum Negieren der Wirklichkeit, dieses Pathos des "Ganz Anderen" war eine Haltung, die ihre Wurzeln (auch) in der deutschen Romantik hatte.

    Eine unbedarftere Version war das, was sich aus der Hippie- Kultur in die "Bewegung" hinübergerettet hatte: Erdiges, ein gewisser Traditionalismus, die Wiederentdeckung des Einfachen Lebens.

    Sanfter, auch stärker weiblich geprägt als die anderen Strömungen und Tendenzen in der "Bewegung", wandten sich die so Denkenden und vor allem Fühlenden immer mehr der Natur zu, wie alle Romantiker. Am Ende fanden sie ihre Heimat in der Partei "Die Grünen".


  • Soweit der Versuch, ein wenig Struktur in die "Bewegung" zu bringen und in das, was in den siebziger Jahren aus ihr wurde. Natürlich läßt sich nicht jeder einzelne Beteiligte in ein solches Schema einsortieren; manche mögen vom Seminarmarxisten zum Grünen oder vom Hippie zum Terroristen geworden sein. Daß sie vereinfacht, liegt im Wesen jeder Kategorisierung und macht ihren Sinn aus.

    Die eingangs verlinkten ersten drei Teile dieser Serie liegen schon einige Zeit zurück. Daß ich das Thema jetzt noch einmal aufgegriffen habe, wurde durch die Sendung "Maybritt Illner" am vergangenen Donnerstag motiviert.

    Es war eine lebendige Sendung; auch eine, in der ich den Eindruck hatte, daß alle Teilnehmer ehrlich diskutierten. Nur redeten sie aneinander vorbei.

    Sie sprachen alle von "den Achtundsechzigern". Und alle hatten sie ja Recht, so sehr sie sich auch stritten.

    Peymann hatte mit seiner Rede von den "Goldenen Achtundsechzigern" die fröhliche Zeit des Aufbruchs vor Augen. Für Götz Aly waren "die Achtundsechziger" die Mitglieder und Anführer der K-Parteien, deren Wurzeln er, der Historiker, zu Recht in den Jahren 1967 und 1968 ortete. Volker Kauders und Bettina Röhls "Achtundsechziger" waren diejenigen, die mit SA-Methoden in den Hörsälen begannen und die am Ende raubten und mordeten. Heiner Bremer hatte diejenigen vor Augen, die wie er zu Linksliberalen wurden.

    Unrecht hatten sie alle nicht (außer Jutta Ditfurth, die nichts begriffen zu haben schien). Nur gab es "die Achtundsechziger" als eine homogene Bewegung nicht. Das ist eine Fiktion der Spätergeborenen, die sich in der Geschichte orientieren wollen; aber auch der damals Aktiven selbst, die das, was ihnen selbst seinerzeit wichtig war, im Rückblick gern zum Ganzen erheben möchten.



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